Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierhundertunddreiundachtzigste Nacht.

Geschichte eines Sultans von Yemen und seiner drei Söhne.

»Man erzählt, daß einst in dem Königreich Yemen ein Sultan lebte, der drei Söhne hatte, von denen zwei von derselben Mutter geboren waren, der dritte aber von einer anderen Frau, deren der Sultan überdrüssig geworden war, und der er, zur Magd herabgesetzt, erlaubt hatte, mit ihrem Sohn unbeachtet unter der Dienerschaft des Harems zu leben. Die beiden älteren Söhne baten ihren Vater eines Tages um die Erlaubnis, jagen zu dürfen, worauf er jedem ein prächtig gezäumtes Pferd von echter Rasse schenkte und ihnen mehrere Sklaven zur Begleitung gab.

Als sie fort waren, begab sich der arme jüngste Bruder zu seiner unglücklichen Mutter und äußerte ihr seine Wünsche, gleich den ältesten die Vergnügungen seines Alters genießen zu dürfen. »Mein Sohn,« versetzte sie, »es steht nicht in meiner Macht, dir ein Pferd, und was du sonst noch bedarfst und wünschest, zu verschaffen.« Als er nun bitterlich weinte, gab sie ihm etwas von ihrem Silberschmucke, das er verkaufte und von dem Gelde eine verschlagene Stute kaufte. Als er sie bestiegen und sich mit etwas Brot versehen hatte, folgte er der Spur seiner Brüder zwei Tage lang, verlor sie aber am dritten. Als er noch zwei Tage umhergeirrt war, erblickte er auf der Ebene eine Schnur Perlen und Smaragden, die einen großen Glanz verbreitete. Nachdem er sie aufgehoben hatte, wand er sie um seinen Turban und ritt voll Freuden über seinen Fund wieder nach Hause. Als er jedoch in die Nähe der Stadt kam, begegneten ihm seine Brüder, warfen ihn vom Pferde, schlugen ihn und rissen ihm die Schnur vom Turban. Er übertraf sie beide an Stärke und Tapferkeit, aber er fürchtete des Sultans Mißvergnügen und für die Sicherheit seiner Mutter, wenn er seine Beleidiger bestrafte. Er ertrug daher mit Geduld die Beschimpfung und den Verlust und entfernte sich.

Als die zwei feigen Prinzen im Palast angekommen waren, überreichten sie dem Sultan die Schnur, der, nachdem er sie bewundert hatte, sagte: »Ich werde nicht eher zufrieden sein, bis ich den Vogel besitze, dem diese Schnur notwendig gehört haben muß,« worauf die Brüder erwiderten: »Wir wollen uns aufmachen, um ihn zu suchen und ihn unserm erhabenen Vater und Sultan zu bringen.«

Nach den nötigen Vorbereitungen reisten die beiden älteren Brüder ab, und der jüngste folgte ihnen auf seiner lahmen Stute. Nach einer Reise von drei Tagen kam er in eine große Wüste, die er mit großer Anstrengung durchstreifte, bis er fast erschöpft in eine Stadt gelangte, welche er von Weh- und Klagegeschrei widerhallen hörte. Endlich begegnete er einem ehrwürdigen Greise, den er ehrfurchtsvoll grüßte und ihn um die Ursache dieser allgemeinen Trauer befragte. »Mein Sohn,« versetzte der Greis, »heute vor dreiundvierzig Jahren erschien ein schreckliches Ungeheuer vor unserer Stadt, verlangte, daß man ihm jährlich eine schöne Jungfrau ausliefern sollte, und bedrohte uns im Weigerungsfalle mit Vernichtung. Unfähig, uns zu verteidigen, haben wir immer sein Begehren erfüllt und das Opfer durch das Los bestimmen lassen; solches hat aber in diesem Jahr die schöne Tochter unseres Sultans betroffen. Heute ist nun der Tag, an welchem das Ungeheuer gewöhnlich erscheint, und wir sind voll Trauer und Klagen über ihr unglückliches Geschick.«

