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Zweites Kapitel. Eine Unterredung.

Seit dem Verkaufe Weltenburgs war eine große Veränderung auf der ganzen Herrschaft vorgegangen. Das eigentliche Schloß hatte zwar noch sein altes verwittertes Aussehen, dafür entstand rund um dasselbe, und namentlich in der Thalmulde eine ganz neue Welt. Hier rührten sich einige hundert Hände Tag für Tag, diese um Bauholz zuzuschneiden, Gerüste abzubinden, später aufzurichtendes Sparrwerk in einander zu fügen; jene um mit Hammer, Kelle und Richtscheit an dem Unterbau gewaltiger Gebäude zu schaffen. Am Waldsaume wurde Kalk gelöscht und in tiefe Gruben abgelassen. Steinmetzen waren beschäftigt, Schwellen und Simse von Sandstein zu meisseln, während ein Dutzend Menschen unter lautem Halloh durch schwere Rammklötze zugespitzte Fichtenstämme an einer sumpfigen Stelle nach dem Flusse in die Erde trieben. Kurz, es herrschte überall die größte Thätigkeit, und man sah an der großen Ordnung, an dem ganzen rührigen Lebensbilde, daß ein starker, entschlossener Wille leitend, gebietend und anordnend das Ganze zusammenhalte.

Auf die Frage des Herrnhuter nach Herrn Ammer wies sie ein Maurerpolirer nach dem halboffenen Bretterschuppen der Steinmetzen, die in einer Reihe am südlichen Rande des Hügels sich befanden. Bald gewahrten sie unter den Arbeitern die Gestalt des alten Webers. Er saß auf einem noch unbehauenen Werkstücke und sah bald hinunter auf den Fluß, bald blickte er nach dem Gebirgskamme, über welchem aus schwarzem Gewölk von Zeit zu Zeit rothgelbe Blitze zuckten. Vertieft in seine Gedanken, bemerkte der Weber nicht die heranschreitenden beiden Männer. Erst als sie schon neben ihm standen und Wimmer's weiche Stimme ihn grüßend bei Namen rief, kehrte er sich um und verließ seinen harten Sitz.

Ammer war binnen Jahresfrist auffallend gealtert. Sein sehr starkes Haar schimmerte in ehrwürdigem Weiß und kräuselte sich, da er es nicht gern schnitt, im Nacken zu dichten Locken. Auch seine Gesichtszüge hatten gealtert und dadurch etwas Hartes angenommen. Ueberhaupt blickte er mehr finster als heiter in die Welt, so daß man beim ersten Begegnen kaum einen von seltenem Glück begünstigten Mann in ihm erkannt haben würde.

Sieh da, Freund Ammer! sprach Wimmer, ihm die Hand entgegenstreckend. Da thronst du ja mitten in deinem Reiche wie ein König. So gefällst du mir, lieber Bruder! Das schafft und rührt sich und legt den Grundstein zu einem dauernden Glück.

Graf Alban sagte etwas Aehnliches und machte zugleich dem Weber ein Compliment in Bezug auf seinen landschaftlichen Geschmack, der ihn veranlaßt habe, sich gerade in so reizender Gegend anzukaufen.

Zu viel Güte, Herr Graf, erwiderte Ammer, nach seiner Gewohnheit das Käppchen lüftend, womit er sein Haupt bedeckte. Es ist weder mein Geschmack noch mein Verdienst, daß ich als Herr von Weltenburg hier sitze und über Dinge reden muß, von denen ich nichts verstehe. Gute Freunde haben mir das Alles aufgedrungen aus vorsorglicher Liebe, und ich bin darüber so glücklich, daß ich nicht einmal einen Dank deßhalb über meine Lippen bringen kann. Willkommen in Weltenburg!

Ammer drückte dem Grafen die Hand, nahm wieder Platz auf dem Werkstücke und gab durch eine Handbewegung zu verstehen, daß die Freunde auf ähnlichen Sitzen, deren mehrere vorhanden waren, sich niederlassen sollten.

