Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Kräuter und Steine.♦ Myth. 1142.

Wie die Menschen nicht alle gleichen Ranges sind, wie es reine, heilige und unreine Thiere gab, und die Bäume in ungleichem Ansehen standen, so auch die Kräuter. Von Göttern an einsamer heiliger Stelle geschaffene, von ihnen geliebte und bei den Opfern gebrauchte, von ihren Lieblingen oder Boten bevorzugte oder in anders einem Zusammenhang mit ihrem Wesen und Walten stehende Pflanzen wurden natürlich höher geschätzt als solche, die dieses Vorzugs entbehrten. Die Pflanze, deren Blüthe so weiss war, dass nur Baldrs Braue ihr verglichen werden konnte, die deren Stengel die Menschen an der Frouwa Haar mahnten, galten für heiliger als andere; der Gott oder die Göttin hatte sie gewissermassen nach dem Ebenbild dieser Theile seines Körpers gebildet. Anderer Heilkraft oder Heiligkeit kannten die Menschen nicht, bevor sie von den Göttern über dieselbe belehrt worden waren, und sie tragen daher ihre Namen von den Göttern.

Das heilkräftige Wasser musste zu bestimmter heiliger Stunde geschöpft werden, eben so wurde die heilkräftige Pflanze auch nur zu bestimmter Zeit gebrochen, nur dann hatte sie ihre volle Wirkung. Der Strahl des anbrechenden Tages durfte sie noch nicht beschienen haben, der Mund des sie brechenden noch nicht durch profane Rede entweiht sein. Unbeschrieen zogen einst besonders am Morgen des Himmelfahrtsfestes Hunderte von Landleuten zum Gipfel des Melibocus, um dort Kräuter zu sammeln, deren wunderbare Kraft man bei allen Krankheiten während des ganzen Jahrs zu Hülfe zog.

Auch die Sammlung, das Ausgraben der Kräuter selbst hatte seine bestimmten Gesetze. So musste das Bilsenkraut, womit das nackte Mädchen bei anhaltender Dürre bekleidet wurde, um Regen zu erflehen, mit dem kleinen Finger der rechten Hand ausgerissen werden. Lancea Christi zu pflücken bereitete man sich betend vor, pflückte das Kraut unter feierlicher Beschwörung, legte es auf die Erde und kniete vor ihm nieder, endlich hob man es mit der linken Hand auf, alles unter bestimmten Segenssprüchen. Selten schnitt man die Kräuter mit eisernen Werkzeugen ab, man bediente sich dazu solcher von göttlichem Metall, von Gold.

Die auf diese Weise gesammelten Kräuter wurden weniger innerlich, meist äusserlich gebraucht: man trug sie entweder bei sich, oder legte sie unter der Kranken Hauptkissen; andre hängte man auch in der Stube an dem Hauptbalken auf, wo sie das Jahr hindurch blieben, bis sie durch frische ersetzt wurden; wieder andere dienten zu mannichfachem Zauber.

Die berühmteste aller Wurzeln ist der Alraun, die Alrune, die schon im Namen an die weisen Frauen unseres Alterthums erinnert. Sie wird auf unheimliche Weise gewonnen, gewaschen und gekleidet (denn sie soll menschliches Aussehen haben) und in einem Kästchen aufgehoben. Ihr Besitz soll Glück und Reichthum bringen. Zauberisch wirkte der Schlafapfel, ein moosartiger Auswuchs an wilden Rosen; man hielt dafür, dass wenn man jemanden denselben unter das Hauptkissen lege, er nicht erwache, bis der Schlafapfel wieder weggenommen sei. Für besonders heilig galt ferner der Mistel, die bekannte Schmarotzerpflanze, die man vom Himmel auf die Aeste anderer Bäume gefallen wähnte, zumal auf die der Eiche und Esche. Wir wissen bereits, dass ein Mistelzweig dem Gott Paltar den Tod brachte, und das war auch wohl der Grund der Heiligkeit der Pflanze. Auch bei den Celten wurde sie gesammelt und zwar mit grosser Feierlichkeit: der weissgekleidete Druide bestieg den Baum, schnitt den Mistel mit goldner Sichel ab und empfing ihn auf einem weissen Tuche, worauf ein Opfer weisser Stiere und Gebet die Ceremonie schloss. Ihnen galt die Pflanze heilsam für alles, die Eiche auf welcher sie gefunden wurde, als ein von den Göttern besonders bevorzugter und erkorner Baum.

Farnkraut galt für zauberkräftig, sein schwer zu gewinnender Same macht unsichtbar, nach andern soll er, wenn man zufällig welchen an sich bekommt, irre führen, wesshalb es auch Irrkraut genannt wird. Beifuss, auch Johannisgürtel, Sonnenwendgürtel oder Gürtelkraut genannt, wird feierlich gegraben, in Kränze gewunden umgehangen und von jedem mit dem Unfall, den er an sich hat, in die Flamme des Johannisfeuers geworfen; hängt man die Wurzel überm Thor auf, so ist das Haus vor allem Unfall geschützt. Gundelrebe war ein Schutzmittel gegen Zauber und auch sonst als heilkräftig genannt. Andere solcher Kräuter sind Stolzheinrich, Heilallerwelt (Schafgarbe), Allermannsharnisch, Neunmannskraft, Heilallerschaden, welche letztern, wie schon der Name verkündet, gegen alle Krankheiten dienten. Vor Dosten und Dorant fliehen Wichte und Elben, die wilden weissen Heiden und die wilden weissen Selben (Salbei) lernten wir bereits früher kennen: wenn die Menschen wüssten, wozu sie gut sind, würden die Bauern mit silbernen Pflügen und Karsten arbeiten, aber die Art ihre Kräfte nutzbar zu machen, ist nur den Geistern bewusst.

Die Steine sind weniger mythisch, als die Kräuter. Bekannt ist vor allen der Donnerstein, dessen bereits Erwähnung geschah. Es gab Wünschelsteine, Siegsteine, deren Eigenschaften bereits aus ihrem Namen sich erklären. Im allgemeinen sind die Steine wenig genannt und benutzt, denn die gewöhnlichen unedeln Steine, denen wir auf jedem Schritt begegnen, galten nicht als geheime Kräfte besitzend. Die einheimischen edeln waren nur schwer zugänglich und wenn sie mühsam gewonnen waren, kamen sie nur in weniger Hände, noch schwerer waren die ausländischen zu erlangen, die aber schon als solche aller höhern mythischen Bedeutung entbehrten.


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