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Elftes Kapitel. Der stille Sonnabend.

Am nächsten Morgen eilte Albrecht vergebens noch vor Sonnenaufgang an den Bach, um Flora zu sprechen. Das junge Mädchen kam nicht. Sie war zwar rechtzeitig erwacht und auch bereits auf dem Sprunge, das Haus zu verlassen, als die Mutter sie rief. Frau Anna trieben heute gar wichtige Geschäfte früher aus den Federn. Sie mußte Osterfladen backen und später die Säuberung des ganzen Hauses vom obersten Sparren bis zur Hausdiele herab wenigstens mit eigenen Augen überwachen. Sie hatte die halbe Nacht in den süßesten Träumen zugebracht, denn sie konnte sich aus Rosinen und Mandeln nicht herausfinden. Die Sorge um das ihr bevorstehende wichtige Geschäft ließ sie jedoch nicht recht zur Ruhe kommen, der leichte Schritt der Tochter, die abermals Wasser schöpfen wollte, weckte sie, und um nicht lange auf die rüstige Gehilfin warten zu dürfen, rief sie der Davoneilenden in mütterlichem Eifer nach, sie möge sich sputen.

Eine so ärgerliche Störung war dem Mädchen höchst unangenehm. Die Heimlichkeit, welche nach der Behauptung des Volkes dem Wasser allein Kraft und Weihe verlieh, war gestört durch den Ruf der Mutter; sie fürchtete Unglück zu haben, den ganzen Tag lauter thörichte Dinge zu thun und am Ende gar mit trüben Ahnungen, das heilige Fest anzutreten. Sie antwortete deßhalb der Mutter, um sich jeden Ausweg auf einmal abzuschneiden, und stellte den schon ergriffenen Krug wieder in den sichern Winkel.

Frau Anna war damit sehr zufrieden. Sie zündete selbst Feuer im Ofen an, was sie an andern Tagen regelmäßig der Dienstmagd überließ, rückte die Milchfässer zurecht, damit sie gleichmäßig durchwärmt werden möchten, und als ihrem Gefühle nach das Zimmer die gehörige Temperatur erreicht hatte, ließ sie das Feuer langsam wieder erlöschen. Das war so herkömmlich seit vielen Jahren. Frau Anna sah es nicht gern, wenn ihr Jemand drein redete, und mochte deßhalb nur solche Personen um sich leiden, die ihren Befehlen unbedingt gehorsamten. Ammer wußte das längst, dennoch konnte er kleine Neckereien nicht unterlassen. Zwar kümmerte er sich nicht um das Schaffen seiner Frau an solchen Tagen, so oft ihn aber sein Weg durch das Wohnzimmer führte, wo die große That vorbereitet ward, machte er jedesmal schlechte Witze, tadelte die Hefe, die Milch, nannte die Butter alt, schimpfte auf die mancherlei Zuthat, die doch stets vortrefflich war, und hatte die schadenfrohe Genugthuung, durch seine unnützen Bemerkungen seine Frau entschieden verdrießlich zu machen. Erst wenn Anna, in solchem Falle reizbar, ihm ein paar Grobheiten erwiderte, zog er lachend von dannen, indem er sich achselzuckend in sein Schicksal fügte, das, wie er meinte, die Männer an solchen Tagen unter das Pantoffelregiment der Weiber stelle.

Obwohl Flora von der widerfahrenen Störung anfangs unangenehm berührt ward, machte ihr später das Umherstreichen Albrechts doch viel Vergnügen. Unbemerkt beobachtete das spähende Mädchen durch eine Spalte im Fensterladen den harrenden Jüngling, der sich heute so bitter in seinen Erwartungen getäuscht sah.

Inzwischen belohnte sich die rastlose Thätigkeit Frau Anna's an diesem Tage in glänzender Weise. Das Feiertagsgebäck, dessen Nichtvorhandensein wir müssen es unumwunden sagen den Weber sehr ärgerlich machen konnte, obwohl er es Niemand gestand, gerieth vortrefflich, und Ammer ließ es sich zur Genugthuung von Mutter und Tochter eben so trefflich munden. Nachmittags begann die Säuberung des Hauses, wobei Jeder, sofern nicht der Hausherr für sich seine Dienste in Anspruch nahm, ohne Gnade helfen mußte, und so wurde es ermöglicht, daß zur Feierabendstunde Alles beendigt war und sämmtliche Hausgenossen sich nach Belieben auf die nächsten Fest- und Freudentage vorbereiten konnten.

