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Fünftes Kapitel. Der Versucher.

Sie kennen mich wohl nicht mehr, Herr Ammer? sagte der Fremde, seine große, das Gesicht fast ganz verhüllende Pelzkappe, die unter dem Kinn festgebunden war, lösend. Das macht, Sie haben zu lange keinen Proceß mehr geführt. Nochmals: guten Morgen!

Mein Gott, Sie sind es, Herr Advocat! erwiderte Ammer, indem er dem Ankömmlinge behilflich war, die schwere Wildschur abzunehmen. Was schafft mir das Vergnügen –

Vergnügen? unterbrach der Advocat den Weber, heiser auflachend. Vergnügen! Advocaten bringen, wenn sie ungerufen kommen, selten Vergnügen. Bring' Ihnen auch keins, Herr Ammer. Aber man muß sich Euch ins Gedächtniß rufen, sonst glaubt Ihr am Ende, wir existirten gar nicht mehr; der Teufel habe uns leibhaftig geholt, wie Ihr das im Stillen tausendmal gewünscht. O, ich kenne Euch – Goldmacher!

Ammer beherrschte sich mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft, dennoch sah man es seinen Mienen an, daß dieser unerwartete Besuch ihm wirklich kein Vergnügen bereitete. So freundlich er es vermochte, nöthigte er den Advocaten zum Niedersitzen, winkte seiner ihn schüchtern anblickenden Frau und gab ihr zu erkennen, daß sie sogleich für einen Imbiß sorgen solle.

Advocat Block war ein ebenso unentbehrlicher als gefürchteter Mann, die Hoffnung und der Schrecken aller Landleute. Bekannt als kenntnißreicher, routinirter und schlauer Rechtsanwalt, lief ihm Jeder, der einen Rechtshandel hatte, zu, und weil ihn Niemand gern als Gegner sah, war der Andrang Hilfesuchender bei dem berühmten Rechtsconsulenten so groß, daß er die Zahl seiner Clienten selbst kaum kannte. Obwohl Advocat Block in dem Rufe großer Gelehrsamkeit stand, traute ihm doch Keiner etwas Gutes zu. Der Landbewohner machte kein Hehl aus dieser seiner Meinung. Er sprach es offen aus, daß, wenn Dies oder Jenes ihm nicht gelingen wolle, er zu dem großen »Rechtsverdreher« gehen werde; der solle ihm wohl helfen, denn ihm und dem Bösen sei Alles möglich.

Die Persönlichkeit dieses Mannes, die schon einige Male die Lebenskreise Ammer's berührt, nicht aber dauernd beunruhigt hatte, machte einen unheimlichen, wo nicht widerlichen Eindruck. Block war sehr groß, hager und starkknochig; und lag es nun in seiner Natur überhaupt, oder war es Angewöhnung, oder endlich Ergebniß gründlicher Menschenverachtung: er zeigte sich als ein Mann, dem nichts heilig, nichts recht war. Allen bereit zu dienen, falls er klingenden Lohn erhielt, behandelte er Jeden mit gleicher Rauhheit. Reich und Arm, Vornehm und Gering, dem kalten Rechtsgelehrten gegenüber befanden sich Alle in derselben unangenehmen Lage.

Block war nahe an siebenzig, aber noch vollkommen rüstig. Sein Haupt war kahl, weßhalb er es im Zimmer stets mit einer sehr hohen schwarzen Sammetmütze bedeckte. Eine scharf gebogene Nase und nur ein Auge gaben seinen ohnehin markirten Zügen einen wahrhaft diabolischen Ausdruck, besonders wenn er lächelte. Das Auge war klein, lag tief im Kopfe, funkelte aber wie eine Kohle, oder richtiger, wie die Spitze eines geschliffenen Dolches. Ueber dem fehlenden Auge trug er zuweilen eine schwarze Binde, häufiger jedoch sah man ihn ohne dieselbe, was gerade nicht dazu beitrug, sein Aeußeres empfehlenswerther zu machen. Er hatte dies Auge schon in seinen Jünglingsjahren verloren, wie Einige behaupteten, bei einem Duell, nach der Aussage Anderer bei einem galanten Abenteuer. Verheirathet war Block nie gewesen; er mochte, wie er offen gestand, die Frauen nicht leiden und diese flohen den düstern, unheimlichen Mann, der ein wunderliches Vergnügen darin zu finden schien, nicht nur Allem, was Weib hieß, Furcht einzuflößen, sondern jeder Frau, jedem Mädchen, gleichviel ob sie gebildet, hübsch und anmuthig waren, oder von Allem das Gegentheil, Sottisen in's Gesicht zu sagen.

