William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Zehntes Kapitel

Ein Diner im Row

Am bestimmten Tage erschienen unsere beiden Freunde an Herrn Bungays Tür in der Paternoster Row, nicht an der Ladentür, durch welche die Markthelfer mit ihren Säcken voll Büchern aus Bungays Verlag herauskamen, und um welche 188 schüchterne Bewerber mit ihren jungfräulichen Manuskripten, bereit zum Verkauf, bei Sultan Bungay lagerten, sondern an der Privattür des Hauses, von wo die glänzende Frau Bungay herauszuschreiten und zum Ausfahren in ihren Wagen zu steigen pflegte, um sich in die Kissen zu schmiegen und herausfordernde Blicke nach den gegenüberliegenden Fenstern der Frau Bacon zu werfen pflegte – auf Frau Bacon, die bis jetzt ein kutschenloses Frauenzimmer war.

Bei solcher Gelegenheit pflegte Frau Bacon, sehr wütend über die Pracht ihrer Schwägerin, die Fensterflügel des Besuchszimmers aufzustoßen und mit ihren vier Kindern nach dem Wagen hinauszuschauen, womit sie sagen wollte: »Sieh diese vier Herzchen, Flora Bungay! Das ist der Grund, weshalb ich nicht in meiner eigenen Kutsche fahren kann; du würdest eine Kutsche mit vier Pferden darum geben, wenn du denselben Grund hättest.« Und mit diesen Pfeilen aus ihrem Köcher schoß Emma Bacon Flora Bungay ins Herz, wenn sie in ihrer Karosse saß, neidisch und kinderlos.

Als Pen und Warrington an Bungays Tür kamen, fuhren ein Wagen und ein Fiaker bei Bacons vor. Der alte Dr. Slocum stieg mühsam aus dem ersteren; der Wagen des Doktors war so schwerfällig wie sein Stil, aber beide hatten einen guten sonoren Klang im Ohre der Buchhändler der Row. Ein paar blendend weiße Westen stiegen aus dem Fiaker.

Warrington lachte. »Du siehst, Bacon hat ebenfalls seine Tischgesellschaft bei sich. Das ist hier Dr. Slocum, Verfasser der ›Denkwürdigkeiten berühmter 189 Giftmischer‹. Du würdest unseren Freund Hoolan in dieser galanten weißen Weste kaum wiedererkannt haben. Doolan ist einer von Bungays Leuten, und wahrhaftig, da kommt er.« Tatsächlich waren die Herren Hoolan und Doolan vom Strand in demselben Fiaker gekommen, indem sie unterwegs würfelten, wer den Schilling für die Fahrt bezahlen solle; und Herr Doolan schritt von der anderen Seite des Wegs herüber, schwarz gekleidet, ein paar große weiße Handschuhe an, die sich über die Fingerspitzen spreizten, und die der Besitzer mit Vergnügen zu betrachten nicht umhin konnte.

Der Hausportier in seinem Feierkleide und mehrere Herren in weißen Handschuhen, so groß wie die von Doolan, aber von dem berühmten Berliner Gewebe, standen am Eingange von Bungays Hause, um die Hüte und Röcke der Gäste in Empfang zu nehmen und ihre Namen die Treppe hinauf zu rufen. Einige der Gäste waren schon angekommen, als die drei neuen Besucher erschienen; aber nur Frau Bungay in einem roten Atlaskleide mit einem Kopfputze vertrat ihr eigenes reizendes Geschlecht. Sie knixte vor jedem neuen Ankömmling, wenn sie ins Besuchszimmer trat, aber ihr Gemüt war augenscheinlich von anderen Gedanken in Anspruch genommen. Die Sache war nämlich die: Herrn Bacons Tischgesellschaft störte sie, und sobald sie die einzelnen Teilnehmer an ihrer eigenen Gesellschaft empfangen hatte, flog Flora Bungay in die Fensternische zurück, von wo sie die Kutschen der Freunde von Emma Bacon erspähen konnte, wie sie die Row heraufgerollt kamen. Der Anblick von 190 Dr. Slocums mächtiger Karosse mit den dürren Fuhrmannspferden schnitt Flora ins Herz; nichts als Mietswagen waren diesen Tag an ihrer Tür vorgefahren.

