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Vierhundertundneunundsechzigste Nacht.

Zweiter Besuch des Sultans bei den Schwestern.

Nachdem der Sultan die drei närrischen Schulmeister beschenkt und entlassen hatte, befahl er dem Wesir, das Haus der drei Mädchen und ihrer Mutter aufzusuchen, da er willens wäre, sie nochmals verkleidet zu besuchen, um ihre Abenteuer anzuhören. Der Wesir eilte, ihm zu gehorchen, fand jedoch alle Häuser der Straße, wo jene Frauen wohnten, auf gleiche Weise bezeichnet: eine List der jüngsten von den drei Schwestern, welche den Sultan behorcht und sich dieses Mittels bedient hatte, um die Auffindung ihres Aufenthalts zu verhindern. Der Wesir kehrte zu dem Sultan zurück und erzählte ihm den gespielten Streich. Er war ärgerlich darüber; aber der Umstand reizte seine Neugier nur noch mehr. Endlich verfiel der Wesir auf eine List und sagte zum Sultan: »Herr, lasset einen Befehl vier Tage hintereinander in der Stadt bekannt machen, daß jedem, der nach der ersten Nachtwache in seinem Hause noch eine Lampe brennen hat, das Haupt abgeschlagen werden, er seiner Güter verlustig gehen, sein Haus bis auf den Grund niedergerissen und jedes ihm angehörige Weibsbild geschändet werden soll.

Da jene Mädchen deinen wegen der Hochzeitsfeierlichkeiten bekanntgemachten Befehl nicht beachtet haben, so ist es leicht möglich, daß sie auch diesen nicht beachten und wir auf diese Weise ihren Aufenthalt ausfindig machen.«

Der Sultan billigte diesen Vorschlag des Wesirs, ließ den Befehl ergehen und erwartete ungeduldig die vierte Nacht, in welcher er sich mit seinem Minister in der vorigen Verkleidung auf die Straße begab, in der die Mädchen wohnten. Nur in einem einzigen Hause war Licht zu sehen, und da es nun wahrscheinlich war, daß dieses Haus das gesuchte wäre, so klopften sie an die Türe.

Sogleich rief die jüngste Schwester: »Wer ist an der Türe?« Sie erwiderten: »Wir sind Derwische und wünschen Eure Gäste zu sein!« Sie versetzte: »Was begehrt ihr zu so später Zeit, und wo habt ihr die letzte Nacht gewohnt?« Sie antworteten: »Unsere Wohnung ist in einem Gasthause; aber wir haben uns verirrt und fürchten, von der Scharwache ergriffen zu werden. Seid also so gütig, uns die Türe zu öffnen und uns für den Überrest der Nacht ein Obdach zu gewähren; es wird euch vom Himmel als eine verdienstvolle Tat angerechnet werden.« Als die Mutter diese Worte hörte, befahl sie, die Türe zu öffnen.

Als sie nun eingetreten waren, erhoben sich die alte Frau und ihre Töchter, empfingen sie ehrfurchtsvoll, und nachdem sie sie zum Sitzen genötigt hatten, setzten sie ihnen Erfrischungen vor, welche sie mit Vergnügen annahmen und genossen. Endlich sagte der Sultan: »Kinder, euch ist doch ohne Zweifel der Befehl des Sultans bekannt, wie kommt es, daß ihr allein in der ganzen Stadt ihn nicht befolgt und noch nach der ersten Nachtwache in eurem Hause Licht brennen habt?« Worauf die jüngste erwiderte: »Guter Derwisch, selbst dem Sultan soll man nur dann gehorchen, wenn er vernünftige Befehle erteilt, und da sein Befehl, keine Lampe brennen zu lassen, ein tyrannischer ist, so sollte er nach den Worten der Schrift nicht befolgt werden; denn der Koran sagt: »Gehorsam gegen ein Geschöpf in ungerechter Sache ist eine Sünde gegen den Schöpfer.« – Der Sultan (Gott verzeih' es ihm!) handelt gegen die Schrift und gehorcht den Eingebungen Satans. Wir zwei Schwestern machen es uns nebst unserer Mutter zum Gesetze, jede Nacht eine bestimmte Masse Baumwolle zu spinnen, welche wir am Tage verkaufen, und von deren Ertrage wir unsern Unterhalt bestreiten.«

Der Sultan flüsterte dem Wesir zu: »Das Mädchen setzt mich durch ihre Antworten in Erstaunen: denke darauf, ihr irgend eine Frage vorzulegen, welche sie in Verwirrung setzt.« – »Herr,« entgegnete der Wesir, »wir sind hier als Fremde, Derwische und Gäste, wie können wir sie durch unpassende Fragen verwirren?« Da aber der Sultan auf seinem Willen bestand, so sagte der Wesir zu den Frauen: »Gehorsam gegen den Sultan ist Pflicht für alle Untertanen.« – »Es ist wahr, daß er unser Oberherr ist,« sagte die jüngste der Schwestern; »aber wie kann er wissen, ob wir vor Hunger sterben oder im Überflusse leben?« – »Wenn er nun aber,« versetzte der Wesir, »Euch vor sich rufen ließe und über Euren Ungehorsam befragte, was könntet Ihr zu Eurer Entschuldigung vorbringen?« – »Ich würde,« fuhr sie fort, »dem Sultan sagen: »Euer Majestät hat gegen das göttliche Gesetz gehandelt.«

Der Wesir wandte sich hierauf zu dem Sultan und flüsterte ihm zu: »Ich dächte, wir stritten mit diesem Mädchen nicht ferner über dergleichen Gewissenssachen und fragten, sie lieber, ob sie in den schönen Künsten unterrichtet ist.« Der Sultan legte ihr diese Frage vor, und sie erwiderte: »Ich habe einige Übung in allen«, worauf er sie ersuchte, zu spielen und zu singen. Sie entfernte sich, kehrte aber sogleich mit einer Laute zurück, setzte sich, stimmte das Instrument und spielte eine klagende Weise, wozu sie folgende Verse sang:

»Es ist preisenswert, wenn Untertanen ihrem Oberherrn gehorchen; aber dessen Reich wird lange währen, der durch Güte ihre Liebe erwirbt.

