Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Zauber.♦ Myth. 983.

›Wundern d. i. Wunder thun heisst übernatürliche Kräfte heilsam, zaubern sie schädlich oder unbefugt wirken lassen, das Wunder ist göttlich, der Zauber teuflisch; erst den gesunkenen, verachteten Göttern hat man Zauberei zugeschrieben. Mittelwesen zwischen ihnen und Menschen, vielkundige Riesen, listige Elbe und Zwerge zaubern, nur scheint ihre Fertigkeit mehr angeboren, stillstehend, keine errungene Kunst. Der Mensch kann heilen oder vergiften, indem er natürliche Kräfte zum Guten oder Bösen anwendet; er wird zuweilen der Wundergabe theilhaftig, wenn er aber den heilbringenden Gebrauch seiner Kräfte zum unnatürlichen steigert, lernt er zaubern. Wunder geht mit rechten, Zauber mit unrechten Dingen zu, jenes ist geheuer, dieses ungeheuer. Unmittelbar aus den heiligsten, das gesammte Wissen des Heidenthums in sich begreifenden Geschäften, Gottesdienst und Dichtkunst, muss zugleich aller Zauberei Ursprung geleitet werden. Opfern und singen tritt über in die Vorstellung von zaubern: Priester und Dichter, Vertraute der Götter und göttlicher Eingebung theilhaft, grenzen an Weissager und Zauberer. So bei allen Völkern, auch bei unsern Vorfahren: neben dem Göttercultus standen Uebungen finsterer Zauberei, jedoch nur als Ausnahme, nicht als Gegensatz.‹

Der Zauber wurde im Alterthum ebensowohl von Männern, wie von Frauen geübt, vorzugsweise jedoch den letztern zugeschrieben, die wir auch bereits im Besitz der Weissagung und anderer göttlicher Gaben erkannten. Daher, dass die Hexerei, d. i. die alte Zauberkunst meist von Frauen geübt wurde; Männer werden nur selten hineingezogen. Es liegt in ihr etwas Heimliches, Stilles, Abgeschlossenes, was sich mit dem männlichen Character, besonders unserer Vorfahren, nicht vertrug; noch jetzt kommen in der Sage nur sehr wenige Zauberer vor, nur hier und da ein fahrender Schüler, ein Gaukler oder ähnliches; Männer wie Faust, gibt es kaum drei.

Die ganze Masse des altdeutschen Zauberwesens ging in das neuere Hexenwesen über, welches dadurch für die Alterthumsforschung die höchste Wichtigkeit erlangte.Zwar sind bereits eine Menge von Hexenacten herausgegeben worden, allein eine noch grössere Anzahl harrt der Herausgabe noch, welche dazu Berufene, natürlich mit gehöriger Ausscheidung des bereits allgemeiner Bekannten, nicht länger verzögern sollten. Das Folgende lehrt, wie fast Zug für Zug die ältesten Vorstellungen darin aufbewahrt sind.

Der Zauberei steht bei allen Völkern das Vermögen zu, dass der Adept sich entweder unsichtbar machen oder in Thiergestalten schlüpfen kann. Beides hat er mit den Helden und weisen Frauen unserer Vorzeit gemein, nur sind die Thiere andere und fest bestimmte: Zauberer verwandeln sich in Wölfe, Zauberinnen in Katzen, jene sind Wuotans, diese Frouwas heilige Thiere; die letztern nehmen ausserdem gleich den weisen Frauen und Valkyrjen Vogelgestalt an, gewöhnlich die der Gans, d. i. des Schwans; seltner wird das von Zauberern berichtet, obwohl Flug oder Ritt durch die Luft vom Zauber unzertrennlich sind. In allen Sagen erscheinen die Hexen in Haufen durch die Luft fahrend und zu grossen Versammlungen ziehend. Bei diesen Zusammenkünften ist den ältesten Nachrichten zufolge die Hauptsache Kochen, welches in einem gemeinsamen grossen Kessel geschieht. Diese Versammlungen hätten keinen Sinn, würde nur gewöhnliche Speise dabei gekocht, es muss ihnen also etwas anderes zu Grunde liegen, das Kochen hier wie bei den Opfermahlzeiten ein heiliges Geschäft sein. Die gekochten Gegenstände sind aber das heilige, allen nothwendige und unentbehrliche Salz, um dessen Quellen einst die Deutschen unter sich blutige Kriege führten, und Pferdefleisch, dessen Genuss bei den deutschen Heiden besonders bei Opfern allgemein vorkommt. So lösen sich die Hexen nach dieser Seite hin in alte Priesterinnen und zu heiligem Geschäft fahrende Nachtfrauen auf.