Es sieht noch etwas wüst aus hier herum, sagte er, und Stühle aus meinem Schlosse holen zu lassen, ist mir zu langweilig und zeitraubend. Ich nehme deßhalb mit jedem Sitz vorlieb, der sich mir eben darbietet.

Immer schlicht und anspruchslos, ganz wie der Herr es wünscht, meinte Wimmer.

Mir wär' es schon lieber, wenn ich in meinem Stübel sitzen könnte, wo es noch schlichter aussieht, erwiderte Ammer. Aber was schafft mir die Ehre, Herr Graf? Brauchen Dero Hochgeboren vielleicht eine Ausstattung?

Nicht doch! versetzte lächelnd Graf Alban. Mich führt im Grunde keine Geschäftsangelegenheit hieher, sondern einzig und allein der Wunsch, die Gegend, den Ort kennen zu lernen, der in Zukunft die Geburtsstätte großer Unternehmungen zum Segen unseres Vaterlandes sein wird. Unser gemeinschaftlicher Freund, mein lieber Bruder Wimmer, hat mich unterrichtet und mir erzählt, wie Sie gesonnen sind, ein großartiges Etablissement für Ihre Söhne hier zu errichten.

So! sagte Ammer. Nun ja, Herr Graf, wenn man gehetzt wird, so läuft man, damit die Köter einem nicht in die Waden beißen.

Wimmer hüstelte und schlug sich mit seinem Stocke an die Stulpenstiefel.

Freund Ammer liebt es zuweilen, sagte er zum Grafen gewandt, ohne seine breiten Augenlider aufzuschlagen, wenn er so recht innerlich zufrieden und in seinem Gott vergnügt ist, Worte zu gebrauchen, die ganz das Gegentheil vermuthen lassen. Es ist dies angeborene Weltklugheit, die immer zu großen Erfolgen führt. Klugheit, Bescheidenheit und Schweigsamkeit sind im geschäftlichen Leben die größten Cardinaltugenden.

Ammer beantwortete diese Bemerkungen des Herrnhuters nur durch einen scharfen Blick, in dem man Alles, nur keine recht herzliche Zuneigung, keinen aufrichtigen Dank lesen konnte. Zugleich zuckten blendende Blitze über dem nahen Gebirge, und ein dumpfer, langsam verhallender Donner brach sich an Wald und Berg.

Wenn's gefällig ist, Herr Graf, sprach Ammer, so möchte ich bitten, mir in mein Schloß zu folgen. (Die Worte » mein Schloß« betonte er regelmäßig auf ganz merkwürdige Weise, indem er das Sch stark zischend aussprach.) Es gibt, allem Vermuthen nach, ein böses Wetter, denn es hat gebraut in den Bergen schon seit Sonnenaufgang. Dem Aussehen der Wolken zufolge kriegen wir Hagelschlag. Das käme mir sehr passend; denn die Ernte steht großentheils noch draußen, und wenn unser Herrgott sein Geschosse auf sie herabschleudert, gibt's einen Verlust von vielen, vielen Tausenden. Das thut aber nichts, mir rennt das Glück ja doch nach, wie ein verliebter Thor einem koketten Weibsbilde.

Ammer schritt voraus, die beiden Herrnhuter folgten.

Glauben Sie, lieber Bruder, sprach Graf Alban leise zu Wimmer, daß wir unsere Absicht heute erreichen? Ihr Freund scheint verstimmt, ärgerlich, mißmuthig zu sein.

Wimmer lächelte.

Er ist's auch, entgegnete er, und er ist's fast immer. Allein, was schadet es? Ein geschlossener Pact muß gehalten werden und ein Gefangener mag noch so sehr schimpfen und toben, man gibt ihm, erheischt es der Vortheil oder geschieht es zu seinem Besten, deßhalb doch nicht die Freiheit. Also nur immer sanft aber fest vorwärts! Was er uns heut abschlägt, bewilligt er morgen zähneknirschend. Und Sie wissen, ich thue ja Alles nur zur Ehre des Herrn und um mich dankbar zu erweisen gegen einen merkwürdig uneigennützigen Freund.