Dieser Mann saß jetzt dem Weber gegenüber, die hohe schwarze Sammetmütze auf dem spitz zulaufenden Scheitel, sein einziges kleines, schwarzes Auge wie eine Klammer an das Gesicht des schlichten Landmanns heftend.

Ja, da bin ich, Webermeister! sprach er, nachdem er sich ein wenig verschnauft hatte oder, wie er zu sagen pflegte, nachdem er aufgethaut war, und was gebt Ihr nun wohl d'rum, wenn ich nicht da wäre?

Ei nun, mein sehr werther Herr Advocat und Freund, erwiderte Ammer, Sie werden doch wohl nicht gekommen sein, um mich aus dem Hause zu jagen?

Block kniff sein Auge halb zu, legte den Knopf seines spanischen Rohres, das er stets mit sich führte, an die Nase, und sagte:

Glaubt Ihr, daß man das nicht machen könnte, wenn man wollte? Hm, Kleinigkeit! Ich sage Euch, Webermeister, ein rechter Advocat, der das Recht kennt, muß den Herrgott absetzen und den Beelzebub an seine Stelle bringen können, ohne daß ihm Einer etwas anhaben darf!

Ich danke meinem Schöpfer, daß ich kein Advocat geworden bin, meinte Ammer, 's wär' kein Geschäft für mich.

Der Rechtsconsulent lachte in seiner diabolischen Weise, indem er erwiderte: Glaub's wohl, seid nicht gerieben, nicht geschliffen genug dazu! Aber sagt mir, Freund, was soll ich haben, wenn ich ein paar tausend Thaler oder, was dasselbe ist, eine hübsche Herrschaft für Euch erstehe?

Führt Sie das hieher? fragte Ammer ungläubig, denn er kannte die Schliche des gefährlichen Mannes, der gerade dann am meisten zu fürchten war, wenn er freundlich und zutraulich wurde.

Expreß deßhalb habe ich mir fast die Nase erfroren, betheuerte Block. Kostet Euch deßhalb auch zehn Thaler mehr, denn ich bin kein solch mildherziger Narr, daß ich aus Liebe einem Nebenmenschen etwas schenke, am wenigsten, wenn ich Unbequemlichkeiten bei einem Geschäft habe.

Der Weber rückte an seiner Mütze und die Zornader über der Nasenwurzel schwoll an.

Bitte um Entschuldigung, mein werther Herr Advocat, aber ich wollte nur bemerken, daß ich den sehr achtbaren Herrn Rechtsgelehrten nicht gerufen habe. Jedennoch wird man bezahlen, was Rechtens ist, denn der Webermeister Ammer nimmt nichts geschenkt, am wenigsten vom – vom –

Von des Teufels Buchhalter, ergänzte Block, laut auflachend. Sagt's immer gerad' heraus, ich kenn' Euch schon. Verschluckt Ihr solch ein allerliebstes Compliment, so schlägt's in's Blut, Ihr könnt krank werden, und was der Arzt einstreicht, wird dem Anwalt abgezwackt. Also immer seid grob, so sehr Ihr wollt. Nehm's nicht übel, Ihr müßt nur für jede Grobheit mehr bezahlen.

Er lachte noch lauter wie zuvor, und es schien, als weide er sich an der Verlegenheit des Webers, der gern wirklich grob geworden wäre, und es doch nicht wagte, theils aus Furcht vor dem Advocaten und dessen Praktiken, theils weil ihn jeder Groschen reute, den er dem schrecklichen Menschen geben sollte. Ammer drehte das Käppchen, zupfte an seiner Jacke, fing aus Verlegenheit eine Fliege von den wenigen, die sich im warmen Zimmer erhalten hatten, und setzte sich dann dem Advocaten wieder gegenüber.

Nun bin ich alert, sagte er rasch und etwas heftig. Ich hab's verschluckt, wie sauer Bier, und 's soll mir nichts thun, mein werther Herr Rechtsconsulent, Ihnen zum Tort! Geben Sie jetzt Ihrem Herzen einen Stoß und stellen Sie mir alle Ihre Pfiffe auf den Tisch, damit ich sehe mit eigenen Augen und nicht wie ein Mangelpferd dumm und dusselig im Kreise herumtrabe. Ist's gefällig?

Block reichte dem Weber die Hand.

So ist's Recht, sagte er. Wer nicht betrogen sein will, muß seinen Zorn auslassen, bevor er unterhandelt. – Webermeister, fuhr er fort und beugte sich mit halbem Leibe über den Tisch, was haltet Ihr von Kaufmann Mirus?

Bei dieser Frage kniff er sein stechendes Auge dergestalt zu, daß nur ein schmaler Spalt zwischen beiden Lidern blieb.

