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Zehntes Kapitel. Die Trennung.

Am nächsten Morgen bestieg Fürchtegott sein Roß schon bei Sonnenaufgang, nachdem er den wunderlichen Wanderern, die ihn so freundlich in der ihnen selbst nicht zugehörenden Hütte aufgenommen, ein reiches Geldgeschenk überreicht hatte. Für diese Freigebigkeit überhäuften sie den Scheidenden noch mit vielen Segenswünschen, und verhießen ihm abermals Glück, Reichthum und Ehre in überschwenglicher Menge.

Die Ungeduld, sein Schicksal möglichst bald entschieden zu sehen, trieb Fürchtegott zur Eile. Er ließ das Pferd ununterbrochen traben, selbst auf Wegstrecken, wo es gefährlich war, schnell zu reiten. So erreichte er die Wohnung seiner Eltern sehr früh am Tage, traf jedoch die ganze Familie schon in voller Thätigkeit.

Ammer war gerade ungewöhnlich heiter, was selten vorkam, in den letzten Monaten seit der Erwerbung Weltenburg's aber sich fast ganz bei ihm verloren hatte. Als er seines Sohnes ansichtig ward, öffnete er das Schiebfenster seines Cabinets, grüßte hinaus und sagte:

Nun, du bist heute wohl auch noch vor den Hühnern aufgestanden? Oder hast du vielleicht gar eine freie Nacht gemacht in irgend einer der verlornen Schenken um Ninive?

Fürchtegott's Wangen färbte ein höheres Roth, denn er mußte sich sagen, daß das erlebte Abenteuer einer Freinacht wohl gleich zu erachten sei. Da er jedoch nicht gewillt war, dies Zusammentreffen mit Zigeunern seinen Vater wissen zu lassen, versetzte er munter:

Guten Morgen, Vater, und viele Grüße von Herrn Wimmer. Er war noch arg verschlafen, als der Hufschlag meines Pferdes heute Morgen alle Herrnhuter aus ihren süßesten Träumen aufschreckte. Dennoch blieb er sich und seinem Charakter treu, denn lächelnd grüßte er mich und rief mir nach: »Gott und der Heiland mögen dich geleiten. Nimm Segens- und Liebesgrüße mit für den lieben Bruder und die junge Frau Schwester!« Das versprach ich dem frommen Manne und übergebe sie hiermit dir zu zeitgemäßer Weiterbeförderung.

Ammer lachte. Er schob das Fenster zu, indem er sagte: Spute dich und laß hören, was du sonst Neues erfahren hast. Die Mutter trägt den Kaffee auf. Ich rechne mir, eine gute Schaale mit fettem Rahm wirst du nach dem scharfen Morgenritt nicht verachten.

Die Sachen gehen vortrefflich, dachte Fürchtegott, einem der herbeikommenden Gehilfen das Pferd übergebend. Die kleine schwarze Hexe hat am Ende doch Recht mit ihren wunderlich klingenden Prophetenworten. Nun, Glück zu! Man muß das Eisen schmieden, so lange es heiß ist; an mir soll es gewiß nicht liegen, wenn die überseeische Speculation in grauen Nebeldunst zerrinnt.

Vertrauensvoller denn je zuvor trat er in's Wohnzimmer, wo er bereits Vater und Mutter nebst seinem Bruder Christlieb vorfand. Letzterer war am Abend vorher von Weltenburg gekommen, um wegen Bauangelegenheiten mit dem Vater Rücksprache zu nehmen. Gleich nach genossenem Frühstück wollte er auf seinen Inspectionsposten zurückkehren.

Wie schon oft zuvor setzte man sich jetzt an den viereckten Familientisch, der mit weißer Damastdecke überbreitet war und jene großen, rundlich geformten Tassen mit rothen Blümchen bemalt zeigte, die man damals liebte und deren Werth in der Güte des Materials, nicht in der äußern Form zu suchen war. Sie bestanden nämlich aus dem feinsten Meissener Porzellan.

Fürchtegott berichtete während des Frühstücks zuerst über Wimmer's Aufträge, die als rein kaufmännischer Act mit kurzen Worten sich erledigen ließen. Ammer nickte nur beifällig mit dem Kopfe und sprach dem beliebten Getränk mit bestem Appetit zu.

Nun, und was hatte der Herr Graf so Wichtiges mitzutheilen? fragte er jetzt, seine Sammetmütze mit rascher Handbewegung etwas mehr aus der Stirn schiebend. Das jetzt genau und ausführlich zu erfahren bin ich doch begierig. Habe die ganze Nacht von dem Herrn Grafen geträumt, und mich baß mit ihm gerungen, wie vordem Erzvater Jacob mit dem Herrn, also daß ich fast athemlos von der schweren Arbeit des Traumes erwachte, wie eben die Sonne im thauigen Gras sich spiegelte. Laß also hören!

