Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Einzelne Götter.

Wuotan.♦ Myth. p. 120. 150 ff. Vgl. ferner ›über den liebesgott von Jacob Grimm, gelesen in der academie am 6. Januar 1851.‹ Berlin 1851. Wodan und Frea bei den Winilen von J. Grimm. Haupt Zeitschrift für deutsches Alterthum V, 1. Woldan von J. Grimm das. V, 494 ff. Wuotilgôz von dems. das. I, 577. Wodan von Adalbert Kuhn das. V, 472. Donar und Wuotan von Karl Müllenhoff das. VII, 529. Wôdan von dems. Nordalbing. Studien I, 208. Beiträge zur deutschen Mythologie von J. W. Wolf I, p. 1–63. ›Lexicon mythologicum in vetusta septentrionalium carmina, quae in edda Saemundina continentur‹ von Finn Magnusen im 3. Band der Edda Saemundar hinns frôda. Havniae 1828. s. v. Odhin.

Der Abschnitt der Myth. über das wüthende Heer und die wilde Jagd (p. 870) ist p. 20 und 21 diesem Capitel einverleibt. Näheres über Odhin kann jetzt jeder leicht in Simrocks deutscher Ausgabe der Edda nachschlagen. (Stuttgart und Tübingen 1851.) Dasselbe gilt von den übrigen Gottheiten.

Der höchste Gott bei allen deutschen Stämmen war Wuotan, der Odin des Nordens. Schon sein Name kündet ihn als den Weltgeist an, denn er bedeutet gleich dem des indischen Buddha Geist, Sinn, Verstand. Er ist die alldurchdringende schaffende und bildende Kraft, welche den Menschen und allen Dingen Gestalt wie Schönheit verleiht, von dem Dichtkunst ausgeht und Lenkung des Kriegs und Siegs, von dem aber auch die Fruchtbarkeit des Feldes, ja alle höchsten Güter und Gaben abhängen. So allumfassend ist sein Wesen, dass wie wir bereits sahen alle andern Gottheiten gleichsam nur als Ausflüsse von ihm, als seine verschiedenen Eigenschaften erscheinen, als Vollstrecker seines Willens, wie denn auch viele ihn als Vater ehren; er ist der Himmel, der die Erde schützend umfängt, er ist die Sonne, die allen Wesen Licht und Leben schenkt.

Dem kriegerischen Alterthum galt Krieg und Schlacht als die edelste Beschäftigung des Mannes; darum erkannte es in Wuotan vor allem deren Leiter und Lenker: er war ihm der Vater der Heere, des Sieges und der Gefallenen. Als solchen dachte es sich ihn in voller Waffenherrlichkeit, mit Helm, Brünne, Schwert und Speer auf hohem weissem, die Lüfte durchfliegendem und die Wasser überschreitendem Rosse, welchem der Norden zur Bezeichnung der Schnelligkeit, womit es dahinstob, acht Füsse beilegte. Wie wir in Wuotan nicht nur den Vater vieler Götter, sondern auch der ältesten Könige und Helden sehen, so gelten auch deren Rosse als Abkömmlinge seines göttlichen Rosses und als solche vorzugsweise zu der Heldenarbeit, dem Kampfe, tüchtig.

Ungleich den griechischen und römischen Göttern, mischte sich Wuotan nicht persönlich theilnehmend in die Schlacht, er ordnete sie nur, er lenkte ihr Geschick. Geliebten Helden verlieh er den Sieg dadurch, dass er ihnen seine Waffen lieh, an deren Gebrauch die Niederlage jedes Feindes geknüpft war. Aber auch schon sein blosses Wort, sein Wille genügte zum Siege. Einst hatten die Wandalen Krieg mit den Winilern, sie kamen zu dem Gotte und baten ihn, er möge ihren Feinden Verderben senden. Er gab ihnen zur Antwort, er werde denjenigen Sieg schenken, welche er beim Aufgange der Sonne zuerst sehe. Da ging Gambara, die Fürstin der Winiler, zu Wuotans Gemahlin Frikka und bat diese, sie möge den Winilern Sieg zuzuwenden suchen. Die Göttin gab den Rath, die Frauen der Winiler sollten die gelösten Haare in Form eines Bartes um Gesicht und Kinn binden und sich Morgens mit ihren Männern gegen Osten aufstellen, wohin der Gott durch sein Fenster zuerst schaue. Als Wuotan Morgens zur Erde blickend sie sah, fragte er: Wer sind jene Langbärtigen? Frikka antwortete. Du hast ihnen einen Namen gegeben, darum musst du ihnen auch ein Geschenk geben, den Sieg.Vgl. unsere Pathengeschenke. Diese Langbärtigen sind die Longobarden, die übrigens den Namen nicht von ihren langen Bärten, sondern von den langen Spiessen (vgl. Hellebarde) hatten, welche sie trugen. Der nordische Odhin hiess mit einem seiner Beinamen auch Langbardr. So wurden die Wandalen geschlagen.