Mirus ist ein Ehrenmann, sagte Ammer. Ich kenne ihn, so lange ich handthiere – hat mich nie weder übervortheilt, noch mit Zahlungen hingehalten.

Aber ist doch reicher geworden, als Ihr.

Schadet mir das? Ich bin mit dem zufrieden, was Gott mir gegeben. Ginge es allen Menschen so gut, wie mir, es gäbe kein Elend, kein Unglück auf Erden!

Ihr spracht nicht immer so, Webermeister, sagte der Advocat. Besitz mehrt das Glück und es ist durchaus nicht einerlei, ob ich oder mein Nachbar ein mehr oder minder großes Glück sich zueignet.

Wenn's mit Ehren geschehen kann, ist's allerdings nicht gleichgiltig, bemerkte Ammer.

Nun also! Hört mich denn, Ammer, und thut dann, was Ihr wollt. Ihr müßt wissen, daß ich mit dem Verkauf eines alten Hofes oder Schlosses – Ihr kennt ja die herrschaftlichen Schlösser hier herum – beauftragt bin. Der bisherige Besitzer, ein Graf von Y. hat sein ganzes Vermögen verpraßt oder, was in meinen Augen dasselbe ist, im Dienste großer Herren zugesetzt. Er muß, um nun leben zu können, das ganze inzwischen baufällig gewordene Rittergut verkaufen. Der Preis ist niedrig gestellt, so niedrig, daß ich am liebsten selbst mit zugriffe. Aber was soll ich mir unnütze Sorgen machen, da ich weder Weib noch Kind habe? Nun hat sich bis jetzt nur ein annehmbarer Käufer gemeldet, nämlich Kaufmann Mirus. Der Mann gefällt mir nicht ganz.

Warum nicht? fragte Ammer

Er ist ein Intriguant, ein Ränkemacher.

Ihnen gegenüber? – Entschuldigen Sie, mein hochgeehrter Herr Advocat, – in dieser Beziehung würde ich zu jeder Stunde vor Ihnen respectvoll meine Mütze tiefer gezogen haben, als vor Mirus.

Wirklich nahm auch Ammer sein Käppchen vor dem Advocaten ab und machte eine halb respectvolle, halb spöttische Verbeugung vor ihm.

Webermeister, Webermeister, versetzte Block mit drohend erhobenem Finger. Nehmt Euch in Acht! Indeß für diesmal soll Euch vergeben sein. Kurz und gut, Ammer, ich gönne dem Mirus das treffliche Rittergut nicht, denn er hat sich als Feind gegen mich betragen.

Für mich ist er ein Freund.

Weiß es, aber Ihr kennt doch das Sprichwort: Handel und Wandel leidet keine Freundschaft?

Wäre das Sprichwort wahr, so zerschlüg' ich noch heute all' meine Stühle!

Block lachte wieder. Gut, gut, Webermeister; ich will Euch nicht bekehren noch irre machen in Euren Ansichten, sagte er. Wenn sich aber ein vortheilhaftes Geschäft abschließen läßt, ohne daß man einen Freund offen übervortheilt, streitet das auch mit Euren Begriffen von Freundschaft?

Ich hab's nie versucht, meinte Ammer, und was ich nicht aus Erfahrung kenne, darüber maße ich mir nicht an, zu sprechen.

Block wurde nachdenklich. Er schwieg eine Weile und spielte mit seinem Stocke. Mittlerweile deckte Flora den Tisch, Frau Anna setzte Teller und Gläser auf und forderte dann von ihrem Gatten die Kellerschlüssel, um Wein zu holen. Als beide Männer wieder allein waren, sagte der Advocat:

Ich will euch klaren Wein einschenken, damit Ihr mich versteht. Dem Mirus gönn' ich das Rittergut nicht, wie ich schon bemerkte. Der Mann hat, wo ich ihm dienen wollte, einen kostbaren Proceß gegen mich gewonnen. Ich sage Euch, Ammer, es war wirklich eine rechte Herzensfreude für einen Mann, der die Rechte versteht, diese Schriften für und wider zu lesen, diese geschickten Einreden zu studiren, und so zu bemerken, wie nach und nach ein Haltpunkt nach dem andern morsch wird, bis endlich der ganze Bau zusammenbrach und Madame Justitia verbundenen Auges, aber recht pfiffig durch die Binde schielend, Platz auf den Trümmern nahm. Ich verlor, was ich voraus wußte, den Proceß. Das wär' mir gleichgiltig gewesen, hatte ich doch mein juristisches Gewissen salvirt; allein mein Client war zarterer Complexion. Der Mann zog sich die Sache zu Gemüthe, ward melancholisch und – schoß sich zuletzt eine Kugel durch den Kopf! – Ammer, ich bitt' Euch, könnt Ihr so etwas denken? – Sich eines verloren gegangenen Processes wegen zu erschießen! Wenn er vorher noch appellirt hätte! – 's ist Unsinn, purer Unsinn! Wie oft hätt' ich mich da schon wohl erschießen müssen! – Genug, der Mann war todt, mausetodt; seine Verhältnisse standen schlecht, ich ward nur bis zur Hälfte bezahlt! Und dabei verlor ich noch die Spesen der Appellation und den Clienten dazu! Versteht Ihr mich, Webermeister? Seit jenen Tagen hasse ich den Mirus, denn hätte er mich zu seinem Anwalt erkoren, wäre er ungleich besser gefahren. Die Seele hätte ich seinem Gegner aus dem Leibe gedrückt, lange zuvor, ehe er sie dem Teufel in einer Patrone zuschickte!

