William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

In oder nahe bei dem Tempelgarten

Die feine Welt hat den grünen hübschen Tempelgarten längst verlassen, wo Shakspeare York und Lancaster jene unschuldigen weißen und roten Rosen pflücken läßt, die dann die Feldzeichen ihrer blutigen Kriege wurden, und der gelehrte und amüsante Verfasser des ›Handbuchs von London‹ erzählt uns, daß die ›gewöhnlichste und einfachste Rosenart längst aufgehört hat, in dieser räucherigen Luft eine Knospe zu erzeugen‹. Nicht viele von den gegenwärtigen Bewohnern der Gebäude um diesen Stadtteil herum dürften höchstwahrscheinlich wissen oder sich darum kümmern, ob Rosen dort wachsen oder nicht, oder durch die alte Gartentür gehen, außer auf 483 ihrem Wege in ihre Wohnungen. Die Advokatenschreiber tragen keine Blumen in ihren Beuteln oder Blumensträuße unter den Armen, wenn sie in die Kanzlei laufen; die wenigen Sachwalter, die hier ihren gewöhnlichen Spaziergang machen, denken sehr selten an York und Lancaster, besonders seit es mit den Eisenbahngeschäften vorbei ist. Nur Liebhaber des Altertums und der Literatur besuchen den Garten mit großem Interesse und sehen im Geiste den guten Sir Roger de Coverley und Herrn Spectator mit seinem kurzen Gesichte den Weg auf- und abgehen, oder den lieben Oliver Goldsmith im Sommerhause, wie er vielleicht über den nächsten ›Weltbürger‹, oder den neuen Anzug, den Herr Filby, der Schneider, für ihn anfertigt, oder über den Mahnbrief nachsinnt, den Herr Newleery ihm geschickt hat. Schweren Trittes auf dem Kiese dahinschreitend und majestätisch den Weg entlang wandelnd in einem schnupftabakfarbigen Kleide und einer Perücke, die kläglich nach Puder und Brenneisen des Barbiers schreit, sieht man den großen Doktor auf ihn zu stolzieren (sein schottischer Lakai folgt dem Lexikographen auf den Fersen, ein wenig schief von dem Portwein, den sie in der ›Bischofsmütze‹ eingenommen haben), und Herr Johnson bittet den Herrn Goldsmith, mit ihm nach Hause zu kommen und eine Tasse Tee mit Fräulein Williams zu trinken. Teurer Glaube der Phantasie! Sir Roger und Herr Spectator sind uns jetzt so wirkliche Persönlichkeiten wie die beiden Doktoren und der wunderliche und getreue schottische Bediente. Die poetischen Figuren leben in unserem Gedächtnisse gerade ebensosehr, als die wirklichen 484 Persönlichkeiten, – und da Herr Arthur Pendennis von romantischem und literarischem Zuschnitte und dem Betriebe von Rechtsgeschäften, die in der Umgebung des Ortes gang und gäbe waren, durchaus nicht zugetan war, so dürfen wir voraussetzen, daß er sich in derartigen poetischen Gedanken erging, als der junge Herr am Abend nach den im letzten Kapitel verzeichneten Ereignissen den Tempelgarten zu einem Orte der Körperbewegung und des Nachdenkens wählte.

Am Sonntagabend ist der Tempel gewöhnlich still. Die Zimmer sind zum größten Teile leer, die großen Advokaten geben prächtige Diners in ihren Häusern in den Distrikten von Belgravia oder Tyburn; die liebenswürdigen jungen Sachwalter sind abwesend und bei diesen Diners zugegen und erweisen Herrn Kewsys ausgezeichnetem Claret oder Herrn Justice Ermines feingebildeten Töchtern ihre Ehrerbietung, während die Uneingeladenen ihre sparsame Schöpsenkeule und ihre bescheidene Halbpinte Wein im Klub zu sich nehmen, wobei sie sich und den Rest der Gesellschaft im Klubzimmer mit Advokatenwitzen und Pointen von Witz und Rechtsgelehrsamkeit unterhalten. Niemand ist überhaupt zu Hause als der arme Herr Cockle, der krank ist und dessen Haushälterin ihm Hafergrütze kocht, oder Herr Toddle, der ein Freund des Flötenspielens ist und den man einsam in seiner Wohnung im zweiten Stock pfeifen hören kann, oder der junge Tiger, der Student, aus dessen offnem Fenster ein großer Qualm von Zigarrenrauch quillt und vor dessen Tür eine Anzahl Schüsseln und Deckel stehen, die die Insignien von 485 Dicks oder des ›Hahns‹ tragen. Aber halt! Wohin führt uns die Phantasie? Es ist die Zeit, wo alles ausfliegt, und mit Ausnahme von Pendennis ist überhaupt niemand in seiner Wohnung.

