William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Achtzehntes Kapitel

Alsatia

Auferzogen, wie ein Scherge oder schäbiger Anwalt, in der Umgebung der Gerichtshöfe, ist Shepherds Inn stets in der allernächsten Nachbarschaft von Lincolns Inn Fields und dem Tempel anzutreffen. Irgendwo hinter den schwarzen Giebeln und schmutzigen Kaminrohren von Wych Street, Holywell Street, Chancery Lane liegt das Häuserviereck, verborgen vor der Außenwelt, und man nähert sich ihm durch wunderliche Durchgänge und weitläufige räuchrige Höfe, in die die Sonne zu scheinen vergessen hat. Verkäufer von Matrosenkleidern, Händler mit Bonbons und Zuckerwerk, Läden mit Theaterbildern für die liebe Jugend, Trödler mit schmutzigen Möbeln und Betten, die einen an alles andere als ans Schlafen denken lassen, bedecken die engen Wände und dunklen Gewölbe mit ihren Waren. Die Türen sind mit vielen Klingeln versehen, und Haufen schmutziger Kinder bilden endlose Gruppen um die Stufen zu den Häusern oder um die Bretter der Krabbenhändler in diesen Höfen, deren feuchtes Pflaster von dem Holzschuh-Geklapper derselben wiederhallt und mit nie fehlendem Schmutze bedeckt ist. Balladensänger kommen und krächzen hier in entsetzlichen Gurgeltönen Spottlieder auf die Whigherrschaft, gegen die Bischöfe und die ehrwürdige Geistlichkeit, gegen die deutschen Verwandten einer erhabenen königlichen Familie. Punch schlägt 345 hier sein Theater auf, sicher, eine Zuhörerschaft und gelegentlich einen halben Penny bei den herumschwärmenden Insassen der Häuser zu finden; Weiber kreischen ihre Kinder an, weil sie in den Rinnsteinen herumpatschen, oder, noch schlimmer, den eigenen Mann, der torkelnd aus einem Schnapsladen kommt; – es ist ein unablässiges Lärmen und Leben in diesen Höfen, aus denen man sich in das ruhige altväterische Häuserviereck von Shepherds Inn begibt. Auf einem verwahrlosten kleinen Grasplatze im Mittelpunkte erhebt sich die Statue Shepherds, die vor den Angriffen der Jungen durch Eisenstäbe geschützt wird. Die Halle des Gerichtshofes, auf welche das Wappen des Stifters gemalt ist, nimmt die eine Seite des Vierecks ein, die hohen und altertümlichen Wohnzimmer ziehen sich um die anderen zwei Seiten und über den mittleren Bogengang hin, der in Oldcastle Street und so in die große Durchfahrt Londons führt.

Der Gerichtshof mag dereinst von Sachwaltern bewohnt gewesen sein, aber längst schon sind die Nichtadvokaten in seinen Umkreis zugelassen worden, und ich wüßte nicht, daß eine der hauptsächlicheren Advokatenfirmen ihre Zimmer hier hätten. Die Bureaus der Polwheedle und Tredyddlum Kupferminen nehmen eine Reihe der Zimmer des unteren Stockwerkes ein; die Registratur der Patenterfindungen und der Vereinigung von Genie und Kapital eine zweite; – der einzige Gentleman, dessen Name hier und in der ›Law List‹ figuriert, ist Herr Campion, der einen Schnurrbart trägt und in seinem Cab zwei- oder dreimal wöchentlich hergefahren kommt, und dessen 346 Westend-Bureau sich in der Curson Street, in Mayfair, befindet, wo Frau Campion dem hohen und niederen Adel Gesellschaften gibt, denen ihr Gemahl Geld leiht. Dort und auf seinen glazierten Karten ist er Herr Sommerset Campion, hier ist er Campion & Co.; und der gleiche Haarbüschel, der sein Kinn ziert, sproßt von der Unterlippe der übrigen Teilhaber der Firma. Es ist ein glänzender Anblick, das Roß seines Cabs mit einem Geschirr in heraldischem Schmucke funkeln zu sehen, wenn das Gefährt vor der Tür hält, die zu seinen Gemächern führt. Das Pferd schleudert Schaum aus seinem Maul, wenn es an seinem leuchtenden Gebiß kaut und schüttelt. Die Zügel und die Kniehosen des Kutschers sind von einem strahlenden Weiß, – das Leuchten dieser Equipage macht Sonnenschein an diesem schattigen Orte.