Das muß Ihnen Gott lassen, Herr Advocat, Sie sind wirklich ein Mann für diese Welt!

Ich glaub's auch. – Aber nun sagt selbst, Ammer, kann ich eine so offenbar feindliche Handlung gegen mich vergessen? Bei meiner Ehre, ich kann's nicht!

Begreifen kann ich's, mein sehr werther Herr Advocat, erwiderte Ammer, daß Sie aber dieses Vorganges wegen dem Kaufmann Mirus aufsäßig sind, ist mir weniger einleuchtend.

Sancta simplicitas! zu Deutsch: Schootentoffel! versetzte Block. Seht Ihr denn nicht ein, Meister, daß ich Euch wohl will?

Wenn mir nun nichts daran gelegen wäre? fragte der Weber. Der Advocat sah ihn kalt und spöttisch an; dann sagte er mit häßlichem Augenzwinkern:

Es ist Euch aber sehr viel daran gelegen, sonst – wißt Ihr noch die Geschichte mit den Grenzsteinen? Wer hat Euch da aus der Klemme geholfen?

Ammer ward bleich. Er streckte die Hand gegen den Advocaten aus und sagte tonlos, als ob es ihm an Athem fehle:

Still davon! Ich will nichts hören! – Es ist mein einziges Unrecht, das ich wissentlich begangen habe. – Wollte Gott, es wäre nie geschehen!

Ah bah! sprach Block verächtlich. Ihr bleibt doch der reiche Ammer und Jeremias Seltner ist froh, wenn er die Brosamen auflesen kann, die von Eurem Tische fallen. Der Eine steigt, der Andere fällt, das ist nicht anders im Leben.

Es mag häufig so sein, mein geehrter Herr Advocat, erwiderte Ammer, dennoch dank' ich meinem Schöpfer, daß ich mittelst dieses Fußschemels nicht gern hoch steigen will. Jenen Fall, dessen Sie gedachten, ausgenommen, bin ich niemals von meinen Grundsätzen abgewichen. Daß ich es einmal that, hat mir viel Herzeleid bereitet, jedennoch glaub' ich, der Fehler ist itzund wieder gut gemacht.

Biederer Schlaukopf! sagte Block, zum zweiten Male seinen Finger drohend erhebend. Wer kennt euch Webersleute aus! Eure Seelen sind tausenddrähtig, wie die Zettel eurer Weben.

Ammer war bereits wieder ganz Herr seiner Gefühle. Er stand jetzt auf, nahm sein Hausmützchen ab und deutete mit bezeichnender Handbewegung nach dem gedeckten Tische, wo ein leckeres Frühstück einladend duftete.

Ist's gefällig, Herr Advocat? sagte er. Bei einem Gläschen Wein läßt sich am Besten darüber einig werden, ob die Seele eines Webers oder eines Gelehrten die meisten Fäden hat, wenn schon man vielleicht nicht recht klug daraus wird, wo die besseren und wo die schlechteren sich finden mögen.

Block folgte unverweilt der Einladung Ammers, denn obgleich sein ganzes Wesen nicht einen Gourmand in ihm vermuthen ließ, war er doch auch kein Verächter einer guten Küche, besonders aber liebte er ein Glas guten Rheinwein, den der Weber, wie er aus Erfahrung wußte, in seinem Keller niemals ausgehen ließ.

Während der Advocat dem Weine tüchtig zusprach, verlor sich mehr und mehr die menschenfeindliche Stimmung, welche den eigentlichen Kern seines Wesens zu bilden schien, zugleich aber trat das wirklich Dämonische seines Charakters noch schärfer hervor. Ammer, ohnehin nicht gewöhnt, außer der gewohnten Zeit sich leiblichen Genüssen zu ergeben, war ungemein mäßig und leistete eigentlich seinem Gaste nur Gesellschaft.