Fürchtegott fühlte sein Herz stärker schlagen. Er wußte, daß die nächste Stunde einen Wendepunkt nicht bloß in seinem Leben, sondern in der ganzen Stellung der Familie Ammer bezeichnen werde. Indeß, schon darauf vorbereitet, war er entschlossen und im Voraus gegen jeden etwaigen Einwurf gewappnet.

Graf Alban hat mir eröffnet, begann Fürchtegott mit etwas unsicherem Tone, der indeß bald seine volle Festigkeit annahm, daß es nothwendig geworden ist zur Begründung unseres transatlantischen Credites, jenes ferne Land selbst zu besuchen

Wie! fiel ihm der Vater in's Wort, die eben zum Munde erhobene Tasse beinahe verschüttend. Nach Amerika, zu den wilden Indianern, zu den verruchten Menschenfressern soll ich reisen?

Fürchtegott lächelte so verschmitzt und überlegen, wie Wimmer zu lächeln pflegte, wenn er seiner Sache bereits gewiß war.

Das verlangt Graf Alban nicht, fuhr er fort. Aber ich sehe, du bist echauffirt, Vater, meine Mittheilung hat dich überrascht. Vielleicht wäre es dir lieber, zu erfahren, wie Graf Alban selbst darüber denkt. Ich habe einen Brief für dich von dem umsichtigen, vielgereisten und gelehrten Herrn erhalten.

Mit diesen Worten überreichte er das Schreiben des Grafen dem Vater.

Ammer betrachtete einige Augenblicke das gräfliche Siegel, seufzte tief auf und erbrach den Brief. Während des Lesens verdüsterten sich seine Züge immer mehr, die Stirn zeigte tiefe Runzeln, er schob die Mütze so weit nach hinten, daß sie über die Stuhllehne auf die Diele fiel und die Morgensonne, die freundlich durch die hellen Fenster leuchtete, das fast schneeweiße Haar des alten Mannes mit goldigem Schimmer überglänzte.

Als der Vater den Brief zu Ende gelesen hatte, legte er ihn offen vor sich auf den Tisch, klopfte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf die Schrift und sprach sein strenges Antlitz Fürchtegott zukehrend:

Weißt du, was da geschrieben steht?

Ich habe den Brief nicht gelesen, Vater, versetzte Fürchtegott; nach dem aber, was Graf Alban mir mündlich mitgetheilt hat, kann ich den Inhalt desselben errathen.

Bist du einverstanden mit dem Grafen?

Ich habe Grund, dies vermuthen zu dürfen.

Bedenke wohl, mein Sohn, sagte Ammer etwas milder, bedenke wohl, daß du nicht eher mit dem Grafen einverstanden sein kannst, als bis ich, dein Vater, meinen Consens, wie die Juristen sagen, zu diesem Abkommen gegeben habe.

Weßhalb, Vater?

Weil du mein Sohn bist, und der Sohn seinem Vater so lange unterthan ist, als er noch nicht selbstständig geworden.

Das weiß ich und daran hab ich auch gedacht, als Graf Alban mir eröffnete, mit welch großen Plänen er sich trägt. In vierzehn Tagen, wird Graf Alban dir geschrieben haben, muß Alles geordnet, ein unwiderruflicher Beschluß gefaßt sein. Von heute an gerechnet bin ich in zehn Tagen mündig, mithin nach unserm Landesgesetz selbstständig zu handeln befähigt. Deßhalb, lieber Vater, wirst du einsehen, daß ich durchaus keine Ursache hatte, die so ungemein vortheilhaften Vorschläge des Grafen kühl von der Hand zu weisen.

Ammer verstummte ob dieser Bestimmtheit seines Sohnes. Er sah bald ihn, bald Christlieb, bald Frau Anna an, als wolle er sich vergewissern, daß er sich wirklich noch unter den Seinigen befinde.

Und du könntest mich verlassen, lieber Sohn? sprach er jetzt mit bewegter Stimme, indem eine Thräne an seinen Wimpern perlte. Ich bin etwas hinfällig geworden die letzten Monate her. Die Sorgen haben mir arg zugesetzt, weil ich über zu viel meine Hand ausstrecken muß, damit mir es nicht verloren gehe und ich statt Ehre Schande davon trage. Für euch Kinder, nicht für mich habe ich gelebt und gearbeitet. Euch zu Gefallen bin ich mir selbst untreu geworden, habe gewagt oder Andere wagen lassen, und nun es zum Guten wie wir kurzsichtige Menschen meinen ausgeschlagen ist, nun ich mit Bangen und Zagen auf das Erworbene, Gewonnene blicke und nicht weiß, ob ich mich freuen oder darüber trauern soll: nun wolltest gerade du mich verlassen, der du doch mehr als deine Geschwister an dem Irdischen hängst?

