Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Tod.♦ Myth. 799.

Sterben ist Heimkehr zur Gottheit, darum heisst das Todtengeläute, welches gleich nachdem jemand gestorben ist in Hessen erschallt, mit einem schönen Namen Heimläuten. Die Heimkehr dem Menschen zu verkündigen, sendet die Gottheit ihren Boten aus, welcher die Seele abholt und ihr zuführt. Dieser Bote ist der Tod, der also kein tödtendes Wesen ist, darum auch kein schreckendes, schauerliches, sondern ein milder, aber strenge seines Amtes wartender Diener der Götter. Er ist jedoch nicht derselbe für alle Seelen, er tritt selbst nicht immer in demselben Geschlecht auf.

Den Seelen der Helden, die im Kampfe fallen, sind die Valkyrjen des Gottes Botinnen, sie abzuholen und nach Walhalla zu geleiten; wie diese Jungfrauen im Leben der Helden Schutzengel sind, so werden sie beim Sterben ihre Todesengel.

Andere Seelen holt der Tod, der gleich allen Geistern plötzlich naht und kaum gerufen, schon erscheint. Wie alle Boten im Alterthum, so trägt auch er einen Stab. Gleich den Valkyrjen hat er ein Ross, worauf er im Land umreitet; dann schaaren sich die Seelen zu ihm und bilden sein Gefolge, doch kein düsteres, trauriges, vielmehr ein heiteres fröhliches, wie denn überhaupt alle Geister fröhlich erscheinen in ihrer Fessellosigkeit. Daher die Vorstellung unseres Mittelalters vom Todtentanz, den der nun zum scheuslichen Geripp gewordene, einst elbisch schöne Tod anführt und den alle ohne Unterschied mitmachen müssen.

Jenes milde, freundliche, zutrauliche Wesen des alten Todes tritt noch in vielen Zügen hervor, die uns im Volksleben begegnen. Er heisst Freund Hein, er wird in den Märchen gar zum Gevatter gebeten und ist seinem Pathen ein schützender, glückbringender Freund, den er begabt, wie die Nornen die Kinder, an deren Wiege sie treten. Die herbere Auffassung seines Wesens, seine Unersättlichkeit, Gierigkeit, Tücke, der Pfeil den er sendet, die Sense, mit der er mäht, der Speer, den er tödtend wirft, der Kampf, den der Sterbende mit ihm zu bestehen hat, scheinen sich erst durch christliche Einflüsse im Mittelalter gebildet zu haben.


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