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Zweites Kapitel. Ein Weber alter Zeit.

Unfern der böhmischen Grenze liegt an den fruchtbaren Abhängen einer nach allen Seiten hin freien Höhe ein kleines Dorf mit blanken, saubern Häusern, denen man es ansieht, daß ihre Bewohner Fleiß und Reinlichkeit über Alles schätzen. Jedes Haus wird von einem Baumgarten umgeben, in dessen Mitte sich tiefe, mit Bruchsteinen ausgemauerte Cisternen befinden, bestimmt, das Regenwasser anzusammeln. Das eigenthümliche Schnurren und Klappern, das schlitternde Geräusch im Innern der aus übereinandergelegten starken Holzbohlen erbauten Häuser und das schrillende Geklirr der Fenster bezeichnen den Ort schon von Weitem als Weberdorf.

Am äußersten Ende desselben, etwas ins freie Feld vorgeschoben, lag zu Anfange unseres Jahrhunderts hart an der Straße die Wohnung des Webers Ammer. Es war der höchste Punkt des Ortes mit einer nach allen Seiten hin freien und wahrhaft entzückenden Aussicht. Gegen Mittag und Abend umschließen die malerischen, waldreichen Gebirge Böhmens, gegen Osten die höheren Bergwälle Schlesiens den Horizont. Die Mitternachtsseite begrenzt ein von kleineren Bergen, Hügeln, Schluchten und Thälern mannigfach zerschnittenes Terrain, das ein mehr breiter als tiefer Fluß in zahlreichen Krümmungen durchrauscht. Ueberall blicken Kirchthürme über Busch und Feld, ein paar alterthümliche Schlösser sehen mit ihren feudalgrauen Zinnen aus der Waldferne verdrießlich auf das rührige blühende Land, während wohlgefällig das Auge auf der vielgethürmten Stadt ruht, die schimmernd am Fuße blauer Berge sich ausbreitet.

Oberhalb Ammer's Wohnung führte die viel befahrene, aber schlecht gehaltene Communicationsstraße über eine steinige und öde Lehde, die mit Binsen und Riedgras bewachsen war und gegen Mitternacht an ein sumpfiges Röhricht stieß. Ein wasserreicher Bach, der dasselbe durchrieselte, bewässerte die Wiesen des Weberdorfes und trieb am unteren Ende desselben eine Mahl- und Walkmühle.

Schon Ammer's Vater und Großvater hatten dieses Röhricht besessen, und weil es der Ammer in der Gemeinde mehrere gab, nannten ihn alle Dorfbewohner zum Unterschiede von seinen übrigen Namensbrüdern »Ammer im Rohr«, ein Spitzname, der keinerlei Nebenbedeutung hatte, vielmehr dem Träger desselben zur Ehre gereichte.

Die Ammer waren von jeher der Weberei ergeben gewesen, hatten aber, wie dies im achtzehnten Jahrhundert gebräuchlich war, ihr Geschäft ganz wie ein in engen Grenzen sich bewegendes solides Handwerk betrieben. Damals blühte noch der Linnenhandel in der nahen Stadt, deren schimmernde Bleichen Jahraus Jahrein mit den feinsten Geweben des edlen Hanfes bedeckt waren. Die großen reichen Handelsherren kauften den Webern ihre Erzeugnisse ab oder schrieben diesen vielmehr vor, was sie weben sollten. So blieb sowohl die eigentliche angesehene Weberzunft in der Stadt, wie der nichtzünftige Landweber in vollständiger Abhängigkeit von den Kaufleuten. Dies Verhältniß hatte Jahrhunderte gedauert, man war daran gewöhnt, befand sich vollkommen wohl dabei und wünschte deßhalb keine Aenderungen.

