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Viertes Kapitel. Ein Abkommen unter Freunden.

Drei volle Stunden schon war der Herrnhuter bei dem Weber und noch immer schien ihr Gespräch nicht endigen zu wollen. Flora mußte für die beiden Männer besonders Kaffee bereiten und ihn in des Vaters Stübchen bringen. Sie bemerkte dabei, daß Wimmer noch freundlicher als gewöhnlich aussah, der Vater aber sehr aufgeregt war, ohne doch erzürnt zu sein. Er lachte sogar recht herzlich, als sie ihr Pathe scherzend umarmte und sie wiederholt schmeichelnd in die frischen Wangen kniff.

Das hat 'was zu bedeuten, raunte sie den Brüdern zu, die zu ihrem größten Verdruß die Arbeit nicht verlassen durften, wenn sie den strengen Vater nicht gewaltig aufbringen wollten.

Wir erlauben uns, die Unterredung der beiden Freunde zu belauschen, da die Zukunft unserer jungen Bekannten von ihr abhängig sein wird.

Ich habe dir jetzt ein Bild meines kaufmännischen Lebens und Wirkens entworfen, lieber Bruder, schloß Herr Wimmer eine längere Auseinandersetzung, die er seinem Freunde schuldig zu sein glaubte. Du kennst mich hoffentlich als einen wahrheitsliebenden Mann und wirst also keine Zweifel in solche Worte setzen. Ich wiederhole schließlich, die Zeit ist günstig, günstiger denn je, und wenn du mir vertrauen willst, muß mein Plan gelingen.

Aber Freund, fiel Ammer ein, bedenke nur, daß ich ein schlichter Weber bin und gar keinen Begriff von solch ausgedehntem Handel habe!

Das verschlägt nichts, lieber Bruder, erwiderte Wimmer, behaglich eine Schaale Kaffee schlürfend. Meine Hand ist deine Hand, du brauchst nur Ja zu sagen und das Geschäft ist so gut wie abgemacht. Ich verlange keine Weitläuftigkeiten, keine Schreibereien. Ein einfacher Handschlag sei uns Mannesunterschrift und Siegel. Zögere nicht länger, lieber Bruder!

Es kommt mir zu geschwind, Wimmer, bei meiner Ehre! Ich bin ängstlich, hab' mich immer nur an das Nächste gehalten. Und dann – wenn's doch mißglückte!

Unnütze Furcht, es kann nicht mißglücken, sagte der Herrnhuter. Wie ich dir's auseinandergesetzt habe, so ist's. Wozu denn Fremde mit Gewalt bereichern, wenn man's ehrlich und redlich den Seinen zuwenden kann? Ich bevortheile Niemand, wenn ich meine Pflicht thue, meine Thätigkeit erweitere. – Sieh, lieber Bruder, der Handel ist wie eine Geliebte; man muß schön mit ihr thun, wenn man sie fesseln will, sonst kommt über Nacht ein Anderer und schnappt sie uns vor dem Munde weg.

Wimmer! rief der Weber ungewöhnlich ernst. Wozu das? Du kannst mich damit nur abschrecken.

Der Herrnhuter lächelte wieder und klopfte mit der Reitpeitsche seine Stulpenstiefeln.

Es sollte keine Anspielung sein, lieber Bruder, erwiderte er, das Gleichniß kam mir unwillkürlich auf die Zunge. Schlag' ein, Ammer!

Hand weg – ich kann nicht!

Ammer! sagte der Herrnhuter. Ich war nicht viel mehr als ein Bettler, als ich zu den Brüdern trat und mein Glück im Handel zu versuchen beschloß. Du halfst mir großmüthig auf – seitdem sind an zwanzig Jahre vergangen und ich kann mich ohne Prahlerei einen reichen Mann nennen. Was hat mich dazu gemacht? Der Handel mit Linnen, mit von dir gewebten Linnen! – Du webst für fünf und mehr Häuser drinnen in der Stadt und ich kann dir die Versicherung geben, daß ihre Besitzer sammt und sonders Hunderttausende im Vermögen haben. Der Leinewandhandel nach Amerika hat diese Ströme von Gold ihnen spielend zugeführt! – Ich sage nun, lieber Bruder, die Zeit ist günstig, die Constellationen des Handels sind so, daß jetzt nur zu gewinnen, unter keinen Umständen zu verlieren ist. Ein mäßiges Capital reicht für den Anfang hin – du kannst es dran wagen, Ammer, du brauchst nicht ängstlich zu zählen. Thu's also und deine Söhne werden dir's noch danken im Grabe!

