Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Entrückung.♦ Myth. 903. Cap. XXXIII (Teufel) ist gleich XXXI vertheilt.

Der deutschen Mythologie vorzüglich eigen ist die Idee der Entrückung. Sie hängt zusammen mit der der Verwünschung, was wir von Verwandlung wohl zu unterscheiden haben. Die Verwandlung bedingt den Uebergang in eine andere Gestalt, in welcher das Verwandelte, allen Augen sichtbar bis zur Zeit der Erlösung verharrt; das Verwünschte aber behält seine Gestalt und wird nur unsern Sinnen entrückt, erscheint jedoch von Zeit zu Zeit wieder; das Verwandelte bleibt leiblich, das Verwünschte verliert sich und kann nur bedingungsweise wieder leibhaft werden, wie es in dem Belieben der unsichtbaren Geister steht, gröbere sinnliche Gestalten anzunehmen. Verschwinden ist also sich freiwillig entrücken, ein Vermögen der Götter und Geister, zuweilen auch der Helden, die im Besitz eines hehlenden Helms sind; entrückte Menschen sind geisterähnliche; eine andere Bezeichnung für sie ist: sie schlafen, nur von Zeit zu Zeit erwachen sie. Aber nicht nur Personen, auch Thiere und Sachen sind entrückbar, sie folgen der Person, wie dem Gestorbenen Pferd, Waffen u. a. folgte, was ihm im Leben lieb und werth war.

Die Entrückung geschieht vorzugsweise gern in Berge, die zu bestimmten, altheiligen Zeiten sich öffnen und einzelnen Menschen Zutritt gestatten. In diesen BergenEs sind stets altheilige Götterberge, in welchen auch die Götter selbst zu wohnen lieben. zeigt sich solchen Bevorzugten eine neue Wunderwelt, da herrscht meistens fröhliches, rühriges Leben, wie auf der Erde, nur dass Alles viel schöner und herrlicher erscheint; das göttliche Metall, das Gold, ist nebst dem Eisen der Waffen vorherrschend, aus ihm ist Alles gemacht, wenn es gleich den blöden Augen Sterblicher nicht danach aussieht. So entdeckte ein Schmied, der in den Hecken des Odenbergs nach einem Weissdorn zum Hammerstiel suchte, ein vorher nie wahrgenommenes Loch in dem Steingefälle, trat hinein und stand in einer neuen schönern Welt. Starke Männer kegelten da mit eisernen Kugeln, der Schmied schaute ihnen zu. Sie forderten ihn auf mitzuspielen was er ablehnte, weil die Eisenkugeln seinen Händen zu schwer wären. Die Männer blieben aber freundlich und sagten, er solle sich ein Geschenk wählen. Der Schmied bat um eine der Kugeln, trug sie heim und legte sie unter sein Eisengeräth. Als er sie nun später verschmieden wollte und rothgeglüht hatte, zersprang sie auf dem Ambos und jedes Stück war eitel Gold. In dem Luttenberg bei Bödeken in Westphalen wohnen die westphälischen Edeln (Helden), dort tafeln und trinken sie Tag und Nacht an langen Tischen, die unter der Last silberner Geräthe und köstlicher Speisen fast brechen, von zahlreichen Dienern bedient. Wenn ein neuer Gast von der Erde einkehrt, dann wird ihm ein prächtiger Sitz bereitet und alle empfangen ihn mit lautem Jubel. Auch steht da ein prächtiges Schloss mit herrlichen Sälen, deren Wände purpurne Teppiche schmücken.

An der Spitze der in solchen Bergen wohnenden Helden stehen die alten Fürsten und Könige, deren Rolle in späterer christlicher Zeit auf dem Volke besonders theure Könige überging, wie denn auch in den Liedern gefeierte Helden also entrückt sind. So finden wir von den Letzteren Siegfried und Dietrich von Bern unter den Entrückten, von Deutschlands Carl den Grossen und Otto den Grossen, Friedrich Barbarossa, Carl V., König Artus in weitverbreiteten Sagen genannt. Im Guckenberg bei Fränkisch Gemünden ist vor Zeiten ein Kaiser mit seinem ganzen Heer versunken, im Kiffhäuser wohnt nach einigen Kaiser Otto, nach andern Friedrich der Rothbart. Ein Schäfer, der auf dem Kiffhäuser weidete, sah eines Tages eine Fallthür, die er öffnete. Er stieg eine lange Treppe hinab und kam in einen hochgewölbten Saal. Da sass Kaiser Otto mit seinem langen rothen Bart an einem grossen steinernen Tisch und um ihn her sassen viele hundert Ritter und Schildknappen in voller Rüstung. Schüchtern blieb der Hirt am Fuss der Treppe stehen, doch der Kaiser winkte ihm freundlich und zeigte auf einen Haufen glühender Kohlen, der in einem Winkel lag, davon solle er sich nehmen, aber nicht zu wenig. Widerstrebend füllte der Schäfer seine Hirtentasche, denn er glaubte, der Kaiser wolle ihn zum Besten haben, dann verneigte er sich tief vor denn Kaiser, seinen Rittern und Knappen und stieg die Treppe wieder hinauf. Droben wollte er die Kohlen aus der Tasche schütten, aber er fand sie in gediegenes Gold verwandelt. Ein anderer Schäfer wurde in die Rüstkammer des Rothbart geführt und bekam den Fuss eines Handfasses geschenkt, den der Goldschmied für echtes Gold erkannte.

