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Fünftes Kapitel. Ein Blick in die Vergangenheit des Herrnhuters.

Wimmer war der Sohn eines armen, tief verschuldeten Bauers, der nach dem Tode seines Vaters dessen kleinen, wenig einträglichen Hof erbte. Er sollte, wie dies bei derartigen Leuten Gebrauch ist, ebenfalls Bauer werden, obwohl er wenig Neigung für den Beruf des Landmannes zeigte. Dennoch würde Wimmer ohne Zweifel diese Laufbahn ergriffen haben, hätte nicht ein unglücklicher Zufall ihn in andere Lebenskreise gedrängt.

Schon frühzeitig hatte der junge Wimmer ein Auge auf die hübsche Tochter seines Nachbars geworfen, theils aus wirklicher Neigung, theils weil er durch eine Verbindung mit derselben seine Verhältnisse zu verbessern, sein Besitzthum schuldenfrei zu machen hoffte. Anna war dem damals schmucken Burschen trotz seines Hanges zur Frömmelei nicht abgeneigt. Man erklärte sich gegenseitig, gab sich mit Bewilligung der beiderseitigen Eltern das Jawort, und Alles schien in bester Ordnung zu sein. Da lernte der Weber Ammer die Tochter des Bauers kennen, eroberte schnell ihr Herz, und da Anna selbst bestimmt erklärte, daß sie nunmehr den Nachbar nicht ehelichen könnte, weil sie ihn nicht liebe, so zerschlug sich das stille Verlöbniß und Ammer führte das blühende Mädchen in kurzer Zeit als Frau heim.

Diese trübe Erfahrung stimmte Wimmer sehr ernst. Er ward still, in sich gekehrt und hielt sich mehr und mehr zu den sogenannten »Stillen im Lande«, die mit den »mährischen Brüdern« in enger Verbindung standen, der protestantischen Kirche äußerlich zwar treu blieben, dennoch aber die Denkungsart und Glaubenssätze der Herrnhuter denen ihrer eigenen Kirche offen vorzogen. Das Missionswesen, schon damals stark im Gange, fand gerade unter dieser kleinen sectirerischen Gemeinde die meisten Anhänger und zum Theil reiche Unterstützung. Wimmer, der Feder mächtiger als die meisten seiner Glaubensverwandten, und überhaupt ein offener Kopf, machte gern den Vermittler, besorgte die Correspondenz und kam dadurch in vielfache Berührung mit den oberen Leitern der Missionsgesellschaften. Er verkehrte häufig mit den Aeltesten der Brüdergemeinden, lernte einige ihre Bischöfe kennen, und trat endlich, seiner Neigung folgend, offen zu den Brüdern über.

Da inzwischen die Eltern gestorben waren und das väterliche Gut mit allen darauf lastenden Schulden sein wenig beneidenswerthes Besitzthum geworden war, so verkaufte er es. Die Kaufsumme reichte gerade hin, die Schulden zu tilgen; mit dem ihm verbleibenden sehr geringen Ueberschusse gründete Wimmer einen Kramladen und fing einen kleinen Handel an, von dem er sich anfangs nur kümmerlich nährte. Begüterte Freunde halfen ihm bald auf, so daß er den Kram in ein kaufmännisches Geschäft verwandeln konnte.

Um diese Zeit traf er zufällig wieder mit Ammer zusammen. Den rechtlich gesinnten Weber schmerzte es, daß er dem stillen jungen Manne ein Leid hatte zufügen müssen. Sein gerader Charakter drängte ihn zu einer Erklärung, die gewissermaßen eine Abbitte in sich schloß. Er wünschte sich den Gekränkten zu versöhnen, ihn sich zum Freunde zu gewinnen, und da er sah, daß Wimmer mit gewebten Stoffen einen schwunghaften Handel betrieb, erbot er sich, ihm unter billigen Bedingungen linnene Waaren zu liefern, und nöthigte ihm fast mit Gewalt ein Capital von fünftausend Thalern auf, das er gerade zur Disposition liegen hatte.

Nach einigem Sträuben nahm Wimmer das Anerbieten an; ohne Mühe ward nun ein wahrer Freundschaftsbund geschlossen, der wenigstens auf Seiten des Webers ehrlich gemeint war und aus dem Herzen kam. Der junge Herrnhuter mußte dem Freunde versprechen, ihm das nächste Kind aus der Taufe zu heben und auch Anna fortan als ihm wohlgesinnte Freundin zu betrachten.

