William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

Ein Haus voll Besucher

Die Spannung zwischen den Mädchen dauerte nicht lange. Laura war immer zu bereitwillig gewesen, zu vergeben und Vergebung zu bekommen, und was Fräulein Blanche betraf, so dauerten ihre Feindseligkeiten nie sehr lange bei ihr und waren überhaupt durch den obenerwähnten Auftritt gar nicht bei ihr herausgefordert worden. Niemand macht sich etwas daraus, wenn er der Gottlosigkeit angeklagt wird. Keine Eitelkeit wird durch eine Anklage solcher Art verletzt. Blanche war eher erfreut als gereizt durch die Entrüstung ihrer Freundin, die eben nur durch diese eine Ursache herausgelockt wurde, die beide kannten, obwohl keine von beiden davon sprach.

Und so mußte also Laura mit einem Seufzer bekennen, daß der romantische Teil ihrer ersten Freundschaft zu Ende und der Gegenstand derselben nur einer ganz alltäglichen Art von Beachtung wert wäre.

Blanche verfaßte sofort ein paar rührende Verse, die ihre Verlassenheit und Enttäuschung aussprachen. Es war bloß die alte Geschichte, die sie niederschrieb, von der Liebe, die mit Kälte, und der Treue, die mit Vernachlässigung erwidert wird; und als ein paar neue Nachbarn in dieser Zeit aus London anlangten, in deren Familie Töchter waren, hatte Fräulein 2 Amory das Glück, sich in einer dieser jungen Damen eine ewig bleibende Freundin erlesen und dieser neuen Schwester ihre Sorgen und Kümmernisse mitteilen zu können. Der lange Bediente kam nur noch selten mit Billetchen zu der süßen Laura, und die Ponykutsche wurde nur noch selten nach Fairoaks geschickt, um den Damen dort zur Verfügung zu stehen. Blanche nahm eine liebliche Miene leidenden Märtyrertums an, wenn Laura auf Besuch zu ihr kam. Die andere lachte über die sentimentale Stimmung ihrer Freundin und zeigte sich im Gegenteil sehr gut gelaunt, was keineswegs respektvoll war.

Aber wenn Fräulein Blanche neue Freundinnen fand, um sie zu trösten, so muß der getreue Geschichtsschreiber auch sagen, daß sie auch einige Bekanntschaften vom anderen Geschlecht ausfindig machte, die ihr ebenfalls Trost zu gewähren schienen. Wenn dieses ungekünstelte junge Geschöpf nämlich irgendwie einen jungen Mann traf und sich zehn Minuten auf einem Spaziergang durch den Garten, in einer Fensternische des Besuchszimmers oder in den Zwischenpausen eines Walzers mit ihm unterhielt, so vertraute sie ihm, sozusagen, ihr ganzes Innere an; sie begann das Spiel mit ihren schönen Augen, sprach im Tone zärtlicher Teilnahme oder einfacher rührender Klage und verließ ihn schließlich, um dasselbe hübsche kleine Drama mit seinem Nachfolger durchzuspielen.

Als die Claverings zuerst in den Park zogen, war das Publikum, vor dem Fräulein Blanche ihre Künste zeigen konnte, nur sehr wenig zahlreich, woher es kam, daß Pen den alleinigen Genuß ihrer Blicke, 3 Vertraulichkeiten, der Fensternische im Besuchszimmer oder der Spaziergänge im Garten hatte. In der Stadt Clavering gab es, wie gesagt, tatsächlich keine jungen Männer, in der nähern Umgebung auf den Dörfern nur einige Vikare oder einen bäurischen jungen Krautjunker mit großen Füßen und schlechtsitzenden Kleidern. Den Dragonern, die zu Chatteris in Quartier standen, schickte der Baronet keine Einladungen; es war nämlich unglücklicherweise sein eigenes Regiment, und er hatte es verlassen, weil er mit einigen Offizieren desselben auf schlechtem Fuße stand – eine häßliche Affäre wegen eines Pferdekaufs oder einer abgestrittnen Spielschuld, oder ein Hasenpanierergreifen (wer braucht danach zu fragen?). – Es ist nicht unser Geschäft, uns so peinlich genau nach der Vergangenheit unserer Personen zu erkundigen; es ist das nur insofern nötig, als ihre vergangene Geschichte zur Entwicklung der gegenwärtigen Erzählung gehört.

Der Herbst und das Ende der Parlamentssitzungen und der Londoner Saison brachten ein paar Familien von Gutsbesitzern in ihre Schlösser, füllten das benachbarte kleine Seebad Baymouth ganz leidlich, öffneten das Königliche Theater unseres Freundes, Herrn Bingleys, zu Chatteris und versammelten die übliche Gesellschaft dort bei Schwurgerichtssitzungen und Wettrennen. Bis zu dieser Zeit hatten sich die alten Familien der Grafschaft von unseren Freunden in Clavering Park ziemlich entfernt gehalten; die Fogeys von Drummington, die Squares von Dozley Park, die Wellbores von dem Barrow usw. Unter 4 diesen Herrschaften waren alle möglichen Geschichten über die Familie in Clavering in Umlauf, so daß wirklich niemand, der sie über ihren neuen Nachbarn sprechen hörte, sagen darf, die Leute auf dem Lande besäßen keine Einbildungskraft. Ueber Sir Francis und seine Gemahlin, ihre Geburt und Abstammung, über Fräulein Amory, über Kapitän Strong waren endlose Histörchen erzählt worden, die wir nicht zu rekapitulieren brauchen, und die Familie im Park hatte schon drei Monate in der Grafschaft gewohnt, ehe die vornehmen Leute der Umgegend sich zum Besuche einstellten.

Aber als am Ende der Saison der Earl von Trehawke, der Lordstatthalter der Grafschaft, nach Cyrie-Castle kam und die verwitwete Gräfin von Rockminster, deren Sohn ebenfalls ein Großgrundbesitzer war, nach Baymouth zog, um dort eine Wohnung an der Hauptpromenade längs des Strandes einzunehmen, kamen diese vornehmen Herrschaften sogleich öffentlich und in großem Staate, um der Familie in Clavering Park ihre Aufwartung zu machen, und die Kutschen der übrigen Familien der Grafschaft folgten im Geleise, das die hochgräflichen Räder in der Avenue zurückgelassen hatten.