Auch Ammer's Vorfahren hatten gleich allen übrigen selbstständigen Webern nur auf Bestellung gearbeitet, weil sie aber sehr wirthschaftlich waren, den Ruf größter Rechtlichkeit besaßen und das Sprichwort »Ein Wort ein Mann« mit peinlichster Gewissenhaftigkeit im Leben zur That werden ließen, genossen sie größeren Vertrauens als viele ihrer Mitweber, und bekamen bei Weitem mehr Aufträge, als sie selbst bestreiten konnten. Die Noth oder vielmehr das Glück zwang sie, ein Auskunftsmittel zu erdenken. Es fand sich dies leicht in der Annahme ärmerer Weber, die sich nur mühsam durch Arbeit auf eigene Rechnung erhalten konnten. Freudig entsagten diese kleinen Weber ihrer Selbstständigkeit, traten bereitwillig in ein ehrenhaftes Abhängigkeitsverhältniß und wurden mit ungleich besserem Auskommen Weber für Lohn.

Schon Ammer's Vater hatte zwölf solcher Lohnweber unterhalten, indem er die bei ihm gemachten Bestellungen ihnen zur Ausführung übergab und je nach dem Gewinn, den er selbst davon zog, die Arbeiten bezahlte. Der Linnenhandel, namentlich der schlesische und lausitzische, stand damals in höchster Blüthe, sächsisches Linnen war überall gesucht, die Kaufherren in Zittau, Lauban und Herrnhut machten große Geschäfte und erwarben außerordentliche Summen. Am meisten blühte die erstgenannte Stadt, die in den letzten Decennien des achtzehnten Jahrhunderts nächst Leipzig für die wichtigste Handelsstadt in ganz Sachsen galt und im Verhältniß zu ihrer geringen Volkszahl eine Menge sehr reicher Häuser besaß. Freilich waren die Kaufleute damals weder luxussüchtig, noch luxusbedürftig. Sie lebten äußerst genügsam, still und eingezogen, richteten ihr ganzes Augenmerk nur auf Vergrößerung des Geschäftes, und waren eben so achtungswürdige Haus- und Familienväter, wie solide, im In- und Auslande hochgeehrte Kauf- und Handelsherren.

Nach dem Tode des alten Ammer übernahm der Sohn das beträchtlich vergrößerte Geschäft, führte es aber genau in der vom Vater überlieferten Weise fort. Indeß mehrten sich die Bestellungen, die Zahl der unterhaltenen Arbeiter verdoppelte, ja verdreifachte sich, Ammer's Ruf als Weberherr, wie man ihn nannte, überschritt die Grenzen seines Geburtsortes, und sehr bald gab er einer großen Menge in andern Ortschaften lebenden Webern Nahrung und Unterhalt.

So viel Glück machte jedoch den bescheidenen Mann nicht übermüthig. Er blieb nach wie vor Weber, hatte in seinem eigenen Hause zwei Stühle stehen, an denen seine beiden Söhne, häufig sogar er selbst arbeiteten, und führte ein von den übrigen Webern in keiner Weise verschiedenes Leben. Nur auf behaglichere Einrichtung seiner Wohnung verwandte er eine Summe Geldes, kaufte ein anstoßendes baufälliges Haus für billigen Preis und errichtete eine Mangel, da man bisher über eine Stunde weit hatte gehen müssen, um fertige Waaren appretiren zu können. Einige Jahre später legte er auch eine Färberei an, da er von einem Kaufmanne, der ein Baumwollengeschäft schwungvoll betrieb, mit ehrenden Aufträgen betraut worden war.

Diese Verbesserungen machte Ammer nicht freiwillig, nicht aus innerm Drange, wie andere Geschäftsleute, deren ganzes Dichten und Trachten nur auf das Erwerben gerichtet ist, wohl zu thun pflegen. Er fügte sich der Nothwendigkeit, weil er keinen andern Ausweg sah, aber er that es widerstrebend. Den größeren Gewinn, der eine Folge dieser Verbesserungen war, strich er zwar schmunzelnd ein, doch würde er sich nicht gegrämt haben, hätte ein Anderer sich der mancherlei Mühwaltungen und damit verbundenen Verdrießlichkeiten unterziehen wollen.

