Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Seelöwen

(in "Bilderbögen des kleinen Lebens", Berlin 1909)

Der Dichter sah im Apollotheater die Seelöwen der Dresseurin Madame Juliette. Ihre Kunstleistungen entzückten ihn; aber ihr Wesen, ihre gutmütige Liebenswürdigkeit, ihre ›Menschenfreundlichkeit‹, ihr gutwilliges, freudiges Bemühen rührten ihn tief; und er begriff es nicht, daß irgendein Reicher, mit Glücksgütern Begabter, ein Gesegneter vom Schicksal, sich so ein wunderbares Tier nicht erstünde, um diese getreuen Augen, diese mysteriöse Anhänglichkeit an den Pfleger genießen zu können in seinem empfindsamen Herzen – – –. In ihrer Ungeschicklichkeit geschickt; behend in Unbehendigkeit; tolpatschig und anmutig zugleich; und mit den Augen Treue spendend und unermeßliche Anhänglichkeit – – –. Er dachte sich in einem Parke ein wunderbares Bassin aus mit einem flachen Felsen zur Sonnentrocknung. Und eine Dame käme hin, täglich zweimal, mit einem Weidenkorbe voll von Fischen. Da schwämme in lieblicher Hast der Seelöwe heran, erhöbe sich, bellte leise und blickte die Herrin liebevoll an. Und diese setzte sich an den Rand des Bassins, spräche freundschaftlich zu dem klugen Tiere, das sie nicht versteht und dennoch versteht! Und eines Tages streichelte sie ganz besonders zärtlich den glatten feuchten Kopf der Robbe und sagte: »Du bist ja doch der einzige, der mich wirklich liebhat und versteht auf Erden –.«

So träumte der Dichter. Aber am nächsten Abende las er folgendes in der Zeitung: »Gräfin Z. hat der Dresseurin Madame Juliette den Seelöwen ›Robespierre‹ um 12 000 Franks abgekauft für ihr ungarisches Gut.«

Da träumte der Dichter: »Wahrscheinlich bedarf die Edle gerade jetzt aus irgend einem Grunde eines solchen besten, sichersten und getreuesten Freundes – – –!«

 


 


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