Ich habe Euch jetzt von dem unterrichtet, Webermeister, was mich zu Euch führt. Entschließt Euch nun rasch und greift zu!

Herr Mirus ist ungleich besser bei Kasse, als ich und – und nehmen Sie mir's nicht übel, werther Herr Advocat, erzürnen mag ich mir den reichen Kaufmann nicht.

Zehntausend Thaler reichen hin, um Euch das Fünffache zu sichern!

Ich hab' sie nicht, auch wüßte ich wirklich nicht, was mir ein Rittergut sollte. Ich selbst verstehe nichts von Oekonomie und meine Kinder wissen auch kaum ein Haferfeld von einer Kleebrache zu unterscheiden.

Ihr könnt die Wirthschaft verpachten, Ammer, und nur die Gebäude für Euch behalten.

Soll ich in einem herrschaftlichen Hause vergeuden, was ich mir erarbeitet und erspart habe? Nimmer, Herr Advocat, so lange Ammer seine Gedanken noch beisammen hat!

Begehrt kein Mensch, Webermeister, erwiderte Block, sein leeres Weinglas füllend. Kommt, auf Euer und der Eurigen Wohl! Auf das Gedeihen Eurer Entwürfe, auf das Gelingen Eurer Unternehmungen! Angestoßen, daß es recht fröhlich klingt!

Ammer weigerte sich nicht. Die Gläser klangen; der Weber schlürfte nur einige Tropfen, der Advocat leerte das seinige bis auf den Grund. Abermals die Flasche ergreifend, sagte er:

Wer groß werden will, muß bei Zeiten daran denken, Güter zu erwerben.

Mein Streben ging nie dahin, meinte Ammer. Wer mich kennt, weiß, daß ich nicht hochmüthig bin, also auch nie über meinen Stand hinaus wollte.

Früher nicht, indeß –

Nun? fragte aufhorchend der Weber. Ich will nicht fürchten, daß ehrliche Leute jetzt eine andere Meinung von mir hegen.

Auch nicht ehrliche und kluge Leute? erwiderte Block, behaglich seinen Wein schlürfend.

Ich verstehe Sie nicht, sagte Ammer trocken.

Seit Ihr mit einem gemietheten Schiffe auf dem Meere herumschwimmt, ist's nicht mehr Ernst mit der Demuth des alten Webermeisters, sprach Block überaus pfiffig.

Ammer ballte die Faust. Daß er sie nicht auf den Tisch schlug, war Folge rascher Ueberlegung; denn hätte er es gethan, so würden Frau und Tochter sofort in's Zimmer gekommen sein, um zu erfahren, was die beiden Männer so heftig aufregen möge. Ammer stand nur auf, stützte seinen kräftigen Körper auf beide Arme und sagte mit zornbebender Stimme:

Welcher Schuft hat das dem Lügenohr der Welt zugeraunt? Sie kommen nicht mit gesunden Gliedmaßen aus meinem Hause, Advocat, wenn Sie sich weigern, mir das zu sagen.

Setzen sich der Herr Webermeister ruhig hin und hören zu, was man ihm mittheilen will, erwiderte mit eiserner Ruhe Advocat Block. Glaubt Ihr, was mehr denn zwei Menschen wissen, bleibe Geheimniß nur diesen zwei? Ich hätte Euch für klüger gehalten. Oder meint Ihr, ein tüchtiger Anwalt könne seinen Clienten dienen, wenn er nicht ihre Verhältnisse, ihre Wünsche und ihre Pläne kennt? Laßt Euch sagen, Mann der alten Ordnung: ich war letzthin in Herrnhut; da sprach ich Graf Alban – auch ein Client von mir – der freute sich über Euern zweiten Sohn, weil er so viel Talente zu einem Welthandelsmann habe. Versteht Ihr mich?

Ammer hatte sich gesetzt, er war erschüttert, als sei ihm ein Unglück begegnet.

Graf Alban! sagte er. Wo habe ich doch den Namen schon gehört? Oder bin ich ihm gar einmal begegnet?

Er ist einer von denen, die überall sind, ohne daß man ihre Gegenwart ahnt, fuhr der Advocat fort. Graf Alban weiß so ziemlich Alles, wenigstens Alles, was mit Herrnhut und Herrnhutern zusammenhängt. Daß Wimmer zu Euern besten Abnehmern gehört, ist landkundig, mithin erklärt sich die Verbreitung Eures vermeinten Geheimnisses ganz natürlich. Was schadet es auch, daß Andere darum wissen?

Es schadet nur mir allein, versetzte düster der Weber. Wie mich's damals schon reute, als ich stillschweigend meine Einwilligung dazu gab, wird mich's reuen, bis mein Auge bricht.