Vielleicht war es also das Gefühl der Einsamkeit, das Pen in den Garten trieb; denn obschon er nie vorher durch die Gartentür gegangen war und ziemlich gleichgültig auf die hübschen Blumenbeete und die Gruppen vergnügter Bürger geblickt hatte, die über den glattgeschorenen Rasen und die breiten Kiesgänge am Flusse wandelten, begab es sich doch an diesem Abend, wie gesagt, daß der junge Herr, der in einem Gasthause in der Nähe vom Tempel allein gespeist hatte, als er in seine Wohnung zurückkehrte, auf den Einfall kam, einen kleinen Gang durch den Garten zu machen und die frische Abendluft und die Aussicht auf die sonnenbeglänzte Themse zu genießen. Nachdem er ein kurzes Stück gegangen war und die vielen friedlichen und glücklichen Gruppen um sich herum besehen hatte, wurde er des Spazierengehens überdrüssig und begab sich nach einem der Sommerhäuser, die jedes Ende des Haupteinganges flankieren, und setzte sich dort bescheidentlich nieder. Welches waren seine Gedanken? Der Abend war wonnig hell und ruhig, der Himmel wolkenlos, die Schornsteine auf dem gegenüberliegenden Ufer rauchten nicht, die Werften und Warenhäuser sahen rosig aus im Sonnenscheine und so rein, als ob sie sich für den Sonntag gewaschen hätten, Dampfboote sausten eilig den Strom auf und ab, beladen mit Sonntagspassagieren, die Glocken auf den zahlreichen Kirchen der City läuteten zum Abendgebete, – 486 solch friedenvoller Sabbathabende wie dieser mag sich Pen wohl aus seinen Jugendtagen erinnert haben, als er, seinen Arm um seiner Mutter Taille geschlungen, auf der Terrasse vor dem Rasenplatze zu Hause hin- und herschritt. Die Sonne beleuchtete damals auch den kleinen Brawl, so gut wie die breite Themse, und sank majestätisch hinter den Ulmen von Clavering und dem Turme des wohlbekannten Dorfkirchleins nieder. Waren es Gedanken an diese Dinge oder bloß der Sonnenuntergang, die die Ursache waren, daß der junge Mann errötete? Er schlug nach dem Klang der Glocken draußen den Takt auf die Bank, wedelte sich mit dem Taschentuche den Staub von den glänzenden Stiefeln, stampfte, indem er aufsprang, mit dem Fuße und sagte: »Nein, beim Jupiter, ich will nach Hause gehen!« Und mit diesem Entschlusse, der verriet, daß in seinem Gemüte ein Kampf tobte, ob es passend wäre, zu bleiben, wo er war, oder den Garten zu verlassen, schritt er aus dem Sommerhause.

Beinahe hätte er zwei kleine Kinder umgerannt, die ihm allerdings nicht viel höher als bis ans Kinn reichten und auf dem Kieswege einhertrabten, wobei ihnen ihre langen bläulichen Schatten nachgeschlüpft kamen.

Eines von ihnen rief aus: »Oh!« und das andere fing an zu lachen und sagte mit pfiffigem kindischem Kichern: »Herr Pendennis!« Und als Arthur niederblickte, sah er seine beiden kleinen Freundinnen vom Tage vorher, die Fräulein Ameliar-Anne und Betsy-Jane. Er errötete über ihren Anblick mehr als je, und indem er die eine, die er beinahe umgestoßen, ergriff, hob er 487 sie hoch in die Luft und küßte sie, auf welchen plötzlichen Angriff Ameliar-Anne in großer Seelenangst zu schreien anfing.

