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Fünftes Kapitel. Familienleben.

Im Baumgarten hinter dem Hause unseres Freundes ging es sehr lebhaft zu. Ein halbes Dutzend Menschen war beschäftigt, gefärbtes Garn, das man zum Trocknen aufgehängt hatte, jetzt auszuschlagen, von den Stangen zu nehmen und in Körbe zu packen. Die leicht gekleideten Arbeiter thaten dies in der fröhlichsten Stimmung, bald schwatzend und scherzend, bald eine Volksmelodie leise dazu summend. In den breiten Kronen der Obstbäume zwitscherten die Vögel und aus dem dunkeln Blättergefach lauschten eine Menge röthlich schimmernder Aepfel. Bisweilen fiel wohl auch eine frühreife Frucht herab in's Gras, was dann jedesmal eine Unterbrechung der Arbeit herbeiführte, indem von den rüstig Thätigen jeder dieselbe zu erhaschen sich bemühte. Noch lebhafter war es auf der Straßenseite. Hier stand Wagen an Wagen gereiht von der Wohnung Ammer's bis hinauf an die Lehde, wo der Weg gegen das Rohr abbog. Vor jedem mit grauleinener Plane überdeckten Wagen stampften starke, wohlgenährte Rosse, deren klimpernder Messingschmuck an den hohen, mit blutrothen Tuchstreifen verzierten Kumten ein ununterbrochenes Geräusch hervorbrachten. Die Leinendecken der Wagen waren auf einer Seite aufgerollt, damit die auch hier beschäftigten Arbeiter mit Bequemlichkeit die Ballen und Packen aufladen konnten, welche vier kräftige Gesellen aus den Vorrathskammern des reichen Webers herbeischafften.

Christlieb und sein junger Schwager, Albrecht Seltner, führten bei dieser Verladung die Aufsicht, und gewiß konnte der accurate Weber zu diesem Geschäft keine sorgsamere, gewissenhaftere Menschen finden. Sobald ein Wagen beladen war, traten beide junge Männer zusammen, um ihre Aufzeichnungen zu vergleichen, die dann jedesmal trefflich zusammenstimmten.

Ungefähr einen Steinwurf entfernt von der Straße nach Westen zu erhob sich jetzt ein kleines allerliebstes Häuschen, das so nett und blank aussah, als ob es geschäftige Hauskobolde in jeder Nacht vom Giebel bis zur Kellertreppe scheuerten. Das Erdgeschoß bestand aus übereinandergelegten Holzbohlen, die mit schwefelgelber Oelfarbe angemahlt waren. Wo bessern Haltes wegen noch eine besondere Befestigung sich nöthig machte, bemerkte man zahlreiche große Holznägel, deren Knöpfe in schimmerndem Weiß prangten. Die Fenster waren klein, aber blank, und die Umrahmung derselben etwas grell saftgrün angestrichen. Vor der Thür war eine Laube angebracht, die ein noch sehr jugendliches Geisblatt mit zarten Ranken zu umspinnen begann. Ueber derselben am reinlichen Fachwerk des Obergeschosses hing eine große, von zahllosen Kugeln durchlöcherte Scheibe, ein geputztes Mägdelein darstellend, das mit huldvollem Lächeln einem schmucken Krieger die Hand reichte. Die Brust dieses Kriegers war durchsichtig gemalt, d.h. an der Stelle, wo das Herz sich befindet, sah man dies auf der Scheibe in Natur. Ein wohlgezielter Büchsenschuß hatte dies Herz durchlöchert und den glücklichen Schützen, Albrecht Seltner, zur Würde eines Schützenkönigs erhoben.

