Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierhundertundachtundneunzigste Nacht.

Geschichte des Sultans.

»Obgleich ich heute auf dem Throne sitze, so ließ doch meine Geburt eine so hohe Bestimmung nicht ahnen, da ich der Sohn eines Kaufmanns aus einem Lande bin, das von diesem hier sehr weit entfernt liegt. Mein Vater erzog mich zu seinem Geschäfte und feuerte mich durch Lehre und Beispiel an, rechtschaffen und tugendhaft zu sein. Bald nachdem ich mündig geworden, entriß mir der Tod diesen teuern Verwandten, der mir noch in seiner letzten Stunde Lehren für meine künftige Aufführung gab und mich ganz besonders bat, niemals, auch in noch so dringenden und gerechten Fällen nicht, einen Eid abzulegen. Ich versprach es ihm, und er hauchte bald nachher seinen letzten Atem aus, indem er mich, meine Mutter und meine Schwester in tiefem Schmerze hinterließ. Nach seinem Begräbnisse nahm ich seine bedeutende Verlassenschaft in Besitz, zog mich vom Handel zurück, machte alles zu barem Gelde und gab zwei Drittel davon meiner Mutter und meiner Schwester, die sich ein hübsches Haus kauften, in welchem sie zusammen lebten. Nach einigen Wochen machte ein Kaufmann Anspruch auf eine Summe, die, wie er behauptete, mein Vater ihm schuldig wäre, und welche sich fast so hoch als das ganze mir von ihm hinterlassene Vermögen belief. Ich bat ihn, mir die Schuldverschreibung zu zeigen; aber er sagte, daß er keine hätte, beschwor jedoch vor dem Richter die Richtigkeit seiner Forderung. Ich zweifelte nicht an der Falschheit seines Schwures, konnte ihm aber den meinigen nicht entgegensetzen und mußte ihm daher das Geld bezahlen, was ich tat, ohne meine Mutter und Schwester deshalb in Anspruch zu nehmen. Dieser ungerechten Forderung folgten mehrere, und da ich dem meinem sterbenden Vater gegebenen Versprechen nicht untreu werden wollte, geriet ich in die größte Dürftigkeit und war genötigt, mein Vaterland zu verlassen, um zu versuchen, ob ich irgendwo anders, je ferner, je lieber, eine Anstellung als Handlungsdiener finden könnte.

Ich machte mich fort, und nachdem ich einige Tage gewandert war, begegnete ich in einer Sandwüste einem ehrwürdigen, ganz weiß gekleideten Greise, der mich freundlich anredete und mich nach dem Ziele meiner Reise fragte, worauf ich ihm denn meine Geschichte erzählte. Der Greis segnete mich und lobte mich sehr wegen der Standhaftigkeit, mit welcher ich gehalten, was ich meinem Vater gelobt hatte. »Mein Sohn,« sagte er, »betrübe dich nicht; dein tugendhaftes Betragen ist unserem heiligen Propheten angenehm gewesen, und er hat sich für dich bei der ewigen Güte verwendet. Folge mir und ernte den Lohn deiner Leiden.« Ich tat, was er verlangte, und wir gingen in diese Stadt, die damals ganz wüst und wo selbst dieser Palast ganz zerfallen war. Als wir hier waren, hieß mich der Greis willkommen und sagte zu mir: »Es ist des Himmels Wille, daß du hier herrschen und ein mächtiger Sultan werden sollst.« Er führte mich hierauf in untere Gewölbe des Palastes, wo ich zu meinem nicht geringen Erstaunen große Säcke mit goldenen und silbernen Münzen, Kisten mit den schönsten Edelsteinen und Haufen von Goldstangen fand, welche, wie mein Führer mir sagte, von diesem Augenblick an mir gehörten. Ich rief in meinem Erstaunen aus: »Was aber nützt mir dieser Reichtum in einer entvölkerten Stadt, und wie kann ich ein Sultan sein, wenn ich keine Untertanen habe?« Der Greis lächelte und sagte: »Habe Geduld, mein Sohn, heute abend wird eine große Karawane, aus Ausgewanderten bestehend, hier ankommen. Sie suchen einen Zufluchtsort: nimm diese Unglücklichen gütig auf, und sie werden dich zu ihrem Sultan erwählen.« Seine Worte bestätigten sich, die Karawane kam, der Greis forderte sie auf, sich in dieser Stadt niederzulassen. Sie taten es und wählten seinem Wunsche gemäß mich zu ihrem Herrscher. Mein Beschützer blieb ein ganzes Jahr hindurch bei mir und lehrte mich herrschen. Der Himmel segnete meine Bemühungen, Gutes zu tun, der Ruf meiner Freigebigkeit, Gerechtigkeit und Güte verbreitete sich weit umher, bald war die Stadt mit gewerbefleißigen Einwohnern angefüllt, welche die verfallenen Gebäude wieder herstellten und neue errichteten. Das Land umher wurde gut bebaut, und unser Hafen füllte sich mit Schiffen aus allen Gegenden. Kurz nachher sandte ich nach meiner Familie; denn ich hatte eine Frau und zwei Söhne zurückgelassen; und ihr könnt euch denken, mit welcher Freude wir uns wiedersahen. Mein ehrwürdiger Beschützer sagte nach Verfluß eines Jahres zu mir: »Mein Sohn, meine Sendung zu dir ist vollendet, und ich muß dich verlassen; fahre aber nur fort, wie du begonnen hast, und wir werden uns wiedersehen. Wisse, daß ich der Prophet Elias und vom Himmel zu deinem Schutze gesandt bin.« Nachdem er dies gesprochen hatte, umarmte er mich und verschwand vor meinen Blicken. Ich warf mich voll heißer Andacht zur Erde und sandte innige Dankgebete zu Gott empor.

Seitdem bin ich immer bemüht gewesen, die Lehren meines heiligen Lehrers zu befolgen; und ihr seht, wie glücklich ich bin.«

 

*

Die folgenden Erzählungen stammen aus Gauttiers Ergänzung der Tausend und Einen Nacht.

*

 


 << zurück weiter >>