Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Der Erste Staatsanwalt Treuß saß in seinem lichten Eckzimmer und arbeitete an einem Berichte an das Justizministerium, in dem er die Ergebnisse über den Rückgang der Verurteilungen Jugendlicher zusammenstellte, der eine Folge der neuen Verordnungen über die Bewilligung von Bewährungsfristen war.

Der Diener trat herein und meldete, daß Kriminalinspektor Skrandies in der alten Mordsache gegen Kurstosch den Herrn Ersten Staatsanwalt zu sprechen wünsche.

»Zu Herrn Staatsanwalt Doktor Custodies!« rief Treuß, mit einem halben Blick über seine Arbeit aufsehend.

»Das sagte ich dem Herrn Inspektor schon. Er wünscht aber ausdrücklich dem Herrn Ersten Staatsanwalt zu berichten.«

»Er soll hereinkommen!« rief Treuß, ohne aufzusehen. »Ich bin außerordentlich mit einem dringlichen Berichte befaßt, ich bitte, recht kurz zu sein« fuhr er, noch einige Zeilen schreibend, fort, als er hörte, daß jemand hereingetreten war.

»Kurz kann ich mich diesmal nicht fassen, Herr Erster Staatsanwalt, der Sachverhalt ist –«

Treuß legte die Feder weg und sah auf. »Was bringen Sie, Herr Inspektor – mit so feierlicher Miene?«

»Ich habe in der Sache Kurstosch Bericht zu erstatten.«

»Das meldete schon der Diener. Weshalb mir und nicht Herrn Doktor Custodies? Also bitte – so kurz als möglich.«

Gleichwohl zögerte der Beamte einen Augenblick.

»Der Kriminalabteilung, Herr Erster Staatsanwalt«, begann er langsam, »liegt viel daran, den alten Mordfall an der Hand der neuen Beweismittel voll aufzuklären. Nach der letzten Vernehmung von Kurstosch haben wir auch die Überzeugung, daß er als Täter nicht in Frage kommt.«

Der Staatsanwalt machte bei dieser Einleitung eine Bewegung der Ungeduld.

»Zweifellos lebt aber noch jemand, der über den Vorgang Auskunft geben kann und von dem aller Wahrscheinlichkeit nach die neuen Beweisstücke herrühren.«

»Das wissen wir doch schon lange. Sie sprechen heute so sonderbar – sind Sie krank?«

»Nein, Herr Erster Staatsanwalt. Es hat sich nur etwas ereignet, was mir als Polizeimann der Stadt etwas nahegeht.«

Treuß sah mit großen Augen auf. »Setzen Sie sich.«

»Ich will so kurz als möglich sein« sagte Skrandies, sich langsam niederlassend. »Auf mich persönlich hat, ich kann selbst nicht sagen, weshalb, in der Kette der Beweise nichts so sehr Eindruck gemacht als das Flammenbild, das der Unbekannte aus Goslar als Tätowierung auf der Brust getragen haben soll. Vielleicht kommt es daher, daß ich mich mit Tätowierungen besonders befaßt habe. Ich habe viel darüber nachgedacht, habe mir die beiden Zeichnungen bei den Akten, die Kurstosch merkwürdig übereinstimmend entworfen hat, eingehend angesehen und ins Gedächtnis geprägt.«

Der Inspektor, ein freundlicher Mann in mittleren Jahren, mit grauem Vollbart, hielt, anscheinend von seinem eigenen Berichte bewegt, einen Augenblick inne, um alsbald fortzufahren.

»Ich gewöhnte mir an, unsere eingelieferten Gefangenen in dem entsprechenden Alter auf Tätowierungen genauer zu besichtigen. Unwillkürlich lenkte ich mein Augenmerk in derselben Richtung auch bei meinen dienstlichen Besuchen der hiesigen Badeanstalten. Vor zwei Wochen begegnete mir nun im Leopoldbad am Schwimmbassin ein Herr, dessen am Arme etwas aufgeknöpfter Badeanzug auf der Brust ziemlich deutlich die Linien einer Tätowierung erkennen ließ.«

Der Erste Staatsanwalt, der bisher zuhörend noch in seinem Bericht gelesen hatte, machte eine Miene lebhafter Überraschung.

