Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Beja Flor

(Einer edlen Verstorbenen, Madame J. Brandeis, gewidmet)

(in "Wie ich es sehe", Berlin 1896)

Sie war eine bleiche Dame von vierzig Jahren. Sie hatte eine Welt verloren. Sie besaß noch eine Welt, Monsieur Fripp und Monsieur Frapp, ein Aquarium und zwei goldgrüne Inséparables, mit einem Worte, die Menagerie. Fripp sagte immer. »Gute Frau – –«, aber nur mit den Augen. Dann lächelte sie so, gleich war es wieder weg, husch – – –. Frapp, der Star, sagte: »Arme Stefanie, Steff, Steff, Steff – – –.«

Das Aquarium enthielt Goldfische, einen kleinen Springbrunnen, schöne grüne Wasserpflanzen und glänzende weiße Kieselsteine. Das hatte ihr der Herr Schwiegersohn geschenkt.

Der Schwiegersohn kam jeden Abend, küßte die bleiche Dame. Das hieß:

»Du weißt schon, wen ich da mitküsse – –!?«

So küßte er sie.

Sie sagte oft zu dem Neffen, der bei ihr wohnte und wie ein Sohn aufgehoben war und kein sehr glücklicher Mensch war: »Du, mit deinen Ideen, du bist ja wie Jesus Christus – – –.«

Aber die reine, die wahre Christin war sie, denn sie hatte die Leidensstationen durchgemacht und hatte ihr Ich verloren und lebte in denen, die nicht mehr waren, und lebte für die, die waren, und für die unschuldigen, intelligenten Tiere – – –.

»Was kann ich Georg bieten?!« dachte sie, »ein bißchen Frieden und Tafelspitz mit Paradeis-Sauce – – – – – –«

Der Hund sprang meterhoch an ihr empor, der Star sagte: »arme Steff – –«, und die Goldfische waren riesig dankbar, indem sie herumschwammen und glitzerten und schwiegen.

Einmal lag einer im Lavoir.

»Was ist das – – – ?!« sagte der Neffe, »warum liegt er im Lavoir – –?!«

»Der arme Kerl ist krank – –«, sagte die Dame, »er muß im Salzwasser liegen.«

»Woran erkennst du das, daß er krank ist –?!« sagte der Neffe.

»No weißt du – – – ! Er wird doch ganz traurig!?«

Das war wirklich rührend. Der Neffe stand daher fünf Minuten über das Lavoir gebeugt, wo das Goldfischlein die Kur gebrauchte und Solenbäder nahm.

»Er wird schon kräftiger – –«, sagte er.

Die Dame saß, ein bißchen fröstelnd, beim Ofen und sagte: »Nein, er wird sterben – – –. Georg, heute bekommst du wieder deine geliebten ›gâteaux fourrés‹ mit Marillensaft.«

Einmal sagte der Neffe: »Da habe ich einen Freund, der Schiffbruch gelitten hat. Er war in Brasilien, und nach einem Jahre ist er zurückgekehrt. Darf ich ihn heraufbringen?!«

»Nein – –«, sagte die Dame.

Am nächsten Tage sagte sie: »Bringe deinen Freund, welcher Schiffbruch gelitten hat – –.«

Um acht Uhr abends erschien ein junger Mann, mit einem Antlitz wie Hölderlin.

Nach dem Souper sagte der Neffe: »Was ißt man in Rio – – –?!«

Er meinte: »Erzähle überhaupt – – –.«

Der Schiffbrüchige erzählte von Bananen und Ananas, von den schwer schälbaren, honigsüßen Orangen, von den giftigen Schararakas, von den Onzas, die in der Dämmerung brüllen, von den Königspalmen, palmeira reale, von den breitblättrigen Musacéen, von den weißschimmernden Sternbildern, den feinen Nationalgerichten, der Tramway, die in den Urwald führt und von den bleichen Frauen mit den Mandolinen-Augen und der samtenen Haut und den Diamanten und Smaragden im braunen Haar – – –.

Die Dame lag in einer Chaiselongue.

»Haben Sie Kolibris gesehen – –?!« sagte sie mechanisch. Sie dachte an ihre Kindheit, wo man gelernt hatte: »Die Honigvögelchen, auch Blumenvögelchen genannt, sind die kleinsten Vögel von der Welt –.«

»Ich habe einen mit dem Schmetterlingsnetz gefangen. Er flimmerte und flirrte über einer Blüte, wie ein Nachtschmetterling es tut, und senkte seinen langen Schnabel in den Kelch der Blüte. Der Brasilianer sagt daher: ›Beja flor – der die Blume küßt!‹«

»Haben Sie ihn getötet – –?!« fragte die Dame.

»Nein, ich habe ihn wieder freigelassen – –«, sagte Hölderlin.

Die Dame lächelte fast selig; sie dachte: »Er ist gut – –. Er muß auch etwas verloren haben –.«

»Ah, Rio – –«, sagte er, »wie sehne ich mich nach dir!«

»Warum sind Sie zurückgekehrt sagte die Dame sanft.

»Ich schrieb in einem Comptoir, und draußen küßten Vögelchen die Blumen! Beja flor – – –!«

Der Neffe sagte: »Hier kann man arbeiten – – wer stört uns?!«

Die Dame dachte an den Kolibri, der flimmerte und flirrte wie ein Nachtschmetterling und dem man das Leben geschenkt hatte, obzwar er schon im Netze war. Die Uhr sang Elf, Frapp murmelte träumend »arme St St St – – –«, die goldgrünen Inséparables schliefen eng aneinandergedrückt, Fripp sah die Dame an mit seinen Augen voll Liebe, und die Goldfische standen unbeweglich unter einem Felsen von Tuff. Nur der, der Solenbäder gebraucht hatte, schlief extra, unter einem grünen Blatt, gleichsam in freier Mutter Natur, denn er war ein Abgehärteter – – –.

»Kommen Sie bald wieder – – –!« sagte die Dame beim Abschied zu dem Brasilianer.

Am nächsten Tage lehrte sie den Star: »Beja flor – – der die Blume küßt.«

»Besssa florrr – –«, sagte der Star, »arme Stefanie, arme Steff, Steff, Steff – – florrr!«

Die Dame saß beim Ofen und fröstelte – – –.

Dann kam der Schwiegersohn und küßte sie.

Das hieß: »Du weißt schon, wen ich da mitküsse – – –!?«

So küßte er sie – – –.

Beja flor!

 


 


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