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Zweites Kapitel. Ein Liebesmahl.

Herrnhuter besitzen bekanntlich keine Kirchen, sondern nur sogenannte Bethäuser. Diese liegen gewöhnlich in der Mitte der Brüderorte auf freiem Platze, der in weltlich gesinnten Städten und Flecken Marktplatz heißen würde. Obwohl alle Herrnhuter ausschließlich vom Handel leben, dulden sie doch in ihren Niederlassungen keinen Marktlärm; Stille ist ihnen Lebensbedürfniß, im wie außer dem Hause. Sie handeln zwar eifrigst, sind sehr klug und vorsichtig, verschmähen weder Credit noch Gewinn, lärmend aber darf ein Geschäft, wobei sie sich betheiligen sollen, nicht sein.

Diese charakteristische Liebhaberei an geräuschlosem Dahinleben spricht sich auch in den religiösen und socialen Zusammenkünften der »Brüder und Schwestern« aus. Das nur mit niedrigem Thürmchen versehene Bethaus ist schmucklos im Innern, einfach von Außen. Ein Saal ohne allen Zierrath, mit weißgetünchten Wänden, ist zugleich Kirche und Gesellschaftslocal bei den halbkirchlichen Zusammenkünften der Gemeinde. Weiß, die Farbe der Unschuld und Anspruchslosigkeit, ist Lieblingsfarbe aller Herrnhuter. Deßhalb spielt Weißzeug nicht bloß eine Hauptrolle in der Kleidung der Schwestern, weiß angestrichene Tische, Stühle und Bänke findet man auch gewöhnlich in den Bethäusern der Herrnhuter.

Als Fürchtegott an Wimmer's Seite in den Saal trat, befiel ihn eine Art Beklommenheit. Diese schmucklose, nüchterne Leere drückte alpartig auf seine lebensfrohe Seele. Es kam ihm vor, als mache sich eine geheime, unsichtbare Gewalt in diesem Raume geltend, die Jeder unangenehm empfinden müsse, ohne daß er Kraft genug besitze, sich ihr zu entziehen. Um dies beängstigende Gefühl einigermaßen zu paralisiren, beschäftigte sich Fürchtegott zunächst mit den Aeußerlichkeiten des Betsaales, die ihm der Betrachtung doch werth zu sein schienen.

Am oberen Ende desselben auf unbedeutender Erhöhung stand ein simpler Tisch, mit weißem Tuche überdeckt. Eine Bibel und das Bild des Gekreuzigten darauf, gaben ihm das Ansehen eines Altares. Dahinter befand sich ein erhöhter Lehnsessel. Zu beiden Seiten des Saales waren gedeckte Tafeln aufgestellt, nebst schmucklosen Stühlen. Mit Ausnahme dieser letzteren, die man farblos nennen konnte, war Alles weiß, kreideweiß. Die vielen Lichter, auf weißgläsernen Kronleuchtern brennend, deren Strahlen sich an den weißen Wänden brachen, schmerzten die Augen. Genug, der erste Eindruck, welchen dieser Betsaal auf jeden Nichtherrnhuter machte, mußte ein unerquicklicher sein. Weder Heiterkeit noch Andacht, noch geselliger Ton konnten in dieser Umgebung aufkommen.

Es befanden sich schon mehrere Brüder und Schwestern im Saale, als Wimmer seinen jungen Freund in dies Asyl stillster Lebensfreudigkeit einführte. Die Schwestern, in ihren glatt anliegenden, spitzenlosen Häubchen, ihren weißen Jäckchen und weißen Schürzen kamen unserem Freunde wie Geister vor, die leise flüsternd an den Wänden forthuschen und aller Körperlichkeit entbehren. Sie hielten sich nicht zusammen, getrennt von den Männern und ihr etwaiges Gespräch beschränkte sich auf säuselndes Zischeln.

Auch die Männer waren nicht viel lauter. Vielleicht des Abstandes halber gingen alle sehr dunkel gekleidet, die Vornehmeren schwarz, die weniger Vornehmen, vorzugsweise die eigentlichen Brüder, welche gemeinschaftlich das Brüderhaus bewohnten, in lebkuchfarbenen Tuchröcken. War bei den Frauen Alles schattenloses Licht, so hielt es schwer, bei den Männern eine Spur von Licht zu entdecken, was denn zusammen eine sehr schlechte Farbenmischung gab. Künstleraugen mußten sich geradezu von diesem grellen Mangel aller geschmackvollen Farbenmischung beleidigt fühlen.

