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Geschichte der Prinzessin der Tatarei.

»Ich bin die Tochter des Kara-Oglu, Königs von Balch; der Sklave, den Ihr getötet habt, diente im Palaste. Mein Vater, der ihn sehr jung gekauft, hatte ihn wegen seiner Tapferkeit liebgewonnen; denn es gab in unserem Heere keinen ihm vergleichbaren Krieger; – aber es ist jetzt nicht der Augenblick, Euch seine erstaunenswerten Taten zu erzählen. Dieser Elende, trunken von dem Ruhme und von den Lobeserhebungen, mit welchen der König, mein Vater, ihn überhäufte, glaubte nach meiner Hand trachten zu können. Er verliebte sich sterblich in mich, und als er sich verschmäht sah, geriet er in eine Wut, die er zu verbergen wußte, und faßte den Entschluß, mich zu entführen. Dies war das einzige Mittel, seine viehische Leidenschaft zu befriedigen.

Ich war schon mit meinem Vetter verlobt. An dem zur Feier unserer Hochzeit bestimmten Tage ritt er durch die Stadt auf einem schönen Pferde, begleitet von Musikanten und von Einwohnern, welche angezündete Fackeln trugen; Männer, mit dem Säbel in der Hand und den Ellenbogen auf das Kreuz des Pferdes gestützt, ritten ihm zur Seite; die ganze Stadt und der ganze Palast waren mit dieser Feierlichkeit beschäftigt, und ich hatte nur drei schwarze Verschnittene und einige Frauen zur Wache. Auf einmal hört man ein durchdringendes Geschrei im Nebenzimmer, und ehe ich Zeit dazu habe, nach der Veranlassung zu fragen, sehe ich meinen schrecklichen Schwarzen erscheinen, der mich mit einer Hand faßt und so schnell wie der Tiger, der ein Lamm raubt, mit mir entflieht.

Nachdem er meine drei Verschnittenen ermordet und meine Frauen in ihr Gemach eingeschlossen hatte, bedeckte er mich mit dem Schleier einer Sklavin und setzte mich vor sich auf sein an der Pforte des Palastes stehendes Pferd. Mehrere Reiter, die ihn mit verhängtem Zügel fliehen sahen, setzten ihm nach. Ich erkannte unter ihnen meinen Vetter; denn die Bewegung des Pferdes hatte meinen Schleier fallen machen. Mein Vetter erkannte auch mich und strengte sich aufs neue an, um mich zu befreien. Als nun mein Räuber sich fast eingeholt sah, band er mich über das Kreuz seines Pferdes und wandte um, um denen, die ihn verfolgten, standzuhalten.

Dieser unglückliche Kampf wird meinem Gedächtnisse immer gegenwärtig bleiben! Der erste Säbelhieb meines Räubers ließ das Haupt meines Geliebten fliegen; es rollte auf den Rasen, den es mit seinem Blute färbte, während sein verstümmelter Rumpf, der noch fest auf dem Sattel blieb, von dem Pferde weitergetragen wurde, bis einige Soldaten, die mutig genug waren, ihre Prinzessin rächen zu wollen, den Toten als Preis ihrer Treue in Empfang nahmen. Die übrigen ergriffen die Flucht, und der unerschrockene Sklave, ohne sich mit ihrer Verfolgung aufzuhalten, nahm wieder seinen vorigen Weg.

Als wir noch einige Meilen gemacht hatten, begegneten wir Hirten, welche an dem Orte, wo sie die Nacht zubringen wollten, Feuer anmachten; aber mein Räuber bemächtigte sich, nachdem er einige getötet hatte, ihrer Stelle und ihres Mundvorrats, der in fünf Broten und einem kleinen Schlauche Wein bestand. Da die Herde nicht fern war, so erwürgte er einen fetten Hammel und briet ihn auf glühenden Kohlen; eins von den Pferden jener unglücklichen Hirten brachte diese Beute bis hierher. Diese Grotte schien ihm sehr passend, um sich auszuruhen und das Verbrechen zu begehen, welches er im Sinne hatte. Da ich mich entschieden weigerte, irgend eine Nahrung zu mir zu nehmen, so zwang mich das Ungeheuer, mich neben ihn zu setzen, während er ganz allein aß.

Nach seiner Mahlzeit versuchte er es, mich durch seine unverschämten Liebkosungen und durch seine zugleich zärtlichen und frechen Reden zu rühren. Seine Gebärden wurden bald kühner: ich stieß ihn zurück; hierauf nahm er seine Zuflucht zur Gewalt, die ihn ebensowenig als die Liebkosungen zum Ziele führten. Seine Wut hatte den höchsten Gipfel erreicht, denn ich sollte eben das Schlachtopfer seines Grimmes werden, als der Engel zu meiner Rechten Euch hierher führte, auf daß Ihr mein Befreier würdet.«

 


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