Dieser Schrei brachte sofort zwei Damen in weißgewaschenen Kragen, neuen Bändern und großen Schals herbei, nämlich: Frau Bolton in einem reichen scharlachfarbenen kaledonischen Kaschmir und einem schwarzseidenen Kleide, und Fräulein F. Bolton mit einer gelben Schärpe und reizendem kleinblumigen Musselineröckchen und mit einem Sonnenschirm – eine vollkommene Dame. Fanny sagte kein einziges Wort, obschon ihre Augen ein Willkommen leuchteten und so hell erglänzten wie – nun, so hell, wie die allerfunkelndsten Fenster in Papphäuschen. Aber Frau Bolton sagte, nachdem sie Betsy-Jane zur Ruhe ermahnt hatte: »Herrje, Herr Pendennis – wie komisch, daß wir Sie hier treffen müssen! Ich hoffe, Sie befinden sich wohl, mein Herr. – Nein, ist das nicht komisch, Fanny, daß wir Herrn Pendennis hier begegnen müssen?« Was hat Ihr Nasenrümpfen zu bedeuten, meine Damen? Als der junge Krösus sich auf seinem Landsitze aufhielt, gingen Sie da nie infolge eines eigentümlichen Zusammentreffens mit Ihrer Fanny in den Büschen spazieren? Hat sich's nie getroffen, daß Sie mit Ihrer Fanny der Musikkapelle der schweren Dragoner zu Brighton zuhörten, als der junge De Boots und Kapitän Padmore auf dem Damme dahergeschritten kamen? Hat der Zufall nie gewollt, daß Sie mit Ihrem Liebling Franziska die alte Witwe Whezy in ihrer Hütte am Gemeindeanger gerade dann besuchten, als der junge Hilfsprediger mit einer 488 Abhandlung über das Gliederreißen hereingewandelt kam? Meinen Sie, daß, wenn eigentümliche Zusammentreffen im vornehmen Salon vorkommen, sie nicht auch in der Portiersstube vorkommen können?

Es war ohne Zweifel ein solches Zusammentreffen – das war alles. Im Laufe der Unterhaltung am vorhergehenden Tage hatte Herr Pendennis in der einfachsten Weise, die man sich denken kann und als Entgegnung auf eine Frage des Fräuleins Bolton bloß gesagt, daß, obschon manche von den Höfen recht düster wären, einzelne Teile des Tempels dagegen ein recht heiteres und angenehmes Aussehen hätten, besonders die Stuben mit der Aussicht auf den Fluß und rings um die Gärten, und daß die Gärten ein sehr hübscher Spaziergang an Sonntagsabenden von einer großen Menge Leute wären, – und hier trafen, durch reinsten Zufall, alle unsere Bekannten zusammen, gerade so wie viele Leute im vornehmen Leben. Was könnte unabsichtlicher, gutmütiger oder natürlicher sein?

Pen sah sehr ernst, großartig und stutzerhaft aus. Er war ungewöhnlich schmuck und prächtig gekleidet. Seine weißen Leinwandhosen und sein weißer Hut, sein buntfarbiges Halstuch, seine helle Weste, seine goldenen Ketten und Hemdknöpfchen gaben ihm zum mindesten das Ansehen eines Prinzen von Geblüt. Wie gut stand seiner Figur dieser prächtige Putz! War jemals jemand ihm gleich? dachte jemand. Er errötete – wie sein Erröten ihm gut stand! sagte derselbe jemand zu sich selbst. Die Kinder waren, als sie ihn den Tag zuvor gesehen hatten, so außer sich vor Staunen 489 gewesen, daß sie, nachdem er fortgegangen, ihn nachgespielt hatten. Und Ameliar-Anne steckte ihre kleinen rundlichen Finger in die Armlöcher ihres Latzschürzchens, wie Pen mit seiner Weste zu tun gewohnt war, und sagte: »Nun, Betsy-Jane, will ich Herr Pendennis sein.« Fanny hatte darüber gelacht, bis ihr Tränen in den Augen standen, und ihre Schwester dafür gestreichelt und abgeküßt. Wie glücklich war sie auch jetzt, als sie Arthur das Kind umarmen sah!