Im Erdgeschosse des Schlosses führte Ammer die beiden Herrnhuter in ein kleines, recht gemüthlich eingerichtetes Zimmer des alten Thurmes, das er bei seinen häufigen Besuchen auf Weltenburg bewohnte. Auf einem großen Tische lagen hier Baurisse, auf der Diele stand das Modell einer Mühle, daneben das eines Pumpenwerks. An der Wand hingen ein paar Doppelflinten, ein schöner Hirschfänger und große Sporen zum Anschnallen. Genug, es sah aus, wie der Aufenthaltsort entweder eines Architecten oder eines Jagdliebhabers. Daß ein Leinweber darin hause, konnte Niemand merken.

So, sagte Ammer, sich schwer in einen Lehnsessel von altherkömmlicher Form, mit hoher, kunstreich geschnitzter Holzlehne werfend, so! Da sind Sie in meinem Museum. Hier brüte ich jetzt über Gedanken, die ich sonst nie gehegt habe, und hecke Dinge aus, über die ich mich zuweilen selbst wundere. Aber der Mensch ist eine Art Polyp; wenn er nur will, wachsen ihm überall Fühlhörner, so daß er vollbringen kann, wozu sein Schöpfer oder das Schicksal ihn bestimmt.

Die Herrnhuter ahmten dem Beispiele ihres Gastfreundes nach, der mit einiger Besorgniß von Zeit zu Zeit Wimmer fixirte, weil er entweder schon den Zweck seines Kommens kannte oder ihn doch ahnen mochte.

Es ist mir jetzt einleuchtend, sprach er, seine Augen wie zerstreut auf die verschiedenen Gegenstände des Zimmers richtend, warum du Briefe so lange unbeantwortet läßt. Du hast keine Zeit und deinen Söhnen überläßt du das Schreiben wohl nicht gern?

Ammer schob sein Mützchen in den Nacken und sah den Herrnhuter mit seinen großen Augen durchdringend an. Er sagte aber bloß: Was weiter?

Lieber Bruder, fuhr Wimmer fort, es ist Alles gekommen, wie ich's dir vor Jahr und Tag vorausverkündigte. Obwohl mich demnach der Heiland begnadigt hat, ohne Verdienst und Würdigkeit gleichsam in den Fußpfaden des Propheten kurze Zeit zu wandeln, bin ich doch nicht stolz auf solche Gnade des Herrn, noch möchte ich mich in sündhafter Weise überheben. Allein es ist Menschen- und Christenpflicht, so Jemand auf gutem Wege wandelt, ihn zu stützen und zu halten, daß er nicht wieder davon abbiege. Darum, lieber Freund und Bruder, führe ich dir in Sanftmuth zu Gemüthe, daß unser Herr und Heiland seine allmächtige Hand sonderlich über dir und deinem Hause gehalten hat bisher, und daß ich es für himmelschreiende Sünde erachten würde, veranlaßte dich irgend etwas, dies nicht anzuerkennen, und dankend dafür die Hände zu falten. Was wir absprachen zusammen vor Jahr und Tag, Gott hat es wunderbar herrlich hinausgeführt. Deine Waaren sind mit großem Vortheile verkauft worden drüben in der neuen Welt an der Grenze des Heidenthums. Es haben sich geschmückt mit deinen Geweben die Sendboten des Evangeliums, um die Lehre der Liebe zu predigen den wilden Indianern. Darum segnete auch Gott unser Unternehmen. Jetzt nun, lieber Freund und Bruder, liegt schon das zweite Schiff mit gar reicher Rückfracht beladen, im Hafen zu Hamburg. Du oder deine Kinder wenn du das lieber hörst haben ein ganzes Vermögen verdient, und es ist nun eben deßhalb Pflicht eines liebevollen reellen Mannes, dich aufzufordern, einen weiteren Schritt vorwärts zu thun und eigene Schiffe zu kaufen. Zeit hast du nicht mehr gar lange. In spätestens fünf Wochen geht die Fregatte wieder in See und bis dahin muß ein entscheidendes Wort gefallen sein. Ich würde es für ein Zeichen großer Liebe zu mir halten, wolltest du dieses Wort schon heute sprechen. Graf Alban unterstützt mich in dieser Bitte.