Es waren lauter Literaten, obwohl unserem Pen bis jetzt unbekannt. Da war Herr Bole, der wirkliche Redakteur des Magazins, dessen nomineller Leiter Herr Wagg war; Herr Trotter, der sich aus dem Poeten von hochtragischem und selbstmörderischen Genre, als der er in die Welt hinausgestürmt war, jetzt in einen Manuskriptbeurteiler verwandelt hatte; als solcher tat er in einem von Herrn Bungays Hinterstübchen für diesen Herrn seine Arbeit; endlich Kapitän Sumph, ein Exstutzer, der noch immer Modemann war und der in irgendeiner Weise mit der Literatur und dem hohen Adel zusammenhing. Er sollte einst ein Buch geschrieben haben, ein Freund von Lord Byron gewesen und mit Lord Sumphington verwandt sein; tatsächlich hatte er viele Byronanekdoten im Vorrat und sprach selten, wo er nicht den Namen dieses Dichters oder eines seiner Zeitgenossen im Munde hatte, wie z. B.: »Ich entsinne mich, wie der arme Shelley von der Schule weggeschickt wurde wegen eines Gedichtes, das bei Gott ich geschrieben hatte«; oder: »Ich erinnere mich, wie ich mit Byron in Missolunghi war, Gamba eine Wette angeboten zu haben« u. s. f. Auf diesen Gentleman horchte, wie Pen beobachtete, Frau Bungay mit großer Aufmerksamkeit; seine Anekdoten von der Aristokratie, von der er ein Mitglied in mittleren Jahren war, entzückten die Buchhändlersfrau, und er war in ihren Augen fast ein größerer Mann, als der 191 große Herr Wagg. Wäre er nur in seinem eigenen Wagen angekommen, so würde Frau Bungay es durchgesetzt haben, daß ihr Bungay jedes Werk seiner Feder angenommen hätte, das ihm angeboten worden wäre.

Herr Bungay ging unter seinen Gästen herum, als sie ankamen, und machte die Honneurs des Hauses mit großer Herzlichkeit. »Wie geht's Ihnen, mein Herr? Schöner Tag, mein Herr! Bin erfreut, Sie zu sehen, Herr! Flora, meine Liebe, erlaube mir, daß ich mir die Ehre gebe, Herrn Warrington dir vorzustellen. Herr Warrington, Frau Bungay; Herr Pendennis, Frau Bungay. Hoffe, Sie haben guten Appetit mitgebracht, meine Herren. Sie, Doolan, haben gewiß welchen, denn Sie haben allemal verteufelt eingehauen!«

»Aber, Bungay!« sagte Frau Bungay.

»Meiner Treu, ein Mann müßte schwer zu befriedigen sein, Bungay, der in diesem Hause das Essen nicht vortrefflich zu finden vermöchte,« sagte Doolan, und er zwinkerte mit dem einen Auge, schlug seine dürren Schenkel mit seinen großen Handschuhen und sagte der Frau Bungay Freundschaftsbeteuerungen, die diese wackere Frau mit Verachtung gegen den schüchternen Mann zurückwies. Sie könnte diesen Doolan nicht ausstehen, sagte sie im Vertrauen zu ihren Freunden. Und wirklich schlugen all seine Schmeicheleien an ihr fehl.

Während sie sprachen und Frau Bungay von ihrem Fenster aus die Welt beobachtete, tauchte plötzlich eine prächtige Vision eines gewaltigen grauen Cabpferdes auf und näherte sich mit reißender Schnelligkeit. Ein paar weiße Zügel, von kleinen weißen 192 Handschuhen gehalten, waren hinter ihm sichtbar; ein blasses, aber mit einem reichen Kinnbarte geziertes Antlitz, der Kopf eines winzigen Reitknechts, der über das Dach des Cabs hervorlugte – all diese herrlichen Dinge wurden der entzückten Frau Bungay offenbar. »Das muß man sagen, der ehrenwerte Percy Popjoy ist ganz pünktlich,« sagte sie und segelte nach der Tür, um die Ankunft des adligen Herrn zu erwarten.

»Es ist Percy Popjoy,« sagte Pen, der aus dem Fenster blickte und ein Individuum in außerordentlich schönen Lackstiefeln aus dem schwankenden Cab steigen sah; und es war tatsächlich dieser junge Edelmann, Lord Falconets ältester Sohn, wie wir alle sehr wohl wissen, der gekommen war, bei dem Buchhändler zu speisen – seinem Buchhändler auf der Paternoster Row.

»Er war mein Leibfuchs in Eton,« sagte Warrington. »Ich hätte ihm den Pelz ein bißchen besser waschen sollen.« Er und Pen hatten sich im Oxbridger Debattenverein mehrmals gegenüber gestanden, wo Pen Percy sehr bald auf den Sand gesetzt hatte. Er erschien denn auch bald, den Hut unterm Arme, und mit einer Miene unbeschreiblich guter Laune und Geckenhaftigkeit in seinem runden mit Grübchen versehenen Gesichte, auf dem die Natur mit einem Kinnbart herausgefahren war, aber, erschöpft von dieser Anstrengung, den Rest des Gesichts haarlos gelassen hatte.