Wenn Arthur rot war, so sah Fanny im Gegenteil sehr verfallen und blaß aus. Arthur bemerkte es und fragte freundlich, weshalb sie so angegriffen aussähe.

»Ich war die ganze Nacht auf,« sagte Fanny und begann ein wenig zu erröten.

»Ich blies ihr das Licht aus und hieß sie schlafen gehen und mit Lesen aufhören,« unterbrach sie die zärtliche Mutter.

»Sie lasen? Und was war's denn, das Sie so interessierte?« fragte Pen amüsiert.

»O, es ist so schön!« sagte Fanny.

»Was denn?«

»›Walter Lorraine‹,« seufzte Fanny heraus. »Wie ich diese Neaera hasse – Naera – ich weiß nicht, wie's ausgesprochen wird. Und wie ich die Leonora und den Walter liebe, o was für ein lieber Mann er ist!«

Wie hatte Fanny die Novelle von Walter Lorraine entdeckt und daß Pen der Verfasser des Buches war? Diese kleine Person erinnerte sich an jedes einzige Wort, das Herr Pendennis die Nacht vorher gesprochen, und daß er Bücher und für Zeitungen schriebe. Was für Bücher? Sie war so eifrig, das zu 490 erfahren, daß sie fast Lust hatte, gegen den alten Bows artig zu sein, der unter ihrer schlechten Stimmung seit gestern litt, aber sie entschloß sich, sich zuerst an Costigan zu wenden. Sie begann damit, daß sie dem Kapitän um den Bart ging und ihm in ihrer gewinnendsten Weise zulächelte, als sie ihm bei der Beschaffung seines Mittagessens zur Hand ging und seine bescheidene Wohnung in Ordnung brachte. Sie sprach ihre Ueberzeugung aus, daß seine Leibwäsche der Ausbesserung bedürfte (und allerdings enthielt der Wäscheschrank des Kapitäns mehrere sonderbare Gebilde verarbeiteten Flachses und Baumwollstoffs). Sie wollte seine Hemden ausbessern – alle seine Hemden. Was für abscheuliche Löcher – was für spaßhafte Löcher waren darin! Sie steckte ihr Gesichtchen durch eines derselben und lachte den alten Krieger in der liebenswürdigsten Weise an. Sie würde ein scherzhaftes kleines Bild abgegeben haben, wie sie durch die Löcher guckte. Dann räumte sie Costigans Eßgeschirr sauber ab, worauf sie durch das Zimmer trippelte, wie sie die Tänzerinnen im Theater hatte tun sehen, und dann zu dem Speiseschränkchen des Kapitäns tänzelte, seine Whiskyflasche hervorlangte, ihm ein Glas mischte und einen Tropfen davon kosten mußte – ein kleines Tröpfchen bloß; und der Kapitän mußte ihr eines seiner Lieder, seiner lieben Lieder, singen und es sie lehren. Und als er ein irisches Lied mit seiner reichen trillernden Stimme gesungen hatte, im guten Glauben, daß er es sei, der die kleine Sirene bezauberte, legte sie ihm ihre kleine Frage über Arthur Pendennis und seine Novelle vor; als sie eine Antwort bekommen 491 hatte, kümmerte sie sich um nichts mehr, sondern ließ den Kapitän, der im Begriff stand, ihr ein anderes Lied zu singen, am Piano und das Speisebrett auf dem Gange und die Hemden auf dem Stuhle und stürzte eilends die Treppe hinab.

