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Drittes Kapitel. Die Familie des Webers.

Inzwischen kamen die beiden Söhne des Webers, erhitzt von der Anstrengung des Fahrens, den schmalen Weg herauf. Sie hatten ihre leichten Kattunjacken ausgezogen und auf die graue Leinwand geworfen, mit welcher das gebleichte Linnen überspannt war. Als sie vor dem Hause ihres Vaters hielten und die Tragseile abwarfen, nickte ihnen dieser einen Gruß zu und erwiderte ihren »guten Abend«.

Alles in Ordnung? fragte Ammer, den Söhnen die Hand reichend und ihnen neben sich auf der Bank Platz machend.

Einen Gruß vom Bleicher, sagte Christlieb, und du sollst ihm nur recht viel schicken, des Preises wegen würdet ihr euch die Haare nicht ausraufen.

Habt ihr Durst? fragte Ammer. Ihr müßt wacker zugefahren sein – sollt auch eine Herzstärkung haben, damit euch die Erhitzung nichts schadet, Florel!

Riefst du mich, Vater? sagte die anmuthige Tochter, ihr Köpfchen unter dem Weinlaub hervorsteckend, das die Holzbohlen dicht überzog.

Bring' deinen Brüdern einen Trunk, befahl Ammer.

Flora begrüßte erst die Brüder und ging dann in's Haus, um den Auftrag ihres Vaters zu vollziehen.

Es war ein hart Stück Arbeit, sprach Fürchtegott. Die Sonne brannte heiß in den Kieferwaldungen und wir hatten 'was viel aufgeladen.

Ammer stand auf und hob wägend beide Radebergen. Dann pfiff er durch die Finger und setzte sich wieder zwischen die Söhne.

Ihr habt gerade das rechte Gewicht getroffen, und wenn ihr nur immer stäte zugefahren seid, so kann's euch nichts schaden.

Jetzt brachte Flora den Brüdern die verlangte Stärkung, ihnen dieselbe ebenso wie früher dem Glassammler kredenzend. Zugleich trat ein Gehilfe aus dem Hause, der auf Befehl des Webers das gebleichte Linnen ablud.

Was habt ihr verzehrt? fragte Ammer. Christlieb und Fürchtegott legten Rechnung ab und zeigten als Rest ihrer Baarschaft noch einige Groschen vor.

Das trifft bis auf zwei Batzen, meinte der Vater. Habt Ihr die verloren.

Nein, erwiderte Fürchtegott. Vor der Stadt trafen wir zwei wandernde Handwerksburschen, Weber aus dem Reiche, wie uns ihr Gespräch verrieth. Sie waren ermüdet, sehr dürftig gekleidet, hatten keine Arbeit finden können und hätten sich auf's Fechten legen müssen, um das nächste Nachtquartier bezahlen zu können. Aus Christenliebe schenkten wir jedem einen Batzen.

Gut, sprach Ammer. Rechtliche Leute, die in Noth sind, beschenke auch ich gern. Ihr habt Recht gethan, sie zu unterstützen, doch seht euch vor, daß ihr nicht unzeitig freigebig werdet und vor jedem Bettelnden den Beutel zieht! Man muß vorsichtig sein itzund, denn es läuft viel liederlich Gesindel in der Welt herum, das Andrer Mildthätigkeit mißbraucht. Auch im Geben ist Sparsamkeit immer zu empfehlen, damit man nicht selbst in Noth geräth. Mit Wenigem auskommen ist eine Kunst, die gelernt sein will und die leider immer mehr verloren geht in unserer genußsüchtigen Zeit. Als ich jung war, regierte ein anderer Sinn. Da sparte Arm und Reich, was denn Jeden ehrlich durch die Welt brachte, und Manchem, der von Haus aus ein armer Gesell war, später zu einigem Besitze verhalf. Ihr seht in mir ein lebendiges Beispiel. Mein Vater hatte, Gott Lob, keine Noth, er würde aber doch zum Bettelmanne geworden sein, hätte er die Dreier nicht dreimal umgedreht, eh' er sie ausgab. Ich hielt's eben so, und so hat mich Gott gesegnet, daß ich mit seiner Hilfe die Weberei 'was mehr in's Große treiben konnte.