Ammer gab mehrmals Zeichen der Ungeduld, während der Herrnhuter langsam und mit salbungsvoller Sanftheit seine Meinung aussprach. Hätte der alte Weber seiner Neigung folgen können, er würde den Unmuth, der sich in ihm regte und ihm die meisten Stunden verbitterte, in harten, ungestümen Worten ausgesprudelt haben. Weil er sich jedoch selbst sagen mußte, daß er mehr oder weniger die Schuld der Last trage, die ihn drückte, zwang er sich zu einer gelassenen Entgegnung.

Es muß wohl sein, wie du sagst, erwiderte er, und weil ich nicht leugnen kann noch will, daß ein kluger Verstand den Versuch geleitet und zu Ende geführt hat, wäre es verwegen, so ich deine Vorstellungen mit einem scharfen Nein kurz abschnitte. Dagegen gebe ich dir Folgendes zu bedenken und bitte dies zugleich mit dem Herrn Grafen wohl zu beherzigen. Es hat meinem Schöpfer gefallen, in meinen alten Tagen mir 'was viel aufzubürden. Noch trag' ich's und ich denk' auch mit Anstand. Jedoch kann ich meine Kräfte nicht noch mehr anstrengen, weil sie alsdann zusammen brechen würden. Was mein ist allhier, und worüber ich je zuweilen mein Auge halten kann, das soll wohl beschafft werden, und ich gedenk' es auch hinauszuführen, daß man es wird loben können. Ueber die Grenzen weiter hinaus und unter den Horizont, wo die Sonne sich verkriecht, mag ich nicht sehen, noch weniger dort gebieten. Dort bin ich fremd und ein Spiel aller Winde. Es gehört mir auch nicht, sondern dir

Mir? fiel Wimmer ein. Ich hab' Alles deinen Kindern zurückgegeben, lieber Bruder.

Kann sein, fuhr Ammer fort, und darfst du's damit halten wie du willst; meine Sache ist es nicht. Genug, wovon du sprichst, daran hab' ich kein Eigenthum, und werd' es auch nie beanspruchen. Mithin ist mir kein Vorwurf zu machen, wenn ich von jenem Geschäft und seinem Gewinne mich zurückziehe.

Wimmer sah Graf Alban verstohlen an, während dieser das Wort ergriff.

So kann nur ein Ehrenmann sprechen, sagte der Graf. Nehmen Sie für diese Geradheit meinen aufrichtigen Dank. Gestatten Sie mir aber auch, Herr Ammer, Sie jetzt auf einen Punkt aufmerksam zu machen, den mein Freund und Bruder wahrscheinlich noch gar nicht berührt hat, und der doch ganz besonders in's Auge gefaßt werden muß. Wir Herrnhuter halten es, wie Ihnen ja bekannt ist, für Pflicht, so weit unsere schwachen Kräfte reichen, für die Ausbreitung der Lehre Christi auf Erden zu wirken. Unser Häuflein ist nur klein und schwach im Vergleich mit der großen Streitmacht, welche ein anderes Bekenntniß aufzustellen vermag. Die Herrnhuter Brüdergemeinden mit ihren Filialen unter den lutherischen Christen wirken vereint durch Entsendung von Missionären in die fernsten Weltgegenden und unter allerlei Volk die Heiden zu bekehren, und zwar für die Lehre des gereinigten Evangeliums. Uns gegenüber stehen die Jesuiten-Missionäre als Freiwerber für ihre Kirche. Sie bilden eine fest geschlossene Phalanx, gegen welche die schlichten, ungelehrten, nur von der Kraft des Glaubens und ihrer Gottbegeisterung getragenen Herrnhuter den Kampf zu bestehen haben. Dennoch verzweifeln die Auserwählten des Herrn nicht, und der Sieg wird ihnen überall werden, wenn sie nur den Muth nicht verlieren und ohne Zagen das Schild des Glaubens schwingen. Allein, um ihnen den Kampf zu erleichtern und sie zu unterstützen in ihrem heiligen apostolischen Wirken, müssen wir Andern, die wir nicht berufen sind als Streiter für das Evangelium aufzutreten, für die materiellen Mittel sorgen, ohne die nun einmal bei der unvollkommenen Einrichtung alles Irdischen nichts auf Erden gedeihen kann.

