Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Myosa

(in "Neues Altes", Berlin 1911)

Mademoiselle Myosa, das Original mit dem tiefen wunderbaren Blick, in dem direkt eine Art von fanatischer Tanzmission glüht und fiebert, ist von unbeschreiblicher Anmut. Die übrigen Tänzerinnen tanzen, aber sie ist der Tanz selbst, sie versinkt, ertrinkt im Tanzen. Sie existiert nicht mehr. Sie kann sich, auch im Leben, in nichts anderm äußern. Man hat die Empfindung: sie ißt nicht, sie trinkt nicht, sie schläft nicht, sie will kein Geld und keine sonstigen scheinbar unentrinnbaren Leidenschaften – – – sie will tanzen, tanzen, tanzen! Der Fisch will Wasser, nur Wasser; und sie will den Tanz, nur den Tanz! Sie ist das erste Tanzgenie, das ich je erblickt habe, wegen ihrer fast pathologischen Konzentration. Sie rührt und macht erstaunen. Hat Gott die Welt nur erschaffen, damit Myosa sich darin austanze?! »Ja!« sagen ihre düstern Blicke. Sie hat Bewegungen, die man noch nie bei einer Tänzerin gesehen hat, wie wenn oft ihr wunderbarer kindlicher Leib von einer inneren Macht gezwungen würde. Dabei ist sie ununterbrochen verzweifelt, daß es in diesem Vergnügungsetablissement nicht still und feierlich ist während ihres heiligen Tanzens wie in einer Kirche; sprechen, lachen, verletzt sie tödlich; ein Zug unaussprechlichen ergreifenden Leidens ist da mitten im Tanzen auf ihrem herrlichen Antlitz. Da haßt sie die Menschen und die Welt! Sie ist eine tragische Persönlichkeit, feindselig und abhold dem leichten Dasein der Stunde. Sie ist ein Phänomen, eine Einzige, eine in sich Gekehrte, starre Unerbittliche des Tanzes! Und das alles dort, wo man sich bei uns amüsieren, zerstreuen will!? Arme, arme Myosa – – –!

 


 


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