Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Riesen.♦ Myth. 485.

Weit über menschliche Grösse hinaus ragt des Riesen Leib, so weit, als der Elben und Zwerge Grösse unter der menschlichen steht, aber was ihn in dieser Beziehung über den Menschen stellt, das findet ein Gegengewicht in seinen geistigen Anlagen. Wäre das nicht, dann würden die Menschen längst durch die Riesen, die meist der Götter wie der Erdgebornen Feinde sind, von der Erde vertilgt sein. So weit die Elbe und Zwerge den Menschen in feinerm Sinn und geistiger Aufgewecktheit übertreffen; so weit übertrifft der Mensch darin den Riesen. Darum vermag dieser trotz seiner gewaltigen Kraft und Unbändigkeit nichts gegen jenen und der Mensch geht aus allen Kämpfen mit den Riesen als Sieger hervor. Der auf das Gefühl ihrer sinnlichen Gewalt und Kraft trotzenden Riesennatur gegenüber steht dem Menschen die Gewalt und Kraft der Götter und die Schlauheit und Weisheit der Zwerge zur Seite. Von den Göttern ist es besonders Donar, der ihn vor den Riesen schützt und sich dadurch theilweise den schönen Namen eines Freundes des Menschengeschlechtes erwarb.

In der Schöpfung ist der Riese als das sinnliche Element vorangegangen und hernach erst das der elbischen Natur gefolgt, zuletzt durch das Menschengeschlecht ein Gleichgewicht hergestellt worden. Aber ebensowenig wie der Zwerg sich streng von dem Menschen scheidet, thut dies der Riese; wie der Mensch überhaupt den Mittelpunkt der Wesen bildet, so vereiniget er auch diese starren Gegensätze des Sinnlichen und Geistigen, er verbindet sich wie mit Elben und andern Genien, so auch mit den Riesen. Das ist jedoch nicht allen Menschen gegeben, dieses Vorrecht besitzt der Mensch nur in sofern, als er den Göttern, den Herren alles Erschaffenen nahe steht und ihres Blutes ein Theil in seinen Adern rollt. Nur der Held, der an Körperkraft über andern seines Geschlechtes Stehende und von den Göttern Geschützte, geht Brüderschaft mit den Riesen ein oder unterwirft sie sich, so dass sie ihm zu Dienste verpflichtet sind.

Der Namen für den Begriff Riese hatte unser Alterthum manche, so Durs (der Durstige oder Trunkne), Ezan (der Fresser), Hun, Riso.

Wie ihre Grösse sie von den Menschen unterschied und weit über dieselben erhob, so auch, dass sie oft mehr Häupter und Arme hatten, eine Eigenschaft, die sie mit griechischen Riesen theilten. Das kommt jedoch seltner vor, wir finden sie meistens von tadellosem Wuchs und ihre Frauen, wie sich das von selbst versteht, selbst von höchster Schönheit, wie z. B. die Riesentochter Gard, die Geliebte Fros. Ueberhaupt waltet in ihnen volle Naturkraft, die jedoch ungebändigt und nicht gezügelt, leicht misbraucht wird und dann zuletzt der eignen Last erliegt. Zwar finden wir einige der frühesten Riesen des Nordens als klug und weise geschildert, doch sind sie im Allgemeinen dumm und erliegen leicht den verständigern Menschen und den verschlagenen Zwergen. In unserer Redensart: »Er ist so dumm als lang« hat sich die Erinnerung daran erhalten und wenn wir den Teufel dumm nennen, so geschieht das nur, weil er an die Stelle eines alten Riesen trat, die er überhaupt oft einnimmt.

Mit der Dummheit geht Gutmüthigkeit meistens Hand in Hand, und so finden wir denn auch die Riesen gutmüthig so lange sie nichts in ihrer Ruhe stört, aber wild, tückisch und heftig, sobald sie daraus aufgeschreckt oder gereizt werden. Der wuthentbrannte Riese schleudert Felsen, reibt Feuer und drückt Wasser aus Steinen, reisst Bäume aus und stampft mit dem Fuss bis ans Knie in die Erde. In diesem Zustand werden sie von den Helden, denen sie dienstbar sind, in Fesseln gelegt und nur im Krieg gegen den Feind losgelassen. Wie schon bemerkt ist der Donnergott der glorreiche Bekämpfer der Riesen, die er mit seinem allzerschmetternden Hammer erschlägt,So tödtet er den im Osten der Elivagar an des Himmels Ende wohnenden Riesen Hymnir nebst seinen vielhauptigen Genossen, so den Riesen Thrym, der ihm seinen Hammer vorenthielt, den Thursenfürsten und mit ihm sein ganzes Geschlecht, so Hrungnir, der sich vermass Asgard zu stürzen und alle Götter zu tödten. wovon die Edda viel, aber bei weitem nicht Alles weiss. Den Helden sind die Riesenkämpfe eben so geläufig, wie die Drachenkämpfe. Dietrich erschlägt die beiden Riesenbrüder Ecke und Fasolt, die Söhne eines wilden Riesenweibes, mit ihnen Rütze, ihre Muhme, und den Riesen Sigenot. Dagegen finden wir den vierhändigen, zwei Schwerter führenden Riesen Asprian als Rothers Gesellen; ebenso den Riesen Heime, welchen Dieterich sich schon in früher Jugend unterworfen hatte, den Sohn Madelgers, (ähnlich wie Asprian mit vier Ellenbogen bedacht) und Wittich, der stets mit Heime zusammen genannt wird, in Dieterichs Gefolge.