Wimmer trat zu den Männern, reichte Jedem mit langem Drucke die Hand und grüßte Alle mit brüderlichem Kusse. Fürchtegott versuchte anfangs, sich durch häufiges Verbeugen, das nicht immer gut gelang, bemerklich zu machen; da man sich aber gar nicht um ihn kümmerte, ihn nicht einmal zu sehen schien, und Wimmer es nicht für nöthig erachtete, ihn irgend einem seiner Bekannten vorzustellen, so gab er seine nutzlosen Complimente bald auf, zog sich etwas zurück und lehnte sich an einen der Pfeilerwände. Dieser Platz war unstreitig für den jungen Mann der unterhaltendste, da er der Thür schräg gegenüber lag und alle Eintretende eine Musterung seiner scharfen Augen aushalten mußten.

Obwohl die Zahl der Ankommenden sich beträchtlich vermehrte, dauerte es doch geraume Zeit, ehe die losen Glieder der Gesellschaft sich zu einem geselligen Zirkel vereinigen wollten. Endlich trat ein hochbejahrter Mann ein, dessen bedeutende Gestalt von der Last der Jahre gebeugt war. Silberweißes Haar, nach Brüdersitte gescheitelt, fiel in reichen schimmernden Locken zu beiden Seiten des bleichen Gesichtes fast bis auf seine Schultern herab. Von zwei Personen, einem Manne und einer jugendlichen Frauengestalt, geführt, durchschritt der Greis den Saal und näherte sich dem altarähnlichen Tische, wo der Armstuhl die Glieder des Lebensmüden in seine weichen Polster aufnahm.

Für unsern jungen Freund war dieser neue, ihm völlig unbekannte Ankömmling ein Gegenstand großer Aufmerksamkeit. Nicht weniger beschäftigten ihn die beiden Begleiter des Greises. Leider konnte er von seinem Platze aus die weibliche Führerin nicht recht in's Auge fassen, da ihre Gestalt von dem Greise und dem ihm zur Rechten bleibenden männlichen Gefährten verdeckt ward. Dieser männliche Führer war Graf Alban, den Fürchtegott so zufällig am Morgen kennen gelernt hatte.

Aus der großen Stille, die bei dem Erscheinen des Greises eintrat, und aus dem demuthvollen Neigen der Häupter aller Anwesenden zog der junge Ammer den richtigen Schluß, es möge dieser ehrwürdige Alte wohl der präsidirende Bischof, zugleich der Lehrer, Prediger und Seelenhirt der ganzen Brüdergemeinde sein.

Er ward in dieser Annahme bestärkt, als jetzt der Greis die Hände faltete, und mit sanfter, liebevoller, glaubensinniger Stimme ein zum Herzen sprechendes Gebet von ziemlicher Länge hersagte, und am Schlusse desselben den versammelten Brüdern und Schwestern verkündigte, daß eine junge Dienerin im Herrn zum letzten Mahle das Brod der Liebe theilen und mitgenießen werde, da der Heiland sie gerufen, einem Manne über das Meer zu folgen, damit sie bekehre die Heiden und Christi Lehre verbreiten helfe unter denen, deren Seelen noch erfüllt seien von tiefer Finsterniß.

Liebe Brüder und Schwestern, schloß der Bischof, die weißen, knöchernen Hände fester verschlingend und mit apostolischer Ueberzeugungskraft gegen seine Brust drückend, während die schwärmerischen Augen nach oben blickten; liebe Brüder und Schwestern, betet für die Scheidende, die in demuthvoller Ergebenheit dem Winke des Erlösers folgt. Betet für sie, daß der Gott der Liebe ihr Kraft verleihe auf dem dornenvollen Pfad, der ihrer harrt! Betet, daß er das Maß ihrer Geduld sich füllen lasse bis zum Rande, damit sie sich bewähre als treue Magd des Herrn! Christus unser aller Heiland und Erlöser, bleibe bei ihr immerdar! Und wie ich, sein unwürdiger sündenbelasteter Knecht, jetzt die zitternde Hand segnend auf ihr jugendliches Haupt lege zur Weihe der Sendung, die ihr geworden, so segne sie mit der Kraft seiner Allmacht der Herr der alten und neuen Welt! Amen!

