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Zehntes Kapitel

Die Einführung des neuen Mannes in den Betrieb ging ganz unauffällig vor sich. Argobast kümmerte sich, um ihn nicht als seinen Schützling zu erkennen zu geben, äußerlich absichtlich wenig darum.

Der Chef hatte, so verlautete, Erkelenz persönlich angenommen. Das fiel nicht weiter auf, da es öfter vorkam, daß Argobast, der selbst aus dem Handwerkerstande emporgestiegen war, gelegentlich gern mit den Arbeitern verhandelte.

Um seine Absichten ungestört durchzuführen, hatte er an den amtlichen Stellen, wo man seine Bestrebungen kannte, Rücksprache genommen, damit keine unnötigen Anfragen störend eingriffen.

Im übrigen verschwand der einzelne Mann sehr bald in dem Riesenbetriebe.

Die Beschäftigung, die Erkelenz zufiel, war günstig gewählt, weil sie ihn vorläufig nur mit wenigen Angestellten zusammenführte, und der kränkliche Enatt dem einzelnen freie Hand ließ.

Kurz vorher hatte der Chef absichtlich eine neue genaue Aufstellung der Lagerbestände angeordnet, worüber Enatt schon in einige Verlegenheit geraten war. Um so willkommener war ihm der unvorhergesehene zugewiesene Mann, der sich nach einer Rücksprache zur Vornahme der angeordneten Arbeiten ganz geeignet zu erweisen schien.

So hatte der Neuling nicht nur eine umfassende, ihn voll beschäftigende Tätigkeit, sondern vor allem Gelegenheit, den ganzen mächtigen Betrieb in seinen Einzelheiten kennenzulernen.

Beide Umstände zusammen nahmen sein Interesse an den Arbeiten in hohem Maße in Anspruch. Er kam in eine wohltätige, nicht nur körperliche, sondern auch geistige Bewegung, was nach der jahrelangen, im wesentlichen wenig produktiven Zuchthausarbeit seine Lebensenergien anregte und seinen Lebensmut kräftigte.

Die neue Arbeit wirkte auch sichtlich auf seine Persönlichkeit günstig ein. Sein fahles Aussehen wich, da er im Anfange auch viel ins Freie kam, bald einer gesunden Gesichtsfarbe; sein Blut kam nach der langen eingeengten Beschäftigung in Bewegung. Seine etwas starr gewordenen Gesichtszüge wurden belebt; seine glanzlosen Augen mit den mißtrauischen Blicken verloren das Scheue und Düstere.

Als er sein kurzgeschorenes Haar wachsen ließ, zeigte sich, daß er ein tiefschwarzes, leichtgelocktes Haupthaar hatte; den kräftigen Mund bedeckte bald ein dunkler Schnurrbart. Wer ihn so nach einigen Wochen, für Argobast gewissermaßen verwandelt, sah, mußte gestehen, daß er ein intelligentes Gesicht, einen beinahe interessanten Kopf hatte. Wer für wahr halten wollte, daß er in seiner frühen Jugend hatte Musiker werden wollen, konnte mit einigem guten Willen den Künstlerkopf, den Musikerkopf entdecken.

Erkelenz nahm sich seiner Arbeiten mit Eifer an und tat, zumal in den ersten Wochen, eher des Guten zuviel als zu wenig. Er war morgens der erste, der den Torweg passierte, abends der letzte. Im Verkehre war er anfangs bescheiden und zurückhaltend, erst allmählich mit dem Bewußtsein, daß er seine Stelle ausfüllte, fühlte er sich freier.

Ganz eigentümlich war der Eindruck, den der Riesenbetrieb des Hüttenwerkes auf ihn machte.

Wie alle Entlassene mit langer Strafzeit, brachte er in die Freiheit beunruhigte Nerven und eine schwache Willenskraft mit.

In den ersten Tagen fühlte er in dem lauten Betriebe oft seine Nerven erzittern. Der immerhin kräftige Mann konnte zusammenfahren, wenn er die grelle Dampfpfeife, das gewaltige dumpfe Aufschlagen der stampfenden Eisenhämmer, die die glühenden Massen bearbeiteten, wenn er beim Einfüllen einer neuen Wagenladung in die Hochöfen das furchtbare Brausen der den Ventilen entweichenden Gase, wenn er das Rollen und Poltern der ankommenden und abführenden Eisenbahnwagen, ja selbst, wenn er lautes Schreien von Menschenstimmen hörte.