Der Lohnbediente unten rief: »Der Ehrenwerte Percy Popjoy«, welche Erwähnung seiner Titel diesen Gentleman sehr verdroß.

»Warum wollte der Mann meinen Hut wegnehmen, Bungay?« fragte er den Buchhändler. »Brauch 193 ihn, brauch ihn, um meine Verbeugung vor Frau Bungay zu machen. Wie wohl Sie heut aussehen, Frau Bungay. Habe Ihren Wagen nicht im Parke gesehen; weshalb waren Sie nicht dort? Ich vermißte Sie, wahrhaftig, ich vermißte Sie.«

»Ich fürchte, Sie wollen Ihren Spaß mit mir treiben,« sagte Frau Bungay.

»Spaß! Machte nie in meinem Leben einen – hollah! Wer ist das? Wie geht's Ihnen, Pendennis? Wie geht's Ihnen, Warrington? Dieses sind alte Freunde von mir, Frau Bungay. Aber wie zum Teufel kommt Ihr denn hierher?« fragte er die beiden jungen Männer, indem er seine lackierten Absätze der Frau Bungay zudrehte, die die beiden jungen Gäste ihres Gatten jetzt zu achten begann, wo sie sie mit dem Sohne eines Lords befreundet fand.

»Was, kennen die ihn?« fragte sie hastig Herrn Bungay.

»Vornehme Leutchen, sag ich dir – der jüngere ist mit der ganzen vornehmen Welt verwandt,« sagte der Buchhändler, und beide liefen lächelnd und Bücklinge machend heran, um fast ebenso große Persönlichkeiten wie den jungen Lord zu begrüßen – nämlich keine geringern Leute als den großen Herrn Wenham und den großen Herrn Wagg, die jetzt gemeldet wurden.

Herr Wenham trat mit der üblichen feierlichen Miene und verhaltenem Lächeln ein, mit dem er gewöhnlich die Spitzen seiner netten kleinen glänzenden Stiefel betrachtete, und das er nur selten der Person zuwendete, die ihn anredete. Waggs weiße Weste 194 spreizte sich dagegen mit verschwenderischer Kraft; sein fettes rotes Gesicht leuchtete glänzend darüber, erhellt von dem Gedanken an gute Witze und ein gutes Mittagessen. Er liebte es, in ein Empfangszimmer mit Lachen einzutreten, und wenn er nachts wegging, einen zündenden Witz hinter sich zu lassen. Kein persönliches Mißgeschick und keine Not (wovon dieser Humorist so gut wie der nicht lustige Teil der Menschheit seinen Teil hatte) konnten seine Laune ganz niederhalten. Welcher Art auch sein Kummer sein mochte, der Gedanke an ein Mittagessen erheiterte seine große Seele, und wenn er einen Lord sah, so begrüßte er ihn mit einem Wortspiele.

Wenham schritt also mit einem schmucken Lächeln und Flüstern auf Frau Bungay zu, sah sie von unten herauf an und zeigte ihr die Spitzen seiner Schuhe. Wagg sagte, sie sähe bezaubernd aus, und eilte dann ohne weiteres auf den jungen Edelmann zu, den er Pop nannte, und dem er sogleich eine lustige Geschichte erzählte, die mit dem gewürzt war, was die Franzosen gros sel nennen. Er war auch erfreut, Pen zu sehen, schüttelte ihm die Hände und klappste ihn kordial auf die Schulter, denn er war voll Witz und guter Laune. Und er redete mit lauter Stimme über den Ort und die Gelegenheit, wo sie sich zuletzt in Baymouth getroffen, und fragte, wie sich ihre Freunde in Clavering Park befänden, und ob Sir Francis nicht zur Saison nach London käme, und ob Pen schon der Lady Rockminster, die soeben eingetroffen wäre, seine Aufwartung gemacht, eine schöne alte Dame, diese Lady Rockminster! Diese Bemerkungen machte Wagg weniger 195 für Pens Ohr, als zur Erbauung der Gesellschaft, die er mit Vergnügen davon unterrichtete, daß er auf den Landsitzen vornehmer Leute Besuche abstatte und auf vertraulichem Fuße mit dem hohen Adel stehe.

Wenham schüttelte unserem jungen Freunde ebenfalls die Hand; und Frau Bungay bemerkte all diese Vorfälle mit achtungsvoller Freude und teilte ihre Ideen bezüglich der Bedeutung dieses Herrn Pendennis später Bungay mit – Ideen, bei denen Pen viel besser wegkam, als er sich bewußt war.

