Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Helden.♦ Myth. 315. Die deutsche Heldensage von Wilh. Grimm. Göttingen 1829. Die deutsche Heldensage von Fr. J. Mone.

Zwischen Gott und dem Menschen besteht eine Stufe, auf der sich beide einander vermitteln, das göttliche Wesen den irdischen Dingen näher gerückt, die menschliche Kraft verklärt erscheint. Das Christenthum, welches nur auf die Kraft der Seele sein Auge richtet, nennt diese Stufe Heiligkeit, weil sie dem Allheiligen näher führt und näher steht; das Heidenthum, bei dem mehr die Leibesstärke, die in Kampf und Schlacht sich offenbarende Körperkraft in Anschlag kam, nannte sie Heldenthum. Der Heilige wie der Held streiten gegen das Böse, nur jener gegen das moralisch, dieser gegen das materiell auftretende Böse, und unsterbliche Thaten verrichtend gelangen sie zu ewigen Ehren, die sich bei den heidnischen Helden zu göttlichen steigern. Wie im Standesverhältnis der Edle zwischen dem König und Freien, so steht der Held zwischen den Göttern und den Menschen; aus den Edeln gehen Könige, aus den Helden Götter hervor, so jedoch, dass das Menschliche bei ihnen vorwaltend bleibt. In dem Helden erreicht der Mensch die Hälfte der Gottheit, er wird Halbgott, ist aber darum von Leiden, Wunden und Tod nicht frei, um so weniger, als selbst die Götter nicht von denselben befreit sind. Aber nicht allen Menschen, nicht allen Edeln ist es gegeben, sich zu dieser hohen Stufe empor zu schwingen. Sie vermögen dies der urältesten Ansicht nach nur in so fern, als göttliches Blut in ihren Adern rollt, d. h. als Nachkommen der Götter, als göttlichem Geschlecht entsprossene. An der Spitze der Stammtafeln unserer wie der griechischen Helden stehen Götter. Auch die äussere Erscheinung des Helden streift an das Göttliche; seine Gestalt ist durchgängig hoch und riesenhaft, er hat mehr Glieder als der gewöhnliche Mensch, oder auch weniger,der nordische Odhinn ist einäugig, Tyr einhändig, Hödhr blind u. s. w. und ein höherer, himmlischer Glanz leuchtet aus seinen Augen. Oft treten die Helden unansehnlich selbst verunstaltet in das Leben, das Licht der Augen, der Ton der Sprache fehlt ihnen, u. a. m. aber was ihnen so versagt scheint, das stellt sich plötzlich ein, es sinkt wie eine Hülle von ihnen herab und sie stehen da in dem ganzen Glanze ihrer übernatürlichen Kraft. Oder sie kommen gar nicht, wie andere zur Welt, ungeboren werden sie aus der Mutter Leib geschnitten und auf mannichfache Weise zu erhalten gesucht. Den als Kind ausgesetzten Helden säugen die Thiere des Waldes, die Vögel füttern ihn; die Götter senden diese ihre heiligen Thiere zu seiner Rettung ab und so wächst er heran. Aber nicht wie die Kinder der Menschen wachsen manche Helden, nicht langsam nach schleichenden Jahren. Wie den Göttern in himmlischer Ruhe die Zeit schneller flieht und sie ein anderes Maas für dieselbe haben, so auch der sich entwickelnde Held, dem Monate und Wochen das sind, was Jahre für uns. Und wie die Götter also seit der Geburt über ihm wachen, so weichen ihre schützenden Hände auch in spätern Jahren nicht von ihm. Er theilt mit ihnen die Gabe des Fluges, das Vogelhemd, die Tarnhaut, das Nebelgewand, welche ihn in Stunden der Gefahr plötzlich aus der Feinde Augen tragen; sie führen ihm ein Ross zu, welches von ihren göttlichen Rossen stammend wunderbare Gaben, so die der Sprache, besitzt. Zwar sterben manche Helden in der Blüthe ihres Lebens, doch erreichen andere dagegen ein hohes übermenschliches Alter. Jener Leben wird meistens gekürzt durch ihre Verbindung mit göttlichen Frauen, welche ihnen ihre Gunst schenken. Und wie hier wieder, so berühren sie sich endlich auch darin mit den Göttern, dass sie feste, bestimmte Sitze haben; wie den Göttern Berge heilig sind, so wohnen die Helden meist auf Bergen und Felsen, welche den Namen Stein führen, so der Eigelstein, Kriemhildenstein, Waskenstein u. a. m.

