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Sechstes Kapitel. Ein Brief.

Christlieb reichte dem Vater die Hand beim Aussteigen und bemühte sich, die Gemüthsstimmung in dem Ausdruck seiner Mienen zu sondiren. Diese stumme Frage an den alten Weber beruhigte den Sohn. Ammer's Auge war klar, sein Gesicht ruhig, auch trat er stramm auf die Füße, schüttelte sich die Heuhalme ab, die während der Fahrt auf der schlecht gehaltenen Straße sich an seinen Rock angehängt hatten denn das Futter für sein Pferd pflegte der vorsichtige Mann jederzeit als Unterlage für seine Füße zu benutzen und fragte ziemlich heiter, ob nichts Außergewöhnliches vorgefallen sei? Da auch hierauf die Antwort zufriedenstellend lautete, schüttelte Ammer den Seinigen der Reihe nach die Hand und verfügte sich in sein Cabinet, um den Reiserock mit der bequemen Hauskleidung zu vertauschen. Die Meerschaumpfeife in der Hand, trat er später wieder ins Wohnzimmer, klopfte Flora auf die glühenden Wangen, erkundigte sich zärtlich nach ihrem Befinden, drohte Albrecht scherzend mit dem Finger, indem er sagte: Ich rathe dir Gutes! Halt' mir das Kind, wie ein rechtschaffener Christ und ein ehrlicher Mann! und eröffnete dann seiner Tochter, daß er den Abend bei ihr zubringen wolle. Ein Gericht frisch gesottener Schmerlen oder ein paar Forellen müsse sie schaffen; er habe gerade Appetit darauf und der Fischer sei wohl damit versehen.

Flora war mit dieser väterlichen Weisung sehr zufrieden; schmeichelnd hing sie sich an seinen Arm, nahm ihm die Pfeife, um sie in ihrem eigenen Hause anzuzünden, und geleitete den alten Vater nach dem schon erwähnten laubenartigen Vorbau. Da litt es jedoch den Weber noch nicht. Er gewahrte die Arbeitsleute beim Garten und verfügte sich auf der Stelle nach der Giebelseite des Hauses, um mit eigenen Augen sowohl das fertige, wie das werdende Werk derselben zu prüfen.

Mit Kennermiene untersuchte Ammer das Holz des aufzurichtenden Staket's, kniete auf die Erde, um mit dem Auge zu messen, ob die granitnen Säulen auch in gerader Richtung ständen, maß die Vertiefungen, in die man sie eingelassen hatte, und belobte, Alles gut befindend, die Arbeiter. Nur mit dem Gärtner war nicht zufrieden. Den Buchsbaum fand er nicht frisch genug, zu stark beschnitten und zu tief in die Erde gesenkt. Statt einiger Moosrosenstöcke hatte er lauter Centifolien gepflanzt; an den jungen Kirschbäumen fand er die Occulation mangelhaft, und die Rabatten für Zierblumen waren nach seiner Ansicht zu schmal gerathen. Nur das große, lange Spargelbeet hatte seinen Beifall, ebenso die zur Erbauung von Frühgurken eingerichteten, mit schräger Glasbedachung versehenen Beete. Erst nach gründlicher Durchmusterung aller dieser Anlagen, die er für seinen Schwiegersohn machen ließ, kehrte er zur Laube zurück, ließ sich Feuer geben und schien sich in der Umgebung der Seinen recht behaglich zu fühlen. Nach einigen an Christlieb und Albrecht gerichteten Fragen, welche speciell die Geschäftsführung berührten, bezeigte er Lust, sein Herz auszuschütten. Er räusperte sich ein paar Mal, strich den Kamm in den Nacken, that einige Züge aus der vollkommen in Brand gerathenen Pfeife, und sagte:

Wunderliche Leute sind doch diese Herrnhuter. Andere ehrliche Christenmenschen danken Gott, wenn es ihnen vergönnt wird, eine Angelegenheit mündlich zu besprechen und zu einem gedeihlichen Ende zu führen; stecken aber Herrnhuter dazwischen, so kann man immer darauf wetten, daß gleich hinter einer abgemachten Sache noch irgend etwas verborgen liegt, dem durch eine briefliche Mittheilung auf die Beine geholfen werden soll. Euch haben sie nichts eröffnet?

Kein Wort, versetzte Christlieb. Als sie deine Abwesenheit erfuhren, kutschirten sie gleich weiter.

Hast du Briefe erhalten? fragte Albrecht.

Just, als ich am Posthause vorüberfuhr, sagte Ammer. Und was mich am meisten wundert, es steht nichts drin von Wichtigkeit. Denn daß der Wimmer sich anmaßt, mir nochmals unser getroffenes Abkommen in's Gedächtniß zu rufen, ist eine übertriebene Vorsicht, die ich ihm übel nehmen könnte, wüßte ich nicht seine Art und Weise zu schätzen. Die Hauptsache ist ohne Zweifel das Briefel da.

