Ludwig Tieck
Gedichte
Ludwig Tieck

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41. Des Mädchens Plage.

    Was halt' ich hier in meinem Arm?
Was lächelt mich an so hold und warm?
Es ist der Knabe, die Liebe!
Ich wieg' ihn und schaukl' ihn auf Knie und Schoß,
Wie hat er die Augen so hell und groß!
O himmlische, himmlische Liebe!

    Der Junge hat schön krausgoldenes Haar,
Den Mund wie Rosen hell und klar,
Wie Blumen die liebliche Wange;
Sein Blick ist Wonne und Himmel sein Kuß,
Red' und Gelach' Paradiesesfluß,
Wie Engel die Stimm' im Gesange.

    »Und liebst du mich denn?« – Da küßt er ein Ja!
Und wie ich ihm tief in die Augen nun sah,
Da schlägt er mir grimmige Schmerzen;
»O böses Kind! ei, wie tückisch du!
Wo ist deine Milde, die liebliche Ruh'?
Wo deine Sanftmut, dein Scherzen?«

    Nun geht ein süß Lächeln ihm übers Gesicht:
»Ich liebe dich nicht! ich liebe dich nicht!«
Da setz' ich ihn nieder zu Füßen.
»O weh mir!« so ruft nun und weinet das Kind,
»Du Böse, o nimm mich auf geschwind,
Ich will, ich muß dich küssen.«

    Ich heb' ihn empor, er schreiet nur fort,
Er hört auf kein liebkosendes Wort,
Er spreiteltZappelt. mit Beinen und Händen:
Mich ängstiget und betäubt sein Geschrei,
Mich rühren die rollenden Thränen dabei,
Er will die Unart nicht enden.

    Und größer die Angst und größer die Not,
Ich wünsche mir selbst und dem Kleinen den Tod,
Ich nehm' ihn und wieg' ihn zum Schlafe:
Und wie er nur schweigt, und wie er nur still,
Vergess' ich, daß ich ihn züchtigen will,
Meine Lieb seine ganze Strafe.

    Da schlummert er süß, es hebt sich die Brust
Vom lieben Atem, ich sätt'ge die Lust
Und kann genug nicht schauen:
Wie ist er so still? Wie ist er so stumm?
Er schlägt nicht und wirft sich nicht wild herum,
Er tobt nicht! es befällt mich ein Grauen.

    O könnte der Schlaf nicht Tod auch sein?
Ich weck' ihn mit Küssen; nun hör' ich ihn schrein,
Nun schlägt er, nun kost er, meine Wonne, mein Sorgen,
Dann drückt er mich an die liebliche Brust,
Nun bin ich sein Feind, dann Freund ihm und Lust:
So geht's bis zum Abend vom Morgen.


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