Auf der Südseite dieses neuerbauten Hauses, das so einladend und glückverheißend aussah, als müsse es ein Asyl heiligen Friedens sein, waren Arbeiter mit der Anlage eines Blumengartens beschäftigt. Die Rabatten und schmalen Gänge, welche zwischen denselben hinliefen, waren schon abgesteckt und mit Buchsbaum eingefaßt. Kleine Rosenbäumchen, noch etwas dürftig von Aussehen, fehlten auf keinem der Beete. Levkoien, Goldlack und ein sehr schöner Flor voller Nelken standen in Blüthe. Auch die weithin duftende Reseda, Salbey und einige andere wohlriechende Zierpflanzen, wie der Landmann sie liebt, hatte das noch im Entstehen begriffene Gärtchen aufzuweisen. Einige Birnbäume, Pfirsichreiser und junge Weinreben sollten in Zukunft an dem Spalier zum Giebel hinaufsteigen, der sich voll nach Süden kehrte. An der äußern Einfassung dieses Lustgartens arbeitete man soeben, indem einige Maurer und Handlanger fein behauene Säulen prächtig glänzenden blaugrauen Granites in die Erde einließen und ein paar Zimmerleute zwischen diesen Säulen ein hübsch geschnitztes Staket befestigten.

Dies Häuschen mit seiner freundlichen Umgebung hatte Ammer seiner Tochter erbauen lassen. Sie bezog es, vollkommen und nach damaligen Begriffen überaus glänzend eingerichtet denn es fehlte kein Nagel der etwa gebraucht wurde an ihrem Hochzeitstage. Die Ausstattung, welche der reiche Weber seiner Tochter mitgab, hatte nicht ihres Gleichen. Sie machte deßhalb auch wirklich in weitem Umkreise Aufsehen, wie Ammer vorhergesagt, und das Haus des jungen Paares war unstreitig das geschmackvollste im ganzen Orte.

Auch sonst war Ammer darauf bedacht gewesen, seinem Schwiegersohn den ersten Anfang möglichst zu erleichtern. Wie wir wissen, besaß der Weber Feld und Wald. Von diesem trat er Albrecht mehr als die Hälfte bei seiner Verheirathung ab, wobei er jedoch zur Bedingung machte, daß sein Eidam die Bewirthschaftung selbst übernehmen müsse. Ich will nicht, sagte er, daß wenn ich zu dir komme an einem stillen Nachmittage oder Sonntags nach der Kirche, das Brod, das ich esse, auf anderer Leute Acker gewachsen ist.

Unter dieser Feld- und Waldmark befand sich auch jenes Stück Land, das Ammer vor längeren Jahren durch einen langwierigen Proceß von dem Vater seines Schwiegersohnes an sich gebracht hatte. Es war dabei, wie bereits angedeutet wurde, nicht gar zu ehrlich hergegangen, Ammer fühlte sich deßhalb stets bedrückt, wenn er daran dachte, und damit ein früheres Unrecht ohne Aufsehen wieder vollständig gut gemacht werden möge, schenkte er jenen Landstrich nebst einem Theil seines ihm wirklich zugehörenden Grundes und Bodens dem dankbaren Tochtermanne.

Flora saß jetzt mit ihrer Mutter unter der Laube vor der Thür ihres allerliebsten Hauses und strickte. Das junge blühende Weibchen sah in ihrer einfachen reinlichen Tracht reizend aus, und zwar nicht, weil sie eine Schönheit genannt werden konnte, sondern weil sich im Glanz des reinen Auges und auf ihrem rosigen Gesicht das Glück einer mit der Welt vollkommen zufriedenen Seele abspiegelte. Von ihrem etwas höher gelegenen Standpunkte aus konnten Mutter und Tochter das geschäftige Durcheinander der arbeitenden Männer, das Gehen und Kommen Christlieb's und Albrecht's, die unermüdlich im Eifer des Wirkens waren, sowie das nach und nach erfolgende Abfahren der schwer befrachteten Fuhrwerke übersehen. Außerdem gewährte dieses lauschige Plätzchen eine sehr schöne Ein- und Aussicht auf die Landschaft, besonders nach dem hohen Gebirgswall im Osten und die in der Thalsohle des Flusses sich ausbreitende vielthürmige Stadt. Flora ließ jetzt ihr Strickzeug in den Schooß sinken und sah schärfer auf die Häuserreihe, die an der abwärts führenden Straße lag.