Es war um diese Zeit, wo Mirobolant Gelegenheit zu bekommen anfing, jenes Geschick an den Tag zu legen, welches er besaß, und in den Beschäftigungen seiner Kunst die Schmerzen der Liebe zu vergessen. Es war um diese Zeit, wo die langen Bedienten in Clavering Park zu sehr in Anspruch genommen waren, um Botschaft nach Fairoaks bringen zu 5 können oder über dem Glase Dünnbier mit den armen kleinen Dienstmädchen daselbst zu tändeln. Es war um diese Zeit, wo Blanche andere teure Freundinnen als Laura und andere Plätze zum Spazierengehen außer denen am Flusse, wo Pen fischte, fand. Er kam Tag für Tag und warf seine Angelrute in den Strom, aber weder das »Fischlein, Fischlein in der See« wollte seine Schuldigkeit tun, noch wollte die Peri erscheinen. Und hier wollen wir, obwohl im strengsten Vertrauen und mit der Vermahnung, die Sache nicht weiter zu erzählen, einige Andeutungen über ein zartes Verhältnis machen, über das schon früher einige zarte Winke gegeben worden sind. Auf einer der früheren Seiten ist ein gewisser hohler Baum erwähnt worden, wo Pen zu verweilen pflegte, als er noch von seiner Leidenschaft für Fräulein Fotheringay gefesselt war, und dessen Höhlung er später noch zu anderen Zwecken als um nur seine Kleider und sein Fischgerät hineinzustecken benützte. Die Wahrheit ist nämlich, daß er diesen Baum in eine Poststation verwandelte. Unter ein Stück Moos und einen Stein pflegte er kleine Gedichte oder ebenfalls in Versen geschriebene Briefe zu legen, die an eine gewisse Undine oder Najade, die den Fluß fleißig besuchte, gerichtet waren und die ein paarmal durch einen Empfangschein in Gestalt einer Blume oder durch ein paar einfache kleine Worte der Anerkennung ersetzt wurden, die von zarter Hand in Englisch oder Französisch auf parfümiertes rosa Papier geschrieben waren. Gewiß pflegte Fräulein Amory an diesem Flusse spazieren zu gehen, wie wir gesehen haben; und sie 6 benutzte auch tatsächlich parfümiertes rosa Papier zu ihrer Korrespondenz. Aber nachdem die vornehmen Herrschaften Clavering Park scharenweise zu besuchen angefangen hatten und die Familienkutsche Abend für Abend aus dem Torwege fuhr, um die anderen vornehmen Häuser der Gegend zu besuchen, kam niemand mehr, um Pens Briefe von dieser Poststation abzuholen, und das weiße Papier wurde nicht mit dem rosa vertauscht, sondern lag ungestört unter seinem Steine und dem Moos, während der Baum sich im Flusse spiegelte, und der Brawl vorübermurmelte. Es stand sicherlich nicht viel in diesen Briefen, auf den rosa Billetchen kaum irgend etwas, kaum ein paar Wörtchen, halb scherzhaft, halb gefühlvoll, wie sie jede junge Dame etwa schreiben dürfte. Aber ach, du närrischer Pendennis, wenn du bloß dies wolltest, warum sprachst du denn dann nicht? Vielleicht war es aber von keiner Seite ernst gemeint. Du spieltest nur Verlieben, und die vergnügte kleine Undine scherzte mit dir in demselben Lustspiel.

Wenn aber jemand bei diesem Spiele betrogen wird, so geschieht es doch nicht selten, daß er seine gute Laune verliert, und als niemand mehr nach Pens Gedichten kam, begann er diese Sächelchen mit sehr ernsten Augen anzusehen. Es war ihm fast tragisch und romantisch wieder zumute wie in seiner ersten Herzensaffäre; auf alle Fälle bestrebte er sich, eine Erklärung zu erlangen. Eines Tages ging er ins Schloß; das Zimmer war voll von Besuchern; an einem anderen Tage war Fräulein Amory nicht zu sprechen; sie wollte abends zum Ball gehen und hatte 7 sich ein wenig zum Schlafen niedergelegt, Pen verfluchte alle Bälle und die Knappheit seiner Mittel sowie seine niedrige Stellung unter dem Adel der Grafschaft, welche die Ursache war, daß er von den Gebern derartiger Vergnügungen übergangen wurde. Bei einer dritten Gelegenheit war Fräulein Amory im Garten, und er ging auf sie zu; aber sie wandelte dort im Staatskleide mit keinen geringeren Persönlichkeiten als dem Bischof und der Bischöfin von Chatteris und der bischöflichen Familie, die ihn geringschätzend ansahen und eine sehr würdevolle Miene annahmen, als er ihnen vorgestellt wurde und sie seinen Namen hörten. Der hochwürdige Prälat hatte ihn schon zuvor gewußt und ebenso von der Sache im Dekansgarten.

»Der Bischof sagt, Sie wären kein erfreulicher junger Mann,« flüsterte die gutmütige Lady Clavering ihm zu. »Was haben Sie denn verbrochen? Hoffentlich nichts, was eine so gute Mutter, wie die Ihre, ärgern könnte? Was macht Ihre gute Mutter? Warum kommt sie denn nicht zum Besuch zu mir? Wir haben sie so lange Zeit nicht gesehen. Wir werden einen Ausflug machen, so daß wir keine Nachbarn mehr sehen werden. Grüßen Sie sie und Laura von mir und kommen Sie alle morgen zu Tisch.«

Frau Pendennis war zu unwohl, um ausgehen zu können, aber Laura und Pen kamen; es war eine große Gesellschaft da, und Pen konnte nur in aller Eile ein Wort mit Fräulein Amory sprechen. »Sie kommen ja jetzt nie mehr an den Fluß,« sagte er. 8

»Ich kann nicht,« sagte Blanche, »das Haus ist voller Leute.«

»Undine hat den Strom verlassen,« fuhr Herr Pen fort, der poetisch sein wollte.