Unser alter Freund, der Kapitän Costigan, hat Campions Cab und Pferd manchen Nachmittag gemustert, wenn er im Hofe in seinen gestickten Pantoffeln und seinem Schlafrock, seinen alten Hut über das eine Auge gedrückt, herumwandelte. Er sonnt sich, wenn der Tag geeignet ist, dort nach seinem Frühstücke und geht und stattet in der Hausmeisterwohnung einen Besuch ab, wo er den Kindern die Köpfe streichelt und Frau Bolton vom ›Theater und meiner Tochter, Lady Mirabel‹, vorschwatzt. Frau Bolton gehörte selbst einmal der Bühne an und tanzte in früheren Tagen als die dreizehnte von Herrn Serles vierzig Zöglingen bei Well.

Costigan wohnt in dem dritten Stock von Nr. 4, in den Zimmern, die früher Herr Podmore inne hatte, 347 dessen Name sich noch immer an der Tür befindet – (der Name von irgend jemand anderem befindet sich, beiläufig gesagt, an fast allen Türen von Shepherds Inn). Als Charley Podmore (der beliebte Tenorsänger am Kgl. Drurylanetheater und in den Konzerten des Küchenstübchens) heiratete und nach Lambeth zog, überließ er seine Zimmer an Herrn Bows und Kapitän Costigan, die sie jetzt gemeinschaftlich bewohnen, und man kann oft an schönen Tagen, wenn die Fenster offen sind, die Töne von Herrn Bows Piano hören, wenn er zum Vergnügen oder um einen Zögling vom Theater zu unterrichten spielt, deren er einen oder zwei hat. Eine von diesen Zöglingen ist Fanny Bolton, die Tochter der Hausmeisterfrau, die von dem theatralischen Ruhme ihrer Mutter reden gehört hat und sich sehnt, es ihr gleich zu tun. Sie hat eine gute Stimme, ein hübsches Gesicht und eine gute Gestalt für die Bühne, besorgt die Reinhaltung der Zimmer, macht die Betten und bereitet das Frühstück für die Herren Costigan und Bows, wofür letzterer sie in Musik und Gesang unterrichtet. Abgesehen von seiner unglückseligen Neigung zu geistigen Getränken (und in diesem Exzeß meint sie, daß alle vornehmen Leute sich gehen lassen), hält sie den Kapitän für den feinsten Gentleman der Welt und glaubt an alle Versionen seiner Geschichten; und ebenso ist sie Herrn Bows sehr gut und ihm sehr dankbar, und dieser menschenscheue wunderliche alte Herr fühlt ebenfalls eine väterliche Zärtlichkeit für sie, denn in Wahrheit ist sein Herz voller Güte, und er befindet sich nie wohl, wenn er nicht jemand liebt. 348

Costigan hat die Kutschen von distinguierten Personen, die ihn besuchen, vor seiner bescheidenen Tür in Shepherds Inn gesehen, und wenn ihn der Leser eines Morgens schwatzen hörte, (denn sein Abendgesang geht nach einer weit melancholischeren Melodie), so würde er sich einbilden, daß Sir Charles und Lady Mirabel die stete Gewohnheit hätten, ihn in seiner Wohnung zu besuchen und die gewähltesten adligen Herrschaften mit sich zu bringen, um dem ›alten Manne, dem wackern, alten auf Halbsold gesetzten Kapitän, dem armen alten Jack Costigan‹, wie Cos sich selbst nennt, Visite zu machen.