Als der junge Prinz das Obige gehört hatte, begab er sich, auf sein Verlangen von dem Greise begleitet, an den Ort, wo das Ungeheuer sich aufhielt, entschlossen, es zu bekämpfen oder zu sterben. Kaum war er dort, als auch die Prinzessin sich nahte, prächtig gekleidet, aber mit gesenktem Haupte und in Tränen schwimmend. Er begrüßte sie ehrfurchtsvoll, und sie erwiderte seinen Gruß, indem sie sagte: »Verlaß diesen Ort, junger Mann, denn es wird sogleich ein Ungeheuer erscheinen, dem mein unglückliches Geschick mich bestimmt hat. Wenn es dich entdeckt, so wird es dich in Stücke zerreißen.« – »Prinzessin,« erwiderte er, »ich kenne das Unglück, welches dir droht, und bin entschlossen, das Lösegeld für dich zu bezahlen.«

 

Vierhundertundvierundachtzigste Nacht.

Der Prinz hatte kaum diese Worte gesprochen, als eine dichte Staubsäule aufstieg, aus welcher mit schrecklichem Geheul und entsetzlicher Wut das Ungeheuer hervorkam, seine riesigen Seiten mit seinem dicken Schweife schlagend. Die Prinzessin, voll Todesangst, schrie verzweifelnd auf; aber der Prinz zog seinen Säbel und stellte sich dem Ungeheuer in den Weg, welches nun in seiner Wut aus beiden Nasenlöchern Feuer spie und auf den Prinzen zusprang. Der tapfere Jüngling entging mit wundersamer Gewandtheit seinen Klauen, wartete, seine Bewegung genau beobachtend, eine Gelegenheit ab, um auf das furchtbare Untier einzudringen und ihm mit seinem Säbel das Haupt zwischen beiden Augen zu spalten, worauf das gräßliche Tier niederfiel und unter schrecklichem Gebrülle sein Leben aushauchte.

Als die Prinzessin das Ungeheuer verscheiden sah, lief sie auf ihren Befreier zu, wischte ihm mit ihrem Schleier Staub und Schweiß vom Gesicht und bedankte sich auf das innigste. Er sagte ihr, sie möchte zu ihren Eltern zurückkehren; sie wollte aber nicht und sagte zu ihm: »Mein Herr und meines Lebens Licht, ich will dein und du mußt mein sein.« – »Das ist vielleicht unmöglich,« versetzte der Prinz und eilte in die Stadt, wo er sich in einem abgelegenen Winkel eine Wohnung nahm. Die Prinzessin begab sich in den Palast. Bei ihrem Eintritte waren ihre Eltern höchlich erstaunt und fragten voll Unruhe nach der Ursache ihrer Heimkehr, da sie fürchteten, sie wäre dem Ungeheuer entronnen, welches sich nun durch Zerstörung der Stadt rächen würde.

Die Prinzessin erzählte die Geschichte ihrer Befreiung durch einen schönen Jüngling, worauf sich der Sultan mit seinem Hofe und begleitet von dem größten Teile der Einwohner der Stadt zu dem Ungeheuer begab, welches sie tot auf der Erde ausgestreckt fanden. Die ganze Stadt war nun mit Danksagungen und allgemeiner Freude erfüllt. Der Sultan, begierig, dem tapfern Jüngling seine Dankbarkeit zu bezeigen, fragte die Prinzessin, ob sie ihren Befreier, wenn sie ihn wiedersähe, wohl erkennen würde, was sie entschieden bejahte; denn Liebe hatte sein Bild zu tief in ihr Herz gegraben, als daß es verlöschen konnte.