Pen, der einige von Fräulein Bunions Werken gelesen und sehr bewundert hatte, und in Fräulein Bunion eine Person zu finden erwartete, die ihrer eigenen Beschreibung von sich selbst in den »Passionsblumen« einigermaßen ähnlich wäre, worin sie gesagt, ihre Jugend sei –

»Ein Veilchen, schauernd draußen
In rauhen Märzwinds Brausen,
Ein schüchtern Reh im moos'gen Wald,
Wo Eichenwipfel sausen, –«

und der Meinung gewesen war, daß die Schönheit ihrer reiferen Jahre allerdings etwas ganz Verschiedenes von der ungekünstelten Lieblichkeit ihrer ersten Blüte, aber dennoch immer noch außerordentlich gewinnend und überraschend sein müßte, erblickte zu seinem nicht geringen Staunen und Ergötzen eine große knochige Person in einem zerknüllten Seidenkleide, die mit einem Schritt so schwer wie ein Grenadier krachend ins Zimmer trat. Wagg bemerkte augenblicklich, daß sie mit dem zerknitterten Schwanz ihres 196 Kleides einen Strohhalm hereingefegt brachte, und würde sich gebückt haben, denselben aufzuheben, hätte Fräulein Bunion nicht allen Spott dadurch entwaffnet, daß sie diesen Zierat selbst bemerkte, ihren großen Fuß darauf stellte, um ihn von ihrem Kleide zu entfernen, sich bückte und den Strohhalm aufhob, indem sie zu Frau Bungay sagte, daß es ihr sehr leid täte, ein bißchen spät gekommen zu sein, aber daß der Omnibus sehr langsam ginge, und wie bequem es doch wäre, daß man den ganzen Weg von Brompton bis hierher für sechs Pence zurücklegen könnte. Niemand lachte über diese Rede der Dichterin, so einfach und schlicht wurde sie geäußert. Und tatsächlich hatte dies wackere Frauenzimmer nicht den geringsten Begriff davon, sich über eine Handlung schämen zu müssen, die mit ihrer Armut zusammenhing.

»Ist das die ›Passionsblume‹? fragte Pen Wenham, neben dem er stand. »Ei, ihr Bild in dem Bändchen stellt sie doch als ein recht hübsch aussehendes junges Frauenzimmer dar.«

»Sie wissen, ›Passionsblumen‹ reifen wie alle anderen zuletzt und werden dürre Samenkapseln,« sagte Wenham; »Fräulein Bunions Porträt wurde wahrscheinlich schon vor etlichen Jahren gemalt.«

»Nun, mir gefällt sie, weil sie sich ihrer Armut nicht schämt.«

»Mir gefällt sie auch deswegen,« sagte Herr Wenham, der lieber verhungert sein würde, als daß er zum Essen in einem Omnibus gekommen wäre; »aber ich meine, sie brauchte kein Stroh mit sich herumzuschleppen, nicht wahr, Herr Pendennis? Mein liebes 197 Fräulein Bunion, wie geht es Ihnen? Ich war heut morgen im Boudoir einer sehr großen Dame, und alle Welt war bezaubert von Ihrem neuen Bändchen Gedichte. Diese Verse auf die Taufe der Lady Fanny Fantail füllten die Augen der Herzogin mit Tränen. Ich sagte, daß ich heut das Vergnügen haben würde, Sie zu treffen, und sie bat mich, Ihnen zu danken und zu sagen, welche Freude Sie ihr bereitet hätten.«

Diese in höflich lächelnder Weise erzählte Geschichte von einer Herzogin, mit der Wenham noch dazu erst heut morgen zusammengewesen war, schlug die Gräfin-Witwe und den Baronet des armen Wagg ganz aus dem Felde und stellte Wenham als Mann der höheren Gesellschaft über Wagg. Wenham hielt diesen unschätzbaren Vorteil fest, und, nachdem er die Unterhaltung an sich gezogen, fuhr er mit einer Menge von Anekdoten über die Aristokratie fort. Er versuchte es, Herrn Popjoy ins Gespräch zu ziehen, indem er sich an ihn wendete und sagte: »Ich erzählte Ihrem Herrn Vater heut morgen,« oder: »Ich glaube, Sie waren in W.s Hause zugegen, in jener Nacht, wo der Herzog so und so sagte,« aber Herr Popjoy wollte ihm nicht den Gefallen tun, auf solches Gespräch einzugehen, sondern zog es vor, sich mit Frau Bungay in die Fensternische zurückzuziehen und die Fiaker zu beobachten, die bei der gegenüberliegenden Tür vorfuhren. Zum mindesten hoffte die Wirtin, wenn er nun einmal nicht sprechen wollte, daß jene widerwärtigen Bacons sehen würden, wie sie sich den edlen Percy Popjoy für ihre Gesellschaft gesichert hatte. 198