Ja, sagte Fürchtegott, es ist eine Freude, wenn man das Seinige so gedeihen sieht, es müßte aber denk' ich, eine wahre Lust sein, wenn sich's auf ehrliche Weise noch um Vieles vermehren ließ.

Nur fein stäte vorwärts und nicht übereilt, mein Sohn! bemerkte Ammer. Ich habe Leute gekannt, die's nicht erwarten konnten, und eh' sie's selber wußten, war all das Ihrige in den Wind.

Und doch speculirt jeder Kaufmann, sagte Fürchtegott.

Ich bin Weber, nicht Kaufmann, erwiderte Ammer, will auch nie Kaufmann werden, weil ich von der Handelschaft nichts verstehe. Die Weberei nährt mich, wird auch euch nähren, wenn ihr sie vernünftig betreibt, wie ihr's von mir lernt. Das kaufmännische Geschäft erfordert Kenntnisse, die ich nicht besitze, und ist, auch wenn es reichen Gewinn abwirft, doch immer mit großen Mühen und Sorgen verbunden. Seht nur meinen langjährigen Freund, den Handelsherrn Mirus an. Der Mann ist gegen zehn Jahre jünger als ich, und doch geht er gebückt und hüstelnd einher in seinem Tressenrock, und sein dünnes Haar ist grauer als das meinige. Das machen die Sorgen, die Speculation, das ewige Rechnen, das weder Körper noch Geist zur Ruhe kommen läßt.

Es denken nicht Alle so, Vater, sprach Christlieb, es gibt sogar Leute, die es dir verdenken, daß du immer nur auf Bestellung arbeitest und den Gewinn, den Andere vom Handel mit deinem Gewebe ziehen, nicht lieber selber einstreichst.

Wer so denkt, kann mir gleichgiltig sein, wenn es aber Einer ausspricht, so muß er mich nicht lieb haben.

Darin irrst du, Vater, fiel Fürchtegott lebhaft ein, froh, dem Gespräch eine andere Wendung geben zu können, die ihn das Thema anschlagen ließ, das ihn auf dem ganzen Wege ununterbrochen beschäftigt hatte. Es spricht Einer so, der dich wie ein Bruder liebt und nur dein Bestes will.

Ammer sah seinen Sohn mit blitzenden Augen an. Die Stirn runzelte sich, er schüttelte mißbilligend den Kopf.

Wer kann euch solche Albernheiten vorgeschwatzt haben? Redet!

Fürchtegott schlug vor dem durchbohrenden Blicke des Vaters die Augen nieder, ohne Antwort zu geben. Auch Christlieb schwieg, aber ein kluges Lächeln spielte um seinen Mund.

Redet! befahl Ammer gebieterisch. Soll ich meinen Jungen das Wort abkaufen, um Unsinn zu hören?

Ereifere dich nicht, Vater, sagte Christlieb begütigend. Fürchtegott meint's ja nicht bös, und wenn du's eben wissen willst, brauchen wir auch kein Geheimniß aus der Begegnung zu machen.

Begegnung! Wer oder was ist euch begegnet?

Je nun, sagte Christlieb, wir trafen zufällig oben an der Grenze mit Herrn Wimmer zusammen, und da wir gerade Mittagsrast hielten am Feldbrunnen bei der Kapelle, ließ sich der Handelsherr mit uns in ein Gespräch ein, erkundigte sich nach dir, lobte deine Thätigkeit und sprach Dies und Das.

Ganz recht – Dies und Das, versetzte Ammer, das heißt mit andern Worten, er setzte euch Gedanken in den Kopf, für die eure ungeschulten Weberschädel nicht gemacht sind.