»Da mir zu seinem Äußeren eine Tätowierung wenig zu stimmen schien«, fuhr Skrandies fort, »folgte ich ihm unauffällig und konnte im Vorübergehen an der wohl zufällig offen gelassenen Zellentüre genau erkennen, daß auf seiner Brust, als er sich des Badeanzugs entledigt hatte, sich tatsächlich ein tätowiertes Bild befand, das mir im ersten Augenblick merkwürdige Ähnlichkeit mit den gezackten Flammen des Goslarers zu haben schien.«

»Wahrhaftig?«

»Ich war aber so überrascht, daß ich doch meinen Augen nicht völlig trauen und meine Beobachtung wiederholen wollte. Das geschah am letzten Freitag. Ich besetzte die Zelle unmittelbar neben diesem Herrn und wartete die Gelegenheit ab, da er den Badeanzug abstreifte. Er hatte seine Zellentüre wieder angelehnt, so daß ich, als hätte ich mich in der Nummer versehen, seine Zelle betreten konnte.«

»Nun?« fragte Treuß gespannt.

»Er kehrte mir überrascht seine Brust zu – ich stand einen Schritt vor ihm und entschuldigte mein Versehen – er nickte und lachte – ich sah ganz deutlich in blauer Zeichnung das tätowierte Flammenbild – die Zacken in auffälliger Ähnlichkeit mit Kurstoschs Skizzen – es war ganz gewiß keine Augentäuschung, Herr Erster Staatsanwalt.«

»Sie kannten den Herrn?«

»Jawohl, Herr Erster Staatsanwalt.«

»Wer ist's?«

»Herr Erster Staatsanwalt kennen ihn selbst.«

»Ich? In der Tat, Sie machen mich neugierig.«

»Es wird mir schwer, den Namen zu nennen.«

Treuß wurde sehr ernst. »Nun? Immer heraus.«

»Es wird mir wirklich sehr schwer.«

»Also –?« fragte Treuß fast unruhig.

»Herr – Michael Argobast –« erklärte der Beamte gedämpft mit zitternder Stimme.

Der Staatsanwalt starrte den Kriminalinspektor einen Augenblick an. »Ist das möglich?« fragte er dann, mit der Hand auf den Schreibtisch schlagend.

Skrandies nickte stumm.

»Unser Landtagsabgeordneter? Der Hüttenbesitzer? Unser sozialer und kriminalpolitischer Wohltäter? Sie kennen ihn genau?«

»Ganz genau.«

Treuß schüttelte den Kopf. »Sie müssen sich getäuscht haben« sagte er beinahe heftig.

»Ich habe mich gewiß nicht getäuscht, Herr Erster Staatsanwalt« erklärte der Polizeimann jetzt mit Ruhe. »Ich leiste für meine Wahrnehmung jede Bürgschaft.«

»Sie wollten die tätowierte Flamme sehen. Deshalb haben Sie sie auch gesehen – solche Selbsttäuschungen sind vorgekommen.«

»Ich wollte es gern glauben, Herr Erster Staatsanwalt – aber ich kann nicht – zweimal –«

»Gewiß – eine Tätowierung haben Sie natürlich gesehen – eine ähnliche vielleicht.«

»Es bliebe zum mindesten die Auffälligkeit, daß ein Mann wie Herr Argobast tätowiert ist – das könnte doch wohl nur aus seiner Jugendzeit herrühren – Herr Argobast stammt aus Goslar.«

»Haben Sie nachgesehen?« fragte Treuß schnell.

»In unsern Registern übereinstimmend – er wird sechsundvierzig Jahre, war also damals ungefähr zwanzig alt.«

»Und er ist ja wohl auch gelernter Schlosser?«

»Soviel ich weiß –«

Treuß war in der Erregung aufgestanden und stand hinter seinem Stuhle. »Dieser Mann – der sich des größten Ansehens erfreut – der Wohltäter unserer Stadt –«

»Ja, dieser allgemein beliebte, man kann sagen verehrte Mann – ich war stundenlang nicht fähig, darüber zu sprechen – ich habe ihn hier groß werden sehen – selten hat mich eine Entdeckung so niedergeschmettert.«

»Gewiß – ein merkwürdiger Mann«, sagte Treuß nachdenklich, »in mancher Beziehung – seine Rettungsversuche an entlassenen Strafgefangenen hatten für mich zuweilen etwas Eigentümliches – im Zuchthaus ging er als Berater des Direktors aus und ein – er ist die Seele der Entlassenenfürsorge – dieser Mann – ich muß sagen, man kennt den Menschen nicht aus – was haben Sie nach Ihrer Entdeckung getan?« Der Staatsanwalt setzte sich wieder.