Ammer faltete die Hände und begann mit seinen Daumen zu spielen. Draußen erhob sich der Wind und wirbelte dicke Staubwolken über die baufälligen Wirtschaftsgebäude Weltenburgs, während häufige Blitze das rasch zunehmende Dunkel grell erhellten, und der Donner fortwährend und immer vernehmlicher durch die Berghalden rollte.

Mit besonderm Wohlgefallen und innigem Danke gegen den Höchsten haben wir wahrgenommen, fuhr Graf Alban fort, wie Sie, mein werther Herr Ammer, eine liebevolle Theilnahme den christlichen Bestrebungen der Herrnhuter zuwendeten. Sie sind Mitglied des großen Missionsvereins, der wie eine Kette von Brüdern den ganzen Erdball umschlingt. Sie betheiligen sich an Vertheilung der von ihm ausgehenden Schriften durch Verwilligung ansehnlicher Beisteuern. Sie helfen mit einem Worte indirect mit bauen an dem großen Münster des Heils, der zur Ehre des Allmächtigen in Ost und Süd, in West und Nord seine Zinnen erhebt. Durch Gewährung der Mittel, die Sie den herrnhutischen Missionären zufließen lassen, haben Sie, gleich Vielen tausend Andern, Theil an der Bekehrung der Heiden, üben Sie selbst mit das Amt der Apostel, wie Christus es seinen Jüngern übertragen hat.

Diese letzteren Bemerkungen beunruhigten den alten Weber. Allerdings hatte er die Missionsvereine durch Geldgaben unterstützt, allein es war ihm niemals in den Sinn gekommen, dies für ein besonderes Verdienst zu halten, während er sich um das Wirken der Missionäre, um die Fortschritte, welche ihr apostolisches Bekehrungswesen unter den Heiden machte, nicht im Geringsten kümmerte. Die Schriften, mit deren Zusendung der Missionsverein ihn beehrte, hielt er nur, weil er keinen Ausweg sah, dieselben abzuweisen, hineingesehen aber hatte er kaum mit halbem Auge, viel weniger wirklich darin gelesen. Es fiel ihm deßhalb wirklich schwer, den Herrnhuter nicht zu unterbrechen. Nur der Respect, den der Graf und die ganze Persönlichkeit des würdigen Herrn ihm einflößte, konnte Ammer vermögen, den hochgestellten Mann weiter sprechen zu lassen.

Unser gemeinschaftlicher Freund, Herr Wimmer, hat mir schon vor längerer Zeit Mittheilungen gemacht über das Abkommen, welches seltene Freundschaft und rückhaltlose Liebe zwei Ehrenmänner treffen ließ. Wie der Höchste jeder Gutthat sein Gedeihen schenkt, sei's früh, sei's spät, so hat er auch Ihr Werk der Liebe gedeihen lassen. Ihren Söhnen, werther Herr Ammer, ist ein Vermögen gesichert, das sich noch bedeutend vermehren, das mehr denn tausendfältige Frucht tragen wird, wenn es immer in so treuen Händen ruht und gottgefälligen Zwecken dient. Nicht bestimmen, nur aufmerksam machen möchte ich Sie deßhalb, Herr Ammer! Seien Sie der ferneren Entwickelung des so segensreich Begonnenen nicht hinderlich aus Grillenhaftigkeit! Lassen Sie Herrn Wimmer freie Hand zum Besten Ihrer Söhne. Gedenken Sie dabei Ihrer Pflicht als Christ, als Bekenner der protestantischen Lehre, und unterstützen Sie durch Beförderung des materiellen Gedeihens Ihrer Familie, Ihrer ganzen Provinz die Missionäre der Herrnhuter unter den Heiden!