Die Wahrheit ist, daß Lady Mirabel ihres Gemahls Karte (die nun schon seit langen Monaten in dem kleinen Spiegel über dem Kaminsimse des Wohnzimmers auf Nr. 4 steckt) dagelassen hat und in Person gekommen ist, ihren Vater zu besuchen, aber allerdings nicht in der allerletzten Zeit. Als eine gutherzige Person, geneigt, es mit der Erfüllung ihrer Pflichten gegen ihren Vater ernst zu nehmen, hatte sie bei ihrer Heirat mit Sir Charles ihrem Vater, der auch gelegentlich zur Tafel seiner Tochter und seines Schwiegersohnes Zutritt hatte, eine kleine Pension ausgesetzt. Zuerst war das Benehmen des armen Cos ›auf dem Gipfel gebildeter Gesellschaft‹, wie er Lady Mirables Tafel im Gesellschaftszimmer nannte, harmlos, wenn nicht sogar abgeschmackt. Wie er seine Person in seinen besten Anzug kleidete, so wählte er auch die längsten und volltönendsten Worte aus seinem Wortschatze, um seine Unterhaltung damit zu putzen, und nahm eine solche Feierlichkeit des Benehmens an, daß dasselbe alle Leute in 349 Verwunderung versetzte, mit denen er gerade zusammen kam. – »Waren Ihro Gnaden heut im Park?« pflegte er seine Tochter zu fragen. »Ich schaute mich vergeblich nach Ihro Gnaden Equipage um – der arme alte Mann hatte nicht das Glück, seiner Tochter Wagen zu erblicken. Sir Chorlus, ich sah Ihren Namen beim Lever; o, bei wie vielen Levers im Schlosse zu Dublin ist der arme alte Jack Costigan seinerzeit gewesen. Sah der Herr Herzog hübsch wohl aus? Weiß Gott, ich werde meinen Besuch in Apsley House machen und meine Kart' dort lassen. Ich dank Ihnen, James, noch ein Tröpfchen Champagner.« Kurz, er war prachtvoll in seiner Höflichkeit gegen alle und richtete seine Bemerkungen nicht bloß an den Herrn und die Herrin vom Hause und die Gäste, sondern auch an die Domestiken, die an der Tafel aufwarteten und einige Schwierigkeit hatten, die Würde ihres Amts zu bewahren, wenn sie Kapitän Costigan zu bedienen hatten.

Bei den ersten zwei oder drei Besuchen bei seinem Schwiegersohne hielt sich Kapitän Costigan streng nüchtern, zufrieden, seine verlorene Zeit einzuholen, wenn er ins Küchenstübchen kam, wo er von seines Schwiegersohnes Claret und Burgunder bramabarsierte, bis ihm über seinem sechsten Humpen Whiskypunsch die Sprache versagte. Aber als er sich mehr an das Haus gewöhnte, verschwand auch seine Vorsicht, und der arme Cos blamierte sich in kläglicher Weise an Sir Mirabels Tafel durch frühzeitig eintretende Betrunkenheit. Man rief nach einem Wagen für ihn, und die gastliche Tür wurde hinter ihm geschlossen. Oft sprach er trübsinnig zu seinen Freunden in der Küche von 350 seiner Aehnlichkeit mit dem König Lear im Schauspiele – wie er ein undankbares Kind habe, weiß Gott – wie er ein armer abgenutzter einsamer alter Mann wäre, zum Trinken getrieben durch Undankbarkeit, und seinen Jammer im Punsch zu ertränken suchte.

