Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Die Maus

(in "Pròdromos", Berlin 1906)

Ich zog in das ruhige Zimmerchen, fünften Stock, gutes, altes Stadthotel, ein, mit zwei Paar Socken und zwei riesigen Flaschen Slibowitz für unvorhergesehene Fälle.

»Bitte«, sagte der Zimmerkellner, »soll ich das Gepäck holen lassen?!?«

»Ich habe keines«, sagte ich einfach.

Dann sagte er: »Wünschen Sie elektrische Beleuchtung?!«

»Jawohl.«

»Es kostet fünfzig Heller per Nacht. Sie können aber auch bloß Kerze haben«, sagte er in Berücksichtigung der gegebenen Umstände.

»Nein, ich wünsche elektrische Beleuchtung.«

Um Mitternacht hörte ich Geräusche von zerrissenen und zerkratzten Papiertapeten. Dann kam eine Maus, stieg meinen Waschtisch hinan und betrat das Lavoir, machte überhaupt verschiedene artige Evolutionen, begab sich sodann wieder auf den Fußboden, da Porzellan nicht zweckentsprechend war, hatte überhaupt keine festen weitausgreifenden Pläne und hielt schließlich die Dunkelheit unter dem Kasten bei den gegebenen Umständen für ziemlich vorteilhaft.

Morgens sagte ich zu dem Dienstmädchen: »Sie, eine Maus war heute nacht in meinem Zimmer. Eine schöne Wirtschaft!«

»Bei uns gibt's keine Mäuse, das wäre nicht schlecht. Woher sollte denn bei uns eine Maus herkommen?! So was lassen wir uns überhaupt gar nicht nachsagen!«

Ich sagte infolgedessen zu dem Zimmerkellner:

»Ihr Stubenmädchen ist ein freches Geschöpf. Heute nacht war eine Maus im Zimmer.«

»Bei uns gibt's keine Mäuse. Woher sollte denn bei uns eine Maus herkommen?! So was lassen wir uns überhaupt gar nicht nachsagen!«

Als ich in das Hotelvorhaus trat, betrachteten mich der Herr Portier, der Herr Hausknecht, die anderen beiden Fräulein Stubenmädchen und der Herr Geschäftsführer, wie man einen betrachtet, der mit zwei Paar Socken, zwei Slibowitzflaschen einzieht und bereits Mäuse sieht, die nicht da sind.

Auch lag mein Buch »Was der Tag mir zuträgt« offen auf meinem Tische, und ich überraschte einmal das Stubenmädchen bei der Lektüre desselben.

Unter diesen facheusen Umständen war meine Glaubwürdigkeit in bezug auf Mäuse ziemlich untergraben. Dafür hatte ich immerhin einen gewissen Nimbus eingeheimst, und man rechtete nicht mehr mit mir, ließ mir sogar kleine Schwächen passieren, drückte ein Auge zu, benahm sich außerordentlich kulant wie mit einem Kranken oder anderweitig zu Berücksichtigenden.

Die Maus jedoch erschien jede Nacht, kratzte an der Papiertapete, bestieg häufig den Waschkasten.

Eines Abends kaufte ich eine Mausefalle samt Speck, ging mit dem Instrument ostentativ an dem Portier, dem Hausknecht, dem Geschäftsführer, dem Zimmerkellner und den drei Stubenmädchen vorbei, stellte die Falle im Zimmer auf. Am nächsten Morgen war die Maus drin.

Ich gedachte nun, ganz nonchalant die Mausefalle hinabzutragen. Die Sache sollte für sich selber sprechen!

Aber auf der Stiege fiel es mir ein, wie erbittert die Menschen werden, wenn man sie einer Sache überführt, zumal eine Maus sich nicht in einem Passagierzimmer eines Hotels befinden sollte, in dem es Mäuse einfach »gar nicht gibt«! Auch wäre mein Nimbus eines Menschen ohne Gepäck, mit zwei Paar Socken, zwei Flaschen Slibowitz, einem Buche »Was der Tag mir zuträgt« und der nachts bereits Mäuse sieht, dadurch beträchtlich erschüttert worden, und ich wäre sofort in die peinliche Kategorie eines sekkanten und höchst ordinären Passagiers herabgesunken. Infolge dieser Bedenken ließ ich die Maus in einem für diese Zwecke ziemlich geeigneten Orte verschwinden und stellte meine Mausefalle auf dem Fußboden meines Zimmerchens wieder leer auf.

Von nun an wurde ich mit noch zärtlicherer Rücksicht behandelt, man wünschte mich unter keinen Umständen zu erregen, gab nach wie einem kranken Kindchen. Als ich endlich abreiste, war bei allen freundschaftliches Mitgefühl und Attachement vorhanden, obzwar ich als Gepäck nur zwei Paar Socken, zwei leere Slibowitzflaschen und eine Mausefalle mitnahm!

 


 


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