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Drittes Kapitel. Die beunruhigende Botschaft.

Wimmer hatte eine sehr unruhige Nacht. Das lange Gespräch mit dem schwer zu bestimmenden Ammer, obwohl es größtentheils Graf Alban führte, war für ihn eine geistige Tortur gewesen. Das Resultat freilich erheiterte sein Gemüth, denn er sah jetzt alle seine fein angelegten, im Voraus berechneten Pläne in Erfüllung gehen. Nur der Donnerschlag, dieser entsetzliche Blitz, der minutenlang ihn seiner Sehkraft beraubte und dadurch jenes anhaltende Taumeln verursachte, störte wieder diese Ruhe. Unwillkürlich mußte er dem Weber beistimmen, wenn dieser in seiner gottergebenen oder altväterlichen Weise eine Mahnung und Warnung des Höchsten darin erblicken wollte. Wem sollte sie wohl zumeist gelten? Dem alten, scheinbar mit Glücksgütern überhäuften Webermeister, oder ihm, dem Manne, durch dessen Vermittelung dem Jugendfreunde so Großes zufloß?

In seiner Gemüthsunruhe warf sich Wimmer auf das Gebet, mehr aus Gewohnheit, als aus innerem Bedürfniß. Wie ihm durch langjährige Uebung ein Gespräch in salbungsvollen Redensarten zur andern Natur geworden war, so entschlüpften seinem Munde auch Gebete oder Liederverse zu gewissen Stunden des Tages. Diese halb mechanische geistige Unterhaltung, oder wie man es sonst nennen soll, spielte sich von selbst ab, wie ein Uhrwerk, wenn es die treibende Feder in Bewegung setzt. Wimmer dachte gar nichts oder ganz andere Dinge dabei. Er wollte sich nur zerstreuen, ein unbequemes Etwas, das ihn belästigte, entfernen oder wenigstens aus seiner unmittelbaren Nähe verbannen.

Allein ihn floh der Schlaf. Das Flüstern und Pfeifen des Windes in dem großen Schornsteine, der in einen gewaltigen Kamin mündete, das Rauschen der Baumkronen im nahen Park und das dumpfe Brausen des in einen mächtigen Strom verwandelten Flusses störten ihn immer wieder auf. Feindlicher noch begegnete dem Herrnhuter das Geflimmer des Mondlichtes auf ein paar verblaßten Portraits, die an den morschen Tapeten des Schlafzimmers hingen. Die hin- und herschwankenden Baumzweige spiegelten sich ab an den Wänden und verdeckten jetzt die Bilder, dann ließen sie dieselben wieder sichtbar werden. Wider Willen heftete Wimmer seine Augen darauf und je länger er hinsah, desto unheimlicher ward ihm. Die Bilder schienen lebendig zu werden; die Hände bewegten sich und drohten ihm, und obwohl das Portrait eines alternden Mannes in der üblichen Tracht seiner Zeit, mit einer majestätischen Allonge-Perrücke erschien, verwandelte es sich doch vor seinen Augen in Ammer's ernste, harte und doch so treuherzige Züge. Der alte Weber blickte den Herrnhuter aus dem bestäubten Rahmen mit so vorwurfsvollen Augen an, daß er in die Gewalt eines übermenschlichen Wesens gekommen zu sein schien. Hätte ihn nicht die Scham abgehalten, er würde den Grafen gerufen und ihn um Hilfe gegen die quälenden Visionen gebeten haben. Spät erst schloß der Schlaf die müden Augen des Geängsteten, aber auch im Schlaf wollten die Feinde nicht von ihm lassen, die als Frühgeburten seines unlautern Schaffens sich schon jetzt störend in seine Lebenskreise drängten.

Am nächsten Morgen trieb Wimmer zur schleuniger Abreise. Er schützte Geschäfte vor, die seiner daheim warten sollten, die wahre Veranlassung zu seinem Drängen war jedoch das unheimliche Gefühl, das ihn im Hause des alten Jugendfreundes wie eine fremde, drückende, ihm sich anheftende Atmosphäre nicht mehr verließ.

Graf Alban zeigte eine ganz andere Physiognomie. Seinen milden, klaren Zügen, seinen klugen, dabei aber sanften Augen sah man es an, daß eine freudige Zuversicht seine Seele erhebe, und daß er Gott inbrünstig dafür dankbar sei. Der Graf empfahl sich daher auch mit großer Herzlichkeit von seinem Wirthe, während der süßliche, liebevolle Wimmer seine Verlegenheit mit der Maske erkünstelter Rührung verhüllte.