Die Plätze, wo die Hexenversammlungen stattfinden, sind fast stets altheilige: es sind Berge, Wälder, Brunnen, Bäume; unter den ersten sind der Brocken, der Horselberg, Inselberg, Bechtelsberg u. v. a. weit bekennt. Ebenso ist die Zeit stets eine dem Heidenthum heilige, so die erste Mainacht, die Johannisnacht, Bartholomäusnacht.

Alles, was über den Teufel in die Hexenprocesse eingemischt ist, datirt aus christlicher Zeit und beruht meist auf christlichen Anschauungen, denn unser Alterthum kannte keinen eigentlichen Teufel, und Alles, was ihm in der Sage und dem Märchen zugeschrieben wird, ist von Göttern, Riesen, Zwergen und Elben und andern höhern Wesen der Vorzeit auf ihn übertragen worden. Dies ist auch hier der Fall, er ist in die Rolle alter göttlicher Wesen eingetreten und jeder erkennt diese sofort in ihm wieder, der auch nur die Namen prüft, welche er in seinem Verkehr mit der Hexe oder die Hexe im Verkehr mit ihm trägt. Namen wie: Schlenkerfüsschen, Hurtig, Grünhütel, Weisshütel, Blümchenblau, Wohlgemuth, Taubenfuss, Grünmäulchen, Kränzlein, Springinsfeld, Hurlebusch, Raumaus, Künzchen, Flederwisch, Rosenkranz u. a. m. sind keine Namen, welche auf den Teufel oder schmuzige Hexen passen. Diese rasch dahinschwebenden und springenden Wesen im grünen, weissen oder federgeschmückten Hütchen oder bekränzten Hauptes, an deren Schultern Flügel wachsen, die als schön bezeichnet sind (Schönhans), gehören offenbar den alten Elben an, und so erscheinen die Hexentänze (wofür denn auch viele andere Anzeichen sprechen) anderntheils als ehemalige Elbentänze, zu denen sterbliche Frauen hinfahren.Umgekehrt wie die Nixen zu den Tänzen der Menschen kommen und Theil an denselben nehmen, ziehen hier menschliche Frauen zu den Tänzen der Geister. Den Namen, den diese Frauen unter den Menschen tragen, legen sie bei diesen Festen ab und nehmen dafür einen andern an, der zu ihrer Umgebung und deren Sprache, zu ihrem veränderten Wesen passt, wie ja überhaupt ein Unterschied zwischen der Sprache der Götter, der nordischen Vanen, Elben und Riesen bestand. Diese Namensänderung wurde später zu der Teufelstaufe, bei welcher die Gebräuche der Taufe auf abscheuliche Weise parodirt vorkommen. Aehnlich verhält es sich mit der Buhlerei mit dem Teufel. Wir wissen bereits, dass wie die Elbinnen schönen Jünglingen nachstellen, so die Elben Zwerge und Nixen schöne Jungfrauen zu rauben suchen, mit denen sie sich verbinden und deren viele später auch wenn es ihnen frei steht, die Wohnung der Geister nicht mehr verlassen wollen, weil menschliche Kost ihnen nicht mehr zusagt und menschliches Leben. und Treiben ihnen nicht mehr gefällt. So drängt denn auch die einmal in das Weben der Elben Eingeweihten eine unwiderstehliche Sehnsucht immer wieder dazu hin, um so mehr, wenn sie in Liebesbündnisse mit den Elbenjünglingen eingetreten sind. Andere Zeugnisse für die Verwandtschaft der Hexen mit den Elben sind folgende. Bei dem Tanze schweben alle so leicht über die Erde hin, dass sie nur den Thau vom Gras streifen; an solchen thaulosen Ringen im Gras erkennt man die Stellen, wo die Elben in der Nacht tanzten; eben solche Ringe heissen heute Hexenringe und an den Orten sollen die Hexen in der Nacht ihre Reigen geführt haben. Wir sahen, wie die Elbin, zürnend dass ein Ritter ihre Liebe verschmäht, ihn aufs Herz stosst, dass er nach drei Tagen stirbt; gerade so wird den Hexen nachgesagt, dass sie Männern den Leib aufschneiden und das Herz herausholen, worauf dieselben abzehren und sterben. Wie die Elben und Zwerge kein Glockengeläute leiden können, so auch die Hexen; wie jene, so vermögen auch diese durch die engsten Ritzen zu schlüpfen u. s. w.