Kapitän Costigan war, wie er sagte, kein ›literarischer Charakter‹, hatte auch bis jetzt keine Zeit gefunden, seines jungen Freundes ›elegante Leistung‹ zu lesen, obschon er bald einmal ›Gelegenheit nehmen wollte‹, sich ein Exemplar von seinem Werk zu kaufen. Aber er kannte den Namen von Pens Novelle daher, daß die Herren Finucane, Bludyer und andere Stammgäste des ›Küchenstübchens‹ von Herrn Pendennis nur mit dem Spitznamen ›Walter Lorraine‹ sprachen (und zwar geschah dies nicht von allen mit großer Freundschaft, denn Bludyer nannte ihn einen verfluchten Gecken und Hoolan wunderte sich, daß Doolan ihm nicht eins versetze usw.) und war somit imstande, Fanny die Auskunft zu erteilen, die sie haben wollte.

»Und sie ging und fragte darnach in der Bibliothek,« sagte Frau Bolton, »in verschiedenen Bibliotheken – und manche hatten's, aber es war weggeborgt, und manche hatten's nicht. Und eine der Bibliotheken, die es hatte, wollte es nicht borgen, wenn sie nicht einen Sovereign Pfand gab; und sie hatte keinen und kam weinend zu mir zurück – nicht wahr, Fanny? – und ich gab ihr den Sovereign.«

»Und, oh, ich war in solcher Angst, daß jemand in die Bibliothek käme und es mir wegnähme, derweil ich weg war,« sagte Fanny mit glühenden Wangen und Augen. »Und, oh, ich liebe es so!« 492 Arthur war gerührt von dieser ungekünstelten Sympathie, unermeßlich geschmeichelt und bewegt von derselben. »Lieben Sie es denn wirklich?« fragte er. »Nun, dann kommen Sie hinauf in meine Stube, ich will – nein, ich will Ihnen ein Exemplar bringen – nein, ich werde Ihnen eins schicken. Gute Nacht. Ich danke Ihnen, Fanny. Behüte Sie Gott! Ich kann nicht bei Ihnen bleiben. Leben Sie wohl, leben Sie wohl.« Und indem er ihr schnell die Hand drückte, ihrer Mutter und den beiden anderen Kindern zunickte, schritt er aus dem Garten.

Er beschleunigte seine Schritte, als er von ihnen ging, und lief aus der Gartentür, indem er zu sich selbst sprach. »Liebes, liebes, kleines Ding,« sagte er, »liebste kleine Fanny! Du bist soviel wert, wie alle zusammen. Ich wünschte beim Himmel, Shandon wäre wieder da. Ich würde dann zu meiner Mutter nach Haus gehen. Ich darf sie nicht wiedersehen. Ich will auch nicht. Ich will's nicht, so wahr mir Gott helfe.«

Indem er so sprach und dahinstürmte, daß die Vorübergehenden sich nach ihm umblickten, rannte er einen kleinen alten Mann an und bemerkte, daß es Herr Bows war.

»Ganz gehorsamster Diener, Herr Pendennis,« sagte der alte Bows mit einer spöttischen Verbeugung, seinen alten Hut von der Stirn lüftend.

»Wünsche Ihnen guten Tag,« antwortete Arthur mürrisch. »Lassen Sie sich von mir nicht abhalten, noch bemühen Sie sich, mir wieder nachzufolgen. Ich habe Eile, Herr Bows, guten Abend.«

Bows dachte, Pen habe seine Gründe, so eilig in 493 seine Wohnung zu wollen. »Wo sind sie?« fragte der alte Herr. »Sie wissen schon, wen ich meine. Sie sind doch nicht auf Ihrer Stube, Herr, oder sind sie dort? Sie sagten zu Bolton, Sie wollten im Tempel in die Kirche gehen; sie waren aber nicht dort. Sie sind in Ihrer Wohnung, Herr Pendennis, Sie müssen sich nicht in Ihrer Wohnung aufhalten, Herr Pendennis.«

»Verdammt, Herr!« schrie Pendennis wütend. »Kommen Sie mit und sehen Sie nach, ob sie in meiner Wohnung sind; hier ist der Hof und hier die Tür – Kommen Sie und sehen Sie nach.« Und Bows, der zu allererst seinen Hut abnahm und sich verbeugte, folgte dem jungen Manne.