Ich hab' doch Recht, Mutter, sprach sie mit selbstgefälligem Lächeln. Femie wird's nicht mehr lange machen und sie ist Braut. Jetzt eben erhielt sie ein Geschenk.

Sie hat ja auch 's Alter, meinte Frau Anna.

O ja, sagte Flora; so viel ich weiß, ist sie nur ein halbes Jahr jünger, als ich. Deßwegen brauchte sie aber nicht zu heirathen. Ein anderer Grund drängt sie dazu.

Und das weißt du so genau?

Ganz bestimmt, Mutter! Es ist der pure Neid, der ihr keine Ruhe mehr läßt. An meinem Hochzeitstage hat sie sich die Augen ganz roth geweint vor Aerger. Seitdem geht sie jeden Sonntag in's Feld, um den Burschen in die Augen zu sehen. Nun hat sie einen gefangen, und gib Acht, um die Kirmeß hält sie Verlobung.

Es stört dich doch nicht, will ich hoffen?

Mich? Wie könnt' es! Ich kann mich nur kaum des Lachens enthalten, wenn ich gar so deutlich sehe, daß ein Mädchen mit ungestümer Hast auf's liebe blanke Ehejoch zusteuert.

Drückt dich's etwa schon? fragte lächelnd die Mutter.

Flora erröthete. Bei Leibe nicht! versetzte sie. So mein' ich's nicht; vielmehr könnt' ich Gott alle Tage auf meinen Knieen danken, daß er mir einen so braven Mann zugeführt hat. Ich bin ganz zufrieden, liebe Mutter, und wüßte auch wirklich nicht, worüber ich Klage führen sollte. Eins nur, Mutter, fügte sie leise rufend und mit flüsternder Stimme hinzu, damit die nahen Arbeitsleute ihre Worte nicht verstehen möchten, Eins kann mich zuweilen recht sehr betrüben.

Was könnte das sein?

Bruder Fürchtegott liebt uns nicht, sagte Flora betrübt, und ihre klaren Augen füllten sich mit Thränen.

Kind, wie kommst du auf so unselige Einfälle! rief Frau Anna erschrocken.

Es sind keine Einfälle, Mutter, es ist die bittere, nackte Wahrheit, betheuerte Flora. Erinnerst du dich noch des Abends am Ostertage, wo Albrecht um mich anhielt? Nun, damals machte ja Vater den großen Gewinn im kaiserlichen Lotto, worüber er so sehr erschrak, daß wir Alle besorgten, er könne wohl krank werden. Dann gingen die Brüder noch zusammen aus und Fürchtegott kam mit Blut befleckt wieder heim. Tags darauf hatte Vater eine ernste Unterredung mit ihm, in der er dem Leichtsinn verdientermaßen die Wahrheit sagte. Fürchtegott gab unziemende Antworten und dem Vater überlief die Hitze. Er warf ihn aus seinem Cabinet und ließ ihn acht Tage lang nicht mehr vor sich. Weißt du noch, wie wir damals den erzürnten Vater baten, er möge dem unverständigen jungen Menschen vergeben? Es war ein trauriges Leben in jenen Tagen; denn der Vater grämte sich, daß er sichtlich verfiel und sein Haar binnen wenigen Wochen schier weiß wurde. Dann erst schlug Fürchtegott in sich und sprach das Wort aus, das der Vater von ihm forderte, und das ihm so schwer über die Lippen ging. Seitdem war der Friede im Hause wieder hergestellt.

Denke doch nicht an längst vergangene Dinge, Florel, sagte Frau Anna. Junge Menschen sind oft unbändig und hartnäckig. Fürchtegott ist einmal, was die Unbeugsamkeit seines Willens anbelangt, ganz und gar nach dem Vater geartet. Hätte Vater damals liebreicher zu ihm gesprochen, so wäre es wohl anders gekommen.

Das ist schon Recht, meinte Flora. Da es nun aber doch einmal so weit kam und gegenseitig Alles vergeben wurde, müßte Geschehenes doch auch wirklich vergessen sein. Leider ist dem nicht so. Der Bruder trägt nach und das schmerzt mich, denn es kann ihm nimmer zum Segen gereichen.