»Sie hätte nie dorthin gehen sollen,« antwortete Fräulein Amory. »Sie wird auch nicht wieder hingehen. Es war sehr töricht, sehr unrecht von ihr, es war nur Spielerei. Außerdem haben Sie ja andere Leute zu Hause, die Sie trösten können,« fügte sie hinzu, indem sie ihm erst einen Augenblick lang voll ins Gesicht sah und dann die Augen niederschlug.

Wenn er sie wirklich haben wollte, warum sprach er denn dann nicht? Sie hätte selbst jetzt wohl noch »Ja« gesagt. Aber da sie von anderen Leuten zu Haus bei ihm, bei denen er sich trösten könnte, gesprochen hatte, so dachte er an Laura, die so voll Liebe zu ihm und so rein und unschuldig war, und an seine Mutter zu Haus, deren zärtliches Herz sich danach sehnte, ihn mit ihrer Adoptivtochter zu vereinigen. »Blanche!« begann er im Tone eines Beleidigten, »Fräulein Amory!«

»Laura sieht nach uns, Herr Pendennis,« sagte die junge Dame. »Ich muß zur Gesellschaft zurückkehren,« damit eilte sie davon und ließ Herrn Pendennis zurück, der sich verlegen auf die Nägel beißen und den Garten im Mondschein besehen konnte.

Laura sah in der Tat nach Pen. Sie sprach mit Herrn Pynsent oder schien wenigstens auf das Gespräch dieses jungen Herrn zu hören, der Lord Rockminsters Sohn und Enkel der verwitweten Gräfin war, die in großem Staate auf dem Ehrenplatze saß 9 und mit Würde die schlechte Grammatik Lady Claverings akzeptierte, während sie andererseits den geistesschwachen Sir Francis mit ihrer Gönnerschaft beglückte, dessen Einfluß in der Grafschaft sie sich zu sichern wünschte. Pynsent und Pen waren zusammen in Oxbridge gewesen, wo der letztere, während der Jubelzeit, als die Gelder flossen und er Tonangeber war, dem jungen Patrizier überlegen gewesen war und sich vielleicht etwas hochmütig gegen ihn benommen hatte. Sie hatten sich zum erstenmal, seit sie die Universität verlassen hatten, an der heutigen Tafel wiedergesehen, wo sie gegeneinander jenes ungemein impertinente und vergnügte halbe Nicken des Wiedererkennens ausführten, das nur in England und in seiner Vollendung nur von Studenten angewendet wird und das zu sagen scheint: »Verdammter Kerl, was hast du hier zu suchen?«

»Ich kannte diesen Menschen da in Oxbridge,« sagte Herr Pynsent zu Fräulein Bell, »ein gewisser Herr Pendennis, glaube ich.«

»Ja,« sagte Fräulein Bell.

»Er scheint es sehr auf Fräulein Amory abgesehen zu haben,« fuhr der Gentleman fort. Laura blickte nach den beiden und dachte vielleicht ebenso, aber sie sagte nichts.

»Ein Mann von großem Grundbesitz der Grafschaft, nicht wahr? Er pflegte davon zu sprechen, daß er sie im Parlament vertreten wollte. Er redete gewöhnlich in der Union davon. Wo liegen denn seine Güter?«

Laura lächelte. »Seine Güter liegen auf der 10 anderen Seite des Flusses, nahe dem Parkgitter. Er ist mein Cousin, und ich lebe dort.«

»Wo?« fragte Herr Pynsent mit einem Lachen.

»Ei nun, auf der anderen Seite des Flusses, zu Fairoaks,« antwortete Fräulein Bell.

»Viel Fasanen dort? Das Lager sieht sehr gut aus,« sagte der simple Gentleman.

Laura lächelte wieder. »Wir haben neun Hennen und einen Hahn, ein Schwein und einen alten Jagdhund.«

»Pendennis hat also keine?« fuhr Herr Pynsent fort.

»Sie müssen kommen und ihn besuchen,« sagte das Mädchen lachend und höchlichst amüsiert bei der Bemerkung, daß ihr Pen ein Großgrundbesitzer sein sollte und sich vielleicht für einen solchen ausgegeben hatte.

»Wahrhaftig, ich sehne mich ordentlich danach, unsere Bekanntschaft zu erneuern,« sagte Herr Pynsent höflich und mit einem Blicke, welcher deutlich sagte: »Sie sind es, zu der ich kommen und die ich besuchen möchte« – auf welchen Blick und welche Worte Fräulein Laura lächelte und eine kleine Verbeugung machte.

Hier kam Blanche mit ihrem bezauberndsten Lächeln und Augenwerfen herangetrippelt und bat die liebe Laura, zu kommen und die zweite Stimme bei einem Liede zu übernehmen. Laura war stets bereit, jede Gefälligkeit zu tun, und ging ans Piano; Herr Pynsent hörte zu, solange das Duett dauerte und bis Fräulein Amory allein zu singen begann, wo er fortging.

»Was für ein hübsches, ungekünsteltes, 11 liebenswürdiges, wohlerzogenes Mädchen das ist, Wagg,« sagte Herr Pynsent zu einem Herrn, der mit ihm von Baymouth herübergekommen war, »ich meine die Schlanke mit den Locken und den roten Lippen – wunderbar rot, nicht wahr?«

»Was halten Sie von der Haustochter?« fragte Herr Wagg.

»Ich meine, sie ist eine magere, dürre Puppe,« sagte Herr Pynsent mit großer Offenherzigkeit. »Sie schiebt ihre Schultern aus ihrem Kleide heraus, hält ihre Augen nie still und läuft Blicke werfend und äugend herum, wie ein französisches Kammermädchen.«

»Pynsent, benehmen Sie sich höflich,« schrie der andere, »es kann uns jemand hören.«

»Oh, es ist nur Pendennis von Bonifaz,« sagte Herr Pynsent. »Schönen guten Abend, Herr Pendennis, wir sprachen grade von ihrer reizenden Kusine.«

»Wohl irgendeine Verwandtschaft von meinem alten Freunde Major Pendennis?« fragte Herr Wagg.