Graf Alban schwieg. Wimmer drückte ihm dankend die Hand und richtete zugleich einen liebevoll bittenden Blick, aus dem ein herzliches Wohlwollen, eine wirklich innige Freundschaft sprach, auf seinen langjährigen Freund.

Ammer war bewegt. Gegründete Einwände vermochte er dem Grafen nicht zu machen, hätte er aber auch Gründe gehabt, es würde ihm schwer, vielleicht sogar unmöglich gewesen sein, diese dem gelehrten, gewandten, vielgereisten Grafen gegenüber überzeugend darzulegen. Er schwankte aus Furcht, das Glück möge ihm zu groß werden und über den Kopf wachsen. Denn was hundert Andere gehoben, erheitert haben würde, das drückte den Weber, das machte ihn auffallend altern, das verbitterte ihm sogar in gewissem Sinn sein doch so glückliches Leben. Er nahm jetzt, als Graf Alban schwieg, sein Käppchen ab und kämmte in gewohnter Weise sein Haar in den Nacken.

Herr Graf, sagte er dann, Gott muß es wohl wunderbar mit mir vorhaben, daß er mir zutheilt, was nach meinem Bedünken für manchen Andern sich besser schickte. Der Mensch soll jedoch nicht irre werden, weder an seinem Glauben, noch an seinen Gedanken, und so will ich mich denn fassen als Christ in bescheidener Demuth. Heißt es doch in der Schrift: Wem Gott viel auferlegt, dem gibt er auch Kraft, damit er es ertrage. Mich will nun manchmal bedünken, als sei die Last, welche auf mir ruht, für meine Körper- und Geistesgaben zu groß. Dennoch sei der Wille meines Schöpfers gepriesen immerdar!

Sie bewilligen demnach, fiel der Graf Alban ein, daß Ihr Freund Wimmer fortan ein eigenes Schiff kaufen darf?

Ammer seufzte, er zerdrückte das Sammtkäppchen, das er noch in der Hand hielt, und wendete sein Auge, wie fragend, dem Fenster zu. Ein blendender Blitzstrahl zerriß eben das schwarze Gewölk und beleuchtete die strengen, unschlüssig vibrirenden Züge des alten Mannes in ergreifender Weise.

Sie drängen sehr, Herr Graf, sagte er zögernd.

Thu's, lieber Bruder, bat sanftmüthig Wimmer.

Ein Donnerschlag erschütterte das alte Gebäude, daß die Fensterscheiben klirrten. Ammers Züge wurden noch strenger.

Es warnt mich 'was, daß ich Nein sagen möchte, um nicht aus meinem Sinn herauszugehen, sprach er. Bis jetzt ließ ich der Ungewißheit freien Spielraum. Sie hat mir Glück gebracht, was man so nennt. Heute, in dieser Stunde soll ein freier Entschluß, ein bestimmt ausgesprochenes Wort als Wegweiser der Zukunft sich vor mir hinstellen. Das will bedacht sein, meine Herren!

Sie dienen Christo, Ihrem Heilande, sagte Graf Alban.

Will ihm auch dienen, ihm und meinem Schöpfer, doch lieber in Demuth, als mit hochmüthigem Wesen.

Wer ihm Seelen gewinnt auf Erden, der baut sich eine Stufe im Himmel! sprach der Graf.