Fürchtegott's Gesicht überflammte eine dunkle Röthe bei dieser Bemerkung. Sein leicht reizbares Gemüth und sein jugendlicher Stolz fühlten sich beleidigt. Er schwieg aber weislich, da er wußte, daß mit Heftigkeit dem zähen Vater nichts abzugewinnen sei.

Nun, so laßt doch hören, was Herr Wimmer für kluge Gedanken ausgekramt hat? sagte Ammer mit spöttischem Lächeln, seine Meerschaum-Pfeife auf's Neue mit Tabak füllend und gemächlich Feuer anschlagend.

Ein Weber von deinen Mitteln, meinte Herr Wimmer, müsse mit großen Häusern in Verbindung treten, nicht für Andere, sondern für sich selbst arbeiten lassen und Geschäfte über das Meer nach Amerika machen.

Richtig, sprach Ammer, und wenn er gewebt und gewebt hat und Tausende von Centnern auf einen sogenannten Schnellsegler geladen, dann kommt Herr Blasius zu unrechter Zeit, zerreißt die Segel, die auch bloß Leinwand sind, und schmeißt die schönsten Waaren in's Wasser. Wenn dann Einer im Stande ist, bloß die Schlichte wieder auszufischen, so kann er schon froh sein. – Schön Dank für solchen Rath! Ich bin zwar just kein Judenfreund, denn 's ist überall ein schmierig Bissel Wesen mit ihnen, aber mit ihrer Furcht vor dem Wasser haben sie nicht Unrecht, 's Wasser hat keine Balken, sag' auch ich, und darum bleib' ich auf'm Lande mit meinem Thun und Denken. Da hab' ich Grund und Boden und kann mich links und rechts stützen.

Ammer wollte aufstehen, Fürchtegott hielt ihn aber zurück.

Wenn du Vertrauen hättest, Vater, sagte der junge Mensch zögernd, und du kennst Herrn Wimmer – du stehst mit ihm in Verbindung –

Auf Bestellung, nicht anders, fiel der Weber ein. An dreihundert Weben ist Alles, was er Jahraus Jahrein bei mir machen läßt.

Und Wimmer ist ein reicher Mann, Vater!

Das ist er, weil er redlich, pünktlich und – und weil er ein Herrnhuter ist! Die Herrnhuter sind gottesfürchtige und nebenbei auch grausam kluge Leute.

Er fing nur mit sehr geringen Mitteln an, sagte Fürchtegott. Als Sohn eines unbemittelten Bauers stand ihm wenig zu Gebote.

Ich unterstützte ihn, sprach Ammer, weil ich ihn als rechtlich kannte, weil er mein Vertrauter war – der Freund eurer Mutter, und – doch das gehört nicht hierher.

Und er hatte Glück, Vater! Dein vorgestrecktes Capital verdoppelte sich rasch – er wollte es dir zurückzahlen, du nahmst es nicht –

Weil ich's entbehren konnte und in seinen Händen es wohl geborgen wußte. So hab' ich nun die freudige Genugthuung, einem braven Menschen geholfen, zeitlich, soweit dies ein einzelner Mensch vermag, glücklich gemacht und vielen Andern, die ich nicht kenne, mittelbar wieder Brod verschafft zu haben. Nach Wimmer's Tode fällt das Capital an euch zurück.

Herr Wimmer steht mit amerikanischen Häusern in sehr genauer Verbindung, sagte Fürchtegott. Die kaufmännische Regsamkeit der Amerikaner erregt seine Bewunderung – er wünscht dich Theil nehmen zu lassen an seinem Gewinn und deßhalb –

Deßhalb? wiederholte Ammer. Will er mich etwa deßhalb um meine Ruhe bringen? Ich sage nochmals: danke schön! und bleibe Weber. Mein Auskommen hab' ich, ihr werdet auch nicht verhungern, wenn ihr's vernünftig treibt, wie ihr's von mir seht, und nach Ruhm als großer Handelsherr bin ich nicht begierig.

