Ludwig Tieck
Gedichte
Ludwig Tieck

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1. Melancholie.

Schwarz war die Nacht, und dunkle Steine brannten
    Durch Wolkenschleier matt und bleich,
    Die Flur durchstrich das Geisterreich,
Als feindlich sich die Parzen abwärts wandten
Und zorn'ge Götter mich ins Leben sandten.

Die Eule sang mir grause Wiegenlieder
    Und schrie mir durch die stille Ruh'
    Ein gräßliches: Willkommen! zu.
Der bleiche Gram und Jammer sanken nieder
Und grüßten mich als längst gekannte Brüder,

Da sprach der Gram in banger Geisterstunde:
    Du bist zu Qualen eingeweiht,
    Ein Ziel des Schicksals Grausamkeit,
Die Bogen sind gespannt, und jede Stunde
Schlägt grausam dir stets neue blut'ge Wunde.

Dich werden alle Menschenfreuden fliehen.
    Dich spricht kein Wesen freundlich an,
    Du gehst die wüste Felsenbahn,
Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen,
Der Sonne Strahlen heiß und heißer glühen.

Die Liebe, die der Schöpfung All durchklingt,
    Der Schirm in Jammer und in Leiden,
    Die Blüte aller Menschenfreuden,
Die unser Herz zum höchsten Himmel schwingt,
Wo Durst aus sel'gem Born Erquicken trinkt,

Die Liebe sei auf ewig dir versagt.
    Das Thor ist hinter dir geschlossen,
    Auf der Verzweiflung wilden Rossen
Wirst du durchs öde Leben hingejagt,
Wo keine Freude dir zu folgen wagt.

Dann sinkst du in die ew'ge Nacht zurück;
    Sieh tausend Elend auf dich zielen,
    Im Schmerz dein Dasein nur zu fühlen!
Ja erst im ausgelöschten Todesblick
Begrüßt voll Mitleid dich das erste Glück.


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