»Wir haben uns unauffällig Schriftproben von ihm verschaffen können – er hat häufig Eingaben in Angelegenheiten seiner Schützlinge an uns gerichtet – die Ähnlichkeit ist nicht zu verkennen – der Schriftvergleicher wird sie bestätigen.«

Dabei legte der Beamte einige Schriftstücke auf den Tisch.

Treuß prüfte oberflächlich und sagte: »Ich habe keine genügende Kenntnis mehr – ich muß erst die Akten einsehen – die Schriftzüge ähneln sich allerdings – täuschend sogar – wer, glauben Sie, ist der geheimnisvolle Absender der neuen Beweisstücke?«

»Auch dieser Zweifel kann als gelöst gelten. Der Einbrecher Rüggeberg, der kürzlich verurteilt wurde, hat zugestanden, im letzten September in Villa Hildburg eingestiegen zu sein.«

»Ich erinnere mich.«

»Er leugnet zwar auch jetzt noch – ich habe ihn im Zuchthause aufgesucht –, sich an den verschlossenen Schränken und Schreibtischen zu schaffen gemacht zu haben, er will gar nicht in die Zimmer eingedrungen sein. Aber Argobasts Leute ließen bei den Ermittelungen damals bereits durchblicken, daß es doch geschehen sein müsse.«

»Hatte Rüggeberg Gelegenheit, die Sendung in Leipzig aufzugeben?«

»Zu solchen Zwecken haben Leute seines Schlages immer Verbindung.«

»Dann müßte aber Rüggeberg von der Wichtigkeit der entdeckten Beweisstücke einen Begriff haben.«

»Einigermaßen – gewiß – er wollte Schicksal spielen – das kennt man – die Polizei auf ihre Unwissenheit aufmerksam machen.«

»Haben Sie sonst noch Vorschläge?« fragte Treuß nach einigem Nachdenken.

»Zunächst möchte ich beiläufig bemerken, daß die Flamme als tätowiertes Bild in der Kriminalistik selten ist – schon deshalb ist der Umstand verdächtig. Wir wollen von dem Goslarer Original eine Vergrößerung herstellen lassen. Bei Hofphotograph Groth habe ich mir unauffällig ein älteres gutes Bild Argobasts verschafft.«

Der Beamte legte eine Photographie auf den Tisch.

»Es ist vor etwa zehn Jahren gemacht. Der Zeitunterschied ist also nicht so groß. Ich habe die Bilder lange verglichen. Wenn man sich Mühe gibt, findet man deutliche Ähnlichkeiten heraus. Man muß den Schädel und Gesichtsumriß, muß alle Einzelheiten, besonders Bildung und Stellung der Ohren, die Augenhöhlen, die Wölbung der Stirn, das Kinn, die Mundbildung und die Nasenlinien vergleichen.«

»Die Vergrößerungen werden das alles viel schärfer zeigen« bestätigte Treuß, die Bilder vergleichend.

»Dann habe ich noch einen Vorschlag. Hat Argobast in so merkwürdiger Weise die alten Zeitungen und die unvollendeten Eingaben an die damaligen Gerichtspersonen aufbewahrt, so besitzt er vielleicht noch ein anderes Beweisstück – ich meine sein Wanderbuch, darin sich, wie im Wanderbuche des Kurstosch bei den Akten, die Auszahlung des hiesigen Meister- und Stadtgeldes vom einundzwanzigsten Juli eingetragen finden wird.«

»Dieser Eintrag würde allerdings die Kette der Beweise beinahe schließen!« bemerkte der Erste Staatsanwalt mit einer gewissen Entschlossenheit und brach dann die Aussprache ab. »Ihre Mitteilungen, Herr Inspektor, überraschen mich. Ich muß nochmals die Akten einsehen und prüfen. Morgen werde ich meine Entschließung gefaßt haben; bis dahin ist in der Sache nichts zu unternehmen.«

Der Polizeibeamte verbeugte sich.