Der Sultan ließ hierauf eine Bekanntmachung ergehen, worin jedem Manne in der Stadt befohlen wurde, unter den Fenstern der Wohnung seiner Tochter vorbeizugehen, welches drei Tage hintereinander geschah, ohne daß sie ihren geliebten Retter erblickte. Der Sultan forschte nun nach, ob alle Männer in der Stadt seinen Befehl befolgt hätten, und erfuhr, daß alle ihm gehorsam gewesen, ausgenommen ein junger Mann in einem gewissen Hause, der ein Fremder und deshalb nicht gekommen wäre. Der Sultan befahl ihm, zu erscheinen; und er hatte sich kaum dem Fenster genähert, als die Prinzessin ihm ein gesticktes Schnupftuch zuwarf, indem sie ausrief: »Dieser ist es, der uns von den Klauen des Ungeheuers gerettet hat!«

Der Sultan befahl nun, den jungen Prinzen vor ihn zu bringen. Er kam und begrüßte den Sultan mit anmutsvoller Hochachtung. »Bist du der Besieger des Ungeheuers?« rief der Sultan aus. »Ich bin es,« entgegnete der Prinz. »Sage mir, wie ich dich belohnen soll!« versetzte der Sultan. »Ich bitte,« erwiderte der Prinz, »Gott und Euer Majestät, mir die Prinzessin, Eure Tochter, zur Gemahlin zu geben.« – »Verlange lieber einen Teil meiner Schätze,« sagte der Sultan. Hierauf bemerkten die Hofbeamten, daß er, da er die Prinzessin vom Tode gerettet, auch ihrer würdig wäre; und als der Sultan endlich einwilligte, wurde der Ehebund geschlossen. Der junge Prinz erhielt seine Braut, und die Hochzeit wurde vollzogen. Gegen Ende der Nacht stand er auf, zog ihren Ring von ihrem Finger, steckte ihr den seinigen an und schrieb ihr in die Handfläche: »Ich bin Aladdin, der Sohn eines mächtigen Sultans, der in Yemen herrscht: kannst du, so folge mir dorthin; wo nicht, so bleib bei deinem Vater.«

Als der Prinz dies getan hatte, verließ er seine schlafende Braut, den Palast und die Stadt und reiste weiter. Auf dieser Reise heiratete er eine zweite Frau, die er von einem Elefanten befreit hatte und auf gleiche Weise verließ; aber das dabei Vorgefallene ist des Erzählens nicht wert.

Nachdem der Prinz seine zweite Frau verlassen hatte, reiste er weiter, um den Vogel aufzusuchen, dem die Schnur von Perlen und Smaragden gehört hatte, und erreichte endlich die Stadt, in welcher die Besitzerin des Vogels – Tochter des sehr mächtigen Sultans – lebte. Er durchstrich mehrere Straßen, bis er endlich einen alleinsitzenden ehrwürdigen Greis gewahrte, der ein Alter von mindestens hundert Jahren erreicht zu haben schien. Er näherte sich ihm und fragte ihn, nachdem er ihn mit Ehrfurcht begrüßt und ein Gespräch mit ihm angeknüpft hatte, ob er ihm wohl eine Nachricht über einen Vogel, dessen Ketten aus Perlen und Smaragden beständen, oder von dessen Besitzerin geben könnte.

Der Greis schwieg, in Gedanken vertieft, einige Augenblicke, worauf er sagte: »Mein Sohn, viele Sultane und Prinzen haben diesen Vogel und die Prinzessin, der er gehört, zu erhalten gewünscht; aber ihre Bemühungen sind erfolglos gewesen: verschaffe du dir jedoch sieben Lämmer, töte sie, zieh ihnen die Haut ab und zerteile sie in zwei Hälften. In dem Palaste sind acht Höfe, vor den Toren von sieben derselben stehen zwei hungrige Löwen, und in dem letzten, in welchem die Prinzessin wohnt, befinden sich vierzig Sklaven. Geh und versuche dein Glück.«