Ich will als Weber sterben, sagte Ammer.

Trotzkopf! Unverbesserlicher, starrsinniger Alltagsmensch! rief ärgerlich der Herrnhuter.

Schimpfe mich, wie du willst, es läuft schnurstracks gegen meine Grundsätze, erwiderte Ammer, und überdies habe ich nun einmal keine Neigung dazu.

Ein guter Vater, lieber Bruder, sorgt nicht bloß für sich, sondern auch für seine Kinder.

Sie haben zu leben, wenn sie wirthschaften lernen. Ich und Anna, wir sind keine Verschwender.

Aber deine Söhne werden im Leben keine guten Weber.

Das wäre der Teufel! fuhr Ammer auf. Sie haben's Handwerk gelernt bei mir, ja von mir selber von Grund aus, und Beide machen dir eine Leinwand, an der auch der ärgste Tadler kein Unthätel finden kann.

Mag sein, erwiderte der Herrnhuter mit seinem stereotypen süßlichen Lächeln, das stets einen versteckten Hohn in sich schloß, den jedoch Ammer nicht bemerkte, dennoch wird keiner von Beiden ein Weber in deinem Sinne. Das sind geborene Kaufleute, Großhändler!

Ich will sie begroßhändlern! rief der Weber erbittert. Zu Leinenwebern habe ich sie erzogen und das werden sie auch bleiben, wenn der Versucher nicht zu ihnen tritt.

Lieber Bruder, wo der Geist treibt und sprudelt, bedarf's der Versuchung nicht, erwiderte Wimmer. Du bist blind, wenn du nicht siehst, was in deinen Söhnen vorgeht. Zumal der Fürchtegott ist kaum mehr zu bändigen. In dem Jungen, sag' ich dir, steckt ein Kaufmann größten Styls. Hältst du ihn zurück hinter'm Webstuhle, so bleibt er nur so lange er muß, das heißt bis zu seiner Mündigkeit. Dann läuft er dir eines schönen Tages davon und versucht sein Glück auf eigene Faust, und durch kommt er, wenn auch mit Noth und Mühe, unter Seufzen und Klagen. Der Christlieb bleibt wohl sitzen, wo du ihn hinweisest, aber ein Weber in deinem Sinne wird er doch auch nicht. Christlieb ist ein Fabrikant, Fürchtegott ein Kaufmann – laß beide Kräfte vereint wirken und deine Nachkommen müssen einen Namen gewinnen, der sich vor den weiland Fuggern nicht zu schämen braucht.

Ammer durchschritt einigemal unruhig den beschränkten Raum des engen Stübchens, wiederholt sein Käppchen bald rechts, bald links schiebend, wie er stets zu thun pflegte, wenn er innerlich bewegt oder verdrießlich war.

Ich glaube gar, du möchtest die Jungen zu Grafen machen, platzte er brummend heraus.

Wenn sie's verdienten, hätte ich nichts dagegen, lieber Bruder. Einstweilen begnüge ich mich, den Einen zu einem unternehmenden Fabrikanten, den Andern zu einem Kaufmanne, aber wie gesagt, in größtem Style, zu erziehen.

Ha, ha, ha! lachte der Weber. Du müßtest schon ein firmer Schulmeister sein, wenn du das zu Stande brächtest! Beide können nichts weiter, als was ein ordentlicher Dorfjunge lernen und wissen muß, will er ein guter Christ und wackerer Hausvater werden.

Deine Söhne sind jung, haben gute Köpfe und können mithin noch viel lernen, wenn sie nur in die rechte Schule kommen.