»Sein Neffe. Hatte das Vergnügen, Sie in Gaunt House zu treffen,« sagte Herr Pen mit seiner vornehmsten Miene, und die Bekanntschaft zwischen den Herren war augenblicklich gemacht.

Am Nachmittag des nächsten Tages fand Herr Pen die beiden Herren, die sich zu Clavering Park aufhielten, bei seiner Rückkehr von einem Ausfluge zum Fischen, bei dem er kein Vergnügen gehabt hatte, in seiner Mutter Empfangszimmer in gemütlichem Gespräch mit der Witwe und ihrem Mündel sitzen. Herr Pynsent, lang und hager, mit großem roten Backenbart und einem imposanten Haarbüschel am 12 Kinn spreizte sich in nächster Nähe von Fräulein Laura über einen Stuhl. Sie amüsierte sich über sein Geschwätz, das einfach und gradezu, sehr launig und bissig und mit derben Ausdrücken eines Stils, den man bisweilen slang nennt, untermischt war. Er war das erste Beispiel eines jungen Londoner Stutzers, das Laura gesehen oder gehört hatte; denn sie war zur Zeit der Einführung Herrn Fokers in Fairoaks erst ein Backfisch gewesen, auch war dieser geistreiche Gentleman damals nicht viel mehr als ein Knabe, und seine Bildung war nur die der Schule und der Universität.

Herr Wagg sah und bemerkte, als er in die Hofräume von Fairoaks mit seinem Begleiter eintrat, alles mögliche. »Alter Gärtner,« sagte er, als er Herrn John am Gitter bemerkte – »alte rote Livreeweste – Wäsche hängt zum Trocknen auf den Stachelbeersträuchern – blaue Schürzen, weiße Hosen – weiß Gott, es müssen des jungen Pendennis weiße Hosen sein – sonst trägt niemand welche in der Familie. Wahrhaftig ein sehr bescheidener Platz für ein in den Windeln liegendes künftiges Parlamentsmitglied, – nicht wahr, Pynsent?«

»Hübsches kleines Häuschen,« sagte Herr Pynsent, »ziemlich nette kleine Wiese.«

»Herr Pendennis zu Hause, alter Herr?« fragte Herr Wagg den alten Domestiken. John antwortete: »Nein, Mister Pendennis ist ausgegangen.«

»Sind die Damen zu Hause?« fragte der jüngere Besucher. Herr John antwortete: »Ja, die sind da«; und als die beiden über den glatten Kies, an der schmucken Hecke vorüber und die Stufen zur Tür der 13 Halle hinaufschritten, welche der alte John öffnete, hatte Herr Wagg über alles, was er sah, eine Bemerkung zu machen, über das Barometer und den Briefbeutel, die Regenschirme und die Damenüberschuhe, Pens Hüte und Tartanüberwurf, schließlich über den alten John, der die Tür zum Empfangszimmer öffnete, um die Neuangekommenen hineinzulassen. Solche Kleinigkeiten zogen Wagg instinktiv an, er bemerkte sie, auch wenn er gar nicht darauf achtete.

»Der alte Bursche macht alles hier,« flüsterte er Pynsent zu. »Caleb Balderstone! Sollte mich nicht wundern, wenn er auch Dienstmädchen wäre.« In der nächsten Minute befand sich das Paar in Gegenwart der Bewohnerinnen von Fairoaks, in denen Pynsent notwendigerweise zwei vollkommen wohlerzogene Damen anerkennen mußte, und denen Herr Wagg seine Huldigungen in einer Menge von Verbeugungen und etlichen Extrabücklingen darbrachte, die er mit einem gelegentlichen pfiffigen Blicke auf seinen Gefährten begleitete. Herrn Pynsent beliebte es nicht, diese Signale anzuerkennen, höchstens bewies er es dadurch, daß er sich unmäßig hochmütig gegen Herrn Wagg und ganz besonders ehrerbietig gegen die Damen benahm. Wenn es etwas gab, das in Herrn Waggs Augen lächerlich war, so war es Armut. Er hatte die Seele eines Bedienten, den man aus der Speisekammer geholt hat, um im Empfangszimmer Witze zu reißen. Er saß voller Späße, und sein Humor war durch und durch echt, aber er schien nicht begreifen zu können, daß ein Gentleman vor einem alten Rock oder einer Dame Achtung haben konnte, wenn sie keine 14 Kutsche hatte oder keine französische Putzmacherin beschäftigte.

»Reizender Platz hier, Madame,« sagte er mit einer Verbeugung zu der Witwe; »prächtige Aussicht – entzückend für uns Großstädter, die selten etwas anderes als Pall Mall sehen.«

Die Witwe antwortete ganz einfach, daß sie nur einmal in ihrem Leben, und zwar ehe ihr Sohn geboren worden, in London gewesen wäre.

»Nettes Dörfchen, Madame, nettes Dörfchen,« sagte Herr Wagg, »und wird alle Tage größer. Es wird bald eine ganz große Stadt geworden sein. Es ist kein übler Wohnplatz für diejenigen, die das Land nicht viel zu sehen bekommen, und es verlohnt sich, einen Besuch zu machen.«

»Mein Schwager, Major Pendennis, hat Ihren Namen oft bei uns erwähnt,« sagte die Witwe, »und wir haben mehrere Ihrer drolligen Bücher mit großem Vergnügen gelesen, mein Herr,« fuhr Helene fort, die nie dazu hatte gebracht werden können, Herrn Waggs Bücher gern zu haben, sondern ihren Ton durch und durch verabscheute.