Wimmer ging wehmüthig lächelnd auch darauf ein und vertrat einige Monate später bei Flora Pathenstelle. Seitdem sprach der stille, umsichtige Herrnhuter, der ein immer hervorragenderes kaufmännisches Talent entwickelte und auf längeren Reisen sich bedeutende Geschäftskenntnisse erworben hatte, häufig bei dem Weber ein, blieb in ununterbrochener Verbindung mit Ammer und ward schon nach wenigen Jahren ein wohlhabender Mann. Wie es in dem fest verschlossenen Innern des eifrigen Herrnhuters aussehen mochte, war und blieb Allen ein unlösbares Räthsel. Es fiel auf, daß der kräftige, äußerst thätige Mann sich nicht verheirathete. War Anna's Abfall ihm auch vielleicht schmerzlich gewesen, sein innerstes Seelenleben konnte davon nicht erschüttert worden sein, da seine Neigung keine Spur tieferer Leidenschaft zeigte. Dies war also unmöglich der Grund, weßhalb Wimmer keine andere Verbindung knüpfte. Manche waren der Meinung, der absonderliche Mann halte die Ehe für etwas Störendes, einem beschaulichen Leben Hinderliches, und glaubten, Wimmer heirathe nur deßhalb nicht, weil er als Gatte seinen religiösen Ueberzeugungen nicht ungestört nachhängen zu können fürchten möge.

Wie dem nun auch sein mochte, Wimmer blieb unvermählt, so oft ihm auch Freunde passende, ja sogar glänzende Partieen vorschlugen. Er wies sie alle ruhig von der Hand, ohne sich über das Warum auszusprechen. Auch Ammer hatte einigemal behutsam angeklopft, war aber so bestimmt, ja fast barsch abgewiesen worden, daß er nie mehr darauf zurückkam. Bei Ammer's großer Arglosigkeit glaubte er nicht an einen heimlichen Groll, den Wimmer gegen ihn, den glücklichen Nebenbuhler seiner ersten und einzigen Neigung, hegen könne, dennoch aber müssen wir uns dieser Annahme zuneigen.

Allerdings standen Wimmer's Handlungen in offenem Widerspruche mit solcher Annahme. Er hatte den Weber nie übervortheilt, ihn nie verleumdet oder verkleinert, im Gegentheil: er sprach nur Gutes von Ammer, und wenn er wirklich mehr im Scherz wie im Ernst etwas an ihm tadelnswürdig fand, so bezog sich dies nur auf die aller Welt bekannten Eigenthümlichkeiten seines Freundes, auf seinen komischen Starrsinn und seine übergroße Vorliebe für alles Althergebrachte.

Grollte dennoch der stille Herrnhuter dem reichen und glücklichen Weber, so mußte dieser Groll sich entweder unbemerkt verzehren ober in ganz ungewöhnlicher Weise sich Luft machen. Wimmer's Blick hatte, wie wir bereits andeuteten, etwas Unheimliches, Lauerndes; es lag in den kleinen, stets halbbedeckten Augen schmeichlerische Sanftheit und feige Tücke. Sein Mund lächelte fast immer, aber dies Lächeln war frostig, höhnisch und, wenn Niemand darauf achtete, sogar boshaft. Der ganze Ausdruck des fahlen Gesichtes verrieth frömmelnde Heuchelei. Ein Kenner des menschlichen Herzens würde diesem Manne nie sein Vertrauen geschenkt haben, er würde ihn vielmehr geflohen haben als einen im Gewande der Demuth einher schleichenden Engel der Finsterniß.

Wimmer hatte viele Freunde, weil er ein zuverlässiger und höchst rechtlicher Geschäftsmann war. Im Handel sieht man nicht auf das Herz, sondern auf die That, und Wimmer hatte nie zu einer auch nur entfernt zweideutigen Handlung seine Hand geboten. Dennoch fehlte es dem Herrnhuter auch nicht an Feinden, und diese entwarfen von seinem heuchlerischen Wesen ein so abschreckendes Bild, daß Menschen, die ihn persönlich nicht kannten, ihn für einen wahren Satan halten mußten.

