Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Schöpfung.♦ Myth. 525.

Die Genesis beginnt mit den Worten: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe. Vor Erschaffung der Erde herrschte das Nichts, denn aus Nichts schuf der Herr das All. Aehnliches lebte auch in der deutschen Vorstellung, denn vor der Erschaffung der Welten war die Kluft der Klüfte, der Abgrund, die Finsternis, die Welt der Nebel.Völuspâ drückt sich also aus : Es war weder Sand noch Meer noch kalte Wogen; nirgend fand man die Erde noch den obern Himmel, es war die Kluft der Klüfte und nirgendwo Gras. Weiter reicht die Kunde unserer Stammeltern nicht, denn der schaffende einheitliche Gott war ihnen verloren; da sie nicht aus seinen Händen die Schöpfung hervorgehen lassen konnten, so liessen sie die Götter aus der Materie entstehn, denn ganz Nichts war selbst die ungeheure Kluft nicht. In ihrer unendlichen Oede standen sich die zwei Ende Nord und Süd entgegen, jener die Nebel, dieser des Feuer bezeichnend, jener die Kälte und Nacht, dieser die Wärme und das Licht. In der Mitte zwischen beiden lag ein Brunnen, zwölf Ströme entflossen ihm. Als sie so weit ab von ihrer Quelle kamen, dass der in ihnen enthaltene Feuertropfe erhärtete, gleich dem aus der Flamme sprühenden Sinter, wurden sie zu starrem Eis, womit sich die nördliche Seite der ungeheuren Kluft füllte. Aber der südliche Theil strömte milde warme Luft aus und als diese den Reif und das Eis berührte, begann es zu schmelzen und zu triefen und die Tropfen belebten sich durch die Kraft dessen, der die Hitze sandte,(!) und ein Mann wuchs daraus, den der Norden Ymir nannte, ein bösartiger Riese.In Vafthrudnismal heisst es: Aus den Elivagar fuhren kalte Tropfen, die wuchsen bis ein Riese daraus ward; von Süden aber fuhren Funken und die Wärme gab dem Reif Leben.

Dieser entschlief und fiel in Schweis, da wuchs unter seinem linken Arm Mann und Frau und sein Fuss zeugte mit dem andern einen sechshäuptigen Sohn. Und aus dem weiter forttriefenden Eis entstand eine Kuh und vier Milchströme flossen aus ihrem Euter, von ihnen nährte sieh Ymir.Im Schlafe zeugt Ymir, wie aus der Rippe des schlafenden Adam Eva geschaffen wurde. Die vier Milchströme erinnern an die Ströme des Paradieses. Sie beleckte die salzigen Eisblöcke, da kam am Abend des ersten Tages eines Mannes Haupthaar hervor, am folgenden Tag das Haupt und am dritten Tag der ganze Mann. Wie aus den Kindern Ymirs das Geschlecht der Riesen entsprang, so erwuchs aus diesem Manne, der uns als schön, gross und stark geschildert wird, dem Ymir Untergang, der Erde aber ihr Entstehen. Der Mann, den die Edda Buri nennt, nahm eines Riesen Tochter zur Frau und zeugte mit ihr drei Söhne, Odhin, Vili und Ve. Diese erschlugen den Riesen Ymir sind eine solche Menge Blut lief aus seinen Wunden, dass alle Urriesen darin ertranken, einen ausgenommen, der sich mit seinem Weibe in einer Wiege retteteWie Noah in der Arche. und das Geschlecht der Riesen fortpflanzte. Dann warfen die drei Brüder den ungeheuern Riesenleib mitten in der Klüfte Kluft und schufen aus seinem Blut die See, aus dem Fleisch die Erde, aus den Knochen die Berge, aus den Zähnen und zerbrochenen Knochen die Felsen und Klippen, aus dem Haar die Bäume. Aus dem gewaltigen Schädel machten sie den Himmel, woran sie die aus dem Süden umherfahrenden Feuerfunken festigten, dass Alles davon erleuchtet würde und gaben jedem dieser Lichter seine Stelle und setzten jedem seinen bestimmten Gang fest. Das Hirn warfen sie in die Luft und es wurden Wolken daraus. Längs den Seeküsten der also erschaffenen runden Erde gaben sie den Riesen Wohnsitze, nach innen schützten sie die Erde durch eine Burg gegen dieselben, welche aus des Ymirs Brauen gebaut wurde.

Noch aber fehlte der Mensch. Als die drei Brüder am Seestrand gingen, fanden sie da zwei Bäume, sie nahmen dieselben und schufen Menschen daraus, einen Mann und ein Weib, Askr und Embla. Odhin selbst gib ihnen Seele und Leben, Vili Witz und Gefühl, Ve Antlitz, Sprache, Gehör und Gesicht. Nach Völuspâ fanden drei Götter (Odhin, Hoenir und Lodhr) Askr und Embla unmächtig und thatenlos am Ufer liegen, da verlieh ihnen der erste Geist, der zweite Vernunft, der dritte Blut und Farbe. Die Zwerge endlich wurden erschaffen und empfingen Leben in Ymirs Fleisch, der Erde, worin sie wohnen wie im Fleisch die Maden, die Götter schenkten ihnen Gestalt und Verstand der Menschen; mit ihrer Erschaffung war die Schöpfung vollendet.

Demnach haben wir vier Reihen werdender Wesen, von denen die beiden ersten gleichsam von selbst aus dein Chaos hervorgingen, die beiden letztern von den Göttern ihr Dasein, wenigstens ihr geistiges empfingen. Wie misrathen wir die erste Hervorbringung des Chaos durch das Ueberwiegen der Materie, die zweite dagegen vollkommen vollendet; Leib und Seele standen in vollem Gleichgewicht, neben unendlicher Stärke und Schönheit entfaltete sich durchdringender schöpferischer Geist. Den Menschen steht ein schwächeres, doch gefüges Maas beider Eigenschaften zu, die Zwerge sind der Gegensatz der Riesen, die Materie hat die Kraft der Zeugung fast verloren, darum sind sie mit schmächtigem Körper bedacht, aber ihr Geist ist hell und scharf.

Diese Vorstellungen des Nordens waren im Allgemeinen auch die des alten Deutschlands, nur scheint dies beim Bau der Welt noch das Auge des alten Riesen zur Schöpfung der Sonne verwandt zu haben.


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