Sie waren, wie wir wissen, nicht in Pens Wohnung. Sondern als die Gärten geschlossen wurden, gingen die beiden Frauen, die nur ein melancholisches Abendvergnügen gehabt hatten, traurig mit den Kindern fort, schritten in Lamb Court hinein, traten unter den Kandelaber, der das Zentrum dieses Häuservierecks freundlich schmückt, und blickten nach dem dritten Stock des Hauses empor, wo sich Pendennis Wohnung befand, und wie sie bald sahen, ein Licht angezündet wurde. Dann ging dieses Paar Törinnen fort, indem sie die Kinder verdrießlich hinter sich nachzerrten, und kehrte zu Herrn Bolton zurück, der sich in seiner Stube in Shepherds Inn in Rum und Wasser versenkt hatte.

Herr Bows sah sich in dem öden Zimmer um, das der junge Mann bewohnte und das seit dem letzten Male, wo wir es erblickten, nur sehr wenig Verschönerungen oder Bereicherungen erhalten hatte. Warringtons altes Büchergestell und seine zerlesene 494 Bibliothek, Pens Schreibtisch mit seinem Chaos von Papieren boten einen Anblick dar, der freudlos genug war. »Möchten Sie gefälligst in die Schlafkammer sehen, Herr Bows, und nachspüren, ob meine Opfer dort sind,« sagte er bitter, »oder ob ich die kleinen Mädchen weggesteckt und sie etwa im Kohlenloch verborgen habe?«

»Ihr Wort genügt mir, Herr Pendennis,« sagte der andere mit traurigem Tone. »Sie sagen, daß sie nicht hier sind, und ich weiß, daß sie es nicht sind. Ich hoffe, daß sie nie hier gewesen sind und nie hierher kommen werden.«

»Auf mein Wort, Herr, Sie sind sehr gütig, mir meine Bekanntschaften auszuwählen,« sagte Arthur in hochmütigem Tone, »und daß Sie meinen, jemand würde durch meine Gesellschaft verunehrt. Ich erinnere mich Ihrer und bin Ihnen durch Ihre Güte in alter Zeit verpflichtet, Herr Bows, sonst würde ich heftiger, als ich es tue, über diese recht unleidliche Art der Verfolgung sprechen, der Sie mich zu unterwerfen Lust zu haben scheinen. Sie schlichen mir gestern aus Ihrer Wohnung im Inn nach, als ob Sie zu beobachten wünschten, ob ich nicht etwas stehlen würde.« Pen stotterte und wurde etwas rot, als er diese Worte so gerade heraus gesagt hatte; er fühlte, daß er dem anderen eine Blöße gegeben, die Bows sofort benutzte.

»Ich denke allerdings, Sie kamen, um etwas zu stehlen, da Sie diese Worte gebrauchten, Herr Pendennis,« antwortete Bows. »Wollen Sie etwa sagen, daß Sie kamen, um dem armen alten Bows, dem Geiger, einen Besuch zu machen? Oder der Frau Bolton in der 495 Hausmeisterwohnung? O pfui! Solch ein feines Herrchen wie Herr Arthur Pendennis, Esquire, läßt sich nicht herab, in mein Dachstübchen hinaufzusteigen oder in der Küche einer Aufwartefrau zu sitzen, wenn er nicht seine besonderen Gründe dazu hat. Und mein Glaube ist, daß Sie einem hübschen Mädchen das Herz stehlen und es zugrunde richten und nachher von sich stoßen wollten, Herr Arthur Pendennis. Das ist's, was die Welt aus euch jungen Stutzern macht, aus euch Modeherrchen, euch hochnäsigen und mächtigen Aristokraten, die ihr das Volk tretet. Es ist bloß ein Spaß für euch, aber was macht's dem Armen aus, meint ihr, dem Werkzeug eurer Gelüste, mit dem ihr spielt und das ihr dann auf die Straße werft, wenn ihr seiner überdrüssig geworden seid? Ich kenne eure ganze Klerisei, mein Herr. Eure Selbstsucht, euren Hochmut und Dünkel. Was kümmert's Mylord, ob die Tochter des armen Mannes elend gemacht und ihre Familie in Schande gestürzt worden ist? Ihr müßt euer Vergnügen haben, und das Volk muß es natürlich bezahlen. Wozu sind wir erschaffen, als dazu? So ist die Art von euch allen – die Art von Ihnen allen, mein Herr.«

