Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Der Besuch

(in "Wie ich es sehe", Berlin 1896)

Im Vorzimmer brannte die weiße Ampel, hoch aufgedreht. An den Messinghaken hingen einige Kleidungsstücke.

Der junge Mann berührte sanft einen langen grauen Damenmantel.

Dann trat er ein.

Auf dem rostfarbigen seidenen Sofa saß die junge Frau des Hauses.

Sie hatte eine japanische Frisur mit drei goldenen Kugeln, schöne schmale Augenbrauen und feine weiße Hände. Sie trug ein ganz weites schwarzes Seidenkleid mit einer breiten offenen Halskrause aus weitem schimmerndem Tüll.

Hinter ihr, an der Wand, standen auf einem breiten hellbraunen matten Brett aus edlem Holz sechs dicke bauchige Glaskrüge mit eingeschmolzenen dunkelroten und hellgrauen Flecken und inkrustierten goldenen Blättern und Blüten.

Die junge Frau saß wie unter einem Dache, wie in einer Veranda.

Auf einem niedrigen Fauteuil aus grasgrünem Plüsche saß eine junge Dame in einem gestreiften Samtkleid in der Farbe von Kastanienpüree.

Sie hatte braune wellige Haare und einen Teint wie einmal angerauchter Meerschaum.

»Ich habe gewußt, daß Sie es sind!« sagte die Hausfrau.

»Oh, ich auch – –!« sagte das junge Mädchen.

Er ging ruhig zum Samowar und betrachtete die »Gingerbreads«, welche auf der silbernen Tasse aneinandergereiht waren wie die Schmetterlingsschuppen unter dem Mikroskope – – dachziegelartig.

In einem weiten japanischen Strohkorbe lagen Marons glacés, feucht glänzend, in kleinen Badewannen aus weißem genipptem Papier.

Die junge Hausfrau erhob sich und bereitete eine Tasse hellgoldenen Tee.

Der junge Mann betrachtete ihre wunderschönen Hände, welche die zartesten Bewegungen ausführten.

Sie gab Zucker und Rum in den Tee. Sie kannte wahrscheinlich seinen Geschmack.

Dann setzte sie sich wieder in die Veranda mit den graurotgoldenen Glaskrügen.

Das junge Mädchen stand auf und brachte die silberne flache Tasse und den geflochtenen Bambuskorb.

Der junge Mann trank langsam den Tee, aß Gingerbreads und fünfzehn Marons glacés.

Die Damen lächelten.

Er sagte: »Ein heller goldgelber Tee, meine Damen, mit feinem Rum, ist das anregendste Getränk von der Welt. Er führt uns Wärme in seiner goldenen Flüssigkeit zu und übt einen sanften Reiz auf unsere Geschmacksnerven aus, der sich über den Gesamtorganismus verbreitet wie ein süßer Dunst. Es ist wie ein inneres, warmes, parfümiertes Bad. Es erhöht die Energie des Lebens ganz einfach.

Gingerbreads sind die Fürsten der englischen Cakes. Spröde wie Glas, enthalten sie die Seele der Staude ›Zingiber‹, eines ziemlich anregenden Gewächses.«

Dann sagte er. »Marons glacés sind eine leicht verdauliche und außerordentlich nahrhafte Speise – –. Im Verlaufe ihrer weiteren Umwandlung erzeugt sie direkt Geist!«

Die Damen lächelten.

»Ja, wir müssen immer trachten, meine Gnädige, die im Leben verlorengehenden Kräfte auf geschickte, ja raffinierte Weise rasch und leicht wieder zu ersetzen, den Haushalt im Gleichgewichte zu erhalten, zu vergrößern! So wachsen wir ins Unendliche und werden unsterblich – – –!«

»Wie macht man Marons glacés?« fragte das schöne Mädchen.

»Ich weiß nicht«, sagte die Hausfrau, »man kauft sie bei Demel.«

Der Herr sagte: »Sie scheinen in Wasserdunst gekocht zu sein – – –. Zu allen diesen schönen, guten und gesunden Dingen kommen noch zwei ideale Hände und ein gestreiftes Samtkleid mit seinen Lichtern und seinen matten Ruheflächen. Tausend starke Kräfte strömen uns da ins Auge und baden das Gehirn rein von allem Schweren, Störenden.«

Die junge Hausfrau errötete.

Das junge Mädchen blieb matt wie angerauchter Meerschaum.

Der junge Mann betrachtete diesen »Jour« als eine Anstalt für Diätetik und Hygiene. Das heißt, alles überhaupt verwandelte sich bei ihm in Dinge, welche in der Lage wären, die Spannkräfte des edlen Organismus »Mann« zu erhöhen.

Tee, Ginger, Kastanien, Frauenhände – – –!