Der Mensch soll aber ein Glück, das ihm geboten wird, nicht eigensinnig von sich stoßen, warf Fürchtegott ein.

Ein Glück! versetzte der Weber. Was nennst du Glück? – Daß ein Mann, der es zu etwas gebracht hat durch Regsamkeit und günstiges Zusammentreffen von Umständen, dir auf offener Straße zuruft: Folge meinen Fußstapfen und es kann dir nicht fehlen? – Lieber Sohn, um Wimmer's Glück zu haben, müßtest du auch Wimmer's Geist, Wimmer's umfassenden Blick, Wimmer's kaufmännische Schlauheit und – die Geschmeidigkeit des Herrnhuters besitzen! Auch drüben über'm Meer, in Amerika sind es Herrnhuter, die ihm die Hand reichen. Mischt sich ein gewöhnlicher lutherischer Christ in das Geschäft, so ziehen sie sich zurück und statt Gewinn trifft ihn Verlust auf Verlust. Ich kenne die Menschen.

Für gewöhnlich mag es vielleicht so sein, sprach Christlieb, bei Herrn Wimmer dürfen wir wohl eine Ausnahme gelten lassen. Es käme vorerst auf einen bloßen Versuch an.

Und der soll bestehen? fragte Ammer. Ich bin doch neugierig zu erfahren, was eigentlich der Herrnhuter mit euch anfangen will.

Wimmer sprach von einem Compagniegeschäfte, sagte Fürchtegott. Gesetzt z. B. du vertrautest ihm eine kleine Waarensendung an, schössest ein Capital zu, um zur Hälfte etwa die Ausrüstung eines eigenen Schiffes zu bestreiten, Herr Wimmer ordnete das Uebrige und – der Gewinn fiele nur dir allein zu?

Und wenn's so sicher wäre wie der Aufgang der Sonne an jedem neuen Morgen, ich sagte dennoch nein! sprach Ammer. Die Sache ist mir zu weitschichtig – ich kann so weit nicht sehen. Gesetzt aber, es glückte und die Sucht nach Gewinn führ' mir in die Glieder, also, daß ich Tag und Nacht keine ruhige Stunde mehr hätte, wär' ich dann wohl glücklicher, als jetzt, wo mich nichts drückt, als wie ich zu Rande komme mit meinen Webern bei der Abrechnung? Versuch's wer Muth dazu hat, ich bleibe still hinter meinem sichern Webstuhle sitzen.

Die Brüder waren genöthigt, für diesmal den wichtigen Gegenstand fallen zu lassen, um den schwer zu behandelnden, in seinen Ansichten äußerst hartnäckigen Vater nicht aufzubringen und sich dadurch die Möglichkeit abzuschneiden, gelegentlich wieder einmal darauf zurückzukommen. –

Mutter und Schwester hatten inzwischen den Abendtisch gedeckt und riefen jetzt Vater und Söhne zur frugalen ländlichen Mahlzeit. Ammer würde es für eine arge Sünde gehalten haben, ohne vorher gesprochenes Gebet einen Bissen zu genießen. Dem Herkömmlichen in allen Dingen hold, hielt er auch in dieser Hinsicht fest an dem Ueberlieferten und betete nach alter Sitte laut mit sämmtlichen Hausgenossen, wobei die Dienstleute an einem besondern Tische zunächst der Thür saßen. Während der Mahlzeit sprach der Weber nur wenig, warf nur bisweilen ein befehlendes Wort hin, das von dem Gesindetische respectvoll erwidert ward, und zog sich unmittelbar nach beendigter Mahlzeit in sein Cabinet zurück, noch kurze Zeit mit Ordnen und Besichtigen von Garnen beschäftigt, die am nächsten Morgen zur Verarbeitung ausgegeben werden sollten.