Fast alle, denen es gegönnt war, die alten Kaiser zu schauen, fanden sie schlafend. Mitunter erwacht der Kaiser und fragt den Eintretenden, ob die Raben noch um den Berg flögen? Auf die Bejahung der Frage erwiedert er: So muss ich hundert Jahre länger schlafen. Meistens trägt der Kaiser einen langen Bart und zwar wächst derselbe durch oder um den Tisch; zweimal ist er bereits herumgewachsen, wenn er das drittemal den Tisch umschlossen hat, dann wird der Kaiser erwachen und seinen Schild an einen laublosen dürren Baum hängen, davon wird der Baum grünen und eine bessere Zeit werden. Andere sagen, wenn der Bart zum drittenmal die letzte Tischecke erreicht habe, trete das Weltende ein. Das Walserfeld hat einen dürren Baum, der schon dreimal umgehauen wurde, seine Wurzel schlug immer wieder aus, dass ein vollkommener Baum daraus erwuchs. Wann er wieder beginnt zu grünen, dann naht die schreckliche Schlacht und wann er Früchte trägt, wird sie anheben. Der Kaiser hängt dann seinen Schild an den Baum, alles wird hinzulaufen und ein solches Blutbad sein, dass den Kriegern das Blut in die Schuhe rinnt, da werden die bösen von den guten Menschen erschlagen werden.

Diese letzte Schlacht ist die Weltschlacht, welche dem Weltuntergang vorher geht, dem Weltbrand, dessen Asche die neugrünende Erde entsteigt. Das Wachsen des Bartes in den Stein oder um den Stein drückt die lange Dauer der Vergangenheit oder den langsamen Fortschritt der Zukunft aus.

Wir erkannten bereits Holda als eine Berge bewohnende, in Berge entrückte Göttin. Gleich ihr sind es auch und vorzüglich weisse Frauen, weissgekleidete Jungfrauen, auf welche der Begriff dieser Bergverwünschung Anwendung leidet; göttliche oder halbgöttliche Wesen des Heidenthums, die den Blicken der Sterblichen noch zu bestimmter Zeit sichtbar werden. Sagen von ihnen leben fast auf allen Bergen Deutschlands, die eine Burg trugen oder noch tragen, eine anmuthiger wie die andere. Am liebsten erscheinen diese schönen Jungfrauen Schäfern und Hirtenknaben, die ihre Heerden in der Nähe der Burgen weiden. Sie sind alle ›schneeschlossenweiss‹ gekleidet, ein Merkmal ihrer Göttlichkeit und tragen in der Hand oder am Gürtel ein Bund Schlüssel, oft auch einen Strauss weisser oder blauer Blumen. Meist zeigen sie sich Mittags im Mai, wenn die Mai- und Schlüsselblumen und Vergissmeinnicht blühen, steigen vom Burgberg hernieder an den Brunnen oder den Bach im Thal, strählen und schlichten ihr schönes Haar, waschen sich in der frischen Flut und kehren zur Burg zurück. Mit wem sie zusammentreffen, den beschenken sie gleich Holda und Perahta mit scheinbar werthlosen Dingen, welche sich bei näherem Zusehen in Gold wandeln.

Alle sehnen sich nach Erlösung, gleich dem ungeduldig nach den Raben fragenden Kaiser. Wie bei diesem, so ist auch für sie die Erlösung in zweiter Reihe an einen Baum geknüpft, in erster an einen dreifachen Kuss von keuschen Jünglingslippen.oder auch an das Küssen eines neugebornen aber – und das zeugt wieder für das echtheidnische dieser Vorstellung – noch nicht getauften Kindes. Der Kuss wird jedoch dadurch erschwert, dass die Jungfrau ihre menschliche Gestalt abwirft und in der eines widerlichen Thieres, einer Schlange, Kröte, eines Drachen erscheint. Viele unternehmen das, aber keiner vollbringt es und jammernd sinken die Getäuschten wieder in ihre Berge zurück, denn nun müssen sie warten, bis ein schwaches Reis im Burghof ungestört und unabgehauen zu einem starken Baum herangewachsen ist, aus dessen Holz eine Wiege gemacht wird und der zuerst darin Geschaukelte seine Unschuld bewahrte, bis er die Jungfrau traf.