Eine Stunde später ließ sich Treuß die Akten Kurstosch mit allen Beilagen vorlegen. Doktor Custodies, der an seinem Schreibtische in ein anderes Aktenstück vertieft war, zeigte, ohne näher zu fragen, dem Gerichtsdiener die auf einem kleinen Tische gesondert liegenden Aktenhefte und Mappen.

Am anderen Tage erließ Treuß die schriftliche Verfügung, daß Staatsanwalt Doktor Custodies die eilige Schwurgerichtssache gegen den Brandstifter Pierenkemper zu übernehmen habe, während der Erste Staatsanwalt ihn mit dem Falle Kurstosch entlastete.

Ottokar Custodies las etwas verwundert die Anweisung des Vorgesetzten. Es schien ihm, als hätten die Schriftzüge nicht dieselbe Festigkeit wie sonst. Er las die wenigen Zeilen immer wieder, bis die Buchstaben vor seinen Augen zu tanzen begannen.

Die Verfügung machte ihn mit einem Male betreten. Treuß glänzte gern in Brandstiftungen, der Fall Pierenkemper war außerordentlich dankbar. Alle Schwierigkeiten waren, soviel er wußte, schon gehoben, es galt nur noch den äußeren Erfolg bei den Geschworenen zu ernten. Das überließ ihm plötzlich ohne ersichtlichen Grund der Erste Staatsanwalt, dieser gewandte, ausgezeichnete Redner?

Sein alter Sekretär Meierling hatte zu dem überraschenden Tausche kein Wort gesagt, er war wider seine Gewohnheit ganz schweigsam, seine Augen hatten einen merkwürdigen Blick.

Was war geschehen? Was ging um ihn in den nächsten Räumen vor? Staatsanwalt Custodies war aufgestanden und schritt im Zimmer unruhig auf und ab. Er atmete schwer; er rang mit sich selbst, man sah es ihm an, er kämpfte mit einer dunklen Ahnung seines Innersten.

Seit der Rückkehr aus Schlesien war er sichtlich verändert; auch seinen Kollegen fiel er auf.

Der Fall Kurstosch quälte ihn im stillen namenlos. Es lag eine schwere Bangigkeit auf seiner Seele. Er wußte, wer aus Goslar gebürtig war. Es zuckte ihm in den Händen, seinem Schwiegervater die alte Photographie vorzulegen und ihn zu fragen, ob er den Mann, der in seinem Alter sein konnte, etwa zufällig gekannt habe.

Noch mehr. Es zuckte ihm in den Händen, die alte Photographie einmal ganz unvermittelt Frau Hildegard vorzulegen! Wozu?

Heimlich hatte er oft das alte Bild vor sich liegen und starrte es an. Da belebte es sich unter seinen Blicken wunderbar und nahm Züge an, die er kannte, gut kannte.

Es kamen qualvolle Tage. Wohin führte nun diese neue Wendung?

Er dachte über die Persönlichkeit Argobasts nach und über den Eindruck, den er bei der ersten flüchtigen Begegnung auf ihn gemacht hatte. Jetzt wollte es ihm in der Erinnerung erscheinen, als hätte er damals eine verborgene Gegnerschaft in seinen dunklen Augen gelesen.

Der Brief mit dem Dufte der blauen Blüten fiel ihm erneut ein; er entsann sich der Stimmung, als von den Schulzeugnissen Ottiliens die Rede gewesen war; jetzt erschien sie ihm nachträglich etwas eigentümlich. Ihre Aufregung, als er im Zlatorog gelesen hatte, erregte bei ihm Verdacht.

Tiefes Weh packte sein Herz. Mit Gewalt suchte er ihr liebes Bild festzuhalten und sah es doch immer mehr vor seinen Augen zerfließen. Er konnte sich nicht mehr selber täuschen, seine Liebe zu ihr hatte eine Erschütterung erfahren. Er ging nicht mehr täglich zu ihr, er suchte und fand Ausflüchte, um fortzubleiben. Er saß so tief in der Arbeit, das entsprach auch der Wahrheit. Aber sonst hatte er von den Akten immer einen kurzen Weg zu ihr gefunden.