Die Brüder blieben mit Mutter und Schwester in der gemeinsamen Wohnstube, an deren schmucklosen, mit hellgelber Oelfarbe angestrichenen Holzwänden ein paar Webstühle standen, im Volksdialekt »Gezehe« genannt. Dies waren die Arbeitsstätten Christlieb's und Fürchtegott's, wenn sie nicht im Auftrage des Vaters »außer Landes« sich befanden, wie man damals jedes Verreisen nannte. Auf beiden Stühlen sah man halbfertige Gewebe feiner Linnen.

Ihr habt dem Vater 'was Neues erzählt, gelt? sagte Flora, sich über die Schulter des älteren Bruders beugend und ihn schelmisch mit ihren hellen Augen anlachend. Ich hab's wohl gehört beim Salatstechen. Ist's auch was Gutes?

Als ob's darauf ankäme beim Vater! versetzte Fürchtegott ärgerlich. Ein neu Ding ein nichtsnutzig Ding, das ist immer und ewig des Vaters Rede.

Ihr sollt mir den Vater nicht schelten, er meint's gut, sagte die Mutter.

Laßt mich's wissen und ich helf' euch, bat Flora, deren Neugierde im hohem Grade erregt war.

Kannst's auch vollends verderben mit deinem Geplausche, versetzte Fürchtegott.

Ich verderben? Wer ist denn gut dazu, wenn's 'was herauszulocken gilt vom Vater? ich dächte doch, 's wär' immer nur's Florel, die den Kopf zuerst in's Stübel stecken muß. Und bin ich jemals unverrichteter Sache wieder gekommen? He, bin ich?

Ach was! Halte dein allerliebstes Mäulchen, versetzte Fürchtegott. Das waren Hausangelegenheiten und die wissen alle Weiber jederzeit am besten zu behandeln. Diesmal aber gilt's 'was Großes, 'was Ueberseeisches – 's gilt just die ganze Zukunft, den Nutzen und die Ehre der Ammer.

Oho, sagte die Mutter, ich meine, die Ammer haben Ehre genug, um es mit jedem Bürgermeister und Rathsherrn aufnehmen zu können!

Was Ueberseeisches, wiederholte Flora, ihr niedliches Köpfchen schüttelnd. Hör' 'mal, Fürchtegott, das ist mir zu hoch gegeben.

Wußt' es ja voraus, versetzte mit wichtig thuender Miene der Bruder. Es sind eben keine Weibersachen – ihr versteht nichts davon.

Mach' mich erst ein Bissel gescheidt und ich will's schon vestehen, sagte die hartnäckige Schwester. Was hab' ich mir unter dem »Ueberseeischen« zu denken?

Da Fürchtegott nur mit vornehmem Achselzucken antwortete, gab der mittheilsamere und liebreichere Christlieb die gewünschte Erklärung und fügte kurz den Inhalt des mit Herrn Wimmer geführten Gespräches bei.

Nun ja, sagte Fürchtegott, so ist's, so liegen die Sachen und von dem Allen mag nun der Vater nichts wissen, 's ist geradezu, um toll zu werden! Darf Einer nur zugreifen und die Finger einbiegen, um Millionen zu erhaschen und doch darf man's nicht thun, pur, weil's gegen den alten Schlendrian ist! – Aber ich werde mich den Henker drum kümmern! Bleibt Vater harthörig, so red' ich mit Wimmer und versuch' es ganz im Stillen, und glückt's, dann mag Herr Webermeister Ammer Augen machen, so groß er will, Ammer der Jüngere ist nachher ein gemachter, selbstständiger Mann und braucht sich von Niemand mehr in seine Geschäfte reden zu lassen.

Nur stäte, Bruder! sagte Flora, 's muß ja nicht Alles gleich kurz und klein geschlagen werden. Vertragt euch, wartet eine Weile und der Vater hört euch wohl noch 'mal an.

Wenn es nicht Wimmer wäre, sprach die Mutter, indem ein düsterer Schatten über ihre reine Stirn zu gleiten schien.