Ganz gut, versetzte Ammer, aber weißt du, Freund Wimmer, daß so 'was Geld, viel Geld kostet, und daß Dorfkinder, wenn sie auf Stadtmanier gescheidt gemacht werden, zu guter Letzt die Nase über ihre eigenen Eltern rümpfen! Gott verdoppele mich! Hätte ich so einen hochnäsigen Rangen im Hause, ich bäumte ihn auf der großen Mangel auf und ließ ihn so lange hin und her laufen unter'm Kasten, bis er weich wäre wie eine gewaschene Leinewand.

Gar so arg würdest du ihm doch nicht mitspielen, lieber Bruder, erwiderte der Herrnhuter. So viel ich sehen kann, sind deine Söhne ein paar brave, gutherzige Jungen. Zum Hochmuth scheinen sie mir nicht hinzuneigen, aber ein Talent für's Erwerben und das Erworbene zusammen zu halten, es geschickt zu benutzen, um es in's Unendliche zu mehren, besitzen Beide. Solche Charaktere sind dankbar für alles Gute, das man ihnen erweis't, und kommt's vom eigenen Vater, so werden sie ihn auf den Händen tragen.

Angenommen, dem wäre so, entgegnete Ammer, kannst du mir auch Brief und Siegel geben über ihr dereinstiges Wohl, über ihre und ihrer etwaigen Kinder spätere Zukunft?

Lieber Bruder, wir stehen Alle in Gottes Hand. So wir ihm dienen und nach seinen Worten thun, wird er uns beschützen immerdar!

Verfalle nicht in's Predigtwesen; ich mag's an Leuten, die andere Geschäfte treiben, nicht gern leiden, erwiderte Ammer. Die Bibel ist ein Buch, vor dem ich grausam großen Respect habe, und was Christus lehrt, wird ewige Wahrheit bleiben bis zum jüngsten Tage; jedennoch muß sich der Mensch tüchtig zusammen nehmen und fleißig in sich hineinschauen, wenn sein Thun auch seinen Reden jederzeit entsprechen soll. Wir sind aber schwach unterweilen, auch wenn wir uns für stark halten, am meisten dann, wenn uns der Herr mit zeitlichen Gütern reichlich gesegnet hat. Reichthum an sich schon macht übermüthig, kommt aber noch vornehme Bildung dazu, so wird leichtlich sündhafter Hochmuth daraus, was in meinen Augen ein schandbares Laster ist. Nun sag', Freund Wimmer, wenn nun meine Kinder oder meine Enkel in diesen schrecklichen Fehler verfielen, wenn sie hochmüthig, hart, unbarmherzig, verschwenderisch würden und als vornehme, reiche Sünder in der Welt lebten, wär' das ein Glück zu nennen? Müßte ich, der ich Schuld daran wäre, mich ob solcher Schmach nicht noch im Grabe umkehren? Es ist dies gerade so leicht möglich, als daß durch seltsame Umstände ein Reicher arm, ein Armer reich werden kann.

Wenn wir uns in das Reich der Möglichkeiten verlieren wollen, lieber Bruder, gab Wimmer zur Antwort, so kommen wir schwerlich zum Ziele. Was ist nicht Alles möglich zwischen Aufgang und Niedergang? Mehr als wir Beide im Stande sind unser ganzes Leben lang zu denken. Betrachtungen solcher Art lähmen alle Thatkraft, lassen in letzter Reihe Alles sündhaft erscheinen, denn auch das Beste kann zum Schlimmen ausschlagen, Gutes sich in Böses verwandeln. Mich däucht, ein Vater hat seine Pflicht gewissenhaft erfüllt, wenn er seine Kinder christlich erzieht, sie anhält zur Arbeit, ihnen, soweit seine Kräfte reichen, Mittel zu ihrer geistigen und sittlichen Ausbildung verschafft, kurz sie zu tüchtigen Menschen im Sinne Christi bildet. Das aber, lieber Bruder, ist's, was ich von dir verlange, von dir erflehe! Gott hat dich gesegnet; diesen Segen wende dazu an, deinen Söhnen eine ihren Fähigkeiten entsprechende Erziehung zu geben, eine ihren Neigungen zusagende Thätigkeit zu eröffnen. Ob Heil, ob Unheil daraus entstehen mag, das hast nicht du zu verantworten, wohl aber dürfte dein Sterbestündlein dereinst ein schweres für dich werden, wenn die Blicke deiner Kinder finster und anklagend auf deinen brechenden Augen ruhten!

