Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Seelen.♦ Myth. 786. In diesem Abschnitt, wie noch in einigen andern weiche ich von J. Grimms Buch einigermassen ab. Die Gründe dafür wird der zweite Band meiner Beiträge enthalten.

Die belebende Seele ist den Sprachen ein weibliches Wesen gegenüber dem männlichen Geist, Athem, der fühlbar aus und einzieht, während jene sanft und still sich nur durch ihr Walten verräth. Sie ist ein luftiges, leichtes, Wesen, welches rasch erscheint und verschwindet und darin den Elben gleicht, denen sie überhaupt sehr nahe steht. Mitunter tritt sie bei ihrem Ausgang aus dem Körper in eine neue, nicht menschliche Gestalt, worin sie eine Zeit lang verharren muss; dies gründet in der Lehre von der Seelenwandrung, welcher unser Alterthum huldigte.

Vor allen derartigen Uebergängen sind zwei besonders häufig, die anmuthigen Vorstellungen, welche die Seele als Blume aufblühen, als Vogel auffliegen lassen; beide hängen zusammen mit der Verwandlung in Pflanzen und Thiere überhaupt. Unsere Sagen und Märchen sind voll schöner Züge, worin besonders die erste dieser Vorstellungen bewahrt ist. So finden wir in dem Volksbuch von Faust einen Zauberer, der den Leuten die Köpfe abschneidet und wieder anheilt. Sobald er den Schnitt gethan hat, zeigt sich in einem dabeistehenden Wasserglas eine Lilie, welche in dem Augenblick verschwindet, wo der Zauberer den Kopf wieder anheilt: er nennt sie bezeichnend die Wurzel des Lebens. Ein Mönch, welcher jeden Tag das salve regina mit grosser Andacht betete, starb und wurde in einem offenen Sarg in die Kirche gesetzt; am andern Morgen fand man eine Lilie aus des Todten Mund gewachsen, auf deren weissen Blättern das salve regina mit goldnen Buchstaben geschrieben stand. Die Seele hat ihren Sitz im Blut, sie flieht in den drei ersten Tropfen, daher, dass in vielen Märchen aus den begrabenen drei ersten Blutstropfen Blumen und Bäume entspriessen, wie anderswo aus dem hinströmenden Blut sofort eine Blume entspringt. Jenes Begraben des Blutes ist bereits christlicher Zusatz, der sofortige Uebertritt in die Pflanze die ältere reinere Ansicht, die darum auch seltner erscheint, während jene zahllos vorkommt. So entspriessen dem Grabe Hingerichteter zum Zeichen ihrer Unschuld weisse Lilien; aus des Mädchens Grab wachsen drei Lilien die kein anderer, als der Geliebte brechen soll und aus den Hügeln Liebender winden sich Blumensträuche, deren Aeste sich verflechten, wie die Seelen der Todten einst verflochten und verbunden waren; das Geschlecht der Liebenden dauert in den Pflanzen fort, wie aus Tristans Grab ein Weinstock, aus Isoltens eine Rose wuchs, die sich zusammenwanden.

Als Pflanze ist die Seele jedoch gebundner an die Scholle, freier ist die als Vogel entschwebende, deren Flug fortan keine Grenzen mehr gesetzt sind. In dieser Gestalt kommt sie aus dem Munde Sterbender und zwar, wenn sie im Leben fromm waren, mit schneeweissem Gefieder. So sah man, als ein Schiff einst versank, der Untergegangenen Seelen in Gestalt weisser Tauben gen Himmel steigen, und als die Jungfrau von Orleans in den Flammen stand, hörte ein Kriegsknecht, wie sie den Namen Jesu rief und sah gleich darauf eine weisse Taube sich aus den Flammen erheben. Der Bauer der Bretagne sieht besonders in den Lerchen gegen Himmel steigende Seelen und ihm lautet ihr Gesang: »Sanct Petrus öffne mir die Thür, ich will auch nie mehr sündigen, nie mehr, nie mehr, nie mehr.« Er sieht wohl zu, ob die Lerche in den Wolken verschwindet, oder ob sie wieder herab kommt. Im letzten Falle sagt er: ›Die hat zu schwer gesündigt‹ und ihr Gesang lautet ihm dann: ›Ich sündige wieder, wieder, wieder.‹ Als die h. Gudula begraben wurde, wuchs eine schlanke Pappel aus ihrem Grab, darauf sass ein wunderschöner fremder Vogel, der sang die entzückendsten Weisen, es war ihre Seele; und als ihre Reliquien erhoben und in eine nahe Kirche gebracht wurden, fand man am andern Morgen den Baum und den Vogel, welche ihr gefolgt waren, vor der Thür der Kirche. Dieser Glaube war gleich jenem von der aufblühenden Seele in ganz Europa verbreitet. So erzählt eine polnische Sage von dem Räuber Madej: Als er erfahren hatte, welche Strafe in der Hölle seiner wartete, steckte er seine Mörderkeule in die Erde und blieb dabei als Einsiedel im Gebet und in Bussübungen. Die Keule begann Keime zu treiben und wurde zu einem Apfelbaum, der duftende Früchte trug. Als er später unter diesem Baum seine Beichte ablegte, flog ein Apfel nach dem andern in eine weisse Taube verwandelt empor. Es waren die Seelen derer, die er erschlagen, deren Blut an der Keule geklebt hatte, und die nach vorherigem Uebergang in Blüthen und Früchte des Baumes nun erlöst zu einer höhern Stufe der Freiheit gelangten.

