Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Gott, Götter♦ Vgl. Jacob Grimms Mythol. pp. 12, 293 ff..

Das höchste allwaltende Wesen heisst in allen deutschen Zungen Gott. Fest und sicher steht der Name da, wie das Dasein des durch ihn Bezeichneten, er hat daher ebensowenig je den Artikelder eigentlich nur der dritten, abwesenden oder doch weniger sichern Person gebührt und darum auch im Vocativ wegfällt. bei sich, als alle anderen Namen, welche wir dem Herrn des Himmels und der Erde, dem Allgegenwärtigen, jedem überall Nahen beilegen. Wenn der Gothe von Gott als dem Vater alles Erschaffenen sprach, dann gebrauchte er den Artikel nicht, den er dem menschlichen »Vater« stets beilegte. Nie steht diese Bezeichnung bei dem gothischen fráuja oder dem althochdeutschen thruhtin (Herr), wie bei dem mittelhochdeutschen herre, dem altsächsischen hevancuning (Himmelskönig), heliand (Heiland) u. a. m., ebensowenig bei allen Namen anderer göttlicher Wesen.

Eine heilige Scheu vor dem erhabensten aller Wesen war unserm Alterthum eigen. Wie der Jude den Namen Jehovahs nie ausspricht, aus Furcht, ihn zu entweihen, so mied auch unser Heidenthum schon, die Namen seiner Götter zu oft oder bei nicht feierlicher Gelegenheit zu nennen und suchte statt dessen bezeichnende Umschreibungen auf. Diese fromme Scheu waltet noch in dem Volke, welches in Flüchen und Ausrufungen stets eine Veränderung mit dem heiligen Namen vornimmt.Potz Wetter, potz tausend steht statt Gottes Wetter, Gottes tausend, wie das französische morbleu statt mort Dieu u. a. m. Sie beruhte auf der innigsten Verbindung, dem lebendigsten Gefühl der Nähe und der herzlichsten Liebe zur Gottheit, und darin war das Alterthum den Meisten von uns so weit voraus, dass wir Christen oft vor jenen Heiden billig erröthen sollten. Die mannigfaltigen hierher gehörigen schönen Formeln unseres Mittelalters reichen nämlich ohne jeden Zweifel weit in die heidnische Zeit hinauf; sie finden sich wie von selbst da, wo jene Gefühle, in denen sie gründen, noch in voller Frische vorhanden sind. Welche innige Frömmigkeit spricht z. B. aus dem Grusse, womit man den Ankommenden empfing: Sei Gott und mir willkommen! Du sollst herzlich willkommen sein dem reichen Gott und mir! der sich in dem oberdeutschen Gottwillkommen! noch erhielt. Den gleichen schönen Wunsch gib man dem Scheidenden als letzten Gruss mit: Gott geleite, segne, behüte dich! Gott befohlen! Fester konnte man das Wissen einer Sache nicht versichern, als indem man betheuerte: Das weiss Gott und ich! bitterer konnte man nicht klagen, als indem man Gott und den Menschen klagte. Was Niemand weiss, das weiss Gott; so heisst es im Nibelungenlied: Den Schatz weiss nun niemand, als Gott und ich. Was Niemand hört, das hört er, darum heisst es im Eckenlied: Hier hört uns Niemand als Gott und die Waldvöglein.