Webermeister, sagte Block, ich gebe Euch einen guten Rath: Geschehenes muß man vergessen, sonst wird die Last dessen, was uns drückt, zu groß und man bricht darunter zusammen.

Es ist das ein christlich verständiges Wort, was Sie da sagen, meinte Ammer. Käm's nicht aus dem Munde eines Mannes, der für gewöhnlich den alten Heiden mehr Verstand zuspricht, als den Aposteln des Herrn, könnte sich ein schlichter Mann wohl darnach richten.

Block kniff sein Auge fast ganz zu, indem er antwortete: Nun, so nehmt einmal an, ich wär' ein verkleideter Apostel. Ihr sollt wahrlich mehr Segen davon haben, als wenn Petrus selbst Euch zu seinem Schlüsselträger ernannt hätte! – Wie ist's? Wollt Ihr aus zehn fünfzig machen? In drei Monaten seid Ihr Erbherr auf Weltenburg.

Herr Advocat, ich bin wahrlich nicht bei Gelde!

Borgt! sagte Block. Webermeister Ammer findet überall Credit.

Ich mag nicht. Credit ist eine spanische Fliege auf der Wade. Sie hindert am Gehen.

So spielt in's Teufels Namen! fuhr der Advocat auf, dessen Geduld sich an dem Hartkopf des Webers bereits wund gestoßen hatte.

Ich hasse das Spiel, eben weil der Teufel mehr als Gott dabei zu thun hat.

Habt Ihr nie gespielt?

O ja, Sauball, als ich noch ein dummer Junge war, und nicht wußte, wie ich Zeit und Gedanken todt schlagen sollte. Seit mich aber mein Schöpfer begnadigt hat, männlich zu denken und zu prüfen, seitdem sind Karten und Würfel und sonstiges Spielzeug erwachsener Thoren aus meinem Hause verbannt. Nicht einmal 's Tricktrack mag ich leiden, weil meine Tochter sich einmal dabei erzürnt hat.

Block mußte über die Ernsthaftigkeit des Webers lächeln, doch bemühte er sich ernsthaft zu bleiben.

So laßt denn Eure Söhne spielen, sagte er. Jugend wagt gern, Jugend hat auch Glück. Inzwischen bin ich Euer Banquier. Schlagt ein, Webermeister!

Ammer trank hastig sein Glas aus, verließ seinen Sitz und ging unruhig im Zimmer umher. Bald rieb er sich die Hände, bald steckte er sie in die Seitentasche seiner Jacke, bald legte er sie auf den Rücken. Es war offenbar, in dem Herzen des Mannes hatten die Worte Block's einen Kampf entzündet, der den Weber um seine ganze Gelassenheit, um allen innern Frieden brachte. Der Advocat war genug Menschenkenner, um zu wissen, daß eine Störung des in sich Zerfallenen in diesem Augenblicke ihn um alle Früchte seines Mühens bringen könne. Er ließ daher den Weber ruhig auf ab wandeln; nur manchmal sandte er einen Blitz seines scharfen Auges auf den mit hundertfachem Netz Umgarnten, während er mit trefflichem Appetite dem goldgelben Honig zusprach, den Frau Anna zum Nachtisch aufgetragen hatte. Jetzt hemmte Ammer seine Schritte, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen der Webstühle, verschlang seine Arme über der Brust und sagte:

Als ich noch jung war, träumte mir, der Versucher trat zu mir, wie er es gethan hat mit unserm Erlöser. Er zeigte mir auch viele Herrlichkeiten, verhieß mir unermeßliche Reichthümer, zauberte mit einfacher Handbewegung prachtvolle Schlösser vor meinen staunenden Augen, und träufelte dabei Worte süßen Giftes in mein Ohr. Ich hörte ihm gerne zu, und mußte es auch, denn mein Fuß war gleichsam festgewurzelt an der Erdscholle, auf der wir standen. Je länger aber der Versucher sprach und je kunstvoller und berückender seine Zaubereien sich gestalteten, desto öder ward es in mir. Mein Herz schrumpfte zusammen – ich sah und fühlte es – es ward immer kleiner, immer härter, bis es in einen Stein verwandelt war, der mich entsetzlich drückte. Ich konnte nicht mehr lachen, nicht mehr weinen; ich hatte alles Gefühl verloren, aber glücklich war ich dabei nicht. Wie der Versucher so zu mir sprach und ich ihm zuhörte, sah ich gegenüber am Horizont meine eigene Gestalt wie in einem Spiegel. Ich erschrak vor diesem meinem Spiegelbilde. Es glich einem Menschen, dessen Körper tausend Dämonen zur Hülle dient, der von Furien gepeinigt, entfliehen will, es jedoch nicht kann, weil alle seine Gliedmaßen mit massiven Goldadern durchflochten sind, die ihm jede Bewegung unmöglich machen. Beim Erblicken dieses Bildes erschrak ich vor mir selbst. Ich stieß einen Schrei aus, der wie: Jesus! klang. Da wich der Versucher von mir, denn ich erwachte.