Bows sprach von Dingen, um die es sich hier nicht handelte, und Pen hatte seinen Vorteil, den er nicht Anstand nahm, zu benutzen – nicht Anstand nahm, um den Streit von dem Punkte, von welchem ihn sein Gegner zuerst begonnen hatte, wegzuspielen. Arthur brach in eine Art von Gelächter aus, für das er Bows um Verzeihung bat. »Ja, ich bin ein Aristokrat,« sagte er, »in einem Palaste drei Treppen hoch, mit einem 496 Teppich fast so schön wie Ihrer, Herr Bows. Mein Leben lang habe ich das Volk geschunden, nicht wahr? – Habe Jungfrauen zugrunde gerichtet und Arme beraubt? Mein guter Herr, das macht sich recht gut in einer Komödie, wo Job Thornberry sich auf die Brust klopft und Mylord fragt, wie er's wagen kann, einen braven Mann mit den Füßen zu treten und den Frieden am häuslichen Herd eines Engländers zu stören; aber im wirklichen Leben, Herr Bows, und einem Manne gegenüber, der sich sein Brot ebenso sauer verdienen muß, wie Sie – wie können Sie da von Aristokraten sprechen, die das Volk tyrannisieren? Habe ich Ihnen je was zu Leide getan? Oder mich gezeigt, als wäre ich mehr als Sie? Hatten Sie nicht früher Zuneigung für mich gefühlt – in Tagen, in denen wir beide romantische junge Burschen waren, Herr Bows? Kommen Sie, seien Sie mir jetzt nicht mehr böse und lassen Sie uns so gute Freunde sein wie zuvor.«

»Jene Tage waren sehr verschieden von heute,« antwortete Herr Bows; »und Herr Arthur Pendennis war damals ein ehrliches ungestümes junges Blut, etwas egoistisch und hochmütig vielleicht, aber doch ehrlich. Und ich hatte Sie damals lieb, weil Sie bereit waren, sich für ein Weib zugrunde zu richten,« antwortete Bows.

»Und jetzt nun?« fragte Arthur.

»Und jetzt haben sich die Zeiten geändert, und Sie wollen ein Weib für sich zugrunde richten,« antwortete Bows. »Ich kenne dieses Kind, Herr. Ich habe ihr immer gesagt, daß ihr dies Los drohte. Sie hat ihr 497 kleines Gehirn mit Novellen erhitzt, bis all ihre Gedanken nur auf Liebe und Liebesleute gerichtet sind und sie kaum sieht, daß sie auf einen Küchenboden hingehört. Ich habe ihr das bißchen Wissen beigebracht; ich bin dem Mädchen gut, Herr Pendennis. Ich bin ein einsamer alter Mann; ich führe ein Leben, das mir nicht zusagt, unter lustiger Gesellschaft, die mich traurig stimmt. Ich habe nur dieses Kind, um das ich mich kümmere. Haben Sie Mitleid mit mir und nehmen Sie sie mir nicht weg, Herr Pendennis – nehmen Sie sie mir nicht weg.«

Die Stimme des alten Mannes brach, als er so sprach. Sein Ton wirkte auf Pen viel mehr, als der drohende oder sarkastische Ton, den Bows zu Anfang anzunehmen beliebt hatte.