Diese mit inniger Gefühlswärme gesprochenen Worte blieben nicht ohne Eindruck auf den Weber, allein seine Abneigung gegen vornehmes Wesen und moderne Bildung war zu stark, um selbst moralischen Gründen ohne heftigen Widerstand zu weichen.

Viel Wissen macht nicht glücklich, sagte er nach einer Weile; das kann man alle Tage an den Gelehrten sehen. Mißmuthigere, verdrießlichere, menschenscheuere Leute findet Einer auf der ganzen Welt nirgend mehr, als unter den Aufgeklärten. Wenn sie nun auch so würden, meine Jungen, könnten sie mir's nicht vorschmeißen bei jedem Bissen Brod? Haben sie Drang dazu und wollen sie durchaus was Besseres sein, als ihr Vater und Großvater, können sie mein'twegen Kaufleute mit und ohne Stiel werden, d. h. wenn ich todt bin. Gar aparte lange, rechn' ich mir, wird's nicht dauern; denn ich verechauffir' mich alle Tage, und das wird mir's Herz bei Zeiten abfressen.

Du bist unverbesserlich, sprach Wimmer seufzend. Ich hatte mich so gefreut, dir auch einmal einen Dienst zu erweisen, um die Schuld meiner Dankbarkeit gegen dich etwas abtragen zu können. Aber mit dir Hartkopf ist nicht auszukommen, nicht im Guten, nicht im Bösen. So will ich wenigstens Abrechnung halten und auf alle Fälle ein Ende machen. Nimm dein Geld zurück, ich mag's nicht mehr.

Brauch's nicht und will's nicht, sagte Ammer kurz.

Will's auch nicht, lieber Bruder, erwiderte sanftmüthig der Herrnhuter.

Schenk' es den Armen oder schmeiß' es in' Mühlgraben, da bist du's los!

Ich könnt's wohl thun, wenn's fünf Thaler wären, fünftausend aber mir nichts dir nichts hinauszuwerfen, schmeckt mir etwas nach Hochmuth und Verschwendung, und die kannst du beide ja nicht leiden, lieber Bruder.

Gott's Pauken und Trompeten, rief Ammer in komischem Zorne aus, sein Sammetkäppchen auf ein Bund rothen Baumwollengarnes werfend, so wollt' ich doch, ich hätt' sonst 'was gemacht! Kurz und gut, ich nehm' das Geld nicht, und wenn's um den Kopf geht!

Dann zwingst du mich, es als mein Eigenthum zu betrachten.

Mir gerade recht – es soll dein sein und bleiben.

Wenn ich's behalten will, lieber Bruder. Da ich's nun aber nicht brauche und es mir doch Segen gebracht hat, will ich's auch nicht leichtsinnig weggeben. Vielleicht bewährt es in den Händen Anderer ebenfalls seine segenbringende Kraft. In dieser Voraussetzung schenk' ich's deinen Söhnen.

Wimmer, du wirst doch nicht!

Ich werde mit deinem Gelde gerade machen, was ich will, fuhr der Herrenhuter fort. Fürchte aber nicht, daß ich gesonnen sein möchte, die ganze Summe deinen Kindern in die Hände zu geben. Das wäre nicht kaufmännisch gehandelt. Nein, nur zu ihrem Nutzen, in ihrem Namen will ich sie verwenden, und da mir das freie Verfügungsrecht über die ganze Summe zusteht, werd' ich Linnen von dir kaufen und ein überseeisches Geschäft damit für deine Söhne machen.

Wimmer! –

Nur fein still, lieber Bruder! ich verlange nicht, daß deine Söhne eigentlichen Antheil daran nehmen, weil ich sie aber doch für Besitzer und Eigenthümer angesehen wissen will, bedinge ich mir aus, daß du mir Einen oder den Andern bei Ablieferung der Waaren mitschickst, damit er das für ihn angelegte Handlungsbuch einsehen und sich von dem Stande der Sachen überzeugen kann.