»Er ist ein sehr guter Freund von mir,« sagte Herr Wagg mit tiefer Verbeugung, »und einer der bekanntesten Männer in der Stadt, der, wo man ihn kennt, auch geschätzt, Madame – ich versichere Ihnen, hochgeschätzt wird. Er befindet sich jetzt mit unserem Freunde Steyne zu Aachen. Steyne hat so etwas wie die Gicht und ebenso, unter uns gesagt, Ihr Herr Schwager. Ich gehe nach Stillbrook auf die Fasanenjagd und 15 dann nach Bareacres, wo ich und Pendennis wahrscheinlich zusammentreffen werden«; und er ergoß sich in einer Flut von Moderedensarten, in denen die Namen von einem halben Schock Peers vorkamen, und redete atemlos weiter, während die einfache Witwe ihm mit schweigender Bewunderung zuhörte. Was für ein Mann! dachte sie; sind denn alle Modeherren in London so? Wahrhaftig, Pen wird nie so sein wie er.

Herr Pynsent war inzwischen mit Fräulein Laura beschäftigt. Er nannte mehrere von den Häusern in der Nachbarschaft, wohin er gehen wollte, und hoffte stark, daß er Fräulein Bell in einigen derselben sehen würde. Er hoffte ferner, daß ihre Tante ihr erlauben würde, eine Saison in London mitzumachen. Er sagte, es wäre wahrscheinlich, daß er im nächsten Parlament die Grafschaft vertreten würde, und er gäbe sich der Hoffnung auf Pendennis' Unterstützung hin. Er sprach von Pens Rednertriumphen in Oxbridge und fragte, ob er wohl auch ins Parlament kommen würde. Er schwatzte sehr angenehm und sehr zu Lauras Zufriedenheit weiter, bis Pen selbst erschien und, wie schon gesagt ist, diese Herren antraf.

Pen benahm sich sehr höflich gegen das Paar und dankte ihnen, daß sie den Weg zu seiner Wohnung gefunden, obgleich er sich mit einiger Aengstlichkeit einer Unterhaltung zu Oxbridge erinnerte, wo Pynsent zugegen gewesen, und in der er nach einer großen Debatte in der Union und in beträchtlicher Aufregung infolge eines Abendschmauses und etlicher Gläser Champagner seine Absicht, für die Grafschaft, in der er geboren, ins Parlament zu gelangen, angekündigt, und 16 sogar, als man sein Wohl, als das eines zukünftigen Parlamentsmitgliedes, ausgebracht, in einer vortrefflichen Rede seinen Dank ausgesprochen hatte; aber Herrn Pynsents Benehmen war so offen und herzlich, daß Pen hoffte, Pynsent hätte seine kleine Großtuerei und die anderen prahlerischen Reden und Handlungen, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen, vergessen. Er paßte sich denn selbst dem Tone der Besucher an und schwatzte von Plinlimnon und Magnus Charters und der alten Klique zu Oxbridge mit sorgloser Familiarität und vornehmer Nonchalance, als ob er alle Tage mit Marquis zusammenlebte und ein Herzog ihm nicht mehr gelte als ein Dorfpfarrer.

Aber in diesem Augenblicke, und weil es die sechste Abendstunde war, kam Betsi, das Dienstmädchen, die von der Ankunft der Fremden nichts wußte, ohne weitere Präliminarien, als die, daß sie die Tür weit aufriß, in das Zimmer hereingetappt und trug auf ihren Armen ein Tablett mit drei Teetassen, einer Teekanne und einem Teller mit dicken Butterbroten. Aller Glanz und alle Pracht Pens schwand bei diesem Anblick – er stotterte und wurde ganz verstört. »Was werden sie von uns denken?« dachte er, und, in der Tat, Wagg schob seine Zunge in die Backen, hielt den Tee für unermeßlich verachtungswert und deutete dies Pynsent durch Blicke und Winke an.

Aber Herrn Pynsent schien die Sache ganz einfach vorzukommen; er sah keinen Grund, weshalb die Leute nicht ebensogut ihren Tee um sechs Uhr trinken sollten, wenn sie Lust dazu hatten, wie zu irgendeiner anderen Stunde. Und er fragte Herrn Wagg, als sie 17 weggingen, was zum Teufel er so gegrinst und gezwinkert und was ihn so amüsiert hätte?

»Sahen Sie denn nicht, wie der Bummler sich wegen der dicken Butterbrote schämte? Ich glaube wahrhaftig, sie tun sich nächstens Knoblauch drauf, wenn er gut ist. Ich werde Gelegenheit haben, es dem alten Pendennis zu erzählen, wenn wir in die Stadt zurückkommen,« kicherte Herr Wagg heraus.

»Sehe nicht, was das für 'n Witz sein soll,« sagte Herr Pynsent.

»Dachte auch gar nicht, daß Sie das würden,« brummte Herr Wagg zwischen den Zähnen; und sie gingen ziemlich mürrisch heim.

Wagg erzählte die Geschichte bei Tisch sehr nett und mit bewunderungswürdiger Genauigkeit der Beobachtung. Er beschrieb den alten John, die Wäsche, welche trocknete, die Ueberschuhe in der Halle, das Empfangszimmer und seine Möbel und Bilder: »Ein alter Mann mit einer schnabelförmigen Frisur und einer Glatze – der selige Pendennis, ich wette zwei zu eins; ein wahres Heftpflaster von der Länge eines jungen Menschen mit Studentenmütze und Rock – der gegenwärtige Marquis von Fairoaks natürlich; die Witwe in ihrer Jugend en miniature, Frau Mee; sie hatte, als wir eintraten, einen Hausrock an oder ein Kleid nach vorjähriger Mode, die Fingerspitzen ihrer Handschuhe waren abgeschnitten, weil sie Hemdkragen ihres Sohnes damit steppt; und dann kam das Aufwartemädchen herein mit ihrem Tee, und so verließen wir den Grafen und die Gräfin bei ihren Butterbroten.« 18

Blanche, neben der er saß, als er diese Geschichte erzählte, und die geistreiche Leute anbetete, brach in ein lautes Gelächter aus und nannte ihn ein spaßhaftes drolliges Geschöpf. Aber Pynsent, der anfing, ihn durchaus nicht mehr leiden zu können, sagte ganz laut: »Ich weiß nicht, Herr Wagg, mit welcher Sorte von Damen Sie in Ihrer eigenen Familie zusammenzutreffen gewohnt sind, aber bei Gott, soweit eine erste Bekanntschaft es zeigen kann, bin ich nie in meinem Leben mit zwei wohlerzogeneren Frauen zusammengetroffen, und ich hoffe, Madame, Sie werden ihnen Ihren Besuch machen,« fügte er, zu Lady Rockminster gewendet, hinzu, die zur Rechten Sir Francis Claverings saß.