Bald aber hatte die Gewöhnung ihre Arbeit an ihm getan, und nun trat eine entgegengesetzte Wirkung ein. Er suchte diese äußeren Eindrücke der harten Arbeit absichtlich auf und freute sich gewissermaßen ihres Einflusses auf ihn.

Wenn er Gelegenheit hatte, blieb er bei den dröhnenden Schlägen der Hämmer stehen, die auf das glühende Eisen niedersausten. Er bezwang sich, dabei nicht mit den Wimpern zu zucken. Ohne eine Miene zu verziehen, suchte er die Schläge auszuhalten. Ja, schließlich glaubte er bei ihnen eine eigenartige Stärkung nicht nur seiner Körperkräfte, als schwinge er selber den Hammer, sondern auch seiner inneren Energien zu verspüren.

Die ungeheure, vom starken Menschenwillen geleistete Arbeit schien auch seine eigene Willenskraft anzutreiben, zu stärken. In Gedanken schwang er den Hammer selber mit und fühlte Kraft durch Nerv und Adern rinnen.

Auch in der Nähe der Schmelzgluten versuchte er zu verweilen. Sah er doch, daß die entblößten muskulösen Arbeiter die sengende, verzehrende Hitze aushielten.

Er stellte sich dabei vor, daß er einsam und verlassen durch eine glühende Sandwüste wandern müßte, und trug geduldig stechende Kopf- und Gesichtsschmerzen.

Des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung wurde er sich hierbei seiner Bildung nach nur dunkel bewußt. Aber gefühlsmäßig verspürte er ein neues Leben.

Besser schien seine inneren Vorgänge der Hüttenbesitzer zu beurteilen, der, täglich fast mehrere Stunden im Werke unterwegs, ihn wiederholt in der unmittelbaren Nähe solcher Arbeiten antraf und unbemerkt beobachtete.

Ganz überraschend, zumal in der Nacht, war für Erkelenz der Anblick der aus den Hochöfen fließenden Roheisenmassen, die, wie der schwellende Gebirgsbach in seinem Heimatsdorf, breitflüssig rauschend niederstürzten.

Nachdenklich konnte ihn auch in der Dämmerung oder bei Nacht die hohe lodernde Feuersäule der Hochöfen stimmen. So dachte er sich die Feuersäule, die den Israeliten nächtlich auf ihrem Wege beim Auszuge aus Ägypten, wo sie in Knechtschaft gelegen hatten, vorangeleuchtet hatte. So stellte er sich die Opferflamme auf einem Riesenaltare der Menschheit vor. Er wußte selbst nicht, wie ihm dieser Einfall kam. Er war fast erschrocken, als er diese Vergleiche überdachte.

Schlugen im Dunkel die Hämmer auf die eben gegossenen Eisenbahnschienen, so verglich er das Sprühen der ungezählten Feuerfunken mit dem Feuerregen und den tanzenden Feuergarben, wie er sie zuletzt vor sechs Jahren bei einem Volksfeste gesehen hatte.

Und manchmal fühlte er das Verlangen, auf der schmalen Wendeltreppe an dem gepanzerten Kolosse zu der schwindelnden Höhe emporzusteigen, wo oben die Bühne lag.

Dort beobachtete er mit eigentümlichen Empfindungen das Einfüllen der Erze, der Koks und des Kalks in den gräßlichen Schlund.

Dann blickte er von der Plattform zwischen den emporstarrenden Schornsteinen und Zylindern hinunter, wo in der Tiefe alle Anlagen des Riesenwerkes in weiter Verbreitung sich erstreckten.

Da sah er ein immer bewegtes, ruheloses Treiben und Hasten, hörte unzählige verhaltene Laute und Geräusche durcheinanderschwirren und zusammenhallend in dumpfem Brausen zu ihm emporschlagen. Er sah ein buntes, unabsehbares Gewimmel fleißiger, schaffender Menschen.

Verwundert schaute er drein. Aber sein Erstaunen brachte ihm Freude, Befreiung. So dachte er sich das Leben, das Menschenleben auf der Erde, geordnet nach Nützlichkeiten, so dachte er sich, für Zweckmäßigkeiten geschaffen, die ganze Welt.

*


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