Alle welche im Kampfe fallen, werden durch die Walküren (s. u.) in Wuotans himmlische Wohnung gebracht. Dort sitzen sie mit ihm an einer Tafel, essen mit ihm und trinken Meth, welchen die schönen Walküren ihnen kredenzen. Der Gott selbst bedarf der rohen Kost des Fleisches nicht, er lebt nur von Wein; seinen Antheil am Mahle warf er wohl (gleich Odhin) zwei Wölfen zu, welche zu seinen Seiten sassen. Ausserdem gehören zu seinen Thieren zwei weise Raben, welche dem nordischen Mythus zufolge auf des Gottes Achseln sitzen und ihm alles ins Ohr sagen, was sie auf ihrem täglichen Fluge durch die Welt gesehen und gehört. Nach dem Mahl ergötzen sich die Helden am Kampfe, oder sie fahren mit Wuotan zur Jagd aus. Das ist das, was wir das wüthende Heer, oder die wilde Jagd nennen, welche in jeder Nacht, besonders aber in der heiligen Zeit der Zwölften, d. i. von Weihnachten bis Dreikönigen unsere Wälder durchtoben. Man vernimmt alsdann Waffenlärm, Rossewiehern und Hufschlag in den Lüften, oder Jagdhörner, Jagdgeschrei, Rossewiehern und Hundegebell. An der Spitze der Schaar sieht man den Gott auf seinem weissen Rosse. Wie der Schwede noch heute alsdann sagt: Odhin fährt vorüber, so sagt der mecklenburgische Bauer: Der Wode jagt.In andern Gegenden finden wir andere Namen, zumeist Hackelbärend; angeblich soll so ein Jäger geheissen haben, der wegen übertriebener Jagdlust von Gott verdammt wurde, ewig zu jagen. Es ist aber nur der altdeutsche Beiname Wuotans Hakolberand, d. h. der Gerüstete, der Waffentragende. Ueber andre wie Snellerts, Kaiser Carl u. a. m. siehe w. u. Oft lässt Wuotan vor seinem Auszuge sein Ross bei einem sterblichen Schmiede beschlagen und lohnt ihm reichlich die Mühe. Sterbliche erlangen mitunter die Gunst, an dem Heerzuge oder der Jagd theilnehmen zu dürfen und empfangen einen Antheil an der Letztern, der anscheinend ein Stück Wild, sich später in edle Metalle verwandelt. Den Helden wird der Gott dabei mitunter zum Retter, wenn sie auf weiten Heerzügen umfahrend in Gefangenschaft geriethen und ihre Frauen nach langem vergeblichem Harren im Begriffe standen, sich wieder zu vermählen. Er fasst sie in seinen weiten Mantel und trägt sie in pfeilschnellem Fluge durch die Lüfte zurück nach Hause, wo sie gleich Odysseus die Freier finden und verjagen.

Wie der Hausherr als König seines Hauses im Alterthum seinen eignen Hochsitz oder Thron hatte, so auch Wuotan als König und Oberster der Götter. Dieser Hochsitz hat die Eigenschaft, dass wer ihn besteigt, die Erde und alle Wohnungen der Menschen überschaut. Er stand wahrscheinlich mit dem Rücken gegen Norden, so dass der Gott nach Süden schaute, in die Gegend des Lichtes, und war aus leuchtendem Gold gefertigt.