Belauschen wir jetzt die Gedanken des Herrnhuters auf seinem einsamen Ritt durch die Saatfelder, die ihre schweren Aehren bereits zur Erde beugten. Noch schwebte das süßlich-höhnische Lächeln um seinen fest zugekniffenen Mund, und die breiten, braunen Lieder bedeckten fast ganz seine Augen, so daß man sie gern für geschlossen halten konnte. Die Linke mit den Zügeln ruhte nachlässig auf dem Sattelknopfe des geduldigen Thieres, die Rechte hing schlaff herab und schlug bisweilen, mit der Reitgerte spielend, an die glänzend gelbe Stulpe seines Stiefels.

Fünfzig und zwanzig macht siebenzig, sprach Wimmer für sich, »des Menschen Leben währet siebenzig, und wenn's hoch kommt, achtzig,« heißt's in der Schrift. – Will mir mein Heiland gnädig sein, so kann ich's bei meiner Art zu leben auf achtzig bringen – das gäbe also von jetzt an noch volle dreißig Jahre. – In dieser Zeit sind die Jünglinge Männer geworden, haben wahrscheinlich ebenfalls Kinder, und diese –?

Wimmer's Gedanken und Worte erstickten in einem heisern Lächeln, wobei er die Zähne wies, was ganz so aussah, als ob ein Todter lache. Er gab dem Klepper die Sporen, daß das erschrockene Thier ein Paar Lancaden machte.

Dreißig Jahre, fuhr er nach einiger Zeit fort, das ist eine lange Zeit. Bleibe ich gesund, so kann ich noch dreimal so viel verdienen, als in den letzten zwanzig. Das gibt ein hübsches Vermögen, und soll den lieben Jungen und meinem herzigen Pathchen zu Gute kommen. – Die Familie Ammer, die Kinder und Enkel meiner ehemaligen Braut müssen reich werden, unermeßlich reich! – Wie soll es mich erquicken, wenn sie es den Größten im Lande gleich thun können; wenn ihr Name neben den glänzendsten Geschlechtern des Adels leuchtet! Wenn sie mit Tausenden spielen, wie Kinder mit Zahlpfennigen! – Häuser, Felder, Länder, Schlösser sollen sie haben, wie geborene Fürsten – – die Sorge sollen sie nur dem Namen nach kennen, das Elend nur vom Hörensagen! – Sie sollen nicht wissen, daß es Armuth gibt und daß die größte Kunst auf Erden die Kunst weise zu leben ist! – – – Gott, mein Heiland, ich bitte dich, sei barmherzig! Erhöre deinen elenden Knecht und lasse meine Augen an diesem süßesten Schauspiel sich noch letzen in meiner Todesstunde!

Wimmer ließ sein Pferd schärfer austraben, hob flüchtig die Augenlider und sah sich um, als fürchte er, von Jemand behorcht zu werden. Dann fiel er wieder in seine steife todtenähnliche Haltung und begann auf's Neue sein geheimnißvolles Selbstgespräch.

Schade, daß es kein Elixir des Lebens gibt! Ich würde mir sonst den Wundertrank verschaffen und müßte ich ihn mit der Hälfte meines jetzigen Vermögens bezahlen! Und Ammer, mein Freund Ammer, dieser glückliche Vater kräftiger Kinder – hier schimmerten abermals die gelben Zähne des Herrnhuters zwischen den lächelnden bleichen Lippen – er müßte ihn trinken, damit er hundert Jahre und darüber in ungeschwächter Kraft leben und das Glück seiner Nachkommen mitgenießen könnte! – Und Anna? – Soll sie auch Zeuge sein meiner Liebe, meiner Aufopferung? – Wenn Gott und mein Heiland es wollen, so geschehe es, aber ich bitte sie nicht darum. – Sie ist eine gute liebe Frau, aber schwach wie jegliches Weib. Und schwache Naturen werden von zu großem Glück so leicht überwältigt! – – Nun, wie du willst, mein Heiland! Ich kniee anbetend vor deinen süßen Wunden, wenn auch nur ein Theil meiner Lieblingspläne und Entwürfe in Erfüllung geht.