Bei den letzten Worten beugte der Bischof seine Kniee. Mit dumpfem Rauschen folgten Brüder und Schwestern seinem Beispiel. Graf Alban aber führte die junge zu so schwerem Loose bestimmte Schwester dicht vor den Betenden und hielt wie ein Schirmherr die Hände gefaltet über sie, während der Bischof ein dreimaliges Kreuz über dem Scheitel der jugendlichen Gestalt schlug.

Als diese Ceremonie vorüber war, die durch ihre feierliche Ruhe und große Einfachheit das Herz unseres jungen Freundes lebhaft bewegte, erhob sich die jugendliche Herrnhuterin, um, von ihrem Beschützer geleitet, den Brüdern zugeführt zu werden. Denn vor einem solchen Abschiede, der für einen ewigen gelten konnte, war es Sitte, daß jedes Glied der Gemeinde den Bruder- und Schwesterkuß auf die Stirn der Scheidenden hauchte.

Das volle Licht der Kerzen auf den Kronleuchtern fiel jetzt auf die schlanke, fein gebaute Gestalt, und als sie gegen die dunkle Reihe der Brüder vorschritt, erkannte Fürchtegott mit eigenthümlichen Gefühlen in der Missionärin, oder wie er die junge Herrnhuterin sonst etwa nennen sollte, die schwarze Dame, welche er Vormittags an dem ihm interessant gewordenen Grabsteine gesehen hatte.

Unverwandten Blickes folgte er ihr auf dem von der Sitte vorgeschriebenen Abschiedsgange. Je näher die Fremde ihm kam, desto befangener ward er, ohne einen Grund dafür angeben zu können. Jetzt trat sie zu Wimmer, der ihr in üblicher Weise den Abschiedskuß auf die Stirn drückte. Im nächsten Augenblicke stand die junge Person vor dem überraschten Jünglinge. Ohne aufzublicken reichte sie ihm die Hand. Fürchtegott ergriff sie aus reiner Verlegenheit. Sie war zart und warm, und ein leises Beben schien sich in die Nerven des so seltsam Ueberraschten einzuschleichen. Er drückte sie unwillkürlich und ohne zu wissen, daß er es that. Dabei sah er empor, und als habe die magnetische Berührung der Hände die Blicke beider einander gänzlich Fremder belebt, die Augen Fürchtegott's und der Scheidenden begegneten sich. Der junge Ammer sah ein unbeschreiblich mildes, gottergebenes Gesicht, über dessen zarte Lilienblässe ein Zug tiefer Schwermuth sich lagerte. Fürchtegott hätte gern recht lange dies liebliche Madonnenantlitz betrachtet, allein ein Wink Graf Alban's und eine flüsternde Ermahnung Wimmer's erinnerten ihn, daß hier nicht der Ort sei Bekanntschaften anzuknüpfen. So bog er sich denn vor, um der leidenden Gestalt ebenfalls den Bruderkuß zu geben. War es nun Zerstreuung oder irgend ein anderer Zufall, Fürchtegott berührte nicht die Stirn, sondern die Lippen der jungen Herrnhuterin. Er fühlte dabei, wie eine Thräne aus den Augen der Scheidenden auf seinen Mund fiel. Verwirrt trat er fast zu heftig zurück, besorgt, daß man diese ungewöhnliche Begegnung bemerkt haben und mit Mißbehagen aufnehmen möge. Es schien jedoch, als wäre außer Wimmer und dem Grafen Alban Niemand Zeuge dieses Kusses gewesen. Die Herrnhuterin beendigte ihren Gang durch den Saal und die feierliche, einfache und doch so ergreifende Scene war zu Ende.

Unser Freund konnte jedoch seine Fassung nicht so leicht wieder gewinnen. Er hörte auf Wimmer's Gespräch, ohne den Sinn seiner Worte zu verstehen. Er gab kurze, zerstreute Antworten und wußte doch häufig nicht, was er erwiderte. Alles um ihn Vorgehende kam ihm später wie ein Traum vor, und obwohl das Liebesmahl nie ganz aus seinem Gedächtnisse schwand, wußte er sich doch auch niemals genaue Rechenschaft zu geben über das, was nach dem Abschiede der jungen Herrnhuterin im Kreise der Brüder und Schwestern vorgegangen war.

Erst nach vollendeter Liebestafel, wobei Thee und geschnittene Brode herumgereicht wurden, und nachdem die Versammlung aufbrach, kehrte Fürchtegott sein Gleichmuth vollkommen wieder. Er bedauerte im Stillen, daß er die arme Scheidende – denn für arm hielt er sie – nicht nochmals gesehen, daß er auch nicht ein einziges Wort zu ihr gesprochen hatte. Seine Meinung gegen Wimmer zu äußern, wagte er nicht, und vor den Grafen mit einer so völlig aus der Luft gegriffenen Frage zu treten, hielt ihn ein unklares Gefühl ab, daß man darin eine Unschicklichkeit oder auch eine bäurische Dreistigkeit erblicken möge.

Seltsamerweise erwähnte Wimmer nichts von dem Verstoß, welchen sich der junge Ammer beim Abschiede von der Scheidenden erlaubt hatte. Entweder legte er selbst keinen Werth darauf, oder ihn nahmen andere, wichtigere Gedanken in Anspruch. Die Stimmung des Herrnhuters blieb während der kurzen Zeit, welche er noch mit seinem Gaste verlebte, eine entschieden feierliche, ernste, dem Weltlichen abgewandte. Er unterhielt Fürchtegott auch noch daheim von den großen Segnungen der Missionsvereine, von dem heiligen, werkthätigen Leben, welches Personen, die sich demselben widmeten, führten, sprach von den Vortheilen, die mittelbar dadurch der ganzen Welt zuflössen, und brach, als er das für seinen Zuhörer etwas langweilige Thema gründlich erschöpft hatte, endlich mit einem kurzen »gute Nacht, junger Freund«, ab.

Fürchtegott athmete auf, als er sich allein in der ihm eingeräumten Kammer sah. Jetzt konnte er doch seinen Gedanken ungestört nachhängen, sein geistiges Auge in süßer Rückerinnerung an dem Antlitz laben, das wie eine Erscheinung aus besserer Welt einige Secunden lang ihn entzückt, dessen lebenswarme, feuchte Lippen er berührt hatte.

Wer sie wohl sein mag! – Ob sie mir wieder begegnen wird auf meiner Lebensbahn? Diese Frage legte er sich wohl hundertmal vor, bis der Schlaf ihn umfing und das Füllhorn seiner buntesten Traumwelt über den Jüngling ausschüttete. Wie sonderbar und phantastisch aber auch die Bilder sich gestalteten, die an dem Spiegel seiner Seele bald in erschreckender, bald in erheiternder Gestalt vorüberschwebten: in alle mischte sich die scheidende Schwester. Das milde Antlitz der jungen Herrnhuterin leuchtete wie ein Engel um düstere und entzückende Bildereien der träumenden Seele, und zwar immer in gleich liebevoller, gleich beruhigender Weise.

Fürchtegott erwachte spät nach einer Nacht, die er ungeachtet der Störung, welche ihm die verschiedenen Träume verursacht hatten, doch eine glückliche nennen mußte. Auch fühlte er sich ungewöhnlich heiter, leicht und erhoben. Sein ganzes Wesen kam ihm selbst verändert vor. Er würde, hätte man ihn dazu aufgefordert, versucht haben, zu fliegen, eine so merkwürdige Elasticität fühlte er seine Glieder durchrieseln.

Ein sanftes Klopfen an der Thür seiner Kammer mahnte ihn, daß es schon spät sei. Gleich darauf blickte Wimmer's Auge forschend in das Gemach und der weichste »guten Morgen, junger Bruder«, flötete dem Jünglinge entgegen.

Beeile dich ein wenig, wenn du kannst, sagte der Herrnhuter mit schelmisch lächelndem Antlitz. Der Besuch des Liebesmahles hat dir schon Glück gebracht oder wird es dir doch bringen. Ein Diener des Grafen Alban wartet bereits seit einer halben Stunde auf dein Erwachen. Der einflußreiche Mann wünscht, ehe du Herrnhut wieder verläßt, dich zu sprechen.

Mich? versetzte Fürchtegott und eine leichte Röthe überflog seine jugendlichen Wangen. Was kann der Herr Graf von mir wollen?

Das wirst du ja erfahren, lieber Bruder. Darum spute dich, gehe in's Palais und sei weder blöde noch zurückhaltend. Ein Mann wie Graf Alban vermag bisweilen mehr als ein Fürst. Ueber wen er seine schirmende Hand hält, den lieben die Engel und bleiben ihm treue Gefährten auf dem vielgewundenen Irrwege durch's Leben.

Der junge Ammer erwiderte nichts auf diese Bemerkungen Wimmer's. Seine Gedanken weilten bereits in der freundlichen Villa und ergingen sich in tausenderlei Vermuthungen. Stillschweigend überdachte er, was er dem Grafen sagen, worüber er ihn befragen wolle, und nachdem er in Eile sein Frühstück genossen hatte, folgte er dem schweigenden Diener, der verdrossen und gelangweilt neben ihm her ging.

Graf Alban empfing Fürchtegott in einem vornehm eingerichteten, doch nicht prunkvollen Zimmer des Erdgeschosses. Der Fußboden desselben war mit feinen Matten belegt, die aus den Fasern irgend einer außereuropäischen Pflanze geflochten sein mußten, denn Fürchtegott kannte nichts, womit er sie hätte vergleichen können. Statt des Ofens befand sich in einer Ecke des Zimmers ein Kamin, dessen hell brennende Gluth eine behagliche Wärme verbreitete und zugleich einen ungemein freundlichen Anblick gewährte. Vor diesem Kaminfeuer in bequemem Polsterstuhle saß Graf Alban. Ihm zur Rechten stand ein kleiner runder Tisch, auf welchem Bücher, Broschüren, Schriften und viele Briefe lagen.

Der Sohn des Webers blieb schüchtern an der Thüre stehen und eine eigenthümliche Befangenheit kam über ihn, als er sich allein dem Manne gegenüber sah, der eine so bedeutende Rolle in der Welt gespielt hatte und bereits so tief eingeweiht war in die Pläne Wimmer's, die wieder die Familie Ammer auf's Engste berührten.

Treten Sie näher, junger Mann, redete Graf Alban den Schüchternen an und winkte ihm herablassend mit der Hand. Auf einen ihm gegenüber stehenden Stuhle deutend, lud er zugleich den Jüngling zum Sitzen ein.

Menschen, die einander kennen lernen und gegenseitig helfen wollen, müssen sich Aug' in Auge sprechen, setzte der Graf hinzu, während Fürchtegott zögernd dem Stuhle zuschritt und nur auf den Rand desselben sich niederließ.

Das Auge Alban's ruhte sanft, aber forschend auf ihm, und hätte der Graf im Range nicht zu hoch über ihm gestanden, würde er mit großem Vertrauen und zuversichtlicher mit ihm verkehrt haben.

Es ist mir von Herrn Wimmer mitgetheilt worden, begann der Graf, daß Ihr Vater, den ich vor Jahren einmal gesehen habe, ihm erlaubt hat, ein eigenes Geschäft nach Amerika, zu Ihrem und Ihres Bruders Nutzen einzurichten. Ich freue mich darüber aufrichtig, weil ich die amerikanischen Verhältnisse genau kenne und mithin weiß, wie lucrativ sich ein solches Geschäft gestalten kann, wenn es mit gehöriger Umsicht und praktischem Blick betrieben wird. Es ist mir aber auch bekannt, daß Herr Ammer keinen Gefallen an diesem Unternehmen findet, was ich bedaure. Sollte nun vielleicht – denn der Mensch ist ja nicht allwissend – Ihr Vater in Zukunft der Fortsetzung des begonnenen Unternehmens hinderlich sein wollen, so bitte ich, wenden Sie sich in diesem Falle an mich. Vielleicht gelänge es mir, Herrn Ammer in dieser wie in mancher andern Beziehung umzustimmen.

Fürchtegott versprach dies zu thun, war aber auch mit dieser einfachen Zusicherung völlig zu Ende. Graf Alban's Augen suchten durch die Züge des Befangenen in dessen innerster Seele zu lesen. Er schwieg während dieser für unsern Freund peinlichen Prüfung.

Wie hat es Ihnen gestern beim Liebesmahle gefallen?

O recht gut – ganz außerordentlich – sagte Fürchtegott stotternd.

Es ist eine schöne Sitte, die erhebend und erbauend wirkt, bemerkte Graf Alban. Man wird dabei unwillkürlich gerührt, wo aber Rührung unser Herz bewegt, da entzündet sich im Geist das Licht der Erbauung und Heiligung. Nicht wahr, Sie fühlten sich auch ergriffen?

Gewiß, sehr ergriffen, betheuerte Fürchtegott.

Namentlich, als die gute Schwester Erdmuthe Ihnen die Hand zum Abschied reichte, nicht wahr?

Erdmuthe heißt sie? versetzte lebhaft der junge Mann, indem ein warmes Feuer aus seinen Augen sprühte. Und in Paramaribo ist sie geboren?

Der Graf lächelte. Nicht doch, lieber Freund! Paramaribo ist das Land ihrer zukünftigen Thätigkeit. Beneiden Sie die junge, liebliche Schwester vielleicht um das Glück, zu dem der Heiland sie berufen hat?

Das nicht, versetzte Fürchtegott, doch möchte ich wohl ferne Länder, fremde Menschen sehen, um von ihnen zu lernen und zugleich zu erkennen, wie unendlich groß die Allmacht Gottes ist.

Sie hätten also Lust, große Reisen zu machen?

Warum nicht? Es ist mir oft genug zu eng in der Wohnstube meines Vaters.

Glaub's gern, versetzte Graf Alban. Aber nur den Muth nicht verloren, mein Sohn! Denken Sie recht oft an das Wort: Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle; arbeiten Sie tüchtig, seien Sie brav, vergessen Sie niemals dabei Gebet und Fürbitte, und wer mag wissen, ob Sie nicht schon binnen wenigen Jahren den Wirkungskreis der Missionärin Erdmuthe Gottvertraut persönlich kennen lernen!

Erdmuthe Gottvertraut, wiederholte Fürchtegott gedankenvoll.

Ja, so heißt sie, sagte Graf Alban. Sie hat sich mit Bewilligung der Aeltesten diesen Namen gegeben, eben weil sie überzeugt ist, daß Gott allein sie auf den wunderbaren Wegen geleiten wird, die sie fortan betreten soll.

Sie ist wohl noch sehr jung? fragte Fürchtegott schüchtern.

Alban lächelte wieder sehr fein und sehr freundlich. Einige Monate über zwanzig Jahre, erwiderte er. Sie läßt Sie nochmals durch mich grüßen, denn durch den Abschiedskuß, den sie Ihnen gegeben hat, ist sie Ihre Schwester vor dem Herrn geworden.

Fürchtegott erröthete und senkte verlegen die Augen. Graf Alban schwieg und blätterte in Briefen, die auf dem ihm zur Seite stehenden Tische lagen.

Wenn Sie künftig Herrnhut wieder besuchen, bitte ich dringend, an meinem Hause nicht vorüber zu gehen, sagte der Graf nach einer Weile. Sie wissen jetzt, daß Sie an mir einen Freund, und wenn es nöthig ist, auch stets einen bereitwilligen Helfer und Rather haben. Freunde sind viel werth in dieser argen Welt, so sie es nur ehrlich meinen. Durch Freundesrath und den Klang des Geldes sind noch immer große Dinge auf Erden zu bewirken. D'rum sollte jeder kluge Mann darauf sinnen, sich Beide zu erwerben! Nur Unvorsichtige schätzen das Eine gering und kümmern sich nicht um Freunde, weil sie einen Theil ihres Selbst dabei gefangen geben müssen. Kluge und berechnende Köpfe werden durch solche Fesseln, die mehr als Schmuck ihnen Brust und Arme umschlingen, nicht in ihrem Thun gehindert. Wenn Sie also, junger Freund, diesen Klugen sich anschließen, werden Sie niemals in Gefahr gerathen, allein zu stehen und in Stunden der Bedrängniß, zeitlicher und geistiger, ohne Trost, Zuspruch und Hilfe zu sein! Beachten Sie das und lassen Sie mich recht oft das Vergnügen Ihrer Gegenwart genießen!

Eine bezeichnende Handbewegung sagte Fürchtegott, daß er entlassen sei. Er stand auf, verbeugte sich etwas linkisch vor dem Grafen und verließ wie ein Träumender die stille Villa. Das Bild Erdmuthe's wollte sich durchaus nicht in seinem geistigen Auge verwischen lassen. Selbst bei dem rein geschäftlichen Verkehr, den er bei Wimmer nochmals aufnehmen mußte, und der ihn persönlich höchlichst interessirte, gaukelte wieder und wieder das liebliche Bild der jungen Missionärin, die wahrscheinlich schon unterwegs nach Paramaribo war, vor ihm auf und nieder.

Nachmittags verließ Fürchtegott den Brüderort, mit den besten Segenswünschen Wimmer's begleitet, der discret genug war, mit keiner Sylbe sich nach dem Inhalt des Gespräches zu erkundigen, das sein junger Freund mit dem vielvermögenden Grafen gehabt hatte.


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