Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gottesdienst.♦ Vgl. Myth. p. 26.

Der als allwaltend und machtvoll erkannten Gottheit sucht der Mensch seine Verehrung zu beweisen, er trachtet sie sich geneigt zu machen. Diese Verbindung zwischen ihr und ihm geschieht durch das einfache oder das mit Gaben begleitete Gebet. Es ist dem Menschen Bedürfnis, bei dem Gebete die Stimmung seines Innern auch durch äusserliche Zeichen kund zu geben. Der zu der Gottheit erhobene Sinn führt fast unwillkührlich auch das Auge, die Arme und Hände zu ihr empor, das vor ihr sich wahrhaft demüthigende Herz lässt ihn nicht stolz aufrecht vor ihr stehen, sondern drückt ihn nieder auf die Kniee das Gefühl ihrer heiligen Nähe gibt seinen Zügen einen ernstern Ausdruck und duldet nicht, dass das Haupt bedeckt bleibe; so finden wir ihn wie innerlich, so auch äusserlich sich ganz und gar in ihre Gewalt hingebend. Fast allen Völkern sind diese Ausdrücke der Ehrfurcht und Unterwürfigkeit beim Gebete eigen und wir dürfen sie mit Sicherheit auch für unsere Vorzeit annehmen.

Das von einer Gabe begleitete Gebet nennen wir mit einem durch das Christenthum erst eingeführten Namen Opfer, von offerre, darbringen, der ältere Ausdruck dafür ist goth. blôtan, althochd. pluozan, opfern; pluostar ist Opfer, jedoch machte er gleich mehren andern frühe dem christlichen Platz. Der Anlass zum Opfer konnte ein doppelter sein, man wollte entweder den Göttern für ihre Wohlthaten danken und ihnen einen Theil des von ihnen gespendeten zum Zeichen des Dankes weihen, oder man glaubte sie erzürnt und suchte sie durch eine, mit der Abbitte der Vergehung, durch die man ihren Zorn erregt meinte, verbundene Gabe zu versöhnen. Bei dem Mahle hielt das fromme Alterthum schon es für Unrecht, ohne Dank gegen die Gottheit zu geniessen, bei der Ernte nahm der Mensch nicht Alles für sich; das erlegte Wild, die Vermehrung seiner Heerden betrachtete er als ihr Geschenk, und dankte ihr opfernd dafür. Er fühlte in all diesem Segen Beweise ihrer Huld und Gnade, in der Entziehung desselben sah er Zeichen ihres Zornes und beeilte sich, denselben durch Opfer abzuwenden, sie sich von neuem geneigt zu machen. Sobald anhaltende Dürre, Miswachs und daraus folgende Hungersnoth eintrat, Seuchen unter den Menschen oder dem Vieh wütheten, oder andere Unglücksfälle hereinbrachen, vereinigte sich das Volk und flehte betend und opfernd um Gnade und Rückkehr der alten Huld.

Weil die Götter die Güte meistens vorwalten lassen und seltner zürnend dies durch Strafen, wie die angedeuteten sind, kundgeben, so waren die Dankopfer die frühesten und häufigsten, und weil die Beweise jener Güte sich täglich oder jährlich aufs neue offenbaren, so wurden sie mit der Zeit stehend und gingen in regelmässig wiederkehrende Feste über. Sie haben alle einen heitern Anstrich, der noch dadurch gewinnt, dass die dargebrachten Gaben meistens dem Pflanzenreich gehören. Ernst dagegen ist das Sühnopfer; zu ihm genügten jene schuldlosen Gaben nicht, bei ihm musste Theureres dargebracht werden, es musste ein Leben entströmen, Blut fliessen; das schien stärker bindende und sühnende Gewalt auszuüben. Je wichtiger der Anlass zum Opfer, je grösser der Zorn der Götter war, um so kostbarer musste der zur Sühne dargebrachte Opfergegenstand sein.