Ist Herr Wimmer nicht Vaters Freund? warf Flora ein.

Eben deßhalb, meinte Frau Ammer, zu viele Verbindlichkeiten schaden der Freundschaft, und überdies hat es mit Herrn Wimmer und dem Vater eine eigene Bewandtniß. Kurz und gut, ich hab' so wenig Freude an dem Vorschlage als der Vater.

Fürchtegott hätte das für ihn so interessante Gespräch gerne noch fortgesetzt, allein das erlaubte die Hausordnung nicht. Der Kukuk auf der Schwarzwälder Uhr rief neun, der Vater hustete in seinem Cabinet, was immer ein Zeichen war, daß er Ruhe im Hause verlange, und weil Niemand gegen diese Gesetze sich aufzulehnen wagen durfte, schnurrte mit dem letzten Schlage der Uhr in Ammer's Hause auch pünktlich das Leben ab. Mutter und Kinder wünschten einander gute Nacht und zehn Minuten später war Alles zur Ruhe gegangen. Nur der große zottige Hund Bello, am Tag meistentheils angekettet, schnobberte noch einige Zeit in der Küche herum und nahm endlich als Wächter des Hauses hinter der Hausthür seine Schlafstelle ein. –

Ammer lebte buchstäblich nach dem Sprichworte »Morgenstunde hat Gold im Munde«. Mit frühester Dämmerung begann in seinem Hause die gewohnte Thätigkeit und von allen Webstühlen klapperten die des wohlhabenden Mannes in der Regel zuerst. Er sprach es häufig aus, daß Niemand eher etwas genießen sollte, als bis er durch Arbeit sich dessen auch würdig gemacht habe. Es mußten deßhalb alle in seinen Diensten stehenden Leute wenigstens eine volle Stunde in ihren verschiedenen Beschäftigungen thätig gewesen sein, ehe sie frühstücken durften. Er selbst mit Frau und Kindern ging ihnen hierin mit bestem Beispiele voran.

Beim Frühstück sagte die muntere Flora, die immer das Meiste zur Unterhaltung beitrug:

Rath' einmal, Vater, was ich geträumt habe.

Um mich auslachen zu lassen? erwiderte Ammer. Ich müßte Mädelgedanken im Kopfe haben, sollt' ich deine Träume errathen.

Wir hatten Besuch, Vater – ich will dir's leicht machen. Nun, wen meinst du?

Vornehmen?

Nicht so gar sehr.

Einen geistlichen Herren aus Prag.

Behüte – 'was Weltliches.

Meinen Bleicher?

Ein klein wenig höher, Vater, lächelte Flora.

Ach laß mich ungeschoren mit deinen Träumereien und behalte sie für dich allein, wenn du sie nicht ausplaudern magst.

Herr Wimmer war da, der Herrnhuter, sagte Flora. Ach und der hat 'mal geredet! Besser als der Herr Primarius, wenn er auf's Abkanzelkapitel geräth! Und du hast dabei gesessen, Vater, und die Brüder auch, und alle Drei habt ihr die Mäuler aufgesperrt vor purer Verwunderung, und da sind euch lauter vergoldete Tauben hineingeflogen, bis zuletzt keine mehr Platz hatte, und da bissen die letzten einander in die Schwänze, bis sie herunterhingen auf die Diele. Nein, wie ihr Drei aussah't, das war ganz und gar zum Todtlachen! Aber Herr Wimmer saß daneben mit einem großwichtigen ernsthaften Gesicht, und zählte bedächtig die goldenen Tauben, brach eine nach der andern ab und setzte sie in große Körbe. Und das war Alles unser! Ist das nicht ein recht verwunderlicher Traum, Vater?

Ihr habt gestern geschwatzt, sprach Ammer, seine Söhne mit scharfem Blicke musternd. Florel hätt' eher von sonst 'was geträumt als von dem Herrnhuter.