Das ist heimlich gehandelt! fuhr der Weber erhitzt auf. Das nennt man einen schlichten, ehrlichen Kerl übertölpeln! – O ihr Herrnhuter, wer euch auskennte! Ihr seid mein' Seel' die pfiffigsten Juden in der lutherischen Christenheit.

Wimmer lächelte äußerst süß und sanftmüthig, in seinen halb zugekniffenen kleinen Augen aber leuchtete bisweilen eine boshafte Flamme auf. Er fuhr ruhig fort:

Jetzt, lieber Bruder im Herrn, versprichst du mir, die Sachen gehen zu lassen, wie sie wollen, den etwaigen Gewinn, den wahrscheinlich das Geschäft abwirft, nach meinem Gutdünken, doch immer mit Genehmigung deiner Söhne in deren Nutzen mich verwenden zu lassen, und dies bis zu deren Mündigkeit fortsetzen zu dürfen. Erklären dann Christlieb und Fürchtegott, oder Einer von Beiden, daß sie Fabrik und Handel fernerhin vereint treiben wollen, so versprichst du ihnen nicht hinderlich zu sein, vielmehr Alles zu thun, was sie auf ihrem selbst gewählten Berufswege fördern kann. Nicht wahr, lieber Bruder, das wirst du thun, als frommer, christlicher Vater?

Ammer schob das wieder aufgeraffte Käppchen von einem Ohr auf's andere, rieb sich die Hände und schnalzte mit der Zunge.

Sicherlich werd' ich's thun, Herr Wimmer, sagte er trotzig, ich werd's thun als ein ehrlicher, dummer Kerl, der von einem jesuitischen Herrnhuter recht spitzbübisch hinter's Licht geführt worden ist. Daß dich, daß dich! – –

Dein Zorn macht mich glücklich, lieber Bruder, versetzte der herrnhutische Kaufmann, sich fröhlich die Hände reibend, als habe er ein vortreffliches Geschäft abgeschlossen. Und damit unser Abkommen zu Recht beständig sei, deine Hand darauf, alter Brummbär! Ein Wort, ein Mann!

Und wenn du der Gottseibeiuns selber wärst, ein Wort, ein Mann! rief Ammer seine Hand kräftig in die des Kaufmanns schlagend. –

Ueber diesen Verhandlungen war es spät geworden. Unschwer ließ sich Herr Wimmer bereden, die Nacht bei dem Freunde zuzubringen, was seit sehr langen Jahren nicht mehr geschehen war, da es der Herrnhuter stets geflissentlich vermied, sich länger als durchaus nöthig bei dem Weber aufzuhalten. Längere Zeit bei Ammer lebende Personen, am meisten seine eigenen Kinder, hatten dies wohl bemerkt; da jedoch ihr Vater dabei vollkommen heiter blieb, so hielt man diese etwas auffallende Eile allgemein für eine Charaktereigenthümlichkeit des Handelsherrn, die ihren Grund in seinen religiösen Grundsätzen haben mochte.

Auch heute trat Wimmer wieder mit einem wunderlichen Gemisch von Vertraulichkeit und Scheu auf, vorzüglich Frau Ammer gegenüber, die er mit großer Ehrfurcht behandelte. Diese schlichte Webersfrau schien durch so ungewohnte Devotion allemal in Verlegenheit gesetzt zu werden und wußte nicht recht, wie sie sich zu dem Kaufmanne stellen sollte. Sie zog es daher vor, nur das Nöthigste mit ihm zu sprechen und sich übrigens ziemlich fern zu halten.