Die Abendstunden des »stillen Sonnabends« wurden, diesem Namen entsprechend, in größter Stille und eigenthümlicher Weise zugebracht. So gern Ammer es sah, wenn des Abends zuweilen ein Nachbar bei ihm einsprach, an diesem Tage ward kein Besuch angenommen, was freilich ein Leichtes war, da ohnehin keiner kam. Diejenigen, welche mit dem Weber auf freundschaftlichem Fuße lebten, kannten seine Eigenthümlichkeiten zur Genüge und wußten, daß er den abendlichen Rest dieses Tages nur im Kreise seiner Familie zuzubringen pflege. Frau und Kinder mußten sich nach dem frugalen Abendessen um den viereckten Tisch von Lindenholz setzen, alle Arbeit ruhen lassen und einer Lectüre Ohr und Herz leihen, an der sie sehr wenig Geschmack fanden. Ammer las nämlich in eigener Person aus Klopstock's »Messiade« vor, die er von seinem Pathen, einem Gelehrten, bei der Confirmation zum Geschenk erhalten hatte, und welche beiläufig das einzige Werk deutscher Literatur war, das er besaß und kannte. Er hatte es wirklich schon einigemale durchgelesen und sich immer wieder von Neuem daran erbaut, da es ihm eine zweite Bibel zu sein schien. Freilich vergingen Jahre, ehe sämmtliche Gesänge durchgearbeitet wurden, allein das störte den in seiner Ausdauer unermüdlichen Weber nicht, und noch weniger durften seine Zuhörer sich dagegen auflehnen.

Frau Anna war an diese Feier des Abends vor dem Osterfeste so gewöhnt, daß sie etwas vermißt haben würde, wäre die Lectüre ganz unterblieben. Flora und ihre Brüder waren aber zu lebhaft, zu übermüthig und zu jung, um an den ernsten Versen des gottbegeisterten Sängers, die im Munde ihres Vaters auch nicht gerade an Wohlklang gewannen, Gefallen finden zu können. Flora fing daher regelmäßig während der Lectüre an zu gähnen, erst verstohlen, dann laut, und wenn sie ihre Langeweile durch so unzweideutige Zeichen kundgegeben hatte, begann sie mit den Augen zu blinzeln, mühte sich vergebens eine halbe Stunde ab, die schweren Lider offen zu halten, bis zuletzt Müdigkeit und Langeweile sie gänzlich überwältigten und das gute Kind neben der lächelnd zuhörenden Mutter sanft einschlief. Den Brüdern erging es nicht besser, doch verhielten sie sich ruhig, bis des Vaters monotone Stimme sie ebenfalls glücklich in festen Schlaf einlullte.

Ammer, nur mit dem Buche beschäftigt und überdies ein großer Verehrer des Dichters, der ihm höher stand als David, der Psalmist, merkte nichts von der Schlafsucht seiner Kinder. Er las, ohne aufzublicken oder einzuhalten, bis die schwarzwälder Uhr auf Neun aushob. Bei diesem Schnarren des Räderwerkes machte er mit dem Daumennagel ein Zeichen in's Buch, legte seine Hornbrille zwischen die Blätter und schlug es zu.

Jetzt erst sah er sich um nach seinen Zuhörern. Da saß Frau Anna aufrecht wie eine Statue, die Arme über die Brust gekreuzt, mit dem Rücken gegen die Holzwand gelehnt. Sie sah mit ihren gutmüthigen blauen Augen gerade vor sich hin und rührte keine Fiber. Neben ihr, das lockige Köpfchen an die Schulter der Mutter lehnend, schlummerte Flora den glücklichen Schlaf der Jugend und Unschuld. Weiter unten am Tische nickten Christlieb und Fürchtegott um die Wette.

Wie Ammer diese seltsame Gruppe gewahrte, schlug er mit der Faust hart auf den Tisch und sagte:

Wo siehst du hin, Mutter? Hörst du nicht, daß es auf Neun aushebt?

Darauf zwinkerte Frau Anna mit den Augen und versetzte:

Ist's wirklich schon neun? Ja, ja, die Zeit vergeht rasch.

Sie würde aber schlecht bestanden haben, hätte ihr Eheherr sie über das Gehörte examiniren wollen; denn der Wahrheit gemäß müssen wir melden, daß die gute Frau so viel wie gar nichts gehört, wohl aber über tausend andere wichtige und unwichtige Dinge nachgedacht hatte.

Und die Heidenkinder schlafen, Gott versorge mich, richtig wieder! fuhr Ammer fort, seinen Schemel mit der blau angestrichenen Lehne polternd zurückschiebend, daß Flora und ihre Brüder darüber erschrocken aufwachten, 's ist kein Christenthum mehr in der Jugend, grollte er fort, die abgelaufenen Gewichte der Wanduhr aufziehend. Anna entschuldigte die Kinder mit den mancherlei Geschäften des Tages, die sie ermüdet hätten, während Flora erröthend hinter dem Tische hervorschlüpfte, ihren Brüdern einen Wink gab, den Eltern gute Nacht wünschte und geschwind das Zimmer verließ. Ihrem Beispiele folgten alsbald die Brüder. Ammer murrte und brummte noch eine Weile über Unachtsamkeit und zerstreutes Wesen der Seinigen, ließ es aber ruhig geschehen, daß die Mutter ihn mit sich fortführte. Ein paar Minuten später schlief das ganze Haus. Man hörte nur noch das Klopfen des Holzwurmes im Getäfel und das Plätschern des Waldbaches im Erlengebüsch.


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