Und jetzt schlug die Uhr der St. Paulskirche eine halbe Stunde nach der Zeit, zu der Herr Bungay seine Gesellschaft eingeladen hatte, und diese war vollständig mit Ausnahme zweier Gäste, die endlich auch erschienen, und in denen Pen mit Vergnügen den Kapitän und Frau Shandon erkannte. Als diese beiden den Herrn und die Herrin des Hauses begrüßt und den meisten der Anwesenden auf mehr oder minder vertrauliche Weise zugenickt hatten, gingen Pen und Warrington auf sie zu und schüttelten Frau Shandon sehr herzlich die Hand, die sich vielleicht eigentümlich berührt fühlte, sie hier zu sehen, wenn sie bedachte, wo sie sie erst vor ein paar Tagen gesehen hatte. Shandon war geschniegelt und gestriegelt und sah sehr nett aus in einer roten Sammetweste und einem Busenstreifen, in den seine Frau ihre beste Nadel gesteckt hatte. Trotz der Freundlichkeit Frau Bungays, vielleicht gerade deswegen, fühlte sich Frau Shandon in ihrer Nähe sehr ängstlich und schüchtern, und sie sah auch in der Tat in ihrem roten Atlaskleide mit dem Paradiesvogel auf dem Kopfe ehrfurchterweckender als je aus, und erst als sie mit ihrer tiefen Stimme sich nach dem lieben kleinen Mädchen erkundigt hatte, fühlte sich Frau Shandon etwas ermutigt und wagte zu sprechen.

»Hübsche Frau,« flüsterte Popjoy Warrington zu. »Bitte, stellen Sie mich Kapitän Shandon vor, Warrington. Man sagt, es sei ein schrecklich kluger Kerl; und, hol mich der Teufel, ich verehre das Talent, das weiß Gott!« Das war die Wahrheit; der Himmel hatte den jungen Herrn Popjoy nicht mit viel 199 Geistesgaben bedacht, ihm aber die edle Fähigkeit gegeben, die Geistesgaben anderer, wo nicht zu schätzen, so doch zu bewundern. »Und stellen Sie mich Fräulein Bunion vor. Es heißt auch von ihr, daß sie sehr klug sei. Sie sieht allerdings wunderlich aus, aber das macht nichts. Hol mich der Teufel, ich betrachte mich als einen Schriftsteller und wünsche alle geistreichen Leute kennen zu lernen.« So hatten denn Herr Popjoy und Herr Shandon das Vergnügen, miteinander bekannt zu werden; und nun gingen die Türen des angrenzenden Speisezimmers auf, und die Gesellschaft trat ein und nahm ihre Sitze am Tische ein. Pen sah sich neben Fräulein Bunion an der einen und Herrn Wagg an der andern Seite gesetzt, was sich indes so verhielt, daß Wagg erschreckt von dem freien Platz neben der Dichterin weggeflohen war und Pen gezwungen hatte, ihn einzunehmen.

Dieses begabte Wesen sprach nicht viel während des Essens; aber Pen bemerkte, daß sie mit ungeheurem Appetit aß und es niemals ablehnte, wenn ihr der Kellermeister aufs neue ihr Weinglas füllen wollte. Fräulein Bunion betrachtete eine Minute lang Herrn Pendennis, der sich recht großartige Airs gab und außerordentlich modisch gekleidet und mit seinen allerbesten Ketten, Hemdknöpfchen und Cambric-Vorhemdchen geschmückt war, und sie ließ ihn dann, und zwar nicht mit Unrecht, als einen Gelbschnabel beiseite, und hielt es für viel besser, sich ans Essen zu halten, als irgendwelche Notiz von ihm zu nehmen. Sie sagte ihm das auch später mit ihrer gewöhnlichen Offenherzigkeit: »Ich hielt Sie damals für so einen der kleinen 200 Stutzer von Mayfair; Sie sahen so feierlich, wie ein kleiner Leichenbitter aus, und da mir das widerwärtige Geschöpf auf meiner anderen Seite über die Maßen unsympathisch war, so hielt ich es für das Beste, mein Essen zu mir zu nehmen und den Mund zu halten.«

»Und Sie taten beides ganz vortrefflich, mein liebes Fräulein Bunion,« sagte Pen lachend.

»Schon gut, so mache ich's, aber ich gedenke das nächstemal sehr viel mit Ihnen zu sprechen, denn Sie sind weder so feierlich, noch so dumm, noch so hochnäsig, wie Sie aussehen.«

»Ach, Fräulein Bunion, wie ich mich nach diesem ›nächstenmal‹ sehne,« sagte Pen mit einer Miene scherzhafter Galanterie. – Aber wir wollen zu jenem Tage und dem Diner in der Paternoster Row zurückkehren.

