Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Gregory-Truppe

(in "Bilderbögen des kleinen Lebens", Berlin 1909)

Männer liegen am Rücken auf entsprechend gebauten roten Lederfauteuils ohne Füße und jonglieren mit den Füßen herzige Knaben. Sogenannte ›Antipoden‹, mit lebenden Wesen statt mit Riesenkugeln, Würfeln, Tischen, spanischen Wänden. Die Leiber der Knaben sind biegsam wie Kautschuk, es kann ihnen nichts geschehen, sie geben nach, jedem Schwunge; was man auch mit ihnen treibe, sie bleiben intakt! Die Knaben sind besser gewachsen als Mädchen und haben einen freudigen, begeisterten Gesichtsausdruck. Sie ›arbeiten‹ wie edle dressierte Hunde bei einem gnädigen, verständnisvollen Herrn. Sie sind das Gegenteil von ›verprügelt‹. Sonst könnten sie nicht diesen leuchtenden, begeisterten Gesichtsausdruck haben! Alles kann man ihnen, den jugendlichen Artisten, einlernen, einschärfen, einprügeln, aber der Gesichtsausdruck bleibt die freie Wahl des unbezwinglichen Inneren! Ich schaue jedem Artisten nur in das Gesicht. Hier ist das Zeugnis eingeschrieben, ob er ›berufen‹ ist vom Schicksal zum Artisten oder es sich ›zugelegt‹ hat aus tausend Gründen! Nun, in dieser Gregory-Truppe ist solch ein ›berufener‹ Knabe. Ein etwas scharfes nervöses Gesicht und etwas bleich unter der roten Schminke. Auch dieses fühlt man durch. Er ist Meister, ohne viel zu lernen. Er braucht nicht zu üben. Etwas in ihm verleiht ihm unerhörte besondere Elastizitäten. Seine Schwungkraft ist um vieles vehementer als die der andern reizenden Knaben. Er ist in allem wie ein Sieger, er ist allen innerlich um viele Längen vor, obzwar sie alle dasselbe vollführen. In ihm sind elektrische Spannkräfte aufgehäuft, mühelos vollbringt er, was andre sich ›erworben‹ haben. Siehe, ein Genie des Turnens! Er macht das Unmögliche möglich in leichter Anmut! Er würde es ›umsonst‹ leisten, auf Wiesen oder Dorfstraßen, die ›Variétébühne‹ ist ihm nichts anderes!

Und da saß einer in der Proszeniumsloge ganz hart an der Bühne, so fünfzig Jahre alt, und murmelte: »Ist er nicht schöner, wertvoller als alle Frauen zusammen, die mich zerstört haben?!? Ich werde ihm morgen anonym eine Patek-Uhr schicken, Genf, von der Sternwarte geprüft, garantiert auf dreißig Grad unter Null, auf neunzig Grad über Null, mit Kupfermantel gegen elektromagnetische Einflüsse geschützt, zweitausendfünfhundert Frank wert, die ihm sonst niemand schenken würde! Und ich werde es erzählen, allen Damen; und wenn mich eine ironisch lächelnd dabei ansieht, werde ich sie ohrfeigen!«

 


 


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