Es ist ein peinliches Geschäft, verpflichtet zu sein, die Schwächen von Vätern zu schildern, aber wir müssen auch außerdem noch von Costigan erzählen, daß er, wenn sein Kredit erschöpft und sein Geld verschwunden war, nicht selten bei seiner Tochter um Geld zu betteln und ihr Angaben über seine Verhältnisse zu machen pflegte, die ganz und gar nicht mit der eigentlichen Wahrheit übereinstimmten. Den einen Tag war, wie er schrieb, der Gerichtsscherge schon im Begriffe gewesen, ihn ins Gefängnis zu führen, wenn nicht die – für dich nichtssagende – Summe von drei Pfund fünf Schilling entsendet werden kann, um eines alten armen Mannes graue Haare vor dem Kerker zu bewahren«. Und die gutmütige Lady Mirabel schickte das für ihres Vaters Befreiung notwendige Geld, begleitet von einer Mahnung, in Zukunft sparsamer zu sein. Bei einer zweiten Gelegenheit betraf den Kapitän ein entsetzliches Unglück: er zerbrach ein Fenster mit großen Spiegelscheiben am Strande, wofür der Besitzer des Ladens ihn zur Zahlung aufforderte. Das Geld kam auch diesmal, um das Mißgeschick ihres Papas wieder gut zu machen, und wurde durch den Bedienten von Lady Mirabel dem mit niedergetretenen Schuhen einherschlürfenden Boten und Adjutanten des Kapitäns heruntergebracht, der den Brief mit der Nachricht seines Mißgeschicks abgegeben hatte. Wenn 351 der Diener dem Adjutanten des Kapitäns, der die Antwort brachte, gefolgt wäre, so würde er gesehen haben, wie dieser Gentleman, der ebenfalls ein Landsmann Costigans war (denn haben wir nicht schon gesagt, daß ein irischer Gentleman, wie arm er auch sein mag, doch stets einen noch ärmeren irischen Gentleman hat, der ihm seine Botengänge geht und seine pekuniären Geschäfte besorgt?) einen Fiaker vom nächsten Stande rief und nach Roscius' Head, Harlequin Yard, Drury Lane, herunterrasselte, wo der Kapitän wirklich wegen verschiedener Gläser in Anspruch genommen war, welche aber Grog und andere spirituöse Erfrischungen enthalten hatten, die er und sein Stab vertilgt hatten. Bei einer dritten traurigen Gelegenheit schrieb er, daß er von Krankheit befallen worden wäre und Geld brauchte, um den Arzt zu bezahlen, den er hätte rufen müssen; und diesmal verlangte Lady Mirabel, ängstlich wegen ihres Vaters Gesundheit und sich vielleicht Vorwürfe machend, daß sie ihn in letzter Zeit aus dem Gesichte verloren, nach ihrer Kutsche und fuhr nach Shepherds Inn, an dessen Tor sie abstieg und von dort den Weg nach ihres Vaters Wohnung fand. ›Nr. 4, drei Treppen hoch, der Name Podmore über der Türe‹, sagte die Hausmeisterfrau, indem sie mit vielen Knixen nach der Tür des Hauses wies, in welches die zärtliche Tochter eintrat und die schmutzige Treppe hinaufstieg. Aber o weh! Die Tür, über der sich Podmores Name befand, wurde ihr von dem armen Cos selbst in Hemdsärmeln geöffnet, der den Schmortiegel trug, welcher die Hammelkoteletten in Empfang nehmen sollte, die Frau Bolton kaufen gegangen war. 352