Die Speisen waren in reichster Auswahl vorhanden – »was ich ein Essen nach dem blühenden gotischen Stil nenne,« flüsterte Wagg mit seiner Seitenflügelstimme Pen zu, der neben dem Witzbold saß. Die Dienerschaft in knarrenden Schuhen und Berliner Handschuhen war zahlreich und feierlich und führte hinter den Gästen hastige Gespräche, während sie mit den Schüsseln hin- und herging. Doolan schrie einmal dieser Dienerschaft ›Kellner‹ zu und errötete über und über, als er seinen Mißgriff merkte. Frau Bungays eigener kleiner Diener war unter diesen großen schwarzröckigen Lohndienern ganz verloren gegangen.

»Sehen Sie mal da diesen wahrhaft bogenfensterkrummen Mann,« sagte Wagg. »Er ist ein Leichenbitter in Amen Corner und wartet bei Begräbnissen und 201 Mittagessen auf. Merken Sie nicht, bei kaltem Fleisch und warmem? Er macht hier den Kellermeister, und ich habe stets bemerkt, wie Sie, lieber Herr Pendennis, im Leben auch bemerken werden, daß, wo bei einem Londoner Diner ein richtiger Kellermeister ist, auch ein richtiger Wein ist – dieser Sherry ist erbärmlich. Bungay, mein Junge, wo hast du diesen deliziösen braunen Sherry her?«

»Ich freue mich, daß Sie ihn mögen, Herr Wagg, stoßen Sie an,« sagte der Buchhändler. »Es ist welcher, den ich von dem Vorrate des Alderman Benning kaufte, und ich kann Ihnen sagen, ich hab ein schönes Stück Geld dafür gegeben. Herr Pendennis, wollen Sie mit uns trinken? Ihre Gesundheit, meine Herren!«

»Was bildet sich der alte Schuft nur ein, wie weit er es mit mir treiben kann? Der ist aus dem Wirtshause,« sagte Wagg.

»Wahrer Zweimännerwein, so ungewöhnlich stark ist dieser Sherry. Ich wünschte, ich hätte eine Flasche vom Weine des alten Steyne hier, Pendennis; Ihr Onkel und ich haben mancher davon den Hals gebrochen. Er schickt ihn zu den Leuten, wo er zu speisen pflegt. Ich entsinne mich, wie zu dem armen Rawdon Crawley, Sir Pitt Crawleys Bruder – er war Gouverneur von Covendoy Island – Steynes Küchenchef stets des Morgens kam, und der Kellermeister mit dem eisgekühlten Champagner von Gaunt House anlangte.«

»Wie gut ist doch dies alles!« sagte Popjoy gutmütig. »Sie müssen einen cordon bleu in Ihrer Küche haben.«

»O ja,« sagte Frau Bungay, indem sie dachte, er 202 spräche wahrscheinlich von einer Bratenwenderkette.

»Ich meine einen französischen Chef,« sagte der höfliche Gast.

»O ja, Ew. Lordschaft,« sagte die Dame abermals.

»Sagt Ihr Küchenkünstler denn, er sei ein Franzose, Madame Bungay?« rief Wagg.

»Nun, das weiß ich wahrhaftig nicht,« antwortete die Frau des Buchhändlers.

»Weil er, wenn er's tut, ein Spottvogel ist,« schrie Herr Wagg; aber niemand merkte den Hieb, was den bescheidenen Witzmacher etwas verstimmte. »Das Essen ist von Griggs auf dem St. Pauls Kirchhofe; ebenso Bacons,« flüsterte er Pen zu. »Bungay schreibt, er gäbe eine halbe Krone mehr für den Kopf als Bacon, – und ebenso sagt Bacon. Sie würden einander das Eis vergiften, wenn sie dazu kommen könnten, und was die Gerichte betrifft, so sind sie Gift. Dies – hm – ha – dies Brimborion à la Sevigne ist deliziös, Madame Bungay,« sagte er dann, indem er sich von einer Schüssel zulangte, die ihm der Leichenbitter reichte.

»Nun, das freut mich zu hören,« antwortete Frau Bungay errötend, da sie nicht wußte, ob der Name des Gerichts wirklich der war, den ihm Wagg gab, aber doch eine dunkle Ahnung hatte, daß dieses Individuum sie zum Besten halte. Infolgedessen haßte sie Herrn Wagg mit der ganzen Glut eines weiblichen Herzens und würde ihn seiner Herrscherstelle bei Herrn Bungays Zeitung entsetzt haben, hätte sein Name nicht einen guten Klang im Buchhandel gehabt, und wäre nicht sein Ruf im Lande beträchtlich gewesen. 203