Aller Opfer höchstes war das Menschenopfer; in ihm begegnen sich alle alten Völker. Menschen bluteten bei den Deutschen nur den erhabensten Göttern. Man nahm dazu fast durchgängig Männer und zwar Kriegsgefangene, Sklaven oder schwere Verbrecher; nur einmal wird eines Opfers von Frauen und Kindern gedacht. Wie man den Erstling des Viehes den Göttern schlachtete, so auch den Erstling der gefangenen Feinde, die gleichsam den Gewinn, die Ernte des Krieges ausmachten. Bei schweren Unglücksfällen sanken aber selbst Königssöhne und Könige, wie die Schweden einmal bei einer grossen Hungersnoth ihren König Dômaldi opferten. Der König war der theuerste Mann des Volkes, sein Name wird selbst oft von der Gottheit genommen; da er der Herr auf Erden ist, wie jene im Himmel herrschend waltet. Seine hohe Würde legt ihm gleich hohe Pflichten auf und das Alterthum hielt dafür, dass deren Verletzung von den Göttern an dem Volke gerächt werde; darum musste er bei allgemeiner Noth als Sühne bluten, denn er galt als der Schuldige, der die Noth herbeigeführt habe.

Zwar waren auch Thieropfer von sühnender Kraft, doch wurden sie zumeist als Dankopfer dargebracht, so der Erstling der Heerde als Dank für den Segen des Stalles, so das ersterlegte Wild als Dank für den Segen der Jagd u. s. w. Sie bestanden wiederum nur aus männlichen Thieren und zwar aus solchen, deren Fleisch geniesbar war, denn man hielt es für unschicklich, der Gottheit eine Speise zu bieten, welche der Opfernde selbst verschmäht hätte, Wie das Gebet eine geistige Vereinigung mit Gott ist, so vereinigte man sich auch beim Opfer mit den Göttern bei demselben Mahl: der Gottheit wurde ein bestimmtes Stück, meistens das Haupt des geschlachteten Thieres dargebracht, das Uebrige in der Versamlung verzehrt.

Das vornehmste unter den Thieropfern war das Pferdeopfer, denn von allen Thieren war dem deutschen Heiden keins werther, galt ihm keins für edler und heiliger als das Pferd, das von fast allen Göttern gerittene, des Helden treuester Gefährte in Kampf und Schlacht. Vor der Einführung des Christenthums war der Genuss des Pferdefleisches allgemein verbreitet, die Bekehrer erst schafften denselben als heidnischen Gebrauch ab. Daher der schon frühe vorkommende Schimpfname Pferdefresser für Heiden, der noch heute in Belgien auf Zauberer angewandt wird, wie man denn auch den Hexen den Genuss des Pferdefleisches zur Last legt. Der Gottheit wurde das Haupt des Rosses geweiht und zwar befestigte man dasselbe auf Stämmen von Bäumen heiliger Wälder. So opferten die Deutschen nachdem sie den Varus besiegt hatten, die in der Schlacht erbeuteten Rosse, deren Köpfe später Caecina fand, als er sich der Wahlstatt nahte.♦ In Friedberg wurde, wie mir Phil. Dieffenbach mittheilt, das schönste Ross aus der Kriegsbeute verkauft und das dafür gelöste Geld der S. Georgskirche verehrt. Da S. Georg vielfach an die Stelle des alten Wuotan gesetzt wurde, so bedeutet der Gebrauch nichts anderes, als dass man dort oder in der Gegend ehemals das Ross diesem Gott, welcher der Schlacht vorstand weihte. Nächst diesem war das Opfer von Rindern das bedeutendste, wie z. B. im Norden nach feierlichem Zweikampf der Sieger einen Stier mit den Waffen opferte, mit denen er den Gegner erlegt hatte. Eber und Ferkel bluteten wahrscheinlich dem Fro, andern Gottheiten Widder und Bock, von Vögeln der Hahn.