Mit dem in die Berghöhle entrückten Helden ist meistens ein ungeheurer Hort versenkt, den Schlangen, Drachen oder scheusliche Hunde hüten. Auch wer ihn heben will muss rein sein, denn an seine Hebung ist oft die Erlösung der weissen Jungfrauen geknüpft. Ferner muss es unberufen geschehen, es darf nicht dabei gesprochen werden, sonst versinkt der Schatz augenblicklich.

Die Sage fasst den Schatz einer Blume gleich auf. Er ist gleichsam in die Erde gesäet und rückt jedes Jahr der Oberfläche näher; wenn er sie fast erreicht hat, zeigt sich ein Flämmchen an der Erde, das heisst im Volke: der Schatz blüht. Ist er oben, liegt er bloss da, dann sagt man, er sei zeitig, versinkt er ungehoben, er verblühe. So bringt auch eine Blume in des Schatzes Besitz, sie sprengt die Wände der Berge, in denen er ruht, sie ist der Schlüssel zum Schatz. Solcher Blumen eine trägt daher ihren Namen Schlüsselblume. Der Beglückte findet sie zufällig und steckt sie auf seinen Hut, oder steckt sie vor oder trägt sie in der Hand, oder sie bleibt ihm in der Schuhschnalle hängen; jetzt sieht er plötzlich einen Eingang in den Berg, den er vorher nie gesehn. Er tritt ein und sieht Gold und Edelsteine und Reichthümer jeder Art die Hülle und Fülle; er legt den Hut ab, die Blume auf einen Tisch und fängt an, seine Taschen zu füllen. Als er schwer beladen sich wieder entfernen will, ruft eine Stimme: Vergiss des Beste nicht; er glaubt unter dem Besten sei diese oder jene Kostbarkeit gemeint, und nimmt mehr und mehr; als die Stimme abermals ruft, achtet er ihrer nicht mehr und geht; es war die höchste Zeit, hinter seiner Ferse schlägt die Thür des Berges zu und er findet sie nicht wieder, denn das Beste war die Wunderblume, deren eine davon ihren Namen Vergissmeinnicht trägt. Andere dieser Blumen sind purpurn, blau, weiss, einmal finde ich eine Lilie genannt.

Statt der Blume dient in andern Sagen eine Wurzel, die Springwurzel, so genannt, weil alle Schlösser vor ihr aufspringen. Wo sie zu finden ist, wo sie wächst, das wissen die Menschen nicht, wohl aber die geisterhaften, weisen Vögel, namentlich der Specht. Darum spündet man, sobald er Junge hat, sein Nest mit einem Keil zu und zwingt ihn so, die Wurzel zu holen. Er bringt sie im Schnabel und hält sie an den Keil, der alsbald, wie vom stärksten Schlag getrieben, herausspringt. Hat man sich nun versteckt und erhebt bei des Spechts Annäherung grossen Lärm, so lässt er die Wurzel fallen; auch breitet man ein weisses oder rothes Tuch unter dem Nest aus, er wirft dann die Wurzel darauf, nachdem er sie gebraucht hat, wie die zur Quelle ziehende Schlangenkönigin ihre Goldkrone auf das hingebreitete weisse Tuch legt.

Ein anderes Mittel, in die Erde entrückte Schätze aufzuspüren und zu erwerben, ist die Wünschelruthe, die Ruthe oder Gerte, durch die man in des Wunsches Besitz kommt, d. i. alles irdischen Heils theilhaftig wird. Die Gabe dieses Heils geht von dem allwaltenden Wuotan aus. Man nimmt dazu einen bei rechtem Mondschein geschnittenen gabelförmigen und dreifach zusammengewundenen jährigen Zweig einer Haselstaude, an dem kein Flecken altes Holz ist und der so steht, dass die auf- und untergehende Sonne durch die Gabel scheint. Sie zu brechen, geht man an einem Neuensonntag Morgens zwischen drei und vier Uhr stillschweigend zu der Staude, kehrt das Angesicht gegen Morgen, neigt sich dreimal vor der Ruthe und spricht: ›Gott segne dich edles Reis und Sommerzweig!‹ Darauf wird sie unter bestimmten Beschwörungen abgeschnitten und zwar meistens mit einem Schnitt, sonst taugt sie nicht. Beim Gebrauch wird sie mit beiden Enden gehalten, so dass der Stiel sich aufwärts kehrt; dann schlägt sie an, der Stiel dreht sich nach den Gegenständen, die sie anzeigen soll, bleibt ruhig, wenn keine vorhanden sind.


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