Der Prinz bedankte sich bei dem alten Manne, empfahl sich ihm, verschaffte sich die Lämmer, durchschnitt sie nach der Vorschrift, und gegen Mitternacht, als die Fußtritte der Menschen verhallt waren, begab er sich zu dem ersten Tore, vor welchem er zwei ungeheure Löwen erblickte, deren Augen gleich Ofenfeuern flammten. Er warf jedem ein halbes Lamm vor und ging vorbei, während sie es verschlangen. Durch diese List gelangte er glücklich bis in den achten Hof, an dessen Tore die vierzig Sklaven in tiefen Schlaf versunken lagen. Er ging vorsichtig hinein und sah die Prinzessin in einem prächtigen Saale, die auf einem kostbaren Bette ruhte, neben welchem sich ihr Vogel in einem Käfige von Golddraht, mit herrlichen Edelsteinen geziert, befand. Leise nahte er sich ihr und schrieb ihr in die flache Hand: »Ich bin Aladdin, der Sohn eines Sultans von Yemen. Ich habe dich schlafen sehen und deinen Vogel mit mir genommen. Solltest du mich lieben oder deinen Liebling wieder zu erhalten wünschen, so komm in meines Vaters Hauptstadt.« Hierauf verließ er den Palast, erreichte die Ebene und rastete erst am andern Morgen.

Nachdem er sich ausgeruht und Allah angefleht hatte, ihn vor Entdeckung zu beschützen, ritt er bis Sonnenuntergang, wo er ein arabisches Lager erblickte, in welches er sich begab und um ein Obdach bat.

 

Vierhundertundfünfundachtzigste Nacht.

Der Anführer, der ihn im Besitze des ihm bekannten Vogels sah, gewährte ihm sogleich seine Bitte, indem er zu sich selbst sagte: »Dieser Jüngling muß ein Günstling des Himmels sein, oder er hätte nicht den Preis erhalten können, um welchen so viele mächtige Sultane, Prinzen und Wesire als Opfer gefallen sind.« Er bewirtete ihn gastfreundlich, legte ihm jedoch keine Fragen vor, entließ ihn am Morgen mit Gebeten für sein Wohl und schenkte ihm ein schönes Pferd. Aladdin dankte seinem großmütigen Wirte, nahm Abschied und ritt, ohne anzuhalten, bis er seines Vaters Hauptstadt ansichtig ward. Auf der Ebene wurde er aufs neue von seinen Brüdern angefallen, die von ihrer erfolglosen Reise heimkehrten und, da sie den glänzenden Käfig mit dem Vogel in seinen Händen sahen, ihn plötzlich vom Pferde rissen, schrecklich zerschlugen und ihn so liegen ließen. Sie kamen in die Stadt, überreichten ihrem Vater den Käfig mit einer erlogenen Erzählung von Gefahr und Entrinnung, nach deren Anhörung der Sultan sie mit Lobsprüchen überhäufte, während der arme Aladdin sich zerbleut und schwermütig zu seiner Mutter begab.

Er erzählte dieser sein Abenteuer, beklagte sich bitterlich über seinen Verlust und gab seinen Entschluß zu erkennen, daß er sich an seinen neidischen Brüdern rächen wollte. Sie tröstete ihn, bat ihn, geduldig zu sein und Allah nicht vorzugreifen, der zur rechten Zeit seine Gewalt und Gerechtigkeit schon handhaben würde.

Wir kehren nun zu der Prinzessin zurück, die ihren Vogel verloren hatte.

Als sie morgens aufwachte und ihren Vogel vermißte, war sie sehr bestürzt, noch bestürzter aber, als sie die Schrift in ihrer Hand las. Sie schrie laut auf; ihre herbeigekommenen Frauen, die sie in einem sinnlosen Zustande fanden, holten den Sultan, dem sie, als sie sich etwas erholt hatte, den Verlust ihres Vogels erzählte, ihm ihre Hand zeigte und erklärte, daß sie niemand als den, der sie schlafend gesehen, heiraten wollte. Der Sultan, der es unnütz fand, Gegenvorstellungen zu machen, willigte darein, seine Tochter bei der Aufsuchung des Prinzen zu begleiten, und befahl seinem Heere, sich zu einem Zuge nach Yemen zu bereiten.