Ich habe doch nichts davon bemerkt, Kind, auch hat der Vater nie etwas davon geäußert.

Er weiß es nicht, sagte Flora. Würde ich's doch ebenfalls nicht glauben, wären mir nicht Beweise davon in die Hände gekommen.

Beweise, fragte die Mutter beunruhigt.

Die unwiderleglichsten, fuhr Flora fort. Vor etwa vierzehn Tagen kam er spät von Weltenburg zurück, wo Bruder Christlieb ihn abgelöst hatte. Euer Haus war schon geschlossen, wir aber hatten noch Licht. Um nicht zu stören, blieb Fürchtegott bei uns über Nacht. Am Morgen, als ich die Kammer wieder in Ordnung bringen will, fällt mir ein zusammengeknittertes Papier in die Augen, das unter'm Bette lag. Ich hebe es auf, sehe Schrift darauf und entdecke des Vaters Namen. Die Hand erkannte ich sogleich, es waren Fürchtegott's weit ausgestreckte Buchstaben. Das machte mich neugierig und ich fing an zu lesen. Es war ein Briefentwurf an Flora stockte.

An wen? fragte die Mutter.

An Wimmer –

Wimmer! wiederholte Frau Anna, faltete die Hände und blickte wie bittend gen Himmel. Und was enthielt er? fragte sie weiter.

Fürchtegott schrieb darin dem Herrnhuter, er möge sich noch einige Monate gedulden, dann könne er die Maske fallen lassen und zeigen, wer er sei!! Wolle ihm dann der Vater noch immer die Wege vertreten, so werde er ihm die Zähne weisen. Er könne kaum den Tag erwarten, wo er als freier Herr aufzutreten ein Recht habe und die ganze Kleinigkeitskrämerei des Vaters mit einem Ruck werde über den Haufen werfen können. So ungefähr lautete der Inhalt jenes lieblosen Schreibens, das ich wohl verwahrt habe. Ob der Brief wirklich von Fürchtegott abgesendet worden ist, kann ich freilich nicht wissen; doch fürcht' ich es. Ich habe zu Niemand ein Wort davon geäußert, selbst vor meinem Albrecht hielt ich den betrübenden Fund geheim, um nicht Mißtrauen in seine arglose Seele zu streuen. Den Bruder beobachtete ich im Stillen, und da hat mir freilich Manches gar nicht gefallen, Mutter! Glaubt Fürchtegott sich ganz unbeachtet, so zieht er jedesmal, wenn er mit Vater gesprochen oder einen Auftrag von ihm erhalten hat, eine verächtliche Miene, ja bisweilen lacht er ihn sogar hinterrücks aus, und das ist nicht Recht; das ist geradezu schlecht und unchristlich, und ich hätte den Bruder, dem doch wahrlich nichts abgeht, für besser gehalten.

Flora vergoß reichliche Thränen, die durchsichtigen Thauperlen gleich auf ihren Strickstrumpf herabfielen. Die Mutter suchte die Tochter zu beruhigen, und das lieblose und jedenfalls sehr tadelnswerthe Verfahren Fürchtegott's durch sein heißes Blut einigermaßen zu entschuldigen. Das wollte jedoch die junge Frau nicht zugeben.

Ich würde dir beipflichten, liebe Mutter, sagte Flora, wenn der Bruder im Zorn oder im Moment heftiger Aufregung, wo Niemand seiner selbst ganz mächtig ist, so gehandelt hätte; allein dies ist nicht der Fall. Nach langem stillen Grübeln, während das mildeste Lächeln sein Gesicht verklärt, setzt er sich hin und macht dem erbitterten Herzen Luft in Worten, die ihn vor Gott und Welt verklagen! Wüßt' ich nur, was mein Pathe dazu sagt, oder könnte man ein Mittel ausfindig machen, um dem verschlossenen, stets geheimnißreichen Herrnhuter auf den Grund seiner Seele zu schauen.

