Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Im Jänner, auf dem Semmering

(in "Semmering 1912", Berlin 1913)

25. Jänner. Die Sonne versucht es, den Schnee zu schmelzen. Da und dort wird er grau, löst sich auf, bereitet den Frühling vor. In Gloggnitz wachsen Schneerosen, stoßen sich durch den Schnee hindurch. Sonst ist alles, alles begraben, still. Auf das bereifte Glas eines Auslagekastens schrieb ich mit der Stahlspitze meines Bergstockes einen Mädchennamen. Welchen?! Was kümmert es euch?! Meine Seele leidet. Ich beherberge ein Marienkäferlein seit vier Tagen. Es lebt an der Warmwasserheizung unter einem Glase. Es spannt sogar die Flügel aus. Ich werde ihm einen Mimosenstrauß kaufen, gelbe, duftende Blüten mit graugrünen Blättchen. Wie hat es bis jetzt überwintern können, alle Schrecknisse durcherleben können?! Ich weiß es nicht. Es gab doch schon 18 Grad Kälte, ohne Beschützer P. A.?! Wie habe ich selbst alles durcherleben können?! Ich weiß es nicht. Ich schreibe in das bereifte Glas eines Auslagekastens auf dem »Hochweg« einen Mädchennamen ein. Welchen?! Was kümmert es euch?! Meine Seele leidet, also sie lebt, sie lebt! Das Marienkäferlein unter dem Glase denkt: »Ha, ha, ha, hier ist es warm, aber wenig zu essen; nun, warten wir noch bis zum Februar; da dürfte sich schon irgend etwas finden – – –.« Für Tierchen findet sich immer etwas.

 


 


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