Als die Truppen versammelt waren, führte der Sultan seine Tochter in das Lager und brach am folgenden Tage auf. Die Prinzessin und ihre Frauen wurden in prächtigen Tacht-rewans getragen. Sie rasteten nicht, bis das Heer nahe bei jener Stadt war, bei welcher Aladdin die Tochter des Sultans durch Besiegung eines Elefanten vom Tode gerettet hatte. Ein Gesandter, der abgeschickt wurde, um die Erlaubnis nachzusuchen, ein Lager aufschlagen und Mundvorrat einkaufen zu dürfen, fand eine freundliche und ehrenvolle Aufnahme, und der Sultan der Stadt besuchte mit großem Pompe seinen fürstlichen Bruder, der ihn von der Ursache seines Zuges benachrichtigte. Dies überzeugte den andern Sultan, daß der Räuber des Vogels auch zugleich der Retter seiner Tochter wäre, und er beschloß, mitzuziehen. Demnach bewegten sich nach dreitägigen Festen und Ergötzlichkeiten die beiden Sultane mit beiden Prinzessinnen und den vereinigten Heeren auf Yemen zu. Ihr Weg führte sie durch die Hauptstadt, deren Sultanstochter Aladdin von den Klauen des Ungeheuers errettet hatte.

Bei der Ankunft der Verbündeten vor dieser Stadt wurde auf gleiche Weise, wie oben erzählt, unterhandelt; der dritte Sultan beschloß, sie in der Aufsuchung seines Tochtermannes zu begleiten, und die Prinzessin vereinigte sich willig mit den beiden andern. Sie zogen weiter, und auf dem Wege wurde die Prinzessin, welche den Vogel verloren hatte, von den andern vollständig von der Schönheit, Tapferkeit und männlichen Stärke Aladdins unterrichtet, was sie nur noch begieriger machte, ihn zu finden. Endlich, nach fortgesetzten und ununterbrochenen Märschen, erreichten die drei Sultane Yemen und schlugen gegen Sonnenuntergang ihre Lager auf einer grünen, wohlbewässerten Ebene in der Nähe der Hauptstadt auf.

Der Sultan von Yemen sah mit großer Unruhe und Besorgnis ein so zahlreiches Heer so nahe an seiner Hauptstadt gelagert, aber verbarg seine Furcht und gab alle nötigen Befehle, um die Stadt vor einem nächtlichen Überfalle zu sichern. Am Morgen wurde er beruhigt, als die verbündeten Sultane einen Gesandten mit reichen Geschenken, mit Versicherungen, daß sie keine feindlichen Absichten hegten, und mit der Bitte, er möchte sie in ihrem Lager besuchen und es mit den nötigen Bedürfnissen versehen, an ihn absandten. Der Sultan nahm die Einladung an, und als das Gefolge in Bereitschaft war, so kam er, von allen Hofleuten in ihrer höchsten Pracht begleitet, in das Lager, wo er mit den ihm gebührenden Ehrenbezeigungen aufgenommen wurde. Die drei Sultane waren ihm bis zu den Vorposten entgegengegangen, und nach den gewöhnlichen Begrüßungsfeierlichkeiten geleiteten sie ihn in ein prächtiges Zelt von rotem Samt, dessen Fransen und Stricke von Goldfäden, die Pflöcke von gediegenem Silber waren, und dessen Futter aus einem Silberstoffe bestand, der mit seidenen Blumen von allen Farben in erhabener Arbeit, mit Goldfolie untermischt, durchwirkt war. Der Boden war mit prächtigen Teppichen bedeckt, und auf einer mit Goldbrokat belegten Erhöhung am oberen Ende standen vier Diwane, deren Decken und Kissen über alle Beschreibung prachtvoll waren, da sie aus persischem Samt, mit kostbaren Perlen besetzt und beblümt, bestanden.

 

Vierhundertundsechsundachtzigste Nacht.