»Wahrlich,« sagte er freundlich. »Sie tun mir Unrecht, wenn Sie sich einbilden, daß ich etwas gegen die arme kleine Fanny beabsichtige. Ich hatte sie vor Freitag Abend niemals gesehen. Es war der reinste Zufall, daß unser Freund Costigan sie auf meinen Weg führte. Ich habe durchaus keine Absichten auf sie – das heißt –«

»Das heißt, Sie wissen sehr wohl, daß sie ein törichtes Mädchen und ihre Mutter ein noch törichteres Frauenzimmer ist, das heißt, Sie trafen sie im Tempelgarten und natürlich ohne vorherige Verabredung, – das heißt, daß sie, als ich sie gestern über dem Buche fand, das Sie geschrieben, mich verhöhnte,« antwortete Bows. »Wozu bin ich auch gut, als ausgelacht zu werden? Ein mißgestalteter alter Kerl wie ich, ein alter Fiedler, der einen fadenscheinigen Rock trägt und sich 498 sein Brot dadurch verdient, daß er in einer Kneipe spielt? Sie sind freilich ein feines Herrchen. Sie tragen Parfüm im Taschentuche und einen Ring an Ihrem Finger. Sie speisen bei vornehmen Leuten. Wer aber gäbe dem alten Bows eine Brotrinde? Und doch hätte ich ebensogut einer sein können, wie der beste von euch. Ich hätte ein Genie sein können, wenn das Schicksal mir wohlgewollt hätte, ja, ich hätte mit den größten Geistern des Landes leben können. Aber alles ist mir fehlgeschlagen! Ich hatte einst Ehrgeiz und schrieb Theaterstücke, Gedichte, Musik – niemand wollte mir zuhören. Ich liebte niemals ein Weib, die mich nicht ausgelacht hätte, und hier bin ich jetzt in meinem Alter allein, ganz allein! Nehmen Sie mir das Mädchen nicht, Herr Pendennis, ich sag's noch einmal! Lassen Sie sie mir noch ein bißchen. Sie war wie ein Kind gegen mich noch bis gestern. Warum traten Sie dazwischen und brachten sie zum Spotten über meine Häßlichkeit und mein Alter?«

»Daran wenigstens bin ich schuldlos,« sagte Arthur mit einem Tone, der wie ein Seufzer klang. »Auf mein Ehrenwort, ich wünschte, ich hätte das Mädchen nie gesehen. Ich bin nicht dazu gemacht, den Verführer zu spielen, Herr Bows. Ich bildete mir wahrhaftig nicht ein, daß ich einen Eindruck auf die arme Fanny gemacht hätte, bis – bis heute abend. Und da, mein Herr, war ich besorgt und floh eben vor der mir drohenden Verführung, als Sie mich trafen. Und,« fügte er mit einem Erglühen seiner Wange, das sein Gesellschafter in der hereinbrechenden Dunkelheit nicht sehen konnte, und mit einem hörbaren Zittern der 499 Stimme hinzu, »ich stehe nicht an, Ihnen zu sagen, Herr Bows, daß ich an diesem Sabbathabende, als die Kirchenglocken läuteten, an meine Heimat dachte, an Frauen, engelhaft rein und gut, die dort wohnen, und ich eilte, als ich Sie traf, eben hierher, um der Gefahr zu entgehen, die mir drohte und mir von Gott dem Allmächtigen Kraft zur Erfüllung meiner Pflicht zu erflehen.«

Nach diesen Worten Arthurs folgte ein Stillschweigen, und als die Unterhaltung von seinem Gaste wieder aufgenommen wurde, sprach derselbe in einem Tone, der viel milder und freundlicher war. Und als Bows von Pen Abschied nahm, bat er um die Erlaubnis, ihm die Hand drücken zu dürfen und entschuldigte sich, mit einem sehr warmen und herzlichen Gruße von beiden Seiten, bei Arthur, daß er ihn mißverstanden hätte und sagte ihm mehrere Freundlichkeiten, die den jungen Mann veranlaßten, die Hand seines alten Freundes herzlichst wiederzudrücken. Und als sie an Pens Tür schieden, bemerkte Arthur, daß er ein Versprechen gegeben und die zuversichtlichste Hoffnung hätte, Herr Bows würde sich auf dasselbe verlassen.

»Amen zu diesem Gelübde,« sagte Herr Bows und schritt langsam die Treppe hinab. 500



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