Frau Anna befand sich in großer Verlegenheit. Gewöhnt, seit dem ersten Tage ihrer Verheirathung immer nur dem Willen Ammer's nachzuleben, fehlte es der braven Frau an der nöthigen Selbstständigkeit, die Muth und Kraft gibt zu eigenen Entschlüssen. Auch fürchtete sie den Ausbruch eines Haders im Schooße der Familie, in den bisher so friedlichen Räumen ihres Hauses. Diesen zu vermeiden, oder doch so lange wie möglich hinauszuschieben in ungewisse Ferne, war sie bereit zu jeglichem Opfer. Ein richtiger Instinkt, ein den meisten Frauen eigenes geistiges Tastgefühl sagte ihr, daß mit jedem Tage mehr Zündstoff sich in ihrer Häuslichkeit anhäufe, der plötzlich einmal in wildverzehrender Flamme auflodern müsse, wenn man nicht behutsam jede Reibung vermeide. Ammer das wußte sie war vielfach gereizt, weil der solide Grund seines ganzen Lebens halb durch seine Schuld, halb durch Andere, verrückt worden war. Ohne gefesselt zu sein, fühlte er sich abhängig von unangreifbaren Mächten, die außerhalb seines Gesichtkreises bald für, bald gegen ihn tausend geschäftige Hände regten. Die seinem Sinne, seiner wirklichen Ueberzeugung widerstrebende Richtung Fürchtegott's vermehrte diese Reizbarkeit. Einfache Unterdrückung, Härte in der Behandlung des anders gearteten Sohnes waren nicht die zu gutem Ende führenden Mittel, und doch kannte der Weber in der starren Einseitigkeit seines rechtlichen Strebens und Wollens keine andere, oder sie lagen außerhalb der Grenzen seines selbstischen Wesens. Darum bangte auch ihm vor der Zukunft. Fürchtegott endlich, voll ungebändigter Jugendkraft, ehrgeizig, ruhmsüchtig, stolz auf den Besitz, der schon jetzt sein Eigenthum war, längst überdrüssig der engen, bescheidenen Verhältnisse, in denen des Vaters stillere Natur sich am wohlsten befand, voll Lebenslust und abenteuerlichen Sinnes, wartete nur auf den Augenblick, wo das weltliche Gesetz ihm eine offene Opposition gegen den eignen Vater gestatten würde. Die Kindesliebe wurde gänzlich von seinem Ehrgeiz unter die Füße getreten. Er sah in den Ermahnungen des Vaters nur Hemmschuhe für sein großes Streben, von dem er glaubte, es müsse der Welt nützen, ihm aber zu hohen Ehren und Würden verhelfen.

Solche Widersprüche, so widerstrebende Elemente, geeint in einer Familie, zusammengedrängt auf kleinem Raume, konnten sich unmöglich auf lange Zeit vertragen. Dennoch hoffte Frau Anna einen Zusammenstoß verhindern zu können, wenn es ihr gelang, diese Kräfte zu theilen, ihnen an verschiedenen Orten eine Wirksamkeit anzuweisen. Und dies war ihr großentheils bisher gelungen, ohne daß Ammer ihre Vermittelung ahnte. Sie hatte, freilich ganz unmerklich, die Einrichtung getroffen, daß bald die Brüder zusammen, bald einzeln in Weltenburg sich aufhielten, bald von dem Vater dort abgelöst wurden. Ein kurzes Zusammentreffen des Vaters mit Fürchtegott war dann nicht gefährlich, denn es gab immer Dinge zu besprechen, die auf den Kern des Zwistes, welcher in Beider Brust ruhte, niemals zurückführen konnten. Frau Anna gründete die Richtigkeit ihres Calculs auf diese Zerstreuung und Theilung der Interessen Aller; war es aber später unmöglich auf dieser Basis weiter zu operiren, so glaubte sie, die Verhältnisse selbst würden eine zeitweilige Entfernung Fürchtegott's aus dem elterlichen Hause fordern. Geschah aber dieses, so war jede Friedensstörung vermieden.