Wenn er bei ihr war, wurde er nicht frei, er war verstimmt, befangen, gleichgültig. Dies teilte sich auch Ottilien mit; sie wurde still und ernst. Zu erregten Auftritten kam es nicht wieder; im Gegenteil, sie erschien ihm zu vernünftig. Infolge der Verschlossenheit Argobasts war die Stimmung im Hause gedrückt.

Die wie eingeschlummerte schöne Kraft, die in Custodies lag, regte sich mächtig und bäumte sich auf gegen etwas Unbekanntes, Feindseliges, das sie in Fesseln schlagen zu wollen schien. Und dazwischen umschwebten seinen sich auf sich selbst besinnenden Geist die Gestalten von Helga Helligen und der Freifrau von Herder.

Wenn ihn in seinen dunklen Ahnungen die plötzliche Entziehung der Akten auch wie ein Donnerschlag traf, so fühlte er diese Entscheidung doch als eine Erlösung von immer wachsender Pein.

In welche entsetzliche Lage war er gekommen? Er konnte sich eines, freilich auf Unterlagen noch nicht gestellten merkwürdigen Verdachtes nicht erwehren und führte doch die Untersuchung, wenn er sie in den letzten Wochen überhaupt vorwärts gebracht hatte, in ganz anderer Richtung!

Wenn er sich befangen fühlte, wußte er, was er nach dem Gesetze zu tun hatte. Sollte er zum Ersten Staatsanwalt gehen und erklären – ja, was sollte er sagen? Wenn er sich irrte, welches entsetzliche Unheil beschwor er herauf! Gegen wen? Und Ottilie –?

In welchen tragischen Zwiespalt der Pflichten war er mit einem Male geraten? Dieser Zweifel schüttelte ihn, seine Aufrichtigkeit forderte bedingungslos ihre Rechte.

Er fühlte diese Zwitterverhältnisse an sich zehren. Er litt namenlos. Er kannte sich nicht wieder, er war nicht mehr er selbst. Er spürte, daß er, so stark er war, zusammenbrechen werde. Für solche Heimlichkeiten war er nicht gemacht. Wahrheit, unbedingte Wahrheit war Voraussetzung seiner Kraft, ohne die sie in nichts zerfloß.

Nun hatte Treuß selbst das erlösende Wort gesprochen. Es war etwas geschehen, gleichviel was es sein mochte. Er hatte nicht zu handeln brauchen, die Entscheidung war ohne ihn gefallen.

Als er deshalb das erste Entsetzen über die Gewißheit überwunden hatte, gab er sich dem Gefühle der inneren Befreiung hin. Freilich empfand er zugleich, daß sich noch eine andere Loslösung in ihm vollzog, ganz leise, allmählich, aber doch bemerkbar. Auch schmerzlos geschah das nicht. Er hatte die Tränen in den Augen, als er sich darüber klar wurde. Ein Traum lag hinter ihm, ein schöner kurzer Traum.

Nach acht Tagen waren die scharfen Vergrößerungen hergestellt, von denen der Kriminalinspektor gesprochen hatte; sie waren über alles Erwarten gut gelungen.

Der Gerichtsarzt Doktor Velten wurde zur Vergleichung des Signalements hinzugezogen. Er war von den Ähnlichkeiten überrascht und behauptete, daß die photographierten Personen dieselben seien. Er empfahl, nötigenfalls noch einen Universitätsprofessor als Sachverständigen heranzuziehen.

Die Vorladung an Michael Argobast war in verschlossenem Umschlage ergangen. Er leistete ihr Folge.

Ehe seine Vernehmung beendet war, brachte Skrandies atemlos das Wanderbuch.

Frau und Fräulein Argobast waren nicht zu Hause gewesen; die Dienstboten waren zwar etwas verwundert, glaubten aber schließlich an einen Zusammenhang mit dem Einbruche im September.

Die Vermutung des Kriminalbeamten erwies sich als richtig. Das Wanderbuch Argobasts zeigte den wichtigen Eintrag vom einundzwanzigsten Juli auf. Da hatte er, wie Kurstosch, das Stadt- und Meistergeld in Empfang genommen.


 << zurück weiter >>