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Achtes Kapitel. Eine Versöhnung.

Es traf sich zufällig, daß Jeremias Seltner gerade in dem Augenblicke mit seinem Sohne und ein paar Freunden aus der Thür trat, als Nachbar Ammer auf dem Rückwege an seinem Gartenstacket vorüberging. Albrecht, welcher den ganzen Tag über Flora nur aus der Ferne gesehen hatte, bot dem Weber freundlich guten Abend und fragte, wie er das Fest verlebt habe? Ob Jungfer Flora zu müde sei, um sich noch ein paar Mal um die Säule zu drehen?

Das soll's Kind wohl bleiben lassen, erwiderte Ammer auf diese versteckt hingeworfene Aufforderung zum Tanze. Ich und meine Anna, wir sind keine Wirthshausläufer, und die Mode, daß man heutigen Tages die jungen Mädchen mit den Burschen allein zum Tanze gehen läßt, mach' ich nicht mit; sie sieht mir gar zu locker aus.

's war bloß so eine Frage, Vater Ammer, versetzte Albrecht. Ich habe selber keine Lust zum tanzen, aber plaudern möcht' ich wohl noch einen Seigerschlag.

Wer verwehrt es dir? sagte Ammer. Meine Hausthür steht Jedem offen, aber es gibt Menschen, die blind sein wollen mit Gewalt, und hätten sie auch statt der Augen ein paar Fackeln im Kopfe!

Da hörst du's, Vater, flüsterte Albrecht dem seinigen zu. Er hat die unbedeutende Sache längst vergessen und möchte gar zu gerne wieder gut Freund mit dir sein. Greif' jetzt rasch zu und er ist dein für alle Lebenszeit!

Jeremias faßte sich ein Herz, obwohl seine Pulse heftiger schlugen.

Wenn wir nicht störten – 's ist freilich schon etwas spät, Herr Nachbar –

Himmelkreuz – Jeremias! unterbrach ihn Ammer heftig. Ich wollt', die Grenzsteine wären gar nicht erfunden worden – sie liegen mir centnerschwer auf dem Herzen.

Und mir haben sie's bald ganz zerdrückt, versetzte Seltner. Wenn mir Jemand die Last abwälzte, ich glaube kaum, daß ich ein Advocatenessen d'raus machte.

Handschuhe trag' ich nicht, Jeremias, das weißt du, sagte Ammer, aber drei Ellen weit kann ich nicht reichen.

Wenn's daran liegt, dem ist abzuhelfen, erwiderte Seltner, ein paar Schritte näher zu unserm Freunde tretend und ihm die Hand entgegenstreckend. Hastig schlug Ammer ein – beide Männer umarmten sich.

Also vergeben und vergessen? fragte Seltner.

Für Zeit und Ewigkeit, Jeremias, versetzte der Weber.

Und nun kommt in's warme Zimmer – es zieht doch 'was kalt vom Gebirg herab. Hat das junge Volk Lust, soll's meinetwegen tanzen. Der Färber schlägt's Brummeisen wie eine Nachtigall – der mag aufspielen; wir Alten setzen uns zusammen und reden von alten Zeiten.

So kam denn zwischen den alten Freunden unerwartet eine Versöhnung zu Stande, die Niemand mehr beglückte, als Albrecht und Flora. Auf dem Lande ist der Umgang zwischen Jünglingen und Mädchen, die in ziemlich gleichem Alter stehen, und sich von der Schule her kennen, nicht sehr ceremoniös, die Aufsicht der Eltern über erwachsene Kinder für gewöhnlich keine strenge. Das zwischen jugendlichen Bekannten allgemein gebräuchliche Du erhöht die Innigkeit, erleichtert die Freiheit des Verkehrs, und so liegen der Anknüpfung zarter Verhältnisse eigentlich gar keine Hindernisse im Wege. Auch Ammer war der Meinung, daß ein harmloses Zusammenkommen Flora's mit Albrecht, wie es täglich unter seinen Augen erfolgte, keine nachtheiligen Folgen haben könne, weßhalb er den jungen Leuten weder ihre Scherzreden noch ihr fröhliches Lachen untersagte. Ueberdies blieb sich Flora immer gleich, war stets froh und guter Dinge, und sah gar nicht aus, als könne je der Blick eines Mannes ihrem Herzen gefährlich werden. Das genügte dem Weber und gab zugleich den jungen Leuten freien Spielraum, den sie klug und vorsichtig benutzten.

Diese Nachkirmeßfeier, die beide alten Freunde bis nach Mitternacht in lebhafte Gespräche vertiefte, einigte die seit Jahren Getrennten für immer und gab den häuslichen Angelegenheiten Beider eine ganz andere Wendung. Albrecht hätte nicht mehr nöthig gehabt, Abends über den Buchenzaun zu steigen und nach dem Färbehause zu schleichen, denn Ammer's Wohnung stand ihm zu jeder Stunde offen. Dennoch unterblieben die nächtlichen Zwiegespräche am Fensterladen nicht. Die Betheiligten schienen in diesem heimlichen Geplauder viel glücklicher zu sein, als wenn sie im Beisein Anderer sich stundenlang sehen und sprechen konnten. Da Niemand störend dazwischen trat, ward das Verhältniß durchaus nicht leidenschaftlich, was ohne Zweifel ein Glück für die jungen Leute war, da im entgegengesetzten Falle der ordnungliebende Ammer wahrscheinlich die schwere Hand daraufgelegt und die zart geschlungenen Fäden einer gegenseitigen stillen Neigung schonungslos zerrissen haben würde. Flora war glücklich und Albrecht, der wohl lebhafteres Entgegenkommen oder doch wärmere Erwiederung seiner Neigung von Seiten Flora's wünschen mochte, mußte der Zeit vertrauen, die seinen Wünschen und Hoffnungen vielleicht ein freundlich gesinnter Fürsprecher sein wird.


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