Aber nicht nur an der Spitze seines Heldenheeres verkehrte der Gott mit den Menschen, er stieg oft zu ihnen hernieder und erschien gütig und freundlich in ihrer Mitte. Dann trug er nicht seine glänzende Rüstung, sondern einen Mantel und einen breitkrämpigen Hut, woran, wie an seinem einen Auge,Dem nordischen Mythus zufolge setzte Odhin das andere dem Mimir zum Pfande für einen Trunk aus dem Brunnen der Weisheit. Sterbliche ihn oft erkannten. Diese milde Seite seines Wesens leuchtet besonders daraus hervor, dass er als der Gott des WunschesDarum finden wir im Mittelalter den Wunsch noch als ein lebendiges Wesen aufgefasst und dargestellt. Vgl. M. 127. verehrt wurde. Unter Wunsch nämlich versteht die alte Sprache ›den Inbegrif von Heil und Seeligkeit, die Erfüllung aller Gaben, das was wir Ideal nennen würden;‹ dessen machte Wuotan die Menschen theilhaftig. Er gibt ihnen Weisheit und Dichtkunst,Wie Hermes bei den Griechen. Ueberhaupt ist Wuotan mit Mercur verwandt, daher finden wir ihn auch bei den Schriftstellern der Römer und des Mittelalters durch diesen ersetzt. deren Trank er der nordischen Mythe zufolge den Händen derber Riesen entriss und in Adlergestalt zum Himmel emportrug. Den Schiffern verleiht er Wunschwind, den Würdigen Reichthum,Die Wunschbörse. den Spielern Glück im Spiele, dem Landmanne aber günstiges Wetter zu fröhlichem Gedeihen der Saat. Noch heute lässt der niedersächsische Bauer einen Büschel Getreide auf dem Felde stehen ›für Wodes Pferd.‹ Auch dem Stalle, den Bäumen und dem Weinstocke schenkte der Gott Gedeihen, darum fielen in die Zeit, wo einst ihr Ertrag eingethan wurde, grosse Opfermahle und Feste. Man entzündete ihm noch fortdauernde Feuer,Die weitverbreiteten Martinsfeuer. in welche man Früchte der Bäume zum Opfer warf, und welche man jubelnd umtanzte; Thiere bluteten ihm dabei, deren Häupter ihm geopfert wurden, während man das Uebrige verzehrte, und bei dem Mahle trank man seine Minne und sang ihm Lieder. Im Norden fiel dies grosse Herbstopfer in das Ende des September, wann die Kirche das Fest des heil. Erzengels Michael feiert, mehr südlich in den Anfang des November, in die Zeit des Festes des heil. Martinus.Die Verwandtschaft, welche die Bilder des heil. Martinus mit der Erscheinung Wuotans haben, führte dazu, seine Verehrung als des Gottes der Schlacht auf ihn zu übertragen. Da des Heiligen Fest in das Ende der Erntezeit fällt, so war dies ein Grund mehr dazu. Man dachte sich den Gott alsdann auf seinem weissen Rosse umreitend, die Opfer empfangend und Segen dafür spendend.

In vielen Namen lebt das Andenken Wuotans noch lebendig fort. Ihm waren besonders Berge heilig, so der Godesberg bei Bonn, der noch im XIII. Jahrh. Wudinsberg, d. i. Wodansberg heisst,Er wurde später dem h. Michael geweiht, auf welchen man überhaupt die Verehrung des Wuotan als Empfängers der Seelen übertrug. Die meisten Michaelsberge haben wir als alte Wuotansberge anzusehen. der Gudensberg bei Geismar (Wuodenesberg im XII. Jahrh.). Das Godensholt (Wodensholt) kündigt sich als ein ihm geweihter Wald an. Das Gestirn des Bären heisst in den Niederlanden Woenswagen d. i. Wodenswagen. Sogar ein Glied des menschlichen Leibes wurde dort nach ihm genannt: der Raum zwischen dem gestreckten Daumen und Zeigefinger hiess niederländisch Woedensspanne. Sein heiliger Wochentag war der Mittwoch, niederl. Woensdag, angelsächsisch Vôdnesdag, engl. Wednesday, altnordisch Odhinsdagr.


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