Er drückte Ammer nur die Hand, stellte sich, als ob er sprechen wolle, aber nicht könne, zerdrückte ein paar Thränen und stieg mit einem verklärten Blicke nach Oben in den Wagen, während er seinen breitkrempigen Hut tief in's Gesicht drückte.

Ammer hatte nicht Zeit, seinen geheimen Gedanken nachzuhängen. Von allen Seiten stürmten Arbeiter, Werkleute und Baumeister auf ihn ein. Jeder wollte ihn zuerst sprechen, Jeder seine Meinung hören. Die Verwüstungen des Unwetters, besonders in Folge des Wolkenbruches, der größtentheils im Gebirge niedergegangen war, überstiegen bei weitem jede Vorstellung, die man sich am Abend nach dem Wetter davon gemacht hatte. Weil keine Gebäude auf der Besitzung Weltenburg gefährdet waren, hatte man weniger auf das Vorgehende geachtet. Erst jetzt übersah man das Uebel und erschrak darüber.

Im Flußthale, wo Ammer eine Walkmühle anlegen wollte, hatte das Wildwasser den ganzen Untergrund überschwemmt, so daß in Wochen an eine Fortsetzung des Baues nicht gedacht werden konnte. Entwurzelte Baumstämme, die der Fluß weiter oben aus der Erde gewühlt, lagen, mit Schlamm und Schlinggewächsen bedeckt, im üppigen Wiesengrunde, dessen Graswuchs mit Sand, Erde, Schiefergeröll gänzlich unbrauchbar geworden war. Noch jetzt rollte der Fluß seine erdigen Wellen weit über die Ufer, und eine Menge Trümmer aller Art schwamm mit den Fluthen thalabwärts. Der angerichtete Schaden war gar nicht zu übersehen, zumal da man nicht wissen konnte, ob und welchen Schaden der Hagel auf den Feldern angerichtet haben würde.

Ammer ließ sich überall hinführen, besah Alles genau, prüfte mit Hand und Fuß, wo der Blick allein ihm nicht zu genügen schien, äußerte aber weder Unwillen noch Besorgniß. Am Ende seiner Wanderung sagte er trocken: es muß eben Alles wieder in Ordnung gebracht werden. Zeit, Geld und rechtes Geschick bringen das wohl zu Stande. Doch wird man sich in Zukunft vorsehen müssen.

Damit war das immerhin störende Ereigniß für alle Zeit abgethan. Ammer dachte nicht mehr daran, oder sprach doch nicht davon; dies veranlaßte alle Uebrigen ebenfalls zu schweigen und statt vielen und nutzlosen Sprechens die Hände tüchtig zu rühren, damit die Arbeit auch fördere.

So kam die Mittagsstunde heran. Um diese Zeit fand sich gewöhnlich der Postbote in Weltenburg ein, falls überhaupt Briefe zu besorgen waren. Seit Ammer's Aufenthalt daselbst kam dies häufig vor, denn der vielbeschäftigte Weber, dessen Verbindungen so sehr gegen seinen Willen eine gewaltige Ausdehnung gewonnen hatten, erhielt fast täglich eine Anzahl Briefe. Auch heute blieb der eilig einherschreitende Bote mit seiner Ledertasche nicht aus, doch hatte er diesmal nur einen einzigen mit der Bemerkung »pressant« bezeichneten Brief dem neuen Besitzer Weltenburg's zu überreichen. Ammer erkannte die Hand seines Sohnes Christlieb und erbrach ihn mit einiger Besorgniß. Und in der That, die darin enthaltene Nachricht war in jeder Hinsicht überraschend und beunruhigend. Christlieb meldete nämlich dem Vater, Kaufmann Mirus habe durch einen Expressen die kurze Meldung ihm zugehen lassen, daß er gegenwärtig auf die früher gemachte Bestellung durchaus nicht reflectire, sondern, weil er schon anderweit mit Waaren reichlich versehen sei, dieselbe als gar nicht geschehen betrachtet wissen wollte. Der Brief des reichen Handelsherrn, fügte Christlieb noch hinzu, sei so kurz und herb, daß er vermuthen müsse, derselbe wolle alle Beziehungen mit Ammer für immer abbrechen.