Ammer richtete sich auf und trat einige Schritte gegen den Advocaten vor.

Das war ein Traum, fuhr er fort, ein böser und dummer Traum zugleich, ich weiß es. Es kann Niemand vom Teufel versucht werden, es sei denn, daß er ihm zuwinke mit Gebehrden oder mit unlautern Gedanken. Allein man soll auch Niemand, der da auf rechtem Wege wandelt oder gern wandeln möchte, Fußangeln legen, daß er gezwungen wird, auszubeugen! So stark ist kein Mensch, daß er immer unverwandt auf ein Ziel zusteuert. Er blickt sich, wird er gerufen, wohl einmal um, und geschieht das zur Unzeit, so kann ein Schlund sich vor ihm aufthun, der ihn rechts oder links in die Irre abzieht!

Als hier der Weber schwieg und nachdenklich vor sich nieder sah, sprach Advocat Block:

Ihr seid Euer eigener Herr, Weber. Thut also, was Ihr wollt, nur sucht bei mir nicht Hilfe, wenn Ihr einmal um Rath verlegen seid! Es ist meines Amtes, Leuten, welche das Recht nicht kennen, Rath zu ertheilen, mit dem Versuchen habe ich mich, weil das in's Bekehrungsfach, wenn auch im entgegengesetzten Sinne schlägt, niemals abgegeben.

Mich will bedünken, fuhr Ammer fort, ohne seine Stellung zu verändern, die Zeit meines irdischen Glückes, das ich stets in einem ruhigen Gewissen fand, geht zu Ende. Es mag ein Schicksal sein oder auch eine Strafe. Beides käme von Gott, und dann müßt' es ja ertragen, ja mit Dank angenommen werden. – Sonderbar! – Sonderbar! – Kommt erst der Wimmer und schwatzt mir ein Schiff auf und jetzt kommt mein Rechtsfreund und – und – nein, ich will's nicht denken!

Ammer schlug die Hände über sein Gesicht, ging nach dem mit buntgewürfeltem Kattun überzogenen Kanapee und warf sich ermattet darauf nieder. Jetzt stand der Advocat auf, stellte sich neben den Weber und sagte:

Seid Ihr doch merkwürdig schwer von Begriffen! – Hab' ich verlangt, daß Ihr etwas beginnen, unternehmen, thun sollt, was Euern Neigungen und Vorurtheilen zuwider ist? Wär's aber nicht Thorheit, die Jugend genau eben so zustutzen zu wollen, wie wir gerathen sind? – Andere Zeiten, andere Sitten, Freund Ammer! Und, muß man hinzusetzen: andere Bildung, andere Bedürfnisse! Was uns gefiel, es behagt unsern Kindern nicht; was diese erfreute, wird deren Kindern dereinst albern, geschmacklos erscheinen. Wehrt also ja nicht den Kindern, daß sie thun, wozu Lust und Neigung sie treiben! Auf Weltenburg lassen sich die schönsten Fabriken anlegen, denn es hat Wasser die Fülle!

Und ich habe doch nie gespielt! sagte Ammer vor sich hin.

Drum eben überlaßt es Euern Söhnen.

Meinen Kindern! – Er stand wieder auf und ergriff den Arm des Advocaten.

Sehen Sie sich um in dieser Stube, sagte er mit bewegter, schneller, aber gedämpfter Stimme. Es ist schon viel geschehen in diesem kleinen, niedrigen Raume, – viel Gutes, auch einiges Böse. – Damals, als wir den Plan ausheckten dort am Tische, war er gerade auch so gedeckt; es war auch Winter, aber es fror nicht – drum ließ sich die Arbeit leicht verrichten, und das Waldstück fiel mir bei dem Aufrichten der Steine zu, trotz Proceß und alter Papiere! – Jetzt, mein werther Herr, jetzt ist's nichts Unrechtes, was Sie mir vorschlagen, – nur einen Fingerzeig wollen Sie mir geben, um groß zu werden. Tausende griffen zu, weil's verführerisch, weil's fast sicher ist. – Ich mag es nicht, um meiner Jungen willen! Der Fürchtegott, wenn er etwas erfährt, ist nicht mehr zu bändigen. Sein Gehirn ist jetzt schon ein Feuerbrand geworden, der ihm die Freuden der Jugend verkohlt! Wird er mündig, kann ich ihn nicht mehr halten! – Davon läuft er mir, – meine Augen sehen ihn nicht wieder; und ob ich die zitternden Hände bittend nach ihm ausstrecke, damit er mich stütze im Alter, wenn die Last der Jahre mich niederdrücken will: er wird nicht zurückkommen, ich weiß es! – Und mein Christlieb? Der wird fremder Leute Raub, weil er gutmüthig und nicht selbstständig genug ist! Die Florel aber geht dereinst die Wege, die der Herr dem Weibe vorgezeichnet hat! – – Sehen Sie, Advocat Block, das ist die Zukunft, die jetzt vor meinem Auge steht! Das ist die Hölle des Glückes, in die ich mich stürze, wenn ich meinen Gedanken nicht Zügel anlege! Das sind die Verführer, die rund um mich aus jedem Dielenspalt aufsteigen und mich fortreißen in ihre Kreiseltänze! – Ach, Ammer im Rohr, wie die Leute mich nennen, wenn sie einen Glücklichen bezeichnen wollen, ist ein armer Mann geworden, obwohl er zu leben hat und nicht zu fragen braucht, wenn der Engel des Schlafes seine Augenlider berührt: Was werden wir essen, was werden wir trinken am morgenden Tage?