Bei aller Erhabenheit der Auffassung der Gottheit, welche aus diesen Zügen spricht, war die Gottheit der Heiden jedoch nicht von Ewigkeit und für die Ewigkeit; sie war in der Zeit entstanden und hatte nur zeitliche Dauer. Von Menschen gebildet oder vielmehr menschlich umgebildet, konnte sie nur nach dem Bilde des Menschen gerathen. Aller Urwahrheit entbehrte sie und mit derselben verlor sie zugleich allen festen Halt. Sie konnte darum die ursprüngliche Einheit nicht bewahren, sondern spaltete sich, indem ihre verschiedenen Eigenschaften nach und nach als selbständige Persönlichkeiten neben sie traten. So gestaltete sich die Vielgötterei, die in ihrer üppigen Entfaltung bei den meisten Völkern mit der Zeit fast jede Spur der ursprünglichen Gotteinheit verwischte. Weniger war dies bei den Deutschen der Fall, unter denen sich die alte reinere Ansicht klarer, als bei irgend einem andern Volke nachweisen lässt. Ihr Wuotan ist noch der alte geistige Gott, er vereinigt die Eigenschaften aller übrigen Götter in sich, und diese sind gewissermassen nur als seine Ausflüsse, Verjüngungen und Erfrischungen zu betrachten. Er ist der Alldurchdringende und die andern Götter erscheinen, wie wir bald erkennen werden, fast nur als Vollstrecker seines Willens. Er ordnet Sieg, Krieg und Frieden, Zio ist mehr der tobende, wüthende Kriegsgott; Wuotan ist, wie J. Grimm neulich sehr schön nachwies, der Gott der sehnenden Liebe, Fro aber der fruchtbaren Ehen; er sendet dem Landmann wie dem Krieger schönes Wetter, Donar spendet den Regen und reinigt die Luft durch Wetter und Donner, Wuotan ist kurz nur geistig thätig, die andern sind es handelnd, materiell in die Leitung der Dinge eingreifend.

Allen Völkern gemein ist eine Götterdreiheit, deren Ursprung in der Ahnung der Trinitätslehre♦ Denn in der ersten Offenbarung lag die zweite durch Christus eingeschlossen, wenn auch noch unenthüllt, wie die ganze Rose in der Rosenknospe enthalten ist mit allen Blättern und Staubfäden. Dieser consensus gentium ist nicht das geringste Zeugnis für die Lehre von der Dreieinigkeit. zu suchen ist. In diese Dreiheit spaltete sich der ursprüngliche eine Gott auch bei den Deutschen, aus der Dreiheit ging die Entfaltung weiter in die Zwölfzahl. Diese letztere können wir in Deutschland noch nicht nachweisen, wohl aber im Norden. Sie war auch den Griechen bekannt, doch ist die nordische Dodecalogie eine ganz andere, wie die griechische. Die letztere besteht nur aus sechs Göttern und sechs Göttinnen, während der Norden zwölf Götter oder Asen und zwölf Asinnen zählt, einigemal finden wir selbst zwölf Götter neben dem obersten Gott genannt, so dass dieser der dreizehnte ist. Wir haben bis jetzt nur Bruchstücke dieser geschlossenen Zwölfzahl in Deutschland wieder aufgefunden, nur einzelne Götter und Göttinnen, doch dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben, sie einst alle wieder zu Tage zu fördern.

Ausser diesen Hauptgöttern gibt es im deutschen Heidenthum, wie in dem Glauben aller heidnischen Völker, eine Menge von halbgöttlichen und andern Wesen höherer Art, als der Mensch. Sie sind entweder göttlichem Blut entsprossen und dadurch mit höhern Gaben ausgerüstet als der Mensch, oder sie sind dies als Diener und Boten der Gottheit, oder aber Personificationen geheimnissvoll waltender Naturkräfte untergeordneterer Art. So haben wir denn Helden, weise Frauen, Wichtel und Elben u. v. a. Göttlich gedachte Elemente und Geräthe sind durchgängig nichts, als die anders gefassten Hauptgötter.