Die Stammtafel unseres Volkes eröffnet als Urahnherr nach Tacitus Tuisco, der erdgeborne Gott, dessen Sohn Mannus war, der erste der Helden, aller Menschen Vater. Er hatte drei Söhne Ingo, Isco und Irmino und von diesen stammen die drei Hauptstämme der Deutschen ab, nach ihnen heissen sie bei Tacitus Ingaevones, Iscaevones und Herminones. Ing, Ingo oder Inguio hat sich zulängst im Andenken der sächsischen und nordischen Stämme erhalten; von ihm singt das Runenlied, zuerst habe er sich bei den Ostdänen aufgehalten, dann sei er gen Osten über Meer gezogen, sein Wagen ihm nachgerollt. Die Iscaevonen wohnten in den Rheingegenden, wo ein nach dem Namen ihres Stammhelden genannter heiliger Sitz Asciburg lag. Die Herminonen, besser Irminonen, lebten mehr in der Mitte Deutschlands. Von dem Stammvater der Letztern Irmin ist der Held Armin wohl zu unterscheiden und wenn Tacitus meldet, dass der Letztere in Liedern gefeiert worden sei, so ist dies ein Misverständnis, da diese Lieder sich weniger auf den jüngern historischen Armin, als auf den alten mythischen Irmin bezogen.

Tacitus berichtet uns noch von weitern göttlichen Helden, deren Namen uns jedoch gleich weitern Nachrichten über sie verloren scheinen. So nennt er einen dem Hercules ähnlichen, dessen Lob man in den Schlachtgesängen anstimmte, dem ein Wald geheiligt war und Opfer sanken, einen andern, den er mit dem Ulysses gleichstellt und ein den römischen Castor und Pollux zu vergleichendes Brüderpaar von Helden, welche bei den Naharvalen in hoher Verehrung standen, die gleichwie jener erste einen heiligen Hain hatten. Nur mattes Licht fällt bis jetzt auf andere Heroenbilder, von denen die Gedichte des Mittelalters uns Spuren aufbewahrt haben, auf Skeáf, der als Knabe in einem Schifflein auf einer Garbe schlafend, von Waffen und Geschmeide umgeben ans Land trieb und der Angeln erster König wurde, auf Kipicho, dessen Namen uns die Gibichensteine bewahren. Klarer stehen einzelne Helden unserer deutschen Ilias da, am leuchtendsten aber deren Hauptheld, Siegfried, der Erwerber des Hortes der Nibelungen, dessen Uebermenschlichkeit uns in zahlreichen Zügen vor Augen tritt. Ihn erzieht keine menschliche Mutter, sondern ein Elbe, ihn liebt keine menschliche Jungfrau, sondern eine göttliche Walkyrie, ihn schützt kein menschlicher Panzer, sondern das verhärtete Blut des Drachen und der göttliche Helm, der unsichtbarmachende. Der Sieg war ihm in jedem Kampfe so gewiss, wie dem ihm gleich unnahbaren feuerathmenden Dieterich, nur die Tücke Hagens konnte ihm den Tod bringen. Sagengefeiert steht ferner Wieland da, der kunstreiche Schmied, der auf tückische Weise gefangen gehalten mit gelähmten Fusssehnen, mit ungelähmtem Arme sich das Fluggewand schmiedet, welches ihn, nachdem er furchtbare Rache genommen, durch die Lüfte trägt. Sein wie Siegfrieds Meister in der Schmiedekunst war Mîme, der kunstfertige und weise Held. Eigil der gewandte Bogenschütze, der den Apfel vom Haupte seines Sohnes schoss, war Wielands Bruder, gleich ihm und dem dritten Bruder einer Walkyrie Gemahl; Wittich, Wielands Sohn, Wate, der riesengrosse und riesenstarke, Hildebrand können wir hier nur andeutungsweise berühren.


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