Die Riesen hausen stets auf Felsen und Bergen, ihre ganze Natur hängt mit dem Steinreich zusammen, aus ihm nehmen sie ihre Waffen. Darum vermag auch das Schwert so wenig gegen sie, nur mit dem Schwertknopf oder der Faust können sie erschlagen werden. Sie bilden ein abschliessendes Volk, wohnen jedoch meist nur in einzelnen Familien zusammen, seltner in grösserer Anzahl. Sie sollen die Errichter jener ungeheuern Steinbauten sein, die man unter dem Namen Hünebetten im Nordwesten Deutschlands und den Niederlanden so oft angrifft, und die oft auch als ihre Gräber ausgegeben werden. Unfern Altenhagen finden sich am hohen Gebirge viele Felsen und einzelne auf der Oberfläche der Erde umherliegende grosse Sandsteine. Da wohnten einst die Riesen in einer ans grossen Felsstücken erbauten Burg. So oft einer von ihnen starb, begruben ihn seine Gefährten unter die noch da befindlichen Hügel. Als zuletzt nur noch einer übrig blieb, stürzte er die Burg aus Missmuth ein, schleuderte die Steine weit umher und wälzte den grössten über sich selbst. Auch einzelne Hügel, Inseln und Felsen schreibt das Volk ihnen zu. Ein Riesenmädchen will von Pommern aus eine Brücke nach Rügen bauen, damit es über das Wässerchen gehen könne, ohne seine Pantöffelchen zu netzen. Sie nimmt eine Schürze voll Sand und eilt ans Ufer, aber die Schürze hat ein Loch. Hinter Sagard lauft ein Theil Sand aus und bildet einen kleinen Berg. ›Ach,‹ sagt das Hünenmädchen, ›nun wird die Mutter schelten,‹ hält die Hand unter und läuft, so schnell sie kann. Die Mutter schaute über den Wald und drohte dem Kind mit der Ruthe. Da erschrak es, liess die Schürze gleiten, aller Sand ward umher verschüttet und bildete die dürren Hügel bei Litzow. Ein Riese, der einem Bauern feindselig gesinnt war, füllte seinen Handschuh mit Sand und schüttete ihn über des Bauern Hof aus, so dass der ganze Hof zugedeckt wurde; was durch die fünf Fingerlöcher gelaufen war, bildete fünf Hügel. Bekannt ist die Sage von der Riesentochter, die einen pflügenden Bauern auf dem Felde findet, ihn mit seinem Pferd und Pflug in die Schürze nimmt und ihrer Mutter als artiges Spielzeug zeigt. Aber die Mutter zürnt und befiehlt ihr, Alles wieder zurück zu tragen, denn diese Erdwürmer würden die Riesen noch einmal auffressen, sie würden den Riesen Untergang bereiten. Beim Kloster Ilefeld im Harz sieht man einen grossen Felsen das Nadelöhr genannt. Einst reiste ein Riese ettliche Meilen weit, da fühlte er, dass ihn etwas heftig im Schuh drücke; er zog den Schuh aus, da fand er den Felsen darin. Ein anderesmal finden wir einen Riesen pflügend, aber der Pflug geht so tief, dass überall die Wasser springen; die Erde, welche er vom Pflug abschüttet, bildet kleine Hügel.

Oft wohnen zwei Riesen auf einander nahe liegenden Bergen und haben irgend ein Geräth gemein, welches sie einander zuwerfen. So hatten zwei Hünen auf dem Eberstein und Homburg nur eine Axt; wollte einer an die Arbeit und der andere hatte die Axt noch, dann rief er ihm nach der nur anderthalb Stunden entfernten Burg zu, er solle ihm die Axt hinüber werfen, was sofort geschah. Ein anderesmal haben zwei Hünen einen gemeinsamen Backofen; wenn der eine Holz zum Heizen von dem andern haben will, kratzt er sich nur am Leib, das ist so laut, dass es der andere hört.