Ohne sich selbst genau Rechenschaft ablegen zu können, war Ammer auf diese Weise unerwartet ein reicher Mann geworden. Glückliche Handelsconjuncturen, das unbegrenzte Vertrauen fremder Menschen in seine Redlichkeit, nicht seine unermüdete Thätigkeit und kaufmännische Umsicht machten ihn dazu. Ammer hatte in dem Sinne, wie unsere Zeit es will, durchaus gar keine Anlage zum Kaufmanne, noch war es ihm je eingefallen, ein solcher werden zu wollen.

Dies Wort »Credit«, dieser weltbewegende Zauberstab im kaufmännischen Leben, kannte Ammer nicht. Er selbst hatte niemals Credit begehrt, nie mittelst desselben irgend welche Vortheile errungen. Die Ausgaben, welche sein Geschäft erheischte, bestritt er stets mit baarem Gelde, während er Aermeren, die bei ihm Unterkommen und Verdienst suchten, aus purer Gutmüthigkeit Geld lieh.

Gewiß konnte man ein solches Verfahren nicht klug nennen, ja vom kaufmännischen Standpunkte aus nicht einmal billigen, aber es war so durch und durch ehrenhaft und ein so folgenreiches Ergebniß seines Charakters, daß ihn dieser wunderlichen Eigenheit wegen Niemand zu tadeln wagte.

Inzwischen hatten sich in Folge der kriegerischen Begebenheiten, die damals Europa erschütterten, und auch auf alle Handelszweige einwirkten, die Verhältnisse nach und nach wesentlich anders gestaltet. Viele bedeutende Häuser erlitten große Verluste, hielten sich aber durch ihre anerkannte Solidität und die Nothkrücke des Credits. Ammer ahnte von dem Allen nichts. Seine Weberei blühte fort, vermehrte sich von Jahr zu Jahr und warf, da er beispiellos haushälterisch mit dem Erworbenen umging, große Summen ab, die Ammer nicht anders nutzbar anzulegen wußte, als daß er Ländereien kaufte und im nahen Böhmen eine kleine Garnbleiche erwarb. Alle auf seinen nunmehr schon sehr zahlreichen Stühlen gefertigten Waaren ließ er, alter Gewohnheit nach, wie vor ihm sein Vater gethan hatte, auf den Bleichen am Queiß bleichen, da das Wasser dieses Flusses namentlich feinen Linnen vorzüglich zusagen sollte. –

So war der Mann geartet, der seine Söhne gleich dem ärmsten Weber meilenweit mit Schubkarren in's Land schickte und ihnen auf solche anstrengende Reisen nur wenig Geld nebst einem großen Schwarzbrod mitgab. Er hatte es in seiner Jugend nicht besser gehabt. Abhärtung, behauptete er, stähle den Körper, erhalte Herz und Geist frisch und sei das sicherste Mittel gegen Ausschweifungen jeglicher Art.

Dieser Mann saß jetzt, während die Glocke auf dem nächsten Kirchdorfe »Feierabend« läutete, vor der Thür seines Hauses, rauchte billigen »Dreikönigstabak« aus einer schön gebräunten Meerschaumpfeife mit kunstreichem Silberbeschlag und unterhielt sich mit einem Kärrner, der allwöchentlich einmal durch's Dorf fuhr, um zerbrochenes Glas einzuhandeln. Wie jeder Weber, trug Ammer eine blaue Schürze, um seine übrige Kleidung gegen den Garnstaub zu schützen. Ein schwarzsammtenes Käppchen bedeckte seine bereits grau werdenden Haare, die ein halbmondförmiger Hornkamm am Hinterkopfe zusammenfaßte, so daß sie, während Stirn und Schläfen ganz frei blieben, in leicht gekräuselten Locken seinen stämmigen Nacken umspielten. Gutmüthige hellblaue Augen sahen mit eigenthümlich schelmischem Ausdruck aus einem Gesicht, dessen Züge Milde gepaart mit Charakterfestigkeit verriethen. Nur in dem breiten »Lutherkinne« und einem schwer zu beschreibenden Zuge um den Mund konnte man Spuren zäher Hartnäckigkeit und unbeugsamen Willens entdecken.