Die Auffassung der Gottheit in rein menschlicher Weise litt es nicht, die männliche einsam in ihrer göttlichen Wohnung zu lassen, sie wählte sich eine Gemahlin aus den Erschaffenen und damit begann jene Vielgötterei, nämlich die Zeugung neuer Götter, der bald wieder andere Vermählungen und andere Zeugungen folgten. Damit traten die Götter ganz in menschliche Verhältnisse ein, die sich nur darin von den irdischen unterscheiden, dass für die Eigenschaften und Zustände der Götter ein höheres Maas gilt, als das menschliche, dass ihre Vorzüge vollkommener und anhaltender, ihre Uebel aber geringer und flüchtiger sind. So sind sie zwar gleich dem Menschen dem Tode unterworfen, doch reicht ihr Lebensziel weit über das menschliche hinaus. Sie altern, obgleich ihr Aussehen durchgängig ein jugendliches scheint; Wuotan, der erste und oberste der Götter, erscheint nicht selten als Greis. Des ewigen Lebens Quelle springt nicht in ihnen, sondern ausserhalb ihres Wesens und wenn sie sich nicht an ihr nähren, so tritt das Alter mit seinem ganzen Gefolge ein, ihre Haare bleichen, ihre Züge furchen sich.

Eine eigentliche Kindheit haben die Götter nicht, sie wachsen rasch heran und es wächst ihre Kraft mit ihrer Gestalt ins Riesenhafte, nicht aber Unschöne. Schönheit scheint vielmehr allen eigen und wird von vielen besonders gerühmt: so ist der Donnerer ein schöner Jüngling, Balder kann nur schön gedacht sein, selbst Allvater war schön, wenn er in voller Waffenherrlichkeit dastand. Der Gang der Götter, ihr Schritt ist mächtig und schnell, daher ihr Erscheinen wie ihr Verschwinden plötzlich. Doch ruht wiederum die fortbewegende Kraft nicht in ihnen, sie haftet an äussern Dingen, ohne die sie vielleicht kaum mächtiger sind, als die Menschen. So reiten alle Götter, der Donnerer ausgenommen, der nur fährt; auch Wuotan und Fro, so wie mehre Göttinnen erscheinen auf Wagen, eine der letztern fährt auf einem Schiffe, wogegen Freyja (Frouwa) neben ihrem Wagen mit dem Katzengespann noch gleich ihrem Bruder Freyr (Fro) einen goldborstigen Eber besitzt, auf dem sie reitend erscheint. Ritt und Fahrt aber erfolgen gleich dem Gange der Götter rasch und heftig und haben meistens freudige und segensreiche Naturerfolge im Geleit.♦ Die Wanderungen der Götter auf Erden übertrug das Volk später auf Jesus und den h. Petrus, oder auch die zwölf Apostel, denen wir so in zahlreichen Märchen begegnen. Die Göttinnen werden zwar sonst häufig durch die h. Jungfrau ersetzt, aber nie wenn sie unter den Menschen umziehen ; sie behalten da stets ihre alten Namen.

Gleich den Griechen legten die Deutschen ihren Göttern eine eigene Sprache bei; die Götter kannten zuerst auch die Schrift und lehrten sie den Menschen. Jagd und Kriegslust so wie die Freuden des Mahles theilen die Götter, die friedlichen Geschäfte des Landbaus wie die Arbeiten des Hauses die Göttinnen mit den Menschen und darin werden sie derselben Lehrerinnen, wie denn überhaupt die Götter die eigentlichen Erzieher des Menschengeschlechtes sind. Freudig verlassen sie dazu ihre schönen himmlischen Wohnsitze und weilen unter den Sterblichen, die ihre Ankunft und Nähe, welche meistens zu festgesetzter Zeit erfolgt mit Jubel und Festen begehen. Aber sie bergen sich auch oft in unscheinbares Gewand und unansehnliche Gestalt und wandern also umher, die Menschen zu prüfen und wahrgenommene Frevel zu bestrafen. Bald ist dies ein einzelner Gott, bald sind es zwei und drei; die Göttinnen erscheinen stets nur einzeln. Mitunter sind sie auch unsichtbar dem Menschen nahe, der ihre schützende oder rettende Nähe jedoch lebhaft empfindet. Stets aber ist die Dauer ihres Verweilens nur eine kurze: sie kehren höchstens Abends ein und wandern Morgens weiter. Nie ist ihre Menschwerdung eine länger dauernde und dadurch höheres Heil der Menschen begründende, wie bei den asiatischen Völkern, welche die Menschwerdung des Wortes tief und lange ahnten, bevor sie sich vollendete.


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