Ammer schüttelte sein ehrwürdiges, graues Haupt.

Ich möchte das Wort Gottes nicht so auslegen, warf er ein, als ob mein Handeln aussähe, wie eitel Eigennutz. Gottes Wege nur will ich gehen, Herr Graf, ohne Vorbehalt, ohne Hintergedanken, und verläßt mich dabei nicht die gesunde Vernunft, so werde ich sie auch finden und hoffentlich drüben im seligen Jenseits auf dem für mich bereiteten Platze keinen Andern erblicken.

Du sprichst wie ein Apostel! sagte Wimmer, die Hände faltend. Ich sagte Ihnen ja immer, mein werther Herr Graf und Bruder, daß er ein seltener Mann sei, dieser mein Freund.

Der Herrnhuter zerdrückte eine Thräne.

Thun Sie deßhalb, was Sie für Recht halten, was ein wahrer, treuer Bekenner Christi thun muß, sprach Graf Alban; Ihr Handeln, Ihre Entschlüsse sollen von uns nicht bestimmt werden.

Ich habe einen Gedanken, sagte Ammer nach kurzer Pause. Wollen Sie darauf eingehen, so bin ich entschlossen.

Lassen Sie hören.

Ich werde Eigenthümer des Schiffes und befrachte es selbst. Kommt die Ladung glücklich an in der neuen Welt, so will ich fortan Handel treiben mit meinen Söhnen auf die neue Manier, doch nur unter der Bedingung, daß diese erste Ladung als Geschenk angenommen wird für die Missionäre und die bekehrten Indianer.

Das ist zu viel, erwiderte mit abwehrender Handbewegung Graf Alban. Wimmer lächelte und klopfte seine Stulpenstiefel mit dem Stocke.

Es ist mein letztes Wort. Entweder – oder!

Lieber Bruder, sagte Wimmer, es ist beinahe ein halbes Vermögen, was du da wegschenken willst.

Ich weiß es, versetzte der Weber. Dennoch soll es so sein, weil mir das nicht gehört.

Wie das, Herr Ammer? fragte der Graf.

Erspieltes Gut ist nicht verdientes Eigenthum, versetzte Ammer, jedennoch kann es dazu werden, wenn es im Dienste des Herrn den göttlichen Segen erhält. Nehmen Sie an, was ich biete. Ihrem großen Missionswerke fließt damit eine bedeutende Summe zu, und ich erleichtere mein Gewissen.

Graf Alban reichte dem Weber die Hand.

Sie sind ein Ehrenmann, sagte er, ein Mann, recht nach dem Herzen Gottes. Empfangen Sie im Namen der gesammten Christenheit und der Herrnhuter Missionäre im Besondern meinen innigen, aufrichtigen Dank für Ihr so großmüthiges Geschenk, und möge es Ihnen, Ihren Kindern und Kindeskindern Heil, Segen und Glück bringen!

Man hörte es dem Tone des Grafen an, daß er seiner tiefsten Ueberzeugung Worte lieh. Wimmer blickte wiederum dankend gen Himmel und bewegte dabei seine Lippen. In diesem Augenblick erfüllte ein bläulich weißer Lichtschein das Thurmgemach, ein donnergleiches Krachen und Prasseln, als stürze ein Theil des alten Gebäudes zusammen, folgte, und alle drei im Zimmer versammelten Männer wankten, wie betrunken. Ammer fiel sogar rücklings in seinen hochlehnigen Stuhl und blieb regungslos.

Graf Alban erholte sich am schnellsten. Sein erster Blick richtete sich auf's Fenster, gegen das jetzt Hagelkörner und strömender Regen prasselten.

Es muß eingeschlagen haben, sagte er gelassen zu dem wankenden und seufzenden Wimmer. Aber was macht unser Freund?

Er trat zu Ammer und ergriff die Hand des Betäubten. Noch fühlte er matt das Schlagen des Pulses, die Hand selbst zuckte, der Weber regte sich wieder.