Geht's schon wieder in die Glashütte? redete Ammer den Kärrner an, den höflichen Abendgruß des bejahrten Mannes durch Lüften seines Käppchens freundlich erwidernd. Wenn du's noch zehn Jahre so forttreibst, kann der Stadtrath von dir borgen.

Behüte, Herr Ammer, versetzte der Kärrner, sein Paviansgesicht zu einem höchst komischen Lächeln verziehend, 's ist nicht viel zu profitiren bei dem Bissel Scherbelhandel. Erstlich hat man seine liebe Noth, das Gemülbe allerwärts zusammen zu suchen, und gibt man nicht wacker Obacht, so sticht man sich fix 'mal in die Finger und bringt den Bader zu Ostern um seine paar Gröschel für's Aderlassen. Und hat man die zerbrochene Waare glücklich in's Königreich hinüber gefuhrwerkt, ohne mit den Grenzjägern in Händel zu gerathen, so verschimpfiren einem die Glashüttenleute noch obendrein den ganzen Brock. Ich sag's immer, Herr Ammer, 's ist eine schlechte Menschheit itzund unter Gottes lieber Sonne aufgewachsen, und sollt' es mich gar nicht wundern, wenn einmal ein grausam gefährliches Sterben unter die Leute käme. Gott, Herr Ammer, es könnte ganz und gar nichts schaden, wenn's nur uns ausläßt!

Ich bin nicht so unchristlich, Leisetritt, versetzte der Weber. Ein Sonnenstrahl, der mir's Kammerfenster vergoldet, kann in Gottes Namen auch meinem Nachbar in's Stübel scheinen. Wasch dir die Augen mit Charfreitagswasser, daß du nicht alles schwarz berändert siehst, 's ist eine wahre Schande für einen Mann, der sein Auskommen hat.

Leisetritt lachte und schob die klirrenden, mit Glasscherben angefüllten Säcke auf seinem Karren zurecht.

Freilich, sagte er, mein Auskommen hab' ich und noch dazu mein sicheres Auskommen, es ist aber danach. Wenn's justement Mode würde, daß irgendwo ein kluger Kopf die Bibel umschreiben dürfte, da ließ ich mich zum Gehilfen anwerben und zwar umsonst, und die Stellen, wo geschrieben steht: »Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod essen,« setzte ich das Wort »verschimmelt« dazu, denn das paßt gerade für mich und noch ein paar tausend Schock andere ehrliche Kerle, die's Buttermesser unter die nicht erfundenen Dinge zählen.

Schwarzbrod schärft die Zähne, erwiderte Ammer, und wer scharfe Zähne hat, den fürchten die Weiber.

Mein' Seel', das ist wahr! rief Leisetritt lachend. Ich hab' das erfahren an mir selber. Verwichene Pfingsten ist meine Dritte von mir gegangen. Nun hab' ich's aber auch verschworen, mein Lebtage keine Räderhaube Die Sonntagstracht der Frauen vom Lande hatte damals radartige Form in jener Gegend, weßhalb man sie »Räderhauben« nannte. mehr anzusehen! – Na, wie steht's heute? Hat's ruschlige Töchterchen gar nichts zertöpfert?

's müßt' hinter meinem Rücken geschehen sein, klimpern hab' ich's nicht hören.

Wenn Sie 'was zu verrichten haben, Herr Ammer – ich komm' 'ne Viertelmeile von der Bleiche vorüber – da möcht' ich's von Herzen gerne besorgen. Sie wissen, ein Spitzgläsel Wachholder ist mir noch immer sehr gut bekommen, ja, Herr Ammer, grausam sehr gut.

Du bist ein Näscher und solltest auf die Kirmessen Gatterklopfen gehen. – Florel! rief der Weber sich umwendend, Florel!