Infolge der Verteilung der Plätze hatte Warrington den seinen zur rechten Seite von Frau Shandon gefunden, die in einem einfachen schwarzseidenen Kleide mit verblichenem Putz an der Seite der strahlenden Buchhändlersfrau saß. Das traurige Lächeln der Dame rührte sein rauhes Herz zum Mitleid. Niemand schien sich um sie zu kümmern, sie saß da und sah ihren Gatten an, der seinerseits von der Anwesenheit einiger Personen der Gesellschaft etwas bedrückt schien. Wenham und Wagg kannten beide ihn und seine Verhältnisse. Er hatte mit dem letzteren gearbeitet und war ihm an Witz, Genie und Kenntnissen unendlich überlegen, aber Waggs Stern strahlte in der Welt, und der arme Shandon war dort unbekannt. Er konnte vor dem lärmenden Geschwätze des gröberen und mehr vom Glück begünstigten Mannes nicht zu Worte kommen, sondern trank seinen Wein im stillen und so viel davon, als die Leute ihm geben wollten. Er war nämlich unter Aufsicht. Bungay hatte den Leichenbitter gewarnt, des Kapitäns Glas nicht zu oft und nicht zu voll zu füllen. Es war das eine traurige Vorsichtsmaßregel, und um so trauriger, weil sie notwendig war. Frau Shandon warf ebenfalls ängstliche Blicke über die Tafel, um zu sehen, ob ihr Mann nicht zuviel des Guten tat.

Mißgestimmt durch das Fehlschlagen seines ersten Hiebes – denn er war arrogant und leicht übellaunig – unterhielt sich Wagg während des übrigen Teiles des Essens ziemlich viel mit Pen und sprach natürlich hauptsächlich von ihren Nachbarn. »Das ist einer von Bungays großen Paradetagen,« sagte er. »Wir sind 204 hier alle Bungavianer. – Lasen Sie Popenjoys Novelle? Es war eine alte Magazingeschichte, vor Jahren von unserem armen Buzzard geschrieben und hier vergessen, bis Herr Trotter (der da mit den großen Vatermördern ist Trotter) sie herausfischte und bei sich bedachte, sie ließe sich der jüngst vorgefallenen Entführung anpassen; so schrieb Bob ein paar Kapitel, à propos – Popjoy gab seinen Namen dazu her und flickte etwa hier und da eine Seite ein – und ›Verzweiflung oder die flüchtige Herzogin‹ erschien auf dem Büchermarkte. Der größte Spaß ist aber, wenn man Popjoy über sein eigenes Werk examiniert, von dem er auch nicht ein Wort weiß. – Ach, hören Sie mal, Popjoy, was für eine köstliche Stelle ist doch die in Band drei – wo der Kardinal verkleidet, nachdem er vom Bischof von London bekehrt worden, der Tochter der Herzogin seine Hand anbietet.«

»Freut mich, daß es Ihnen gefällt,« antwortete Popjoy; »'s ist eine meiner glänzendsten Arbeiten.«

»Im ganzen Buche steht nämlich gar nichts davon,« flüsterte Wagg Pen zu. »Erfand es selber. Weiß Gott! es würde ein übler Einfall sein, solch Zeug in einer hochkirchlichen Novelle anzubringen.« –

»Ich erinnere mich, wie unser armer Byron, Hobhouse, Trelawney und ich selbst zu Rom mit dem Kardinal Mezzocaldo speisten,« begann Kapitän Sumph, »und wir hatten eine Quantität Ovietowein bei Tische, welchen Byron sehr liebte. Und ich erinnere mich, wie sehr es der Kapitän bedauerte, daß er ein unverheirateter Mann war. Wir gingen zwei Tage nachher nach Civita Vecchia, wo Byrons Jacht lag – und, beim 205 Zeus, der Kardinal starb innerhalb dreier Wochen, und Byron war sehr betrübt darüber, denn er hatte ihn echt gern.«

»Eine höllisch interessante Geschichte, Sumph, wahrhaftig,« sagte Wagg.

»Sie sollten einige von diesen Geschichten veröffentlichen, Kapitän, wirklich. Solch ein Buch würde unseres Freundes Bungay Glück machen,« sagte Shanon.

»Warum bitten Sie nicht Sumph, sie in Ihrer neuen Zeitung zu veröffentlichen – in dem, wie heißt's doch gleich, – he, Shandon?« kläffte Wagg.

»Warum bitten Sie ihn nicht, Sie in Ihrem alten Magazine, dem Plappermaul, zu veröffentlichen?« entgegnete Shandon.

»Was, soll eine neue Zeitung gegründet werden?« fragte Wenham, der das recht wohl wußte, sich aber seiner Beziehungen zur Presse schämte.