Sei freigebig und freisinnig, und deine Untertanen werden für dich beten; denn nur der freie Mensch kann Dankbarkeit fühlen.

Zu dem, der Gaben spendet, nimmt man gern seine Zuflucht; denn die Güte ist bezaubernd.

Trübe nicht durch Versagung das Gesicht des Mannes von Geist; denn ein freisinniges Gemüt wird durch Kargheit und hochmütiges Betragen beleidigt.

Nicht ein Zehntel des Menschengeschlechts weiß, was recht ist; denn die menschliche Natur ist unwissend, aufrührerisch und undankbar.«

Als der Sultan diese Verse hörte, blieb er einige Zeit in Gedanken versunken und flüsterte hierauf dem Wesir zu: »Diese Strophen waren gewiß auf uns gemünzt, und ich bin nach ihrem ganzen Benehmen gegen uns überzeugt, daß sie sehr gut wissen, daß ich ihr Sultan bin, und daß du mein Wesir bist.« Er wandte sich hierauf zu dem jungen Mädchen und sagte: »Dein Spiel, deine Stimme, dein Vortrag und der Inhalt der Strophen haben mich über allen Ausdruck ergötzt.« Hierauf sang sie noch folgende Strophe:

»Die Menschen streben nach Ehre und Reichtum in einem Zeitalter von Mühseligkeit und Unterdrückung, während – ach! von ihrer Geburt an sie das Grab erwartet und ihr Geschick von Ewigkeit her bestimmt ist.«

Der Sultan war durch den Inhalt dieser letzten Verse noch mehr als vorher überzeugt, daß das Mädchen seinen Stand erraten hätte. Sie hörte nun nicht auf, zu singen und zu spielen, bis der Tag anbrach, worauf sie sich entfernte und ein Frühstück auftrug, welches der Sultan und der Wesir mit verzehren halfen. Sodann sagte sie: »Ich hoffe, ihr werdet in der nächsten Nacht nach der ersten Nachtwache wieder zu uns kommen und unsre Gäste sein.« Der Sultan versprach es und verließ die Schwestern, ihre Schönheit, ihr anmutiges Betragen und ihre Talente bewundernd und zu dem Wesir sagend: »Meine Seele ist durch die Reize dieser anmutigen Frauen höchlich ergötzt.«

 

Vierhundertundsiebenzigste Nacht.

In der folgenden Nacht begaben sich der Sultan und sein Wesir in der gewöhnlichen Verkleidung in das Haus der Schwestern, nahmen einige Beutel voll Dinaren mit sich und wurden mit derselben Freundlichkeit wie das vorige Mal aufgenommen. Als sie sich niedergelassen hatten, wurde ein Abendessen aufgetragen und Becken und Gießkannen gebracht, um sich die Hände zu waschen. Es wurde sodann Kaffee aufgesetzt, und sie unterhielten sich bis zur Gebetzeit der ersten Wache, standen dann auf, verrichteten ihre Abwaschungen und beteten. Als sie ihre Andacht vollendet hatten, überreichte der Sultan der jüngsten Schwester einen Beutel mit tausend Dinaren und sagte: »Verwende dies zur Befriedigung einiger Bedürfnisse nach Belieben!« Sie nahm den Beutel mit einer tiefen Verbeugung, küßte dem Sultan die Hand und war nun überzeugt, daß ihre Vermutung seines Standes gegründet wäre, gab im geheimen ihrer Mutter und ihren Schwestern zu verstehen, von wie hohem Range ihre Gäste wären, und warf sich mit ihnen vor dem Sultan nieder.

Der Sultan sagte nun beiseite zu dem Wesir: »Sicher erkennen sie uns«, und fuhr, sodann sich zu den Frauen wendend, fort: »Wir sind bloße Derwische, und ihr erzeigt uns eine Ehre, die nur Herrschern gebührt; ich bitte euch, das zu bedenken.« Die jüngste Schwester warf sich nun nochmals zu seinen Füßen und sprach folgenden Vers:

»Möge ein günstiges Glück dich trotz der Bosheit deiner Neider begleiten! Mögen deine Tage hell und die deiner Feinde dunkel sein!

Ich bin überzeugt, daß du der Sultan bist, und daß dieser dein Wesir ist.« Der Sultan erwiderte: »Was für einen Grund hast du zu dieser Voraussetzung?« Sie versetzte: »Euer würdevolles Benehmen und Eure Freigebigkeit; denn die echten Zeichen des Königtums können selbst in der Mönchskutte nicht verborgen bleiben.«

Der Sultan erwiderte: »Du hast in der Tat richtig geraten: aber sage mir, woher es kommt, daß ihr keine männlichen Beschützer bei euch habt?« Sie antwortete: »Herr, unsere Geschichte ist so wunderbar, daß sie, wäre sie auf eine eherne Tafel geschrieben, künftige Zeiten als ein denkwürdiges Beispiel nutzen könnten.« Der Sultan bat sie, ihm die Geschichte zu erzählen, was sie nun folgendermaßen tat.

 


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