Wie ist Ihnen? fragte der Graf.

Ammer holte tief Athem. Gleichzeitig hörte man durch das Prasseln des Hagels und das Heulen des Gewittersturmes lautes Rufen und Schreien.

Mich dünkt, sprach der Weber, es war Gottes Finger, der da so vernehmbar an unsere Herzkammern klopfte. Wohl! Ich weiß, daß mein Schöpfer noch das Regiment führt, und bin bereit, mich ihm zu unterwerfen. Aber was ist das? fuhr er fort, sich hoch emporrichtend. Der Himmel hat seine Schleußen geöffnet, daß ganze Bäche herabstürzen aus den vorüberbrausenden Wolken und vermuthlich ist auch ganz in der Nähe ein flammender Donnerkeil niedergefahren.

Graf Alban hatte bereits das Gemach verlassen und stand jetzt, gegen den furchtbaren Wettersturm leidlich geschützt, unter der Eingangspforte des Schlosses. Zu ihm trat Ammer, nur der fromme Wimmer blieb zurück in dem Gemache und sagte alle Gebete, die ihm gerade einfielen, ohne Sinn und Verstand her, denn der furchtbare Donnerschlag hatte ihn unglaublich erschüttert. Bei jedem neuen Blitze fuhr er zusammen und glaubte, der flammende Strahl könne ihn leblos zu Boden strecken.

Das Schloß roch stark nach Schwefel. Knechte und Werkleute eilten aus ihren Schlupfwinkeln und sammelten sich im Hofraume, ungeachtet der Regen in Strömen herabgoß. Einige hatten den Blitzstrahl deutlich in die Bedachung des Thurmes fahren sehen, von welcher Stücke, die herabgeschleudert waren, zerstreut umher lagen. Man erstieg die Wendeltreppe und konnte hier genau den Weg verfolgen, welchen der Blitz genommen hatte. Zum Glück diente dem zündenden Strahle eine starke an der Treppe sich hinaufwindende Eisenstange als Leiter. An dieser Stange war der Blitz herabgefahren, hin und wieder das Mauerwerk beschädigend. Dicht vor der Schwelle des Thurmgemaches zu ebener Erde, wo die Herrnhuter mit dem Besitzer von Weltenburg eine so wichtige Unterredung hielten, zeigte sich der Fußboden stark zerrissen, weßhalb man annehmen mußte, daß der zerstörende Strahl sich hier in die Erde eingewühlt habe.

Eine genauere Besichtigung des Thurmes wies deutliche Spuren von Feuer nach, und wahrscheinlich wäre das obere Holzwerk desselben in Brand gerathen, hätte nicht der unmittelbar nach dem Schlage niederstürzende Fluthregen, der sich sogleich in einen verheerenden Wolkenbruch verwandelte, die im Entstehen begriffene Flamme wieder ausgelöscht.

So kam man denn mit dem bloßen Schreck davon. Ammer machte dies Ereigniß sehr nachdenklich. Er ward schweigsam und trug zur Unterhaltung seiner Gäste, die des entsetzlichen Unwetters wegen die Nacht in Weltenburg zubringen mußten, sehr wenig bei. Nur als der Graf im Laufe des verschiedene Gegenstände berührenden Gespräches wieder des Glückes und der besondern Segnungen des Himmels gedachte, deren die Familie Ammer sich zu erfreuen habe, sagte er mit Nachdruck:

Säße ich heute noch ruhig in meinem Weberhause und hätte nicht hinausgegriffen mit gierigen Fingern in die Welt, so wäre mir das nicht passirt.

Damit war alles Gespräch zu Ende. Der Weber wies seinen Gästen ein alterthümliches Zimmer mit sehr großen altmodischen Himmelbetten für die Nacht an, und verschloß sich dann, was er auf Weltenburg stets zu thun pflegte, in der schmucklosen Kammer, die er für seinen zeitweiligen Aufenthalt nothwendig hatte einrichten lassen.


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