Ja, Vater, antwortete eine glockenhelle lustige Mädchenstimme aus dem an der Giebelseite des Hauses gelegenen Garten, und alsbald kam ein schlankes Kind mit rothen Bäckchen und glänzenden Rehaugen die schmalen, mit rothem Sand bestreuten Gänge daher gelaufen.

Flora oder Florel, wie Ammer und alle andere Mitglieder der Familie das heitere Mädchen nach Landessitte nannten, die sich gern und so häufig wie möglich des einschmeichelnden Diminutivs bedient, trug Pantoffeln mit hohen spitzen Absätzen, sogenannte »Klötzchen«, die sie jedoch nicht im Geringsten beim Laufen und Springen hinderten. Eine angeborene natürliche Grazie verlieh ihren Bewegungen Reiz und Anmuth. Sie hatte Salatköpfe ausgestochen und trug die gelblich-grüne saftige Blätterfrucht in der aufgerafften Schürze.

Was soll's, Vater? fragte sie munter.

Der Glassammler Leisetritt will meine Gesundheit trinken, sagte Ammer. Gieß' ihm flink ein Spitzgläsel ein!

Flora nickte dem drollig aussehenden Kärrner zu und hüpfte, mit ihren Pantoffeln klappernd, in's Haus.

Unser Herrgott hat Sie doch grausam lieb, Herr Ammer, sagte Leisetritt, dem fröhlichen Mädchen mit seinen kleinen, von grauen Brauen schwer überhangenen Augen schmunzelnd nachsehend, 's kann Einer suchen gehen rund herum auf allen Rathsdörfern, solch Mädel findet kein Auge, selber nicht im Traume.

Wenn sie fromm bleibt, ist sie eine Weide für Aug' und Herz, erwiderte Ammer. Gott beschirme sie mit seiner Wimper!

Sie könnte flugs eine Prinzessin werden, Herr Ammer.

Mir ist's allezeit lieber, wenn sie derweile eine richtige Webersfrau wird.

Nu, nu, sagte Leisetritt, nur nicht gleich barsch, Herr Ammer! 's wünschen ist eine wohlfeile Sache und, wenn man richtig denkt, der alleinzige Genuß, der die Armen nichts kostet. An Freiern, an schmucken und reichen Freiern, rechn' ich mir, wird's dem Goldengelchen nicht fehlen.

Mein's auch, wenn's Zeit sein wird, sprach der Weber. Itzund hat's Florel erst achtzehn Sommer auf'm Rücken, und die drücken sie noch nicht so sehr, daß sie partout in's Ehebett fallen müßte. Bescheert ihr aber Gott einen wackern Burschen, rüstig, arbeitsam, ehrlich und treu, und sie sehen's Himmelreich offen, wenn sie einander in die Augen schauen, so werd' ich sie segnen mit Freuden. Ich bin keiner von den Narren, die nach dem Aparten angeln. Schlicht und gerade, recht und ehrlich ist mein Sprichwort, und ich denke damit durch die Welt zu kommen auch ohne vornehme Verwandtschaft.

Flora kam jetzt zurück, ein kleines, nach unten sehr spitz zulaufendes Gläschen in der Hand, das sie dem Glassammler freundlich lächelnd reichte, mit ihren blühenden Lippen den Rand desselben flüchtig berührend. Dann lief sie wieder nach dem Blumen- und Gemüsegarten, wo die Mutter ihrer begehrte.

Leisetritt trank das Gläschen auf einen Zug aus, schnalzte mit der Zunge und verzog seine von Natur schon krause Stirn in zahllose Runzeln.

Schade, sagte er nach einer Weile, das leere Glas neben Herrn Ammer auf die hellgrün angestrichene Bank setzend. Mein' Seel', 's ist schade.

Was? fragte der Weber.

Wenn man's beim Lichte betrachtet und sieht, wie die Ammer erst nur so piepten, wie eben aus dem Ei gekrochene Hühnel, und wie sie nachher anfingen zu zwitschern und nun gar schon ordentlich singen wie Haidelerchen – wenn man das bedenkt.