Als die vier Sultane saßen und ein Gespräch begonnen hatten, worin der Sultan von Yemen erfuhr, weshalb die andern ins Land gekommen waren, wurde ein goldener Tisch gebracht und ein prächtiges Mahl in Gefäßen von Achat, Kristall und Gold aufgetragen. Die Becken und Gießkannen waren von reinem Golde und mit Juwelen besetzt. Die Pracht in jeder Sache war so groß, daß der Sultan von Yemen sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, sein Erstaunen nicht zu zeigen, und innerlich ausrief: »Beim Allah, bis jetzt habe ich noch keine solche Verschwendung von Glanz, Zierlichkeit und Reichtum gesehen!« Als das Mahl beendet war, wurden mehrere Arten von Kaffee, Zuckerwerk und Sorbet hereingebracht, worauf die Gesellschaft sich unterhielt. Die drei Sultane fragten ihren königlichen Gast, ob er Kinder hätte, worauf er erwiderte, daß er zwei Söhne hätte.

Die Sultane baten ihn nun, sie holen zu lassen, und er schickte sogleich einen Boten an sie ab. Sie begaben sich auf reichgezäumten Rossen und prächtig gekleidet in das Lager. Als sie in das Zelt traten, blickten die Prinzessinnen, die hinter durchsichtigen Goldgeweben alles sehen konnten, was in dem Zelte vorging, begierig nach ihnen, und diejenige, welche ihren Vogel verloren hatte, fragte die andern beiden, ob einer von den Prinzen ihr Mann wäre. Sie verneinten es, indem sie hinzufügten, daß der viel schöner und edler aussähe als jene. Auch die Sultane fragten ihre Töchter und erhielten gleiche Antworten.

Die Sultane fragten hierauf den Vater der Prinzen, ob er keine andern Söhne hätte, worauf er antwortete, er hätte wohl noch einen, aber er bekümmerte sich schon lange weder um ihn noch um seine Mutter, und beide lebten unter den Sklaven des Harems. Die Sultane äußerten den Wunsch, ihn zu sehen, und er wurde herbeigeführt, aber in einem schlechten Kleide. Die beiden Prinzessinnen, welche er von den Tieren befreit und nachher geheiratet hatte, erkannten ihn alsbald und riefen zugleich: »Das ist wahrhaftig unser geliebter Gatte!« Er wurde hierauf von den Sultanen umarmt und zu seinen Frauen gelassen, die ihm voll Freuden und Entzücken um den Hals fielen und ihn herzten und küßten, während die Prinzessin, welche den Vogel verloren hatte, sich verschleiert zu seinen Füßen warf und seine Hand küßte.

Nach diesem Auftritte kehrte der junge Prinz zu seinem Vater und den andern Sultanen zurück, die ihn achtungsvoll empfingen und neben sich sitzen ließen, worüber sein Vater erstaunte, mehr aber noch, als jener sich zu seinen Brüdern wandte und zu ihnen sagte: »Welcher von euch fand zuerst die Schnur von Perlen und Smaragden?«, worauf sie nichts antworteten und er sodann fortfuhr: »Wer von euch tötete das Ungeheuer und den Elefanten oder wagte es, mit starkem Gemüt in den Palast des Sultans zu gehen und den Käfig mit dem Vogel wegzunehmen? – Als ihr beide wie ein paar Schufte mich anfielet, beraubtet und verwundetet, hätte ich leicht Herr über euch werden können; aber ich fühlte, daß die Vorsehung eine Zeit bestimmt hätte, zu welcher über euch und meinen elenden Vater, der mich und meine Mutter verstoßen und uns unserer gerechten Ansprüche beraubt hat, ein gerechtes Gericht ergehen würde.« Als er dies gesagt hatte, zog er seinen Säbel, drang auf beide Prinzen ein und streckte sie beide jeden mit einem Hiebe tot zu Boden. Er hätte in seiner Wut auch seinen Vater ergriffen; aber die Sultane hielten ihn zurück, und nachdem sie Vater und Sohn versöhnt hatten, versprach der erstere dem letzteren, ihn zu seinem Erben und seine Mutter wieder in ihren vorigen Rang einzusetzen. Seine Vermählung mit der dritten Prinzessin wurde nun gefeiert, und die drei Väter der jungen Frauen, nachdem sie an den vierzig Tage lang stattgefundenen Festlichkeiten teilgenommen hatten, nahmen Abschied und kehrten in ihre verschiedenen Königreiche zurück. Der alte Sultan, der sich seines Alters wegen den Regierungssorgen nicht mehr gewachsen fühlte, übertrug die Herrschaft seinem Sohne, welchen das von seiner Tapferkeit und Klugheit eingenommene Volk willig als Herrscher anerkannte.