Die Pflicht gebietet es, sagte Fürchtegott eisig kalt.

Die Pflicht gebietet dir, eine Stütze deines alten Vaters zu sein.

Gerade das werde ich, wenn ich die große Reise nach der neuen Welt antrete. Du kannst dich dazu nicht entschließen, das weiß ich, Christlieb hat keinen Trieb dazu, mir aber sagt's mein ahnendes Herz, daß ich dort in der Ferne mein Glück machen werde, daß ich reich begütert zurückkehre. Dann will ich dich mit allem Glanze dieser Welt umgeben, will dich pflegen und dich nie wieder verlassen, jetzt aber muß ich, oder ich bin ein verlorener Mensch!

Ein verlorener Mensch! wiederholte seufzend, die Hände faltend der alte Weber, fast bittend die Augen auf seinen Sohn richtend, dessen Gesicht vor innerer Bewegung stark geröthet war. OGott, gibt es denn Niemand, der im Stande ist, mir zu rathen! Christlieb, Mutter, so sagt ihm doch, daß er ganz sicher ein verlorener Mensch sein muß, wenn er der verführerischen Lockung nicht widersteht.

Frau Ammer umarmte Fürchtegott, mit ihrer milden Stimme ein leises: Bleibe bei uns! flüsternd. Christlieb ergriff die Hand des Bruders und sagte: Füge uns nicht so großes Herzeleid zu!

In diesem Moment ward die Zimmerthür geöffnet und Flora, blühend wie eine Rose, trat ein. Das fröhliche Lächeln, das ihre Lippen umspielte und der sicherste Herold ihres Glückes war, machte einem ängstlichen Zittern Platz, als sie die Gruppe am Tische erblickte.

Was geht hier vor? fragte sie bang, hastig zu ihrem Vater eilend, ihre Arme um seinen Nacken legend und sein weißes Haupthaar küssend. Dann auf Fürchtegott blickend, erhob sie warnend ihre kleine rechte Hand und sagte:

Bruder, Bruder, du hast böse Gedanken und willst dem Vater Gutes mit Bösem vergelten.

Gott segne dich, Florel! sagte Ammer, die Tochter zu sich niederziehend und sie küssend. Es ist gut, daß du kommst, Florel; sprich mit ihm, rede ihm in's Gewissen. Du hast eine gute Stimme, deine Worte sind immer durchsichtig wie Bergquellwasser. Was er mir verweigert, dir wird er's nicht abschlagen können!

Die Augen Flora's und Fürchtegott's begegneten sich jetzt. In den Blicken Beider lag eine Welt von Gedanken, Beide aber erkannten sich auch sogleich als starre Gegner.

Thu's nicht, Bruder! sagte Flora fest und ernst. Zwar weiß ich nicht genau, was du vorhast, aber ich lese es in deinen Augen, daß es sich mit der Liebe zu Gott und zu den Eltern nicht verträgt.

Er will nach Amerika gehen, um – um reich, übermenschlich reich und hintennach elend zu werden, sagte Ammer.

Das wirst du nicht thun, wenn der Vater nicht seine Einwilligung dazu gibt, meinte Flora.

Das werde ich thun, versetzte Fürchtegott mit eiserner Entschlossenheit. Herr Wimmer will es, Graf Alban hat mein Wort Beide bitten den Vater, unser Glück, das im ersten Aufkeimen begriffen ist, nicht eigensinnig zu zertreten. Soll ich kleinlicher Rücksichten wegen ein großes, herrliches Ziel aufgeben, oder, nur um recht gehorsam und kleinbürgerlich ehrbar zu erscheinen, der großen Welt mit ihrem Wagen und Ringen feig den Rücken kehren? Nimmermehr! Ich folge dem an mich ergangenen Rufe, und jetzt, noch in dieser Stunde soll es entschieden werden!

Fürchtegott machte sich aus der Umarmung der Mutter los und trat hart an den Stuhl des Vaters.

Laß mich in Frieden ziehen, Vater! sagte er. Es ist ein Ruf des Schicksals, der an mich ergeht. Ich muß ihm folgen, soll ich nicht feig, nicht undankbar erscheinen!

Ammer schüttelte verneinend das Haupt.