Wie das Geschlecht bei den Opferthieren in Anschlag kam, so auch die Farbe. Das Fleisch männlicher Thiere ist stets kräftiger und besser, als das weiblicher, aber auch das Aeussere des Thieres durfte keinen Makel haben; das Thier musste rein sein und dazu stimmte die weisse Farbe, bei der jeder, auch der kleinste Flecken sofort sichtbar wird, am besten. Ferner durfte das Thier noch nicht zu menschlichem Gebrauche gedient haben, es musste der Gottheit gleichsam von Geburt auf geweiht gewesen sein. Das so gewählte Thier wurde alsdann bekränzt und geschmückt, im Kreise der Volksversamlung herumgeführt und auf dem Opferstein geschlachtet. Wer Gelegenheit hat, solche Steine zu untersuchen, wird durchgängig auf ihnen eine Rinne finden, die zu einer kleinen Vertiefung oder auch auf die Erde führt; in jener oder auch in einem untergestellten Kessel wurde das herabrinnende Blut des Opferthieres aufgefangen, womit man die heiligen Geräthe und Tische bestrich und die Theilnehmer am Opfer besprengte. Vielleicht wurde auch aus dem Blut und den Eingeweiden des Thieres geweissagt und ein Theil des erstern unter Bier oder Meth gemischt und getrunken. Nachdem das Haupt und wahrscheinlich auch andere edlere Theile, wie Zunge, Herz und Leber dargebracht waren, wurde das Fleisch in grosse Kessel geworfen und gekocht, nie gebraten. War es geniesbar, dann vertheilte der Priester es unter das Volk, welches, besonders an grössern Festen dasselbe gemeinschaftlich verzehrte. Die Bekehrer änderten diese alten Opfergebräuche kaum merklich um; sie liessen an den Festtagen Christi, der Heiligen und Märtyrer das Volk sich in altgewohnter Weise um die alte Cultusstätte versammeln, an der nur das Kreuz die Stelle des ehemaligen Gottes einnahm, und liessen es dort (wie das vordem wohl auch Sitte gewesen war) Hütten aus Laubwerk bauen. Dann begannen sie die Predigt vom Besieger der alten Götter, dem Heiland, ihr folgte die feierliche Messe und dieser schloss sich das alte Opfermahl als ein gemeinsames Gastmahl an, wobei Gott für diese und alle andern Gaben gedankt und Sein Lob erhoben wurde. So blieben alle Aeusserlichkeiten gewahrt, der alten Form wurde nur ein neuer Geist eingegossen, und also neu beseelt konnte sie sich noch lange forterhalten.♦ Das Christenthum nahm das Schöne und Gute in sich auf, wo es dasselbe fand, denn es betrachtete dasselbe mit Recht als auf dem Boden oder unter dem nachwirkenden Einfluss der ersten Offenbarung gediehen; darum konnte es auch durch diese Aufnahme nicht alterirt werden. Wir begegnen in der That diesen so umgewandelten Opfermahlen noch heut zu Tage an vielen Orten, so u. a. auf dem Michaelsberg in der Eifel, einem alten Wodansberg, auf dem sich am Tage des heil. Erzengels das Volk in laubgeschmückten Zelten versammelt, und nach dem feierlichen Gottesdienst die in ungeheuern Kesseln gekochten Würste verzehrt. Von Brennopfern und Rauchopfern findet sich in Deutschland keine Spur.

