Ludwig Tieck
Gedichte
Ludwig Tieck

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27. Der Bettler.Das Gedicht spielt in Rom.

    Kann ich dem dreisten Schwätzer,
Dem bettelnden Redner,
Dem ich stets heimkehrend vorüberwandle,
Nimmer entgehn?
Arm ist er nicht,
Und dennoch bin ich gezwungen,
Ihm mehr zu reichen
Als dem Elend-Dürftigen.
Soll ich dort die Straße wählen?
Nein! schäme dich dieser Schwäche!
Mag er doch reden,
Bitten und beten,
Dreister Stirne geh' ich
Ihm fest vorüber,
Und keine Münze, kein Kupfer
Soll seiner Redekunst ein Opfer fallen. –

    Schon gewahrt er mich von fern,
Er schwenkt den großen, dreikantigen Hut,
Und seine wohllautende Stimme tönt:
»Gebenedeit sei dort der Edle,
Der täglich leichteren Schrittes schon
Durch unsre berühmten Gassen wandelt!
Wohl haben meine frommen Gebete
Dem Trefflichen genützt:
Wie krank und schwach
Schritt er mir ächzend das erste Mal vorüber!
Rüstigen Ganges, ohne Stab,
Seh' ich ihn bald in voller Gesundheit prangen.
Wer bin ich Ärmster,
Der ich hier als ekler Krüppel
Auf der Gasse liegen muß,
Daß ein solcher lieber, teurer Mann
Je um diese verzerrte Figur sich gekümmert? –
Näher kommt er und mir näher.
Ei! welch mildes Antlitz!
Wär' ich nicht ein Verworfner,
Wenn meine fromme, stille Freude
Nur dahin zielte,
Eine Gabe von ihm zu empfangen?
Fern sei von mir so niedrer Gedanke!
Nein, Belobtester, Wackerster,
Schreitet, schreitet dreist vorüber,
Seht nicht her nach dem ärmsten Eurer Verehrer,
Der doch für Euch beten und wünschen wird:
Bettl' ich gleich, Eigennutz ist mir fremd,
Doch kann ich nicht so verächtlich sein,
Abzuweisen und zu verschmähn,
Was solch Alexander mir bietet.« –Der Bettler fühlt sich als Diogenes.

    Schon hat er den Paul,Der Paolo war eine kleine Silbermünze des Kirchenstaates, nach unserm Geld etwa 44 Pfennige.
Und lächelt dankend
Mit seltsamem Blick.


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