»Bungay will eine neue Zeitung herausgeben?« schrie Popjoy, der, im Gegenteile, stolz auf seinen literarischen Ruf und seine Schriftstellerbekanntschaften war. »Da müssen Sie mich beschäftigen! Frau Bungay, bieten Sie Ihren Einfluß bei ihm auf und lassen Sie ihn mich beschäftigen. Prosa oder Verse – oder was soll es sein? Novellen, Gedichte, Reisen oder Leitartikel, bei Gott! Kann mit allem möglichen aufwarten – nur laßt Bungay mich bezahlen, und ich bin bereit – auf der Stelle, meine teure Madame Bungay, bei Gott, auf der Stelle.«

»Es wird den Namen Die Dünnbierchronik führen,« brummte Wagg, »und der kleine Popjoy ist für 206 das Departement der Wickelkinderangelegenheiten engagiert.«

»Es wird ›die Pall Mall Gazette‹ heißen, mein Herr, und wir werden sehr glücklich sein, Sie zu unserem Mitarbeiter zu zählen,« sagte Shandon.

»›Pall Mall Gazette‹ – ei, warum ›Pall Mall Gazette‹?« fragte Wagg.

»Weil der Herausgeber zu Dublin, der Unterredakteur zu Cork geboren wurde, der Besitzer in Paternoster Row lebt und die Zeitung in der Katharinenstraße am Strand ausgegeben wird. Wird Ihnen das genügen, Wagg?« sagte Shandon, der schon ziemlich böse wurde. »Alles Ding muß einen Namen haben. Mein Hund Ponto hat seinen Namen. Sie haben einen Namen und zwar einen Namen, den Sie bei Gott mehr oder weniger verdienen. Warum murren Sie über den Namen für unsere Zeitung?«

»Mit jedem anderen Namen würde sie ebenso süß duften,« sagte Wagg.

»Ich dulde nicht, daß Sie sie ›Wieheißtsiedochgleich‹ benennen, Herr Wagg,« antwortete Shandon. »Sie kennen ihren Namen gut genug, – und – und Sie kennen auch meinen.«

»Und ich weiß auch Ihre Adresse,« sagte Wagg, aber das sagte er leise, und der gutmütige Irländer war fast augenblicklich nach diesem Aufwallen seiner Gereiztheit wieder besänftigt und forderte Wagg mit freundschaftlicher Stimme auf, mit ihm zu trinken.

Als sich die Damen von der Tafel zurückzogen, wurde das Gespräch noch lebhafter, und bald schlug Wenham in wohlgesetzter Rede vor, daß jedermann auf das 207 Gedeihen des neuen Journals trinken solle, wobei er die Talente, den Witz und die Gelehrsamkeit seines Herausgebers, Kapitän Shandon, hoch pries. Es war sein Grundsatz, nie die Unterstützung eines Zeitungsschreibers zu verscherzen, und im Laufe dieses Abends ging er herum und begrüßte jeden der anwesenden Literaten mit einem privaten, besonders an ihn gerichteten Kompliment, indem er den einen benachrichtete, wie groß der Eindruck gewesen wäre, den sein letzter Artikel in Downing Street gemacht hätte, und dem anderen erzählte, wie ganz außerordentlich erstaunt sein guter Freund, der Herzog so und so über die Trefflichkeit der letzten Nummern gewesen wäre.

Der Abend ging zu Ende, und trotz aller Vorsichtsmaßregeln des Gegenteils schwankte der arme Shandon doch in seinem Gange und fuhr in seine neue Wohnung, seine getreue Gattin an der Seite, und der Kutscher auf dem Bocke stierte ihn mit neugierigen Blicken an. Wenham hatte einen eigenen Wagen, den er zu Popjoys Verfügung stellte, und das schüchterne Fräulein Bunion, welche sah, daß ihr Tischnachbar, Herr Wagg, im Begriffe war, aufzubrechen, bestand auf einem Platze in seiner Kutsche, sehr zum Verdrusse dieses Gentlemans.

Pen und Warrington gingen zusammen im Mondschein nach Hause. »Und nun«, sagte Warrington, »wo du die Literaten gesehen hast, sage mir, ob ich Unrecht hatte, als ich meinte, daß es in dieser Stadt Tausende von Leuten gibt, die keine Bücher schreiben, aber, bei Lichte besehen, genau so gescheidt und befähigt seien, als die, welche es tun.« 208

Pen sah sich gezwungen, zu bekennen, daß die literarischen Persönlichkeiten, mit denen er bekannt geworden, im Laufe des Gesprächs am Abend nicht viel gesagt hätten, was der Erinnerung oder Anführung wert wäre. Tatsächlich war nicht ein einziges Wort über Literatur während des ganzen Verlaufs des Abends geäußert worden, – und wir wollen jenen uneingeweihten Leuten, die die Gewohnheiten der Literaten gern kennen lernen und mit ihnen Bekanntschaft machen möchten, im Vertrauen zuflüstern, daß es keine Art Leute gibt, die weniger von Büchern reden oder vielleicht sogar weniger Bücher lesen, als die Schriftsteller.



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