Ammer's Söhne und noch mehr Flora, die in die Pläne und Hoffnungen ihrer Brüder eingeweiht war, erwartete während der Abendmahlzeit den Inhalt der langen Unterredung des Herrnhuters mit dem Vater zu erfahren. Daß beide Freunde ungewöhnlich lebhaft gesprochen hatten, war den Aufhorchenden nicht entgangen; sie würden sogar halbe Sätze des Gespräches verstanden haben, hätten sie nicht mit den Webstühlen fortwährend ein in ihrer Lage höchst verdrießliches Geräusch machen müssen. Momentan konnte zwar Einer oder der Andere seinen Stuhl von Zeit zu Zeit ruhen lassen, zu häufig aber und lange durften sie dies nicht wagen, weil ihr Vater, auch vertieft in ein Geschäftsgespräch, für derartige Störungen ein sehr feines Ohr besaß und unverweilt eine Strafrede an sie gerichtet haben würde. So hatten denn beide Brüder nicht einmal eine Ahnung von dem Abkommen, das Herr Wimmer mit ihrem Vater getroffen.

Zu großem Verdruß der Geschwister ließ weder Ammer noch sein Freund ein andeutendes Wort fallen, daß die früher besprochene Angelegenheit von den Männern überhaupt verhandelt worden sei. Von dem Vater, dessen Abgeneigtheit gegen den eigentlichen Kaufmannsstand sie kannten, erwarteten sie nichts zu hören, desto mehr rechneten sie auf den Herrnhuter, der ja die ganze Sache angeregt hatte und den sie für ihren Freund zu halten genügenden Grund zu haben glaubten. Allein auch dieser schwieg hartnäckig und hatte sowohl auf ihre ziemlich verständlichen Fragen, wie auf Flora's schelmischere Anspielungen nur sein stereotypes süßliches Lächeln.

Aus allen Aeußerungen sowohl des Vaters wie des Kaufmannes ließ sich vermuthen, daß zwischen Beiden ein bedeutendes Geschäft zum Abschluß gekommen sein mußte. Beide gedachten wiederholt einer binnen zwei Monaten zu leistenden Linnensendung, und Ammer forderte sogar Christlieb einmal auf, er möge die Zahl der Stücke notiren. Keiner der Brüder ahnte, daß dies Geschäft in ihrem eigenen Interessen, zu ihrem Vortheil, vielleicht zur Begründung einer großen kaufmännischen Zukunft gemacht worden sei.

Am nächsten Morgen bestieg Herr Wimmer frühzeit seinen geduldigen Klepper. Mit einem Fuße schon im Bügel, rief er dem Weber nochmals die Zahl der bestellten Gewebe in's Gedächtniß und sagte dann mit seinem süßesten Lächeln, recht als ob er sie verhöhnen wolle, zu den Brüdern:

Vergeßt nicht meine Rede, lieben Freunde! Wenn es Zeit sein wird, kommen wir wohl wieder darauf zu sprechen.

Er grüßte höflich die unter der Hausthür stehende Frau seines Freundes, warf Flora, die im Gärtchen ein Sträußchen schnitt, galant eine Kußhand zu, und ritt dann im langsamsten Trabe die Gasse hinunter.

's ist ein richtiger Schlaukopf, der Herrnhuter, sagte Ammer, sein Käppchen in den Nacken schiebend. Wer's mit dem zu thun kriegt, der muß früh aufstehen, will er nicht betrogen sein.

Ein Zweiächsler ist er und ein Zungendrescher, weiter nichts, sagte Fürchtegott, ein Stück Papier zusammenknüllend und es dem Herrnhuter nachwerfend. Ich trau ihm nicht soweit, als ich sehe. Frommthun und in jedem Satz zweimal den Namen Jesus anbringen, das ist ihre Art, vom Worthalten aber werden sie auch nicht fett.

Nur nicht hitzig, mein Sohn! bedeutete Ammer den Erbitterten. Wer gewinnen will, hält hinter'm Berge! Bloß Narren und Dummköpfe sind schwatzhaft.

Selbst Frau Ammer, obwohl sie einige Male ganz leise ihren Mann auszuhorchen versuchte, erfuhr nichts. Ammer hielt es für klug, das Geschehene vorerst in das tiefste Geheimniß zu hüllen. Er besorgte mit Recht, seine Söhne möchten, wenn sie die Wahrheit erführen, lässig, wo nicht vielleicht gar der gewohnten Arbeit überdrüssig werden, dies aber hätte eine Unordnung in sein Hauswesen gebracht, die er nicht dulden konnte, ohne sich selbst eine Blöße zu geben.


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