Hätte der alte Weber in diesem Augenblicke das Antlitz des Advocaten gesehen, er würde ihm schwerlich seinen Arm gelassen und es geduldet haben, daß er ihm freundlich, ja mit einer gewissen Herzlichkeit die Hand drücke.

Nicht so, lieber Meister, sagte Block, der seines Sieges gewiß zu sein glaubte. Noch einmal sei es ausgesprochen: laßt die Vergangenheit ruhen und denkt der Zukunft! Versteht die Zeit, und Ihr seid der Baumeister und Erhalter Eures Glückes! – Eure Hand darauf, daß ich für Euch handeln darf!

Ammer zog seinen Arm zurück.

Der Boden wankt unter meinen Füßen, Advocat, sprach er, wenn er bricht, – zermalmt er nicht allein mich, es wird mein ganzes Geschlecht und gar Mancher noch mit dazu vernichtet!

Ich will mit Euch zu Grunde gehen und mit Euch mich der Erfolge Eurer Kinder freuen!

Ammer blieb nachdenkend stehen, er war bleich, fast eingefallen vor innerer Aufregung.

Wenn's der Zufall mir brächte, sagte er, es könnte sein, ich spräch ein Dankgebet und noch ein Vaterunser dazu; selber will ich nichts thun, keinen Finger krümmen!

Laßt mich also handeln für Euch, in Euerm Namen, Webermeister, drängte der Advocat.

Nie und nimmer. Alles, was ich verspreche, ist: Ich will nichts dagegen thun – meiner Kinder wegen.

Gebt Ihr mir darauf Eure Hand? fragte Block.

Das kann ich, versetzte Ammer, denn es verpflichtet mich zu nichts, und ich selbst bin nicht thätig. Ein Stein, der gewälzt wird, muß da liegen bleiben, wohin andere Kräfte ihn schaffen.

Im nächsten Moment fühlte der Weber die Hand des Advocaten in der seinen.

Ich dank' Euch, Webermeister! Und nochmals: denkt an die Kinder, wenn die Welt und ihr Lauf euch ärgerlich machen wollen!

Ammern überrieselte es kalt, als er in das Auge des Advocaten sah. Dennoch ließ er ihm seine Hand. Das Schellengeläut des wieder vorfahrenden Schlittens, welcher den Rechtsanwalt abholen sollte, endigte das Gespräch. Frau Anna trat ein. Sie sah besorgt aus; ihre Augen suchten in dem Antlitze ihres Gatten zu lesen.

Es ist hohe Zeit, daß ich aufbreche, sagte Block. Schon über Mittag und um zwei Uhr habe ich Clienten zu mir bestellt!

Er nahm seine hohe Sammtmütze ab, setzte die Pelzkappe auf, hüllte sich wieder in seine Wildschur und trat, von dem Weber und dessen Frau begleitet, hinaus in den knisternden Schnee. Als er schon den Schlitten bestiegen hatte, zog er noch einmal die Handschuh ab:

Es bleibt also dabei, Webermeister?

Es bleibt dabei! Ammer fühlte seine Schulter von einem warnenden Finger berührt. Ein Seitenblick zeigte ihm das bange, angstvolle Gesicht seiner Gattin.

Nochmals Eure Hand!

Ammer, thu's nicht! flüsterte Anna ihm zu. Die Hand des Webers lag schon in der des Advocaten. Dieser hüllte sich dichter in seinen Pelz, die Peitsche knallte und unter ohrbetäubendem Schellengeläut flog der Schlitten zwischen mannshohen Schneemauern die Gasse hinunter.


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