Einige Zeit, nachdem er zum Königtume gelangt war, verließ er, nur von einigen ausgewählten Hofleuten begleitet und ohne die lästigen Anhängsel seines Ranges, die Hauptstadt, um sich auf eine Jagd zu begeben. Als er nun jagend über eine wüste Ebene kam, gelangte er auf einen Fleck, auf dem sich die Öffnung einer Höhle befand, in welche er hineintrat und in der Höhle Hausgerät und andere Zeichen ihres Bewohntseins fand, aber niemand war darin.

Seine Neugier war gereizt, er beschloß, die Erscheinung der Bewohner der Höhle abzuwarten, und befahl seinen Begleitern, seinen Rang nicht zu verraten. Er hatte noch nicht lange gewartet, als ein Mann, mit Mundvorrat beladen, kam. Als derselbe an den Eingang der Höhle gelangt war, sagte der Sultan zu ihm: »Woher kommst du, wohin gehst du, und was trägst du?« – »Ich bin,« versetzte der Mann, »einer von den drei Genossen, welche diese Höhle bewohnen. Wir sind aus der Stadt entflohen, um der Gefangennehmung zu entgehen, mit welcher wir einiger schlimmen Streiche wegen uns bedroht sahen, und alle zehn Tage geht einer von uns, um Mundvorrat einzukaufen: heute ist die Reihe an mir, und meine Freunde werden gleich hier sein. Bleibet diese Nacht bei uns, und Ihr werdet sehen, daß wir ein lustiges Leben führen.«

Der Sultan nahm mit Vergnügen diesen Vorschlag an und sandte sogleich seine Begleiter mit Ausnahme einiger weniger mit dem Befehle ab, aus der Stadt allerlei Bedürfnisse für die Nacht zu holen. Er blieb mit seinen wenigen Begleitern in der Höhle, und bald nachher kamen ihre andern beiden Bewohner, denen sehr bald die Boten des Sultans mit allem zu einer guten Mahlzeit Nötigen folgten, an welcher alle ohne Umstände teilnahmen.

Als die Nacht vorbei war, machte der Sultan seinen Wirten, deren Lustigkeit und Verstand ihm sehr behagt hatte, den Vorschlag, sie mit in die Stadt zu nehmen. »Wie,« riefen sie aus, »Ihr wollt uns an den Ort bringen, aus dem wir entwischt sind, um unsere Freiheit zu retten! Wo denkt Ihr hin?« – »Fürchtet nichts,« sagte der Fürst, »ich bin der Sultan, ich wollte euch hören, um mich zu ergötzen; und in Rücksicht des Vergnügens, das ihr mir gewährt habt, verzeihe ich euch!« Bei diesen Worten verneigten sie sich tief vor ihrem Oberherrn und schworen ihm Gehorsam. Sie verließen ihre Höhle und folgten dem Sultan in seinen Palast. Ihre Unterhaltung schien ihn sehr zu ergötzen, und er ließ sie vor sich kommen, damit sie ihm lustige oder erstaunliche Abenteuer erzählten, und als sie eines Abends beisammen waren, gab einer folgende Geschichte zum besten:

 


 << zurück weiter >>