Bei diesem Worte zeigte Ammer den beiden jungen Männern einen fein couvertirten Brief mit einem Siegel, dessen Embleme den adligen Verfasser verriethen.

Ein Brief von Graf Alban! sagte Christlieb.

Und nicht an dich, Vater Ammer? fragte Albrecht.

Nein! Mit mir hat der Herr Graf noch nicht Briefe gewechselt. Das Schreiben ist an einen Andern, einen Jüngern.

Jetzt weiß ich's, Vater, fiel Christlieb ein.

Kann's mir denken, fuhr der Weber etwas ernster fort, muß aber doch gestehen, daß es mir nicht sonderlich gefällt. Ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht!

Flora trat eben wieder aus der Hausflur, wo sie bisher mit ihrer Mutter das Nöthige zur Bereitung des von ihrem Vater gewünschten Abendbrodes abgesprochen hatte. Als sie Ammer's letzte Worte vernahm und den mit dem rothen Siegel nach oben gekehrten Brief auf der Bank liegen sah, fragte sie hastig:

An wen, Vater, und von wem?

Ammer ergriff das Schreiben wieder, schlug Flora damit sanft auf die rosigen Lippen und zeigte ihr die Adresse.

Da lies, neugierige Eva'stochter! sagte er lächelnd. Verborgen kann jungen Weibern ja doch nichts bleiben, es sei denn, die Männer ließen sich ungestört von euch quälen. Ja, ja, der Bruder hat's schon weit gebracht in der Welt, fuhr er mit einem Anflug von Ironie fort. Schon jetzt schreiben Barone und Grafen an ihn, wie lange wird's dauern, und auch fürstliche Correspondenten finden sich ein. Aber freilich, 's ist auch ein schmucker Junge. Wenn er zu Pferde sitzt, die Mütze auf einem Ohr oder ganz vorn auf der Stirn, und dahinsprengt mit verhängtem Zügel, als wär' er unter den Don'schen Kosaken jung geworden, muß er den Weltleuten wohl gefallen, 's ist mir nur bange, es könne mit der Zeit, je mehr der Reiter gewinnt, desto mehr der Mensch dabei verlieren! Aber das sind dumme Webereinfälle, die in's vorige Jahrhundert gehören, als der größte deutsche Fürst noch einen steif gedrehten Zopf trug. Ein Klapps darauf, daß sie in's Gras beißen! Andere Zeiten, andere Sitten!

Flora's Brust wogte vor heftiger Aufregung. Purpurröthe überflammte ihr liebliches Antlitz, und indem sie die zierlichen Hände über dem Busen faltete, sprach sie:

Vater, willst du den Brief nicht öffnen? Fürchtegott ist ja dein Sohn.

Bei Leibe nicht! versetzte Ammer. Briefe sind eine gar kostbare Waare, die, wenn man sie verletzt, einem sehr theuer zu stehen kommen können.

Flora gedachte wieder des früher aufgefundenen Schreibens und ihre Bedenken mehrten sich.

Graf Alban hat sich am Ende wohl gar verschrieben, sagte sie unbefangen. Gewiß, Vater, so wird es sein. An dich ist der Brief gerichtet und Fürchtegott ist dem vielbeschäftigten Herrn in die Feder gelaufen. Erbrich den Brief mit gutem Gewissen.

Ammer sah bald seine Tochter, bald deren still lächelnden Mann und Christlieb an. Dann schob er die Mütze in den Nacken und sagte: Gott verdopple mich, ich kann's jetzt begreifen, wie Adam so dumm sein konnte, sich eines Apfelbisses wegen aus dem Paradiese jagen zu lassen! Engel nennt man euch Weiber. Ja, schöne Engel seid ihr! Hat man mit Noth und Mühe sich selbst überwunden und zum Besten gezwungen, dann kommt ihr angeschwebt, freilich engelhaft, zart und schmeichelnd, und wispert uns mit süß verführerischer Stimme so lange 'was vor, bis wir uns berücken lassen, und trotz Gewissen und Gelöbniß gerade das thun, was wir anfangs verwerflich fanden. Mich sollst du aber doch nicht fangen in deinem Netz, kleine Hexe! Wär' ich dein Mann, ich legte dir ein Schloß vor den Mund, dann hätt' ich doch wenigstens nur das Kreuzfeuer deiner Augen auszuhalten, bei dem allein man auch schon den Kopf verlieren kann, was Albrecht zu bezeugen im Stande sein wird.