Anderemale werfen sie zum Spiel oder auch im Ernst mit Steinen und Hämmern und man sieht die Spuren ihrer Finger in den Felsen eingedrückt. So wollte ein Riese, der am Melibocus wohnte, ein Schiff vernichten, welches er eben auf dem drei Stunden entfernten Rhein daherfahren sah. Er ergriff einen grossen Felsblock und warf darnach, aber er warf zu hoch und der Block fiel eine Stunde von da nieder; er trägt noch die Zeichen der Riesenfinger.

Wenn sie im Streit mit einander leben und einer den andern verfolgt, springt der Verfolgte schnellen Laufs über ganze Dörfer weg und ritzt wohl dies grosse Zehe an der Thurmspitze, dass das Blut in Bogen sprützt und eine Lache bildet. Wenn Riesen sich zum Ausruhen an Felsen lehnen, dann drücken sie ihre Gestalt dem Stein ein. Solcher Züge sind die Sagen voll.

Jenes Zuwerfen des Geräthes finden wir besonders oft, wenn die Riesen bauen. Als gewandte Baumeister nämlich werden sie schon in der Edda genanntEin Riese erbot sich den Göttern eine Burg zu bauen, wenn sie ihm Freyja, Sonne und Mond bewilligen wollten. Die Götter gingen, nachdem sie Rath gehalten, darauf ein, wenn der Riese die Burg in einem Winter ohne Mannes Hülfe vollende. Mit Hülfe seines Pferdes brachte der Riese es so weit, dass drei Tage vor dem Ende des Winters die Burg bis auf das Thor fertig wurde. Da geriethen die Götter in Sorge und zwangen Loki, ein Mittel zur Hülfe zu ersinnen. Der lockte in Gestalt einer Stute das Riesenross von der Arbeit ab, so dass wenig mehr geschah und Thôrr erschlug den Riesen mit dem Hammer Miölnir. und zahllose Sagen haben ihr Andenken in dieser Eigenschaft aufbewahrt, nur setzen die deutschen meist an die Stelle des Riesens den Teufel, die nordischen in die Stelle der Götter einen theuren König, an die der Asenburg eine Kirche und lassen die Hinderung der Vollendung des Baus auf andere Weise erfolgen, wie es in dem eddischen Mythus geschieht. Eine Menge von Kirchen sollen von Riesen erbaut sein und sehr oft bauen zwei um die Wette und wählen die Baustelle dadurch, dass sie ihren Hammer werfen; wo er hinfällt, da beginnen sie den Bau.

Die Steinnatur der Riesen geht besonders auch noch daraus hervor, dass die Sage sie häufig in Stein verwandeln lässt. So verwandelte König Olaf Riesen, welche sich ihm auf seinen Bekehrungsreisen in Norwegen widersetzten in Felsen. Als Gott lange Zeit dem blutdürstigen König Watzmann, der bei Salzburg hauste, zugesehen hatte, sandte er ein schreckliches Gewitter, während dessen die Schlosshunde den König, die Königin und ihre sieben Kinder erwürgten, dass ihr Blut zum Thale rann. Ihre Leiber wuchsen versteinernd zu Bergen, das Blut bildete an deren Fuss zwei Seen.

Wird in der letzten Sage König Watzmann blutdürstig genannt, so scheint das ein ursprünglich ihm fremder Zug, denn grausam sind unsere Riesen nicht, wie die menschenfressenden Riesen anderer Völker, sie sind nur wild und diese Wildheit übt sich am liebsten in ungeheuren, alle menschliche Kraft unendlich überragenden Dingen, wie wir sahen in Felswürfen, Bergversetzungen, gewaltigen Bauten u. a. Ihr der menschlichen Art überhaupt näher stehendes Wesen erkannten wir bereits aus ihrer Gestalt, die selten von der menschlichen abweicht, während die der Riesen anderer Völker schon ungleich verschiedener von ihr ist.

Im Ganzen machen sie den Eindruck eines untergehenden Volkes, das trotz seiner überlegenen Körperkraft den Menschen die Erde räumen muss. Wie darin so gleichen sie auch den Zwergen in ihrem Abscheu vor dem Landbau und dem Ausroden der Wälder, die sie als ihr Eigenthum betrachten, in dem Hass gegen das Glockengeläute der Christen, der sie oft dazu verführt, grosse Felsstücke auf christliche Kirchen zu schleudern, die jedoch natürlicherweise nicht treffen, oder ohne Schaden zu bringen niederfallen.


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