»Wir müssen wachsen – – –«, dachte er, »sogar bei der Jause – – –.«

Die Damen bekamen dafür ihrerseits das wohltuende Bild einer schönen, komplizierten, feinen, gut geheizten und geölten Maschine, die man dann nur mit irgendeinem Treibriemen in Verbindung zu bringen brauchte, um eine hohe, intensive und außerordentliche Tätigkeit und Leistung auf irgendeinem Gebiete menschlicher Bewegung zu erzeugen.

Die feine geheizte und geölte Maschine begann zu rauchen.

Es war der Dampf von ägyptischen Zigaretten.

Auch das Fräulein rauchte. Es sah aus, wie wenn ein großer feingeschnittener Meerschaumkopf sich selbst braun anrauchen würde – – –.

In dem warmen Zimmer lag der Duft von Tee, Rum und Zigarettendampf.

Der junge Mann setzte sich auf das kleine Sofa neben die junge Hausfrau und sah auf ihre feinen weißen Hände.

Die junge Frau verbarg sie in den seidenen Falten ihres Kleides und beugte sich schüchtern ein wenig vor.

»Kennen Sie A. Tschechow?« sagte er. »Der ist außerordentlich, ein Genie! Ich habe ein Bändchen für Sie mitgebracht, Fräulein – – –.«

»Lesen Sie uns vor!« sagte die angebräunte Meeresschaumprinzessin.

Er las »la mort du matelot« und »les ennemis« Was ging es ihn an, daß es sehr traurig war und vielleicht nicht herpaßte?!

Aber alle waren begeistert.

»Sie leben wie Coquelin«, sagte das junge Mädchen.

Der junge Mann sagte: »Begeisterung und Deklamation sind Mittel, unseren Stoffwechsel zu beschleunigen, also unser Menschentum zu steigern. Man verjüngt sich dabei. Es ist wie ein Turnen von innen.«

Die weißen Hände der jungen Frau lagen auf dem Schoß von schwarzer Seide ausgebreitet. Sie vergaß, sie zu verbergen – – –.

Der junge Mann sagte: »Mein A. Tschechow! Mit wenigem viel sagen, das ist es! Die weiseste Ökonomie bei tiefster Fülle, das ist auch beim Künstler alles – – wie beim Menschen. Auch der Mensch ist ein Künstler, sollte es sein – – ein ›Lebens-Künstler‹! Die Japaner malen einen Blütenzweig, und es ist der ganze Frühling. Bei uns malen sie den ganzen Frühling, und es ist kaum ein Blütenzweig. Weise Ökonomie ist alles! Und dann, sehen Sie – – – die feinste Empfänglichkeit haben für Formen, Farben, Düfte ist schön. Dieses dem anderen so beibringen, daß er es ebenso spürt, ist eine Kunst.

Aber dieselbe Empfänglichkeit haben, denselben zarten Sinn für die Formen und Farben der Seele, des Geistes – – ist mehr! Die wahre Kunst beginnt erst mit der Darstellung geistiger, seelischer Ereignisse. Das Leben muß durch einen Geist, durch eine Seele hindurchgehen und da sich mit Geist und Seele durchtränken wie ein Badeschwamm. Dann kommt es heraus, größer, voller, lebendiger! Das ist Kunst!«

Die feine Maschine hatte einen Treibriemen bekommen. Sie arbeitete präzise und mit Schwung.

Die junge Frau war blaß geworden. Sie verstand nicht alles, sie wußte nur, daß es etwas sei, was ihren Horizont überflog und sich nach vorwärts und oben weit ausdehnte, wie das Licht, die Luft – – –.

Wie sollte sie sich dazu stellen?! Das machte sie nervös. Sie blickte ernst auf ihre weißen Hände herab – – –.

Aber die Meeresschaumprinzessin war rosig geworden. Sie flog mit. Sie empfand die Wahrheit. Sie dachte: »Das ist es! Kunst ist etwas, was das Leben lebendiger macht. Denn was wäre es sonst, wenn es, aus Lebendigem entsprungen, nicht lebendiger wäre als dieses?!«

Sie ahnte einen Zusammenhang zwischen Kunst und Liebe – – –. »Man wird lebendiger – –«, fühlte sie.

Es war acht Uhr geworden.

Der junge Mann empfahl sich. Er küßte die weißen Hände und die in teint ambré.

Draußen im Vorzimmer berührte er wieder sanft den grauen Damenmantel, der an dem Messinghaken hing.

Die Türe ins Stiegenhaus schnappte ins Schloß zurück.

Die Damen drin aber lächelten – –.

Sie fühlten vielleicht, daß ihre latenten Spannkräfte erhöht waren, ihr Stoffwechsel beschleunigt war – –.

Ja, sie waren ganz rosig und guter Dinge – –!

 


 


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