Ebenso war es für Sir Charles Mirabel nicht sehr ergötzlich, fortwährend Briefe an sich in Brookes' Club gerichtet zu sehen, in denen er benachrichtigt wurde, daß Kapitän Costigan in der Halle auf eine Antwort wartete; oder, wenn er ausfuhr, um sein Robberchen im Klub der Travellors zu machen, gezwungen zu sein, aus seinem Wagen zu huschen und eilig die Treppe hinaufzurennen, damit ihn sein Schwiegervater nicht erwischte, und denken zu müssen, daß, während er seine Zeitung las oder seinen Whist spielte, der Kapitän auf der gegenüberliegenden Seite von Pall Mall, mit jenem entsetzlichen schiefgesetzten Hute wandelte und das Auge unter demselben standhaft auf die Fenster des Klubs gerichtet hielt. Sir Charles war ein schwacher Mann; er war alt und hatte manche Schwächen; er klagte seiner Frau, die er mit greisenhafter Affenliebe anbetete, seine Not mit seinem Schwiegervater; er sagte, daß er ins Ausland gehen müßte – er müßte gehen und auf dem Lande leben – er würde sterben oder einen zweiten Schlaganfall haben, wenn er diesen Mann noch einmal sähe – sicherlich, das wußte er. Und nur durch einen zweiten Besuch bei Kapitän Costigan und indem sie ihm vorstellte, daß sein Jahrgeld ganz zurückgezogen werden würde, wenn er Sir Charles weiter mit Briefen belästigte oder ihn auf der Straße anredete oder irgendwelche anderen Mittel anwendete, um zu einem Darlehen zu gelangen, gelang es Lady Mirabel, ihren Papa im Zaume zu halten und ihrem Gemahle Ruhe vor ihm zu verschaffen. Und bei Gelegenheit dieses Besuches tadelte sie Bows streng, daß er kein wachsameres Auge auf den Kapitän hätte, 353 und sprach den Wunsch aus, daß es ihm nicht erlaubt sein möchte, in dieser schändlichen Weise zu trinken, und daß den Leuten in den gräulichen Schenken, die er besuchte, gesagt werden möchte, ihm auf keinen Fall Kredit zu geben. »Papas Aufführung bringt mich noch ins Grab,« sagte sie (obwohl sie vollkommen wohl aussah), »und Sie, Herr Bows, als alter Mann und als jemand, der uns wohlzuwollen vorgibt, sollten sich schämen, daß Sie ihn dabei unterstützen.« Das war der Dank, den der ehrliche Bows für seine Freundschaft und lebenslängliche Anhänglichkeit bekam. Und ich glaube nicht, daß der alte Philosoph viel schlimmer daran war oder mehr Ursache zu murren hatte, als andere Leute.

Im zweiten Stock des dem von Bows bewohnten am nächsten liegenden Hauses in Shepherds Inn, in Nr. 3, wohnen zwei andere Bekannte von uns. Oberst Altamont und der Kapitän und Chevalier Edward Strong. An ihrer Tür befindet sich überhaupt kein Name. Der Kapitän mag nicht alle Welt wissen lassen, wo er wohnt, und seine Karten tragen die Adresse eines Hotels in der Jermyn Street; und was den Bevollmächtigten des indischen Potentaten betrifft, so ist er kein bei den Höfen von St. James oder Leadenhall Street beglaubigter Abgesandter, sondern er ist hier in einer vertraulichen Sendung, völlig nnabhängig von der Ostindischen Compagnie oder dem Kontrollrate. »Kurz,« wie Strong sich ausdrückt, »da Oberst Altamonts Geschäft kein finanzielles ist, und er den Verkauf mehrerer der hauptsächlichsten Rubine der Krone von Lucknow zu bewirken hat, so wünscht er nicht, sich 354 in India House oder in Cannon Row vorzustellen, sondern vielmehr mit Privatkapitalisten zu verhandeln, – mit denen er schon wichtige Geschäfte sowohl in diesem Reiche als auch auf dem Festlande gehabt hat.«

Wir haben gesagt, daß diese namenlosen Stuben Strongs seit der Ankunft von Sir Francis Clavering in London sehr bequem ausmöbliert worden waren, und der Chevalier vor den Freunden, die ihn besuchten, sich mit Recht rühmen konnte, daß wenig abgedankte Kapitäne netter einquartiert wären, als er in seinen vier Pfählen in Shepherds Inn. Unten waren drei Zimmer: das Bureau, wo Strong seine Geschäfte – mochten sie sein, welcher Art sie wollten – besorgte, und wo noch jetzt die Pulte und Gitter der weggezogenen Beamten verblieben waren, die vor ihm dort gewohnt hatten, und des Chevaliers Schlaf- und Wohnzimmer; eine geheime Treppe führte