Sir Francis wendete sich zu dem Gast an seiner Linken und flüsterte: »Das war, was ich einen Treffer für Wagg nenne.« Und Lady Clavering gab dem jungen Gentleman einen entzückten Klapps mit ihrem Fächer, winkte ihm mit ihren schwarzen Augen zu und sagte: »Herr Pynsent, Sie sind ein guter Junge.«

Nach dem Auftritt mit Blanche konnte man eine, wenn auch kaum merkliche, Spannung, einen melancholischen vielleicht etwas bitteren Ton in Lauras Unterhaltung mit ihrem Cousin bemerken. Sie schien ihn zu wägen und ihn zu leicht zu finden; die Witwe sah, wie die klaren ehrlichen Augen des jungen Mädchens manchmal den jungen Mann beobachteten und wie ein fast verächtlicher Ausdruck über ihr Gesicht ging, wenn er im Zimmer mit den Frauen frühstückte oder träge draußen rauchend auf dem Rasenplatze umherschlenderte oder dort unter einem Baume in 19 einem Buche blätterte, das er zu lesen zu unaufmerksam war.

»Was ist denn zwischen euch vorgefallen?« fragte die scharfsichtige Helene das Mädchen. »Etwas ist vorgefallen. Hat die boshafte kleine Blanche Unheil angestiftet? Erzähle es mir, Laura.«

»Es ist überhaupt nichts vorgefallen,« sagte Laura.

»Warum siehst du dann Pen so sonderbar an?« fragte seine Mutter schnell.

»Sieh ihn selbst einmal an, liebe Mutter!« sagte das Mädchen. »Wir beiden Frauen sind keine Gesellschaft für ihn; wir interessieren ihn nicht; wir sind nicht geistreich genug für so ein Genie wie Pen. Er verzehrt sein Leben und seine Tatkraft unter uns, weil er an unsere Schürzenbänder gefesselt ist. Er ist gegen alles gleichgültig, er nimmt sich kaum die Mühe, einen Schritt über die Gartentür hinaus zu tun. Sogar Kapitän Glanders und Kapitän Strong langweilen ihn,« fügte sie mit einem bitteren Lachen hinzu, »und das sind doch Männer, die mehr sind wie wir. Er wird nie glücklich sein, solange er hier ist. Warum tritt er der Welt nicht entgegen und ergreift einen Beruf?«

»Wir haben mit großer Sparsamkeit jetzt genug zum Leben,« sagte die Witwe, deren Herz heftig zu schlagen begann. »Pen hat monatelang nichts vertan. Wahrhaftig, er ist sehr gut! Ich bin überzeugt, daß er sehr glücklich bei uns sein könnte.«

»Rege dich nicht so auf, teure Mutter,« antwortete das Mädchen. »Ich kann dich so nicht sehen, du solltest nicht traurig darüber sein, daß Pen sich hier 20 unglücklich fühlt. Alle Männer sind so. Sie müssen zu tun haben. Sie müssen sich Namen und Stellung in der Welt schaffen. Sieh, jene beiden Kapitäne haben gekämpft und Schlachten gesehen; der Herr Pynsent, der hierher kam und wohl sehr reich sein wird, bekleidet ein öffentliches Amt; er arbeitet sehr angestrengt, er trachtet nach Namen und Ruf. Er sagt, Pen sei einer der besten Redner in Oxbridge gewesen, und er hat ebensoviel Talent gehabt, wie irgend einer der jungen Herren dort. Pen selbst lacht über Herrn Waggs Berühmtheit (und er ist auch wirklich scheußlich) und sagt, er sei ein Dummkopf und jeder könnte solche Bücher schreiben wie er.«

»Sie sind wirklich scheußlich,« warf die Witwe ein.

»Und doch hat er Ruf. Du siehst, die Grafschaftszeitung berichtet, daß der berühmte Herr Wagg sich einige Tage in Baymouth aufgehalten hat, und daß sich unsere Modeherrn und unsere Exzentrischen vor seiner spitzen Feder in acht nehmen möchten. Wenn Pen besser schreiben als dieser Herr und besser sprechen kann als Herr Pynsent, warum tut er es dann nicht? Mama, er kann uns keine Reden halten oder sich sonst hier auszeichnen. Er muß fort, wirklich, das muß er.«

»Teure Laura,« sagte Helene, des Mädchens Hand ergreifend. »Ist es freundlich von dir, ihn so zu drängen? Ich habe gewartet. Ich habe all diese Monate Geld gespart, um – um dir deinen Vorschuß an uns zurückzuzahlen.«

»Still, Mutter!« rief Laura und umarmte 21 stürmisch ihre Freundin. »Es war dein Geld, nicht das meine. Sprich mir nie wieder davon. Wieviel Geld hast du denn erspart?«

Helene sagte, daß über zweihundert Pfund auf der Bank wären, und sie Ende des nächsten Jahres imstande sein würde, Lauras ganzes Geld zurückzuzahlen.

»Gib es ihm – laß ihn die zweihundert Pfund haben. Laß ihn nach London gehen und Advokat oder sonst irgend etwas werden und sich seiner Mutter würdig machen – und meiner, teuerste Mama,« sagte das gute Mädchen, worauf die liebevolle Witwe mit ihrer gewöhnlichen Zärtlichkeit und Rührung erklärte, daß Laura ein Geschenk Gottes und das allerbeste Mädchen wäre – und ich hoffe, niemand wird ihr in diesem Punkte widersprechen mögen.