So wird man mit der Zeit zum Narren und kann in's Tollhaus kommen, fiel der Weber ein, dem des lächerlichen Alten verworrene Rede in keiner Weise behagte.

Behüte, behüte! erwiderte Leisetritt, die Hand abwehrend schüttelnd. Wie mögen Sie nun gleich so oben 'naus fahren! – Wenn man das recht bedenkt, mein' ich, ist's just schade, daß man schon so tief in den Jahren drin steckt und 's wohl nicht mehr erleben wird, wie zuletzt die Ammer den Ton im ganzen Lande angeben werden! – Das ist's, Herr Ammer, was mir gerade einfiel bei dem Schnaps; denn ich möchte doch gar zu gerne wissen, ob die Herren Ammer Söhne auch 'was halten werden auf so 'nen Magentröster.

Warum das, Leisetritt?

Ja warum? versetzte der Glassammler, der trotz der Ungeduld des Webers nicht aus seiner behäbigen Ruhe zu bringen war. Gewiß, 's sind ein paar wackere Burschen, bei deren Anblick einem 's Herz im Leibe lacht, wenn sie so rüstig die Schubkarre vor sich herschieben, und was mir nun ganz aparte gefällt, sie sind auch mildthätig und sehen, wenn sie Jemand helfen können, ein paar Groschen nicht an.

Hast du Beweise? fragte Ammer, sein Käppchen unruhig in den Nacken schiebend. Ich bin's schon zufrieden, wenn die Jugend nicht allzu genau ist, aber zu verschenken haben meine Jungen nichts.

Der Ausdruck »Jungen« verrieth dem Glassammler, daß sich Herr Ammer in aufgeregter Stimmung befand. Deßhalb schien es ihm nicht angemessen, das Gespräch in gleicher Weise noch länger fortzusetzen. Er suchte daher einzulenken und erwiderte auf die Bemerkung des wohlhabenden Webers:

Da sei Gott vor, Herr Ammer, daß Ihre Herren Söhne –

Meine Jungen sind keine Herren und sollen auch, will's Gott, bei meinen Lebzeiten keine werden.

Sein Sie doch nicht curios, Herr Ammer! versetzte Leisetritt. Es ist Mancher schon in der Kutsche gefahren, der in jungen Jahren sich mit Hacke und Beil abplagen mußte, und umgekehrt haben alte Leute den Karren geschoben, denen als Schuljungen die Schreibebüchel von Bedienten nachgetragen wurden. Aber wissen Sie, Herr Ammer, Jugend, die aus gutem Herzen die Worte der Schrift befolgt, hat ein fröhliches Alter zu erwarten. Und das thun Ihre Söhne, gesegn' es ihnen der Herr! Die beiden Handwerksburschen, denen Christlieb das Zweigroschenstückel gab, werden sie nicht vergessen, die lieben Herzen, und die paar so verschenkten Batzen werden dreihundertfach wiederkommen.

Wo trafst du meine Kinder? fragte Ammer.

Bei der dreieckigen Scheuer, erwiderte Leisetritt. Sie ruhten eben aus neben dem Wegweiser, unter dem die Handwerksburschen saßen, als ich mit meinem klimprigen Fuhrwerk vorbeikam. Sie haben sich auch nicht gar zu lange dort verhalten, wie ich sehe, denn dort kommen sie eben die Gasse neben Goldschmied's Garten herauf. – Guten Abend, Herr Ammer. Ich muß mich scharf dazu halten, wenn ich vor Finsterwerden noch über's Pochwasser kommen will; behüt' Sie Gott!

Gute Geschäfte! versetzte der Weber. Wenn du wieder des Weges kommst, kannst du mit zufragen. Die Florel wird inzwischen wohl 'was Scherbel machen.

Ammer rückte sein Käppchen, der Glassammler schlang das Tragseil um die Handhaben seines Karrens und fuhr in langsamem Schritte aus dem Dorfe der steinigen Oede zu, die an das Rohr stieß.


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