Du weigerst dich, Vater?

Ich befehle dir, bei mir zu bleiben, weil ich ein Recht dazu habe. Du bist nicht mündig, ich bin als Vater dein Vormund. Warte noch ein Jahr, dann magst du thun, was du für Recht hältst. Ich werde dich nicht hindern, wenn ich mich auch nicht deiner Handlungen sollte erfreuen und rühmen können.

Graf Alban hat mein Wort, Vater. Sein Brief muß es dir sagen. Das Schiff, das mich nach der neuen Welt hinübertragen soll, hat schon die halbe Ladung eingenommen. Es ist dem, es ist in zehn Tagen mein Eigenthum, das alsdann auf dem Wasser schwimmt. Kannst du mir wehren, dahin zu gehen, wo mein Eigenthum lagert?

Es ist vergängliches Gut, Fürchtegott! sprach Ammer. Wer an Vergängliches seine Seele hängt, wird in und mit dem Vergänglichen dereinst sich selbst verlieren. Hier, hier, an des Vaters Brust, hier ist zur Zeit deine Heimath!

Auch der Mensch ist vergänglich, sagte Fürchtegott schneidend kalt. Wohl dem, der bei Zeiten sich einen Palast von festem Stoffe baut, er braucht dann im Alter die Stürme nicht zu fürchten.

Du frevelst, Bruder! rief Flora.

Gedenke des alten, guten Wortes, sagte die Mutter: Bleibe im Lande und nähre dich redlich!

Fürchtegott lachte laut auf. Ja, Mutter, versetzte er, das heißt mit andern Worten: Ziehe die Kattunjacke wieder an, setze dich hinter den Webstuhl und handhabe den Schützen nach wie vor. Wer's kann, der mag es thun, ich bin dazu nicht geboren. Also gebt mir Freiheit, volle Freiheit, sonst bin ich genöthigt, sie mir selber zu nehmen.

Willst du davonlaufen? fragte Ammer. Ich lasse dich in die Zeitung rücken.

Das thust du nicht, weil du damit deinen ehrlichen Namen beflecken würdest. Gib mir lieber deinen Segen.

Ich kann nicht segnen, was ich als ein Unglück betrachten muß.

Ich bitte dich darum, Vater, flehentlich, auf den Knieen.

Und wirklich sank Fürchtegott vor dem Vater nieder und umschlang seine Kniee. Segne mich, Vater, denn so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich muß in die weite ferne Welt hinaus!

Ammer sah ernst auf den vor ihm knieenden Sohn herab. Wieder schüttelte er sein weißlockiges Haupt, seine Lippen zitterten, die Hände bebten, und indem Thränen des Schmerzes seine Augen verschleierten, sagte er fast tonlos:

Ich kann nicht. Mein Segenswort würde mich tödten.

Entschlossen stand Fürchtegott auf.

Bleibt es bei diesem Bescheid, Vater? sagte er, dessen Hand erfassend und krampfhaft drückend.

Ich war nie wankelmüthig, mein Sohn, das weißt du, versetzte Ammer. Bei mir hieß es immer: Ein Wort, ein Mann!

Es ist mir lieb, daß du mir damit den Weg zeigst, den ich gehen muß, erwiderte Fürchtegott. Daß mir ein gegebenes Wort höher steht, als dein gut gemeintes väterliches Bedenken, gerade das soll dir beweisen, daß ich dein ächter Sohn bin. Lebt wohl, Alle! Verdammt mich nicht, zürnt mir nicht! Ich verlasse ohne den Segen des Vaters das väterliche Haus, einen Fluch werdet ihr mir hoffentlich nicht als Zehrpfennig nachschleudern. Wenn wir uns dereinst wiedersehen, dann urtheilt ihr hoffentlich anders als heute. Lebt wohl, Gott schütze unser Haus und gebe uns seinen Frieden.

Der ungestüme Jüngling verließ das Zimmer, ehe Jemand ihn zu halten vermochte. Als Christlieb ihm nacheilen wollte, hielt der Angstruf Flora's ihn zurück. Der Vater sank, von convulsivischen Krämpfen geschüttelt, vom Stuhle, während die bläulichen Lippen flüsterten: So lieben die Kinder ihre Eltern!

Eine wohlthätige Ohnmacht umschattete den Geist des tief gebeugten Mannes. Als er nach einer halben Stunde wieder zu sich kam, erfuhr er, daß Fürchtegott auf seinem Pferde in wilder Hast davon gesprengt sei, und die vereinten Bitten Flora's und Christlieb's, den Vater doch jetzt nicht zu verlassen, nicht im Geringsten beachtet habe.


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