Die Witwe und ihre Pflegetochter hatten mehr als eine Unterredung über diesen Gegenstand, die ältere gab dem überlegeneren Verstande des wackeren energischeren Mädchens nach, und in der Tat, wo diese gute Dame ihrerseits irgendein Opfer zu bringen hatte, war sie nur zu bereitwillig, es zu bringen. Aber sie ging ihren eigenen Weg und verlor das Ziel, das ihr vorschwebte, nicht aus den Augen, als sie Pen diese neuen Pläne mitteilte. Eines Tages erzählte sie ihm von diesen Projekten und wer es wäre, der sie sich ausgedacht hätte; wie es Laura wäre, die darauf bestände. Pen machte dazu eine Miene, die die zärtliche Dame etwas enttäuschte; aber sie wurde froher, als er sagte: »Beim Himmel! sie ist ein edles Mädchen, möge Gott der Allmächtige 22 sie segnen! O Mutter! Ich habe mich monatelang hier träge hingeschleppt und mich nach Arbeit gesehnt und nicht gewußt, wie ich es anfangen sollte. Ich habe mich verzehrt bei dem Gedanken an meine Schande, meine Schulden und meine letztvergangenen verfluchten Extravaganzen und Torheiten. Ich habe Höllenpein gelitten. Mein Herz ist halb gebrochen – aber sorge dich nicht darum. Wenn ich Gelegenheit bekommen kann, die Vergangenheit wieder gut zu machen und meine Pflicht gegen mich selbst und die beste Mutter der Welt zu erfüllen, so will ich dies wahrlich tun. Ich werde deiner noch würdig werden. Gott vergelte dir's! Gott vergelte es Laura! Warum ist sie nicht hier, daß ich ihr – damit ich zu ihr gehen und ihr danken kann?«

Pen fuhr weiter fort noch Unzusammenhängenderes zu reden, schritt im Zimmer auf und ab, trank Gläser voll Wasser hinunter, sprang an seiner Mutter mit tausend Umarmungen herum – fing an zu lachen – zu singen – war glücklicher, als sie ihn seit seiner Kindheit gesehen – seit er von jenem verhängnisvollen Baume des Lebens gekostet hatte, der von Anfang an alle Menschenkinder in Versuchung geführt hat.

Laura war nicht zu Hause. Laura war auf Besuch bei der hochgeborenen Lady Rockminster, der Tochter Mylord Bareacres, der Schwester der seligen Lady Pontypool und folglich eine entfernte Verwandte von Helene, wie Ihre Ladyschaft, die in der Genealogie tief bewandert waren, der bescheidenen Dame vom Lande zuerst auseinanderzusetzen so gnädig waren. 23 Herr Pen war sehr erfreut, daß die Verwandtschaft anerkannt wurde, obgleich es ihm vielleicht nicht allzu sehr gefiel, daß Lady Rockminster Fräulein Bell ein paar Tage mit sich hinüber nach Baymouth nahm und Herrn Arthur Pendennis auch nicht die leiseste Einladung machte. Es sollte ein Ball zu Baymouth stattfinden und Fräulein Laura zum ersten Male öffentlich erscheinen. Die Gräfin Witwe kam, um sie in ihrer Kutsche abzuholen und sie fuhr ab mit einem weißen Kleide im Koffer, glücklich und blühend, wie die Rose, mit der Pen sie verglichen hatte.

Das war die Nacht, wo der Ball – ein öffentliches Fest – im Baymouth-Hotel abgehalten wurde. »Donnerwetter!« sagte Pen, »ich werde hinüberreiten – nein, ich werde nicht reiten, aber ich will gehen.« Seine Mutter war entzückt, daß er das tun wollte, und während er noch über die Art, wie er nach Baymouth kommen sollte, hin und her sprach, machte Kapitän Strong zufällig seinen Besuch, sagte, daß er selbst zu gehen gedenke, und daß er sein Pferd, den »Fleischerjungen«, in das Wägelchen spannen und Pen hinüberfahren wollte.

Als die vornehme Gesellschaft das Haus in Clavering Park zu füllen anfing, drängte sich der Chevalier Strong selten in diese ein, sondern ging anderswo hin und suchte sich Vergnügen. »Ich habe zu meiner Zeit viele große Gelage gesehen,« sagte er, »und, bei Gott, in einer Gesellschaft gespeist, wo ein König und ein Herzog königlichen Geblüts am oberen und unteren Ende der Tafel saßen, und jeder in der Reihe der Gäste seine sechs Sterne auf dem Rocke trug; aber, ich 24 will verdammt sein, Glanders, diese Protzigkeit ist nicht mein Geschmack, und die englischen Damen mit ihren verfluchten zimperlichen Mienen und die Landjunker mit ihrer Politik nach dem Essen lassen mich einschlafen – hol' mich der Teufel, wenn das nicht wahr ist. Ich liebe einen Ort, wo ich nach Tisch meine Zigarre dampfen und, wenn ich durstig bin, mein Bier in seinem Zinnkrug haben kann, wie zu Hause.« So pflegte sich der Chevalier Strong an einem Galatage zu Clavering Park damit zu begnügen, daß er die Anordnung der Tafel besichtigte und den Haushofmeister und die Dienerschaft in Trab erhielt, und nachdem er das Menü mit Monsieur Mirobolant überblickt, pflegte er den geringsten Anteil an dem Bankett zu nehmen. »Schickt mir ein Kotelett und eine Flasche Claret auf mein Zimmer,« sagte dieser Philosoph, und von den Fenstern dieses Gemaches aus, das auf die Terrasse und die Allee hinausging, pflegte er sich dann die Gesellschaft, die in ihren Kutschen ankam, zu beschauen, oder tat durch ein sogenanntes Ochsenauge, das von seinem Korridor auf die Halle hinausging, einen Blick auf die Damen unten. Und wenn die Gäste Platz genommen hatten, pflegte Strong durch den Park nach Kapitän Glanders' Häuschen in Clavering hinüberzugehen, oder er stattete der Wirtin im Schilde zu Clavering einen Besuch ab oder machte einen Abstecher zu Madame Frisby, die über ihrem Roman und ihrer Teetasse saß. Wohin der Chevalier auch kam, überall war er willkommen, und wenn er auch weggehen mochte, stets schwebte hinter ihm ein Duft von heißem Rum und Wasser. 25