Frau Anna kam jetzt auch noch dazu, und fragte was es gebe? Flora glaubte eine Unterstützung in der Mutter zu finden, und schlug daher nochmals die Eröffnung des eingegangenen Briefes vor. Anna jedoch, gewöhnt, immer nur dem Willen Ammer's zu folgen, enthielt sich jeder Meinungsäußerung, und so blieb es denn bei dem Bescheide des Vaters.

Morgen früh, wenn Leisetritt vorbeikommt mit seiner Fuhre, sagte Ammer, nimmt er den Brief mit zur Stadt. Gar viel Wichtiges wird nicht darin stehen. Vielleicht ist's eine Missionsangelegenheit, denn ich konnte letzthin merken, daß Fürchtegott sich hat bereden lassen, eine Monatsbeisteuer zu diesen frommen Bestrebungen zu bewilligen. Solche Gelder, und wären's auch nur ein paar Batzen, fordern die genauen Herrnhuter sich pünktlich ein, weil aus vielen Schwingen voll Batzen sich zuletzt Düten mit Speciesthalern füllen lassen.

Während dieser Bemerkungen steckte Ammer den Brief wieder zu sich. Flora ward dadurch genöthigt, ihre Gedanken für sich zu behalten, denn der Vater würde jedenfalls verdrießlich geworden sein, hätte jetzt noch Jemand Opposition gemacht. Dagegen war sie fest entschlossen, alle ferneren Schritte ihres Bruders noch schärfer als bisher zu beobachten, um einem harten Zusammenstoß zwischen Vater und Sohn, oder auch lieblosen und unkindlichen Handlungen Fürchtegott's vorzubeugen.

Ammer war auffallend heiter, heiterer fast, als ihn die Seinigen seit dem Hochzeitstage Flora's gesehen hatten.

Wo steckt dein Vater heut Abend? fragte er seinen Schwiegersohn. Er läßt doch sonst nicht auf sich warten, wenn er die Florel vor der Thür sitzen sieht. Sollt' was Neues in der Zeitung stehen?

Nicht doch, Vater Ammer, erwiderte Albrecht. Er ist über Land gegangen schon heute früh und vermuthlich bleibt er weg bis morgen.

So! Nun, dann ist's auch gut. Mich trieb's nur, ihm etwas zu sagen.

Geht's den Vater allein an? fragte Albrecht.

Es betrifft uns Alle, versetzte der Weber, aber es ist 'was Gutes. Wißt, ich habe mir den Mirus fest an die Hüften gebunden!

Du bist mit ihm ausgesöhnt? sagte Christlieb. Gott Lob, daß dir dies gelungen! Ich habe mich förmlich entsetzt, als der Brief mit der Abbestellung ankam.

War's mir doch selber nicht wohl dabei, sprach Ammer. Jedennoch kenn' ich den Mirus und verstehe ihn zu fassen an seiner schwachen Seite. Genug, der Mann ist jetzt mein, und ich glaube für immer! Nur müssen wir fein aufpassen, denn nicht Alles in unserer weitläuftigen Bekanntschaft ist wohl bestellt. Es wächst Unkraut unter dem Waizen, liebe Kinder, das entweder der Teufel selber oder unzuverlässige Freunde bei nächtlicher Weile hineingesäet haben. Laßt uns das ausjäten mit Vorsicht und ohne Murren. Auch der falsche Freund ist zu brauchen, wenn man ihn klug behandelt. Durchgreifen mit Gewalt kann ich nicht, es würde mich ruiniren. Also bleibt mein Wahlspruch: immer fein sacht und sicher vorwärts!

Weder Albrecht noch Christlieb vermochten zu errathen, was der Vater beabsichtigte und wohin seine dunkeln Worte zielten. Die geheimnißvolle, dabei aber entschlossene Miene hielt sie ab, weiter in ihn zu dringen, und das Gespräch würde jedenfalls in's Stocken gerathen sein, hätte Frau Anna nicht angekündigt, daß die Forellen bereits über dem Feuer stünden und es ihr angenehm wäre, wenn die Männer Platz am gedeckten Tische nehmen wollten. Ammer ließ sich nicht zum zweiten Male einladen. Er hatte den ganzen Tag nur wenig genossen und freute sich, nach längeren Störungen endlich wieder einmal im friedlich-stillen Kreise seiner Angehörigen ein Mahl, wie er es liebte, einnehmen zu können. Er klopfte seine Pfeife aus, steckte sie in die äußere Seitentasche seiner weiten Jacke und folgte dem Rufe Anna's, indem er sagte:

Nun, so laß mal sehen, ob du's noch verstehst, heut zu Tage eine Forelle eben so gut zu sieden, als dazumal, wie wir uns versprochen hatten.


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