Die Mittheilung Flora's zerstörte nun leider den Friedenstempel, den Anna in ihrem wohlwollenden Herzen für Alle vorsorglich aufgebaut hatte. Eine heimliche Correspondenz seines Sohnes mit Wimmer mußte den ganzen Zorn, die unbeugsame Strenge Ammer's wach rufen, sobald er die leiseste Kunde davon erhielt. Von einer solchen Entdeckung war Alles zu fürchten, mithin mußte man Alles aufbieten, um diese unmöglich zu machen. Anna sagte deßhalb mit ruhiger Gelassenheit zu ihrer Tochter, auf deren Verschwiegenheit in einer so wichtigen Frage sie sich vollkommen verlassen konnte:

Verwahre den dummen Zettel recht sorgsam, lieb' Florel. So gar schlimm, wie es aussieht, wird es wohl nicht sein. Recht ist's nicht von Fürchtegott, daß er solche Worte auf Papier schreibt und herumwirft, als wäre gar nichts daran gelegen. Wer weiß aber, ob er auch wirklich den Brief abgeschickt hat? Ich kann's nicht recht glauben, denn er muß ja fürchten, daß Wimmer das Schreiben an den Vater zurückkehren läßt.

Meint es der Herrnhuter auch gut mit dem Vater? fragte Flora.

Wie magst du daran zweifeln!

Weil er einen doppelten Blick hat, Mutter! Menschen, die so aufblicken können, wie Herr Wimmer, sind gewiß nicht ehrlich. Mir ist's immer, wenn ich ihm so g'rad' in die Augen sehe, als blickte ich in einen tiefen finsteren Abgrund, und unten zuckten rothe Flammen. Im Leben würd' ich einen Mann mit solchen Augen nicht geheirathet haben, und wäre er so mächtig wie Bonaparte.

Frau Ammer verfärbte sich. Es ist Angewohnheit, weiter nichts, sagte sie beruhigend. Menschen, die so viel beten, und deren Glaubensmeinungen ein fortwährendes Augenaufschlagen verlangen, bekommen gewöhnlich einen doppelten Blick. Deßhalb können Sie doch gut, treu, zuverläßig und die uneigennützigsten Freunde sein.

Flora schüttelte den Kopf, ohne jedoch die Ansicht der Mutter weiter zu bestreiten. Die Wagen waren inzwischen sammt und sonders expedirt, und als die junge Frau hinüber sah nach dem Gewese ihres Vaters, bemerkte sie Albrecht, der zugleich mit Christlieb dem Hause zuschritt. Geschwind trocknete sie die letzte Thräne ab, stand auf und eilte dem geliebten Mann entgegen.

Wie du heiß bist, Albrecht! sagte sie, ihm die Stirn befühlend. Gelt, du hast wacker mit zugegriffen? Und auch du, Christlieb, siehst aus, als kämst du gerades Wegs vom Backofen.

's war nicht der Rede werth, mein Herzblatt, versetzte Albrecht, die schlanke Gestalt seines jungen Weibes zärtlich umschlingend. Dafür ist nun auch Alles in Ordnung. Wir haben doppelte Listen gemacht, die Vorbühne aufgeräumt, damit neue Zufuhr Platz findet, und wenn der Vater von Weltenburg kommt, braucht er keinen Finger zu rühren.

Ja, du bist gut, sagte Flora, während Frau Anna ihrem Schwiegersohne durch einen Handdruck dankte. Beide junge Männer nahmen jetzt Platz neben den Frauen in der Laube.

Der Vater bleibt lange aus, sprach Christlieb. Er wird sich erschrocken haben über meinen Brief, und doch konnte ich nicht schweigen.

In Geschäften erschrickt sich Vater nicht leicht, meinte Flora, der Aerger aber wird ihm die Stirn kraus ziehen, und 's kann wohl auch sein, daß der Kamm dabei um ein paar Zinken ärmer wird.

Neugierig bin ich, wie er dem Herrn zu Leibe geht, meinte Albrecht. Tritt Mirus schroff und hartnäckig auf, so gibt es einen reellen Proceß.

Um Gottes Willen nicht! rief Frau Anna. Lieber zehnmal dulden als processiren! Wir haben vordem gesehen, was dabei heraus kommt. Geht's sehr gut, so bringt es Feindschaft unter Freunde und zehrt an unsern besten Lebenskräften.