Mit diesen Gedanken schien eine frohe Stimmung über Wimmer zu kommen. Er sah lustig um sich, trabte, so rasch sein Pferd laufen wollte, vorwärts, und grüßte alle ihm Begegnende. Da er nicht die gewöhnliche Fahrstraße ritt, sondern Richtwege durch Felder, Wald und Wiesen einschlug, sah er schon nach zwei Stunden die rothen Dächer des hochgelegenen Brüderortes über dem Waldsaume schimmern. Zehn Minuten später hörte man in den immer stillen Straßen Herrnhuts den Hufschlag des einsamen Reiters.

Vor einem jener nur einstöckigen, mit Schindeln gedeckten Häuschen, die noch in einigen Gassen des Brüderortes zu finden sind, hielt Wimmer sein Pferd an. Ein Diener riß schnell die Hausthür auf und setzte die gellend läutende Schelle dadurch in so heftig schwingende Bewegung, daß sie Minuten lang fortbimmelte und die halbe Gasse vernommen ward.

Der Diener nahm Herrn Wimmer die Zügel des Pferdes ab, wobei der Kaufmann einige auf Handel und Handelswesen bezügliche Fragen an ihn richtete.

Viele Briefe angekommen, sagte der Diener.

Wichtige? fragte Wimmer.

Ja, denn sie enthalten gute Nachrichten.

Bringe ebenfalls gute Nachrichten, versetzte Wimmer.

Müssen heute gleich nach Hamburg schreiben – will ein Schiff kaufen und Rheder werden.

Das ist brav, sagte der Diener, und Ihr Schiff muß »Das gute Glück« heißen.

Nein, Franz, das wäre eine Herausforderung, erwiderte der Kaufmann. Steht mir das Recht zu, mein Fahrzeug zu taufen, so nenn' ich's »Christenliebe«.

Sie sind ein wahrer Heiliger, Herr Wimmer, sprach respectvoll der Diener. In der ganzen Brüdergemeinde gibt's keinen frömmeren, keinen edel denkenderen Mann, als den Kaufherrn Samuel Wimmer.

Still, still, Franz, du machst mich schamroth! Es ist Alles bloß Gnade, unverdiente Gnade unseres Herrn und Heilandes, kein Verdienst! – Nun mach' aber, daß du die Braune in den Stall bringst, denn sie ist etwas warm geworden. Martha wird auch ungeduldig, sie hat schon zweimal ihr gottergebenes hübsches Gesicht zum Fenster herausgestreckt. Ich muß ihr guten Tag sagen, sonst schmollt sie die ganze Woche, das fromme, folgsame Kind.

Martha begrüßte ihren Herrn recht freundlich. Es war ein hübsches schlankes Mädchen von einigen zwanzig Jahren, dem die einfache reinliche Kleidung und das glatt anliegende, schneeweiße Schwesterhäubchen allerliebst zu Gesicht standen. Ihre Frömmigkeit, die Wimmer so sehr rühmte, konnte man einigermaßen in Zweifel ziehen, wenn man ihre munteren, lebenslustigen Augen sah, die gar schelmisch unter der gewölbten Stirn in die arge Welt blickten.

Der alternde Herr behandelte die jugendliche Dienerin mit der Vertraulichkeit eines Vaters oder Vormundes. Vielleicht war er das Letztere. Als sie ihm frisch bereitete Chokolade vorsetzte, nebst einigen »geschnittenen Brödchen«, ein zartes, wohlschmeckendes Backwerk, das nur in Herrnhut und den gleichen Sitten und Gewohnheiten huldigenden Brüderorten bereitet wird, mußte sie eine zweite Tasse holen und den erquickenden Morgenimbiß mit ihm theilen. Unter heitern Scherzen und kleinen Galanterieen, wie sie ältere Männer jungen Mädchen gegenüber sich gern erlauben, sagte er ihr, was er Mittags zu speisen wünschte. Als er hierauf das Frühstück endigte, um zu seinen zwei Tage lang unterbrochenen Geschäften zurückzukehren, erschlich er sich noch einen Kuß, den ihm Martha zwar widerstrebend, aber doch kichernd gab.

Ein liebes Kind, murmelte Wimmer in den Bart, fast so lieb wie Anna, ehe sie die Braut des Webers ward.

Den Rest des Vormittags verbrachte der Kaufmann mit Durchsicht der eingelaufenen Briefe, von denen er einige sogleich selbst beantwortete, die übrigen dem zuverlässigen, mit allen Geschäftsangelegenheiten wohl vertrauten Franz zu gleichem Zwecke übergab.


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