Neben diesem grossen, blutigen Thieropfer gab es wie bereits bemerkt wurde, in unserm Alterthum noch das schönere, obgleich ärmlichere Fruchtopfer. Jenes ist erhabener, ernster, feierlicher, dieses lieblicher, stiller und heiterer; jenes findet unter Theilnahme des ganzen Volkes oder Stammes statt, dieses feiert mehr der einzelne Mensch, die Familie. So lässt der Landmann nach gehaltener Ernte der Gottheit, welche den Acker gesegnet, eine Garbe stehen und schmückt sie mit Bändern; er lässt ihr beim Einsammeln des Obstes einige Aepfel auf dem Baume, damit sie im folgenden Jahre gleiche Fruchtbarkeit verleihe. Die Altäre und Bilder der Götter schmückte man mit Gewinden von Laub und Blumen, an ihren heiligen Bäumen hing man Blumenkränze auf und warf Kränze und Sträusse in die heilige Fluth. Diese Opfer erhielten sich leichter als die Thieropfer, weil sie eben unschuldiger waren und bis auf diesen Tag begegnen wir ihnen fast überall.

Bisher besprachen wir fast ausschliesslich Opfer, mit denen ein Mahl zusammenhing, die ein Mahl zur Folge hatten, aber jedes Mahl, welches der Mensch genoss, hatte auch wieder ein Opfer zur Folge: nicht nur an jenen grossen Festmahlen liess man die Götter Theil nehmen, von jedem Mahle wurde ihnen oder ihren Dienern ein Theil der Speise zurückgestellt als ein Zeichen des Dankes für die genossene Speise, wie wir durch das Gebet vor und nach dem Essen dem Geber alles Guten unserer Dank darbringen. Aber nicht nur von der Speise, auch von dem Tranke brachte man ihnen dar, oder feierte wenigstens ihr Gedächtnis, indem man einen Becher zu ihrer Ehre leerte.

Von dem gothischen man, ich denke, gaman, ich gedenke leitet sich das althochdeutsche minna, Liebe und minnôn lieben, des Geliebten gedenken ab; im Nordischen hiess minni Gedächtnis, minna gedenken. Daher kommt, dass man den zum Gedächtnis der Götter, oder auch Verstorbener oder Abwesender getrunkenen Becher minni nannte. Dieser Minnetrunk ging später auf Christus und die Heiligen über, und wie man einst der Götter Minne, d. h. der Götter Gedächtnis getrunken hatte, so trank man jetzt Christi Minne, Martins Minne, Michaels Minne u. s. w. Vorzüglich galt dieser Becher den obersten, höchsten Gottheiten, doch verschwand er bald im Lauf der Zeiten, wenigstens wurde er auf zwei Heilige beschränkt, auf die hh. Johannes den Evangelisten und Gerdrut, deren Minne besonders Scheidende und Reisende tranken. Jener passte besonders dazu, weil man ihn stets mit einem Kelch in der Hand abbildete, denn ihm wurde, wie die Legende meldet, Wein angeboten, der sich, als er den Segen darüber sprach, als vergiftet erwies. Zudem ist er vorzugsweise der Jünger der Liebe und da das alte Minna schon frühe diese Nebenbedeutung entwickelte, so fügte sich die Uebertragung um so leichter. Die h. Gerdrut aber trank einem Ritter S. Johannis Minne zu und rettete ihn dadurch vor dem Bösen. Immer noch weiht die Kirche am Tage des Jüngers, »den Jesus am liebsten hatte«, Wein und reicht ihn den Gläubigen mit der Mahnung, ihm in der Liebe zu Gott und dem Nächsten nachzufolgen.

Noch einer Sitte ist zu gedenken, die auch zu den Opfern zu rechnen ist. Wenn man hohe Feste der Götter feierte, liebte man es dem zu backenden Teig die Gestalt eines Götterbildes oder eines göttlichen Symbols zu geben. So buk man im Norden beim Julfest Kuchen in Ebergestalt und unsere gebackenen Pferde, Hirsche, Kreppel und anderes ähnliches Backwerk sind Ueberreste ans uraltheidnischer Zeit. Wahrscheinlich ersetzten sie das Thieropfer und wurde ein oder mehrere Stücke solcher Kuchen den Göttern dargebracht, während die Familie das Uebrige genoss.


 << zurück weiter >>