Er ist ja mein Pathe, sagte die Tochter, und der kann mir doch auch 'mal im Traume einfallen. Ich wünschte nur, er hätte mir in Wahrheit ein paar von den vielen goldenen Tauben in die Schürze geworfen. Da wollt' ich bald eine eigene Wirthschaft einrichten.

Nun hör' Einer das Blitzmädel! sprach Ammer lachend, während Flora ihr mit Purpur übergossenes Gesicht zu Boden senkte, 's Wirthschaften ist den Weibsleuten doch angeboren! Ich glaube, wenn sie könnten, so fingen die Mädel schon in der Wiege an zu wirthschaften.

Wenn nun Herr Wimmer nächster Tage wirklich käme, Vater, bemerkte Fürchtegott, und er brächte unser Gespräch von gestern Abend wieder auf's Tapet, würdest du ihn abspeisen mit der nämlichen Antwort?

Wimmer ist ein Mann und ein besonnener Mann. Wenn er mit mir über die Sache in seiner Weise reden wollte, würd' ich ihm Antwort geben in meiner Weise. Bis dahin bleibt's bei meiner Rede. –

Es vergingen nun einige Tage, ohne daß Ammer des Vorschlags seiner Söhne wieder gedachte. Der gewissenhafte Weber betrieb sein Geschäft mit gewohnter Pünktlichkeit, vertheilte Arbeit an seine auswärtigen Weber, prüfte die abgelieferte Waare, lobte da, tadelte dort, zahlte den fälligen Lohn aus und erkundigte sich schließlich nach den Verhältnissen jedes einzelnen Arbeiters. Dies verschaffte ihm eine ziemlich genaue Kenntniß der häuslichen Lage seiner Lohnweber und gab ihm Gelegenheit, wo es Noth that, vermittelnd oder helfend einzuschreiten. Denn so weit entfernt Herr Ammer von aller unzeitigen Verschwendung war, so gern und schnell unterstützte er Darbende und Hilfsbedürftige, wenn er sich von dem Nutzen solcher Unterstützung überzeugt hielt. Mit vollem Recht nannten ihn deßhalb alle in seinem Dienste stehenden Weber den »Vater Ammer«. Er war in der That und Wahrheit der Vater Aller, und zwar nur ein milder, helfender, nie ein strenger und strafender Vater.

Unter dem Geklapper der Trittbrette, beim Rollen und Klirren des Schiffchens unterhielten sich Christlieb und Fürchtegott häufig über den Vorschlag des Herrnhuters. Den beiden jungen Leuten in der staubigen unscheinbaren Kleidung gemeiner Weber hätte es Niemand angesehen, daß ihre Gedanken in fernen Welten, an den Ufern des Hudson und Ohio umherwanderten; daß sie am Steuer schwer befrachteter Schiffe standen und die kostbare Ladung durch Sturm und Wogendrang in die neue Welt begleiteten. Christlieb, anfangs weniger empfänglich für die neue Idee, war durch Fürchtegott's unablässiges Reden jetzt ebenso davon eingenommen, als der lebhaftere, unternehmendere Bruder.

Verdammt, daß man hier Tag aus Tag ein wie angenagelt sitzen muß, sprach Fürchtegott unwirrsch, hastig ein paar zerrissene Fäden in der Werfte zusammenknüpfend und einige Garnknoten auf dem fertigen Gewebe mit dem Nuppmesser entfernend, 's ist just, wie mit dem Gekarre zum Bleichen. Das Weberschiffchen kann Jeder handhaben, der ein bischen Geschick in den Fingern hat, aber zum Speculiren gehört ein Kerl von Kopf. Wenn nur der Wimmer bald 'was von sich hören ließ!

Die Herrnhuter nehmen sich alle gerne Zeit, wenn's gerade keine Eile hat, versetzte Christlieb. Er kommt schon, wenn's ihm Ernst um die Sache ist.