Der Weber legte das Schreiben zusammen und steckte es zu sich. Er sah ernst, ja düster vor sich hin, ohne einen Laut von sich zu geben. Nur die Röthe seines Gesichts und das starke Anschwellen der Ader auf der Stirn wurden zum Verräther der Gedanken, die in ihm aufstiegen. Er ließ das aufgetragene Mittagsbrod unberührt stehen und rauchte, statt zu essen, eine Pfeife Tabak. Nach Tische sprengte Fürchtegott auf schaumbedeckten Rosse in den Hof, warf die Zügel einem gebieterisch herangerufenen Dienstboten zu und befahl ihm, das Pferd eine Zeitlang herumzuführen und es dann sorgfältig abzureiben. Als er die finstere Miene des Vaters am Fenster des Thurmzimmers bemerkte, grüßte er etwas verlegen und trat in's Schloß.

Der Vater empfing ihn kühl.

Hast du Jemand in der Stadt gesprochen? fragte Ammer.

Außer meinen jungen Freunden Niemand, versetzte Fürchtegott. Wir spielten gestern Abend während des Unwetters ein paar Partieen Billard, wobei ich das Glück hatte, eine Wette zu gewinnen.

Schon wieder, sagte Ammer. Und du weißt doch, daß ich es nicht gern sehe, wenn du so nutzlos Geld verthust!

Es trifft ja nicht deine Kasse, Vater, erwiderte der junge Lebemann, der sich bereits zu fühlen begann. Mit dem mir ausgesetzten Taschengelde werde ich doch wohl thun und lassen können, was mir behagt?

Ammer seufzte. Es zeugt von Leichtsinn, lieber Sohn, bemerkte er nach einer Pause, und Leichtsinn ist für einen Kaufmann, der du ja werden willst, immer eine sehr üble Eigenschaft. Hast du sonst nichts gehört?

Ja, daß der Blitz das alte Nest hier bald angezündet hatte, sagte Fürchtegott heiter, die Landleute aus dem Thale erzählten sich's heute Morgen, als ich auf dem Keller frühstückte. Groß wäre das Unglück nicht gewesen, denn so, wie das Haus jetzt aussieht, kann es doch unmöglich lange noch bleiben.

So lange mich Gott am Leben läßt, Fürchtegott, und so lange ich noch ein Wort über das Meinige zu sagen habe, bleibt Schloß Weltenburg in diesem seinem jetzigen Zustande. Wenn ich todt bin und sechs Fuß tief unter der Erde liege, könnt ihr thun, was ihr wollt.

Mein Gott, erwiderte Fürchtegott, ich mache dir ja durchaus keine Vorschriften, ich äußere ja nur eine Ansicht, spreche einen Wunsch aus. Daß du das alte Geniste nicht einreißen wirst, weiß ich ohnehin. Du kannst es ja kaum hören, daß man von Neuerungen spricht, daß man sie lobt.

Weil ich erst prüfe, ehe ich ein Ding annehme, das mir unbekannt ist. Aber lassen wir das, mein Sohn; es gibt Wichtigeres zu thun. In einer halben Stunde fahre ich nach der Stadt und von dort weiter nach Hause. Wann ich wieder komme, kann ich nicht bestimmen. Ich erwarte deßhalb, daß du ein offenes Auge hast auf Alles, was um dich her vorgeht. Du inspicirst und befiehlst ja lieber, als daß du mir daheim zur Hand gehst. Es ist also hier ein Boden für dich. Nur bedinge ich mir aus, daß du nicht hart und unfreundlich gegen die Arbeitsleute bist und nicht den vom Glück emporgehobenen Junker spielst. Du hast die Anlage und den Trieb dazu, aber ich duld' es nicht.

Ich werde nur auf unser Bestes sehen, sagte Fürchtegott mürrisch.

Thu's und Gottes Segen möge mit dir sein. Adieu! Ich habe einen schweren Gang vor, fügte Ammer nachdrücklich hinzu. Wäre dies Alles nicht mein Eigenthum durch Gottes gnädige Fügung, so hatte ich heute nicht Ursache, mit schwerem Herzen Jemand eine Bitte vorzutragen, die Vielleicht durch eine Beleidigung beantwortet wird. Nun es kommt ja Alles von oben herab, Freudiges und Trauriges, und durch Trübsal geläutert zu werden, ist das Loos aller Menschen. Die düstere Miene, der fast traurige Ton der Stimme des Vaters machten den Sohn verstummen. Nicht einmal eine ferne Frage wagte er zu thun; es ward ihm ganz unheimlich, und er fühlte sich erst wieder frei und erleichtert, als der alte Planwagen, den der eigensinnige Weber noch immer beibehielt, wenn er zu fahren genöthigt war, den gewundenen Fahrweg hinab in's Flußthal rollte.


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