Dennoch wird der Vater durch das ungerechtfertigte Verfahren des Herrn Mirus genöthigt sein, diesen Schritt zu thun, liebe Mutter, bemerkte Christlieb. Nicht um sein Recht zu wahren, sondern um nicht in der Achtung der Menschen zu sinken, muß Vater gegen Mirus klagen.

Da kommt uns der unheimliche Advocat wieder ins Haus, sagte Frau Anna. Mich überläuft's eiskalt, wenn ich nur den obersten Mützenzipfel des Menschen sehe. So, denk' ich, müßte der leibhaftige Gottseibeiuns sich benehmen, wenn er als Mensch die Erde betrete, um arglose Seelen zu verschlingen.

Da hab' ich nun einen ganz andern Geschmack, Mutter, fiel Flora ein, die wieder fleißig die Hände beim Strickstrumpf rührte. Mir macht Block eigentlich Spaß, denn man weiß augenblicklich, wie man mit ihm d'ran ist. Bei jedem Worte, das er spricht, denk' ich, gib wohl Acht, der will dich fangen, und zeigt er eine freundliche Miene, so sehe ich mich um, damit er nicht Zeit gewinnen kann, mir hinterrücks eins zu versetzen. Kurz und gut, der Block ist ein unbezahlbares Prachtexemplar eines Menschen, wie er sein soll, damit andere Leute ehrlich bleiben können. Viel schwerer ist's, sich gegen die frommen Kopfhänger zu schützen, denn gegen sie hat Niemand eine Waffe.

Albrecht freute sich der naiven Aeußerungen und der kecken Zuversicht seiner jungen Frau. Er drückte ihr die Hand.

Du hast jederzeit Recht, Florel, sagte er. Frauen und Mädchen sind unter allen Umständen die sichersten Erlöser von allem Schlechten. Vor einem frommen Frauenauge muß selbst der übermüthigste Bursche das seinige senken, und den Urvater alles Bösen ergreift beim Anblick eines so ewig reinen Himmels die Angst der Hölle, die ihn doch zur Verführung treibt. Es heißt, der Teufel habe keine Macht über den Menschen, wenn dieser ein Kreuz bei sich trage oder den Namen unsers Herrn ausspreche; ich denk' aber, der Böse kann sich gar nicht in die Nähe eines Menschen wagen, dessen Schutz und Schirm ein liebendes, von Himmelsluft durchglänztes Frauenauge ist.

Was du schnackst, erwiderte Flora. Gut, daß es Niemand hört, die Leute müßten sonst glauben, du hättest eine eingebildete Putzdocke oder einen rechtschaffenen Simpel zur Frau.

Gib dich zufrieden, erwiderte mit glücklichem Lächeln Albrecht. Ein andermal, wenn du mich schief ansiehst, will ich die Wange auf der andern Seite beschweren. Verwöhnt sollst du nicht werden, mein Herz; aber die Sonne muß doch leuchten und wärmen, wenn keine Wolken am Himmel stehen.

Da klappert richtig unser Fuhrwerk, fiel Frau Anna aufhorchend ein. Auch die Uebrigen schwiegen. In einiger Entfernung hörte man ein eigenthümlich klirrendes Geräusch, als ob ein hohles Eisen über harte Steine gerollt werde. Das Geräusch kam langsam näher.

Wahrhaftig, sagte Christlieb, es ist des Vaters Gefährt! Ich hör' es ganz deutlich an dem klirrenden Radreifen. Schon vor drei Wochen, als wir zusammen in die böhmische Bleiche fuhren, war der Reifen locker. Ich wollt' ihn wieder befestigen lassen, aber Vater meinte, er hielte noch, um ein paar Mal nach Weltenburg zu fahren, und dem Schmiede eher, als es hoch Noth sei, etwas Verdienst zu geben, wäre weggeworfenes Geld.

Alle verließen die schmucklose Laube, um das Haupt der Familie an der Thüre seiner Wohnung zu begrüßen.


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