Später erst wurde auf die Hexen das Hagelmachen und Saatverderben übertragen, früher gab man dies mehr den Zauberern schuld. Aber nicht immer suchte man die Saat zu vernichten, sehr oft will man sich nur ihren Ertrag zuwenden, so wie die Hexen auch des Nachbars Milch stehlen sollen, indem sie unter Aussprechung einer Zauberformel einen Stock oder ein Handtuch melken, ein Zug, der an die milchliebenden Hausgeister erinnert, die auch ihren Lieblingen Getreide zutragen. Die Erregung des Sturms wird gleichfalls den Hexen zugeschrieben; sie scheinen dabei bösartige Zauberweiber des Alterthums zu vertreten.

Allen Zauberern gemein ist, wie gesagt, das Vermögen Thiergestalt anzunehmen, die des Wolfs, des heiligen Thiers Wuotans. Dies erfolgt auf ähnliche Weise wie bei den Schwanjungfrauen, nämlich durch Ueberwerfen eines Wolfshemdes, Wolfsgürtels oder Wolfsrings; sie werden dann zu Werwölfen und verharren in dieser Gestalt neun Tage; erst am zehnten kehren sie in menschliche Gestalt zurück. Mit der Gestalt nehmen sie zugleich die Natur des Wolfs an, sie heulen, durchstreifen die Wälder und stürzen sich auf Alles, was ihnen vorkommt. Will man dem Zauberer dies Treiben legen, dann muss man das Wolfshemd, oder den Wolfsgürtel zu bekommen suchen und es verbrennen, was jedoch nur unter furchtbaren Schmerzen für dessen Besitzer möglich ist.

Die Zauberweiber verwandeln sich besonders in Katzen und suchen unter dieser Gestalt Unheil jeder Art zu stiften. Die Verwandlung erfolgt bei ihnen nicht durch äussere Mittel, sondern wohl durch einen blossen Zauberspruch.

Durch das Auge schaut die Seele und wie sie durch das gesprochene Wort Zauber zu üben vermag, so auch durch den blossen Blick; bösen Zauber dieser Art (und von anderm ist nie die Rede) übt das böse Auge. Dagegen hat der lachende Mund einnehmende Gewalt, besonders der rosenlachende, noch mehr der küssende; ein Kuss bringt dem, der ihn empfängt, Vergessen alles Vorhergegangenen oder gibt ihm die Erinnerung daran zurück.

Aber nicht wehrlos ist der Mensch der Gewalt des Zaubers anheimgegeben. Man kann sich vor ihr schützen und die andringende abwehren; Schutzmittel sind Brod, das altheilige Salz und die Kohlen des dem Alterthum heiligen Heerdes, zur Abwehr dient das Ausspeien, wodurch man gleichsam seinen Abscheu vor aller Gemeinschaft mit dem Zauber zu erkennen gibt, und dadurch ihm die Gewalt raubt.


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