Die Seele ist in den Körper eingeschlossen gleichsam wie der Schmetterling in die Larve, diese springt beim Tod und entfesselt flattert die Seele empor. Es lag daher ebenso nahe, ja noch näher, sie sich in dieser Gestalt zu denken und diese Vorstellung theilten mit den Griechen auch die Deutschen.

Weniger schön, eher zur Strafe entfährt die Seele in der Gestalt vierfüssiger Thiere, einer Katze, Maus, eines Wiesels, Kaninchens, selbst der an der Erde schleichenden Schlange. Solche Thiere haben wir noch in reicher Anzahl in den Spukthieren unserer Sagen übrig, die zu bestimmten Stunden der Nacht die Strassen unserer Städte und Dörfer, wie die Heerstrassen unsicher machen, sich von dem verspäteten Wanderer tragen lassen und dann unter koboldartigem Gelächter verschwinden.

Solange die Seele den Körper bewohnt, ist er warm, verlässt sie ihn, so starrt er kalt; darum galt sie dem Alterthum als ein feuriges Wesen, wofür schon die für die Seelen Sterbender geltenden Sternschnuppen zeugen. Wer kennt nicht das schöne Märchen von des Todes Lichtersaal? Da flackern und leuchten zahllose Lichtchen und jedes ist eines Menschen Leben; wenn es erlöscht, stirbt der Mensch. Auch in den Sagen klingt diese Vorstellung nach, denn oft erscheinen umwandernde Geister als ein kleines Licht und die Irrwische sind nichts, als umirrende Seelen, gleichsam feurige Schmetterlinge, mit denen sie das Flattern gemein haben und auch den Namen theilen; Ziebold gilt für beide. Daher, dass die Sage noch heute in den Irrlichtern die Seelen ungetauft gestorbener Kinder oder verbrecherischer Ackerfrevler sieht, die mit koboldischer Tücke trachten, den Wanderer vom rechten Weg ab und in Sümpfe zu führen.

Auch dem Element des Wassers ist die Seele nicht fremd; sie wohnt in dem Blut, dessen Rinnen durch die Adern dem lebendigen Quell gleicht, der über die Steine springt, dessen Erstarren dem des Baches gleicht, den der eisige Tod gefangen hält. So geht sie denn auch in eine Quelle über, indem sie mit den drei ersten Blutstropfen dem Körper des Ermordeten entflieht, oder im Augenblick des Todes als Quelle erscheint. S. Wenefridis floh vor einem heidnischen Königssohn, als er sie erreichte, schlug er ihr das Haupt ab; da wo es hinfiel, entsprang zur Stunde eine klare Quelle. Und als König Olaf eine Riesin die mit Rocken und Spindel auf einem hohen Strandhügel sass verwünschte, wurde sie wie er wollte in Stein verwandelt, im selben Augenblick aber entsprang an des Berges Mauer eine Quelle.

Nicht alle Seelen aber müssen in eine andere Gestalt fahren, viele behalten auch die menschliche, nur in verkleinertem Maasse. Sie verlassen selbst nicht das ihnen im Leben lieb gewordene Haus, nicht diejenigen, denen sie im Leben nahe standen: sie bleiben in dem Hause als Schutzgeister der Ihrigen. Zahlreiche Sagen berichten noch, wie zur Stunde wo man die Bahre mit der Leiche aus dem Hause trug, der Verstorbene oben am Giebelfenster stand und dem Leichenzug nachschaute, oder wie man ihn am Abend des Begräbnistages am Heerd sah und von nun an sein Walten spürte. Daher rührt auch, dass die altdeutschen Künstler die Seele in Gestalt eines schönen weissen oder eines Mohrenkindes abbilden, jenachdem sie einem Frommen oder Unfrommen angehörte, wie denn z. B. auf dem Grabmahl der heil. Elisabeth ein Engel die Seele der Heiligen in Gestalt eines Kindes vor Christi Thron trägt, wo sie des Heilands Segen empfängt.

Das sind einige (nicht alle) Vorstellungen unserer Vorfahren über das Wesen der Seele; sie sind einfach, wenn man will roh, aber von hohem Aller. Mehr ausgebildet, tiefer in alten Mythen wurzelnd, ist die Meinung von einer Ueberfahrt der Seelen in das Gebiet der Unterwelt durch ein Wasser, welches das Reich der lebenden Menschen von dem der Todten trennt. Procop erzählt: Am Ufer des festen Landes (an der Nordsee) wohnen unter fränkischer Oberherrschaft, aber von Alters her aller Abgaben entbunden, Fischer und Ackerleute, denen es obliegt, die Seelen überzuschiffen. Das Amt geht der Reihe nach um ; welchen es in jeder Nacht zukommt, die legen sich bei einbrechender Dämmerung schlafen. Mitternachts hören sie all ihre Thüre pochen und mit dumpfer Stimme rufen. Augenblicklich erheben sie sich, gehen zum Ufer und erblicken dort leere Nachen, fremde, nicht ihre eigne, besteigen sie, greifen das Ruder und fahren. Dann merken sie den Nachen gedrängt voll geladen, so dass der Rand fingerbreit über dem Wasser steht. Sie sehen jedoch Niemand und landen schon nach einer Stunde, während sie sonst mit ihrem eignen Fahrzeug Nacht und Tag dazu bedürfen, in Brittia. Angelangt entlädt der Nachen sich alsogleich und wird so leicht, dass er nur ganz unten die Flut berührt. Weder bei der Fahrt noch beim Aussteigen sehen sie irgendwen, hören aber eine Stimme jedem Einzelnen Namen und Vaterland laut abfragen. Schiffen Frauen über, so geben diese ihrer Gatten Namen an.

Diese Vorstellung von dem Todtenreich auf der Insel Brittia war noch im dreizehnten Jahrhundert und selbst später so lebendig, dass sterben hiess »nach Brittia ziehn« oder auch »zum Rheine gehn,« wo der Nachen des dahin Abfahrenden harrte.

Zu dieser Fahrt ins Todtenreich wurde die Leiche besonders ausgerüstet. Wie bei den Griechen die Ueberfahrt nicht umsonst geschah, sondern gegen ein bestimmtes Fährgeld, die Danaka, welches man der Leiche in den Mund gab, so musste dies auch bei unsern Vorfahren erlegt werden. Man steckte es in die Hand der Leiche, oder legte es neben sie, doch kommt auch vor, dass man es ihr in den Mund gab, wie man z. B. in Belgien das Skelett eines deutschen Kriegers ausgrub, welches den Fährgroschen noch in der Mundhöhle trug. Auch ein paar neue Schuhe, oder ein neuer Schuh gehörte dem Todten, damit er die beschwerliche Reise um so sicherer und besser zurücklegen könne. Wöchnerinnen gab man, wenn sie mit dem gestorbnen Neugebornen begraben wurden, Zwirn, Nähnadeln und Garn mit, damit sie im künftigen Leben für dessen Leinwand sorgen könnten. Ebenso gab man Todten Salbe mit, um die Wunden zu heilen, die sie etwa auf der Reise empfingen. Den Helden folgten im Norden Knechte, Pferde und Hunde, die mit ihnen verbrannt wurden, und als König Harald starb, tödtete man sein Pferd und begrub den Sattel mit der Leiche, damit er darauf nach Walhalla reiten könne.

Aber nicht alle Gegenden liegen am Meer oder stehen mit demselben durch Flüsse in Verbindung. In solchen mehr nach innen gelegenen Gegenden fahren die Seelen in einem hoch durch die Luft daherziehenden Wagen zum Land der Todten; einigemale kommt aber dieser Wagen selbst nahe der See vor. Als Brunhild gestorben war, wurde sie auf einen geschmückten Wagen gelegt und fuhr auf demselben zur Hel, wobei sie unterwegs das in der ältern Edda (Helreidh Brynhildar) beschriebene Gespräch mit dem Riesenweib hielt. Noch weiss das Volk in den Niederlanden von diesem Hellewagen oder Zielewagen (Seelenwagen), der jede Nacht umfährt und die Seelen unter fröhlicher Musik »nach dem andern Land« führt. Er ist auch in dem alten Armorica bekannt: man hört in der Luft seine Räder knarren, denn er ist mit Seelen überladen, und ein weisses Tuch bedeckt ihn. Sein Nahen verkündet der Schrei des Käuzchens, wo dieser erschallt, da muss bald jemand den Wagen besteigen; der Sterbende hört das Knarren und gibt gewöhnlich bald darauf den Geist auf.


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