Der ›Fleischerjunge‹ – nicht das schlechteste Pferd in Sir Francis' Stalle – war zu Kapitän Strongs ausdrücklicher Verfügung gestellt, und der alte Krieger sattelte ihn und kam mit ihm heim zu jeder Stunde des Tages und der Nacht und fuhr oder ritt mit ihm hier- und dorthin im Lande. Wo eine Schenke mit einem guten Töpfchen Bier stand, wo ein Pächter war mit einer hübschen Tochter, die Piano spielte, – nach Chatteris, ins Schauspiel, in die Kaserne, nach Baymouth, wenn irgendein Ulk dort los war, nach den ländlichen Jahrmärkten und Wettrennen machten der Chevalier Strong und sein braunes Rößlein unaufhörlich Ausflüge, und dieser würdige Herr wurde überall in dieser gastfreundlich gesonnenen Gegend freigehalten. Der ›Fleischerjunge‹ brachte Pen und den Chevalier bald nach Baymouth. Der letztere war mit dem Hotel und dem Wirte dort so bekannt, wie mit jedem anderen Wirtshaus in der Runde, und nachdem man ihnen ein Schlafzimmer angewiesen, wo sie sich ankleiden konnten, traten sie in den Ballsaal. Der Chevalier war eine glänzende Erscheinung. Er trug drei kleine Kreuze an einer Schnalle auf der linken Brust seines blauen Rockes und sah wie ein fremder Feldmarschall aus.

Der Ball war öffentlich und allerhand Personen waren zugelassen und zum Besuche aufgefordert, weil nämlich der junge Pynsent Absichten auf die Wähler der Grafschaft hatte und Lady Rockminster den Ball veranstaltete. An einem Ende des Saales war eine Quadrille für die Aristokratie arrangiert, und für die Leute von Stande gab es besondere Bänke. In 26 dieses Ende des Saales einzudringen, daran lag dem Chevalier nichts (er sagte, er kümmerte sich nicht ums adlige Volk); aber im anderen Teile des Zimmers kannte er jedermann, die Weinhändlers-, Wirtshausbesitzers-, Handelsmann-, Winkeladvokaten- und Pächterstöchter, ihre Väter und Brüder, und konnte aus dem Händeschütteln gar nicht mehr herauskommen.

»Wer ist der Mann dort mit dem blauen Bande und dem dreispitzigen Sterne?« fragte Pen. Ein Gentleman in schwarzem Frack mit Locken und einem Spitzbarte stand da und schaute ihn stolzen Blickes an, die eine Hand im Armloche seiner Weste und mit der anderen seinen Klapphut haltend.

»Bei Jupiter, es ist Mirobolant!« rief Strong, in ein Gelächter ausbrechend. »Bon jour, chef! - Bon jour, chevalier!«

»De la croix de Juillet, chevalier!« entgegnete der Chef der Küche, indem er seine Hand an seine Dekoration legte.

»Donnerwetter, hier ist noch mehr Band!« sagte Pen lachend.

Ein Mann mit sehr schwarzem Haar und Backenbart, das augenscheinlich mit dem Purpur von Tyrus gefärbt war, mit blinzelnden Augen und weißen Augenwimpern und tausend Runzeln im Gesicht, das von wundersam roter Farbe war, mit zwei Unterwesten, großen Handschuhen und großen Händen, einer Unmasse von Diamanten und Juwelen an seiner Weste und in seiner Krawatte, mit plumpen Füßen, die in ungeheure blitzende Stiefel gesteckt waren, und einem Stücke 27 verschiedenfarbigen Bandes im Knopfloche, kam hier herbei und nickte dem Chevalier vertraulich zu.

Der Chevalier schüttelte ihm die Hand. »Mein Freund, Herr Pendennis,« sagte er. »Oberst Altamont, von der Leibgarde seiner Hoheit des Nabob von Lucknow.« Der Offizier verbeugte sich grüßend vor Pen, der sich jetzt eifrig umsah, ob die Person, die er zu sehen wünschte, schon ins Zimmer getreten wäre.

Noch nicht. Aber soeben begann die Musik »Sieh, der Held und Sieger kommt«, zu spielen, und ein Schwarm vornehmer Gäste – die Gräfin Witwe von Rockminster, Herr Pynsent und Fräulein Bell, Sir Francis Clavering, Baronet, von Clavering Park, Lady Clavering und Fräulein Amory, Sir Horace Fogey, Baronet, Lady Fogey, Oberst Higgs und Gemahlin und Herr Wagg (wie die Grafschaftszeitung sie später aufführte) traten in den Saal.

Pen eilte an Blanche vorbei auf Laura zu und ergriff ihre Hand, »Gott sei Dank!« sagte er, »ich mußte dich sprechen – ich muß dich sprechen – laß mich mit dir tanzen.«

»Die nächsten drei Tänze bin ich versagt, lieber Pen,« sagte sie lächelnd, und er zog sich zurück, biß sich vor Verdruß auf die Nägel und vergaß Pynsent zu grüßen.

Nach der Gesellschaft der Lady Rockminster folgte die der Lady Clavering in der Prozession.

Oberst Altamont schaute mit scharfem Auge zu, ein stark bisamduftendes Taschentuch vor sein Gesicht haltend, hinter dem er sich totlachen wollte. 28

»Wer ist das Mädel in Grün unter ihnen, Kapitän?« fragte er Strong.

»Das ist Fräulein Amory, Lady Claverings Tochter,« erwiderte der Chevalier.

Der Oberst konnte sich vor Lachen kaum noch halten.



 << zurück weiter >>