Ich bin unglücklich, geht's conträr, sagte Fürchtegott, und ließ die Lade so hart anschlagen, daß die Fensterscheiben nachklangen. Gleich darauf öffnete sich die Thüre des Stübchens und Herr Ammer warf einen langen Blick herein auf seine arbeitenden Söhne.

Ihr habt Beide halbfeines Garn auf dem Zettel, sprach er; wenn ihr das zu hart zusammenschlagt, bricht's nach der ersten Wäsche und wir haben die Schande davon. Also nur fein douce fortgearbeitet!

Die Thür schloß sich wieder.

Da hast du's, sprach Christlieb lächelnd. Leidenschaftliche Weber duldet der Vater nicht hinter seinen Stühlen. Du brauchst bloß hitzig zu werden, wenn du's Wirken satt hast.

's ist pur um die Kränkt zu kriegen, zischelte Fürchtegott, fortan behutsam mit der Lade umgehend. Ein richtiger Leinweber möchte wahrhaftig Fischblut haben.

Darum sieht's auch der Vater nicht gern, wenn wir zu viel Fleisch essen, bemerkte Christlieb. Fleisch macht Hitze, behauptet er, und Hitze ist der Weberei größter Feind. Ich weiß mich noch recht gut zu besinnen, daß der Vater, so lange er selber hinter'm Stuhle saß, wöchentlich bloß zweimal sehr mäßig Fleisch aß.

So mag der Teufel, oder wer sonst Lust hat, Weber sein, brummte Fürchtegott, ich passe nicht zu dem Metier. Mein Gewerbe ist der Handel und ein Handelsmann will ich auch werden.

Pst! flüsterte es hinter dem Aergerlichen, indem ein feiner Finger sanft an den Schieber des Fensters klopfte. Das fröhliche Gesicht Flora's lachte durch die hell polirten Scheiben. Fürchtegott wendete sich um und schob das Fenster auf.

Was gibt's?

Verrathet mich nicht, wisperte das Mädchen dem Bruder zu. Herr Wimmer kommt wie ein gelernter Kopfhänger die Gasse herauf geritten.

Und wer lauscht denn dort hinter'm Stacket?

Wo?

Gerade hinter deinem Ohrläppchen?

Ich hab' Niemand gesehen.

Mein kluges Schwesterchen, sagte Fürchtegott, ihr scherzend mit dem Finger drohend. Das grüne Sammetkäppchen kommt mir sehr bekannt vor. Ich glaube, 's wird ein Wirthschafter sein.

Flora schlug dem Bruder mit sanfter Hand auf den Mund, und entschlüpfte, während die geduckte Gestalt hinter dem Stacket ihr wohlgefällig nachblickte und später in der engen Quergasse, die des Nachbars kleine Besitzung von Ammer's Grundstücken schied, langsam verschwand. In diesem Augenblicke ließen sich die Hufschläge eines im Schritt gehenden Pferdes hören und die etwas gebückte Figur des Herrnhuters ward über dem Gartenzaune sichtbar. Fürchtegott schloß erfreut das Fenster, warf Christlieb einen Wink des Einverständnisses zu und ließ behend das Schifflein durch die weißen Fäden schießen.

Bald darauf klopfte es, Herr Wimmer trat ein, grüßte mit süßlichem Lächeln die fleißig arbeitenden Brüder und schlug sich mit der Reitpeitsche seine Stulpenstiefeln, um den Staub abzuschütteln.

Ist der Herr Vater zu Hause? fragte der Herrnhuter.

Im Cabinet, sagten gleichzeitig die Brüder.

Ich werde doch nicht stören?

Keineswegs, erwiderte Fürchtegott. Der Vater hat eben Mittagsruhe gehalten und blättert itzt im Wochenblatte.

Wimmer lächelte, schritt mit klirrenden Sporen über die glänzend weißen Dielen und trat auf das kräftige Herein! des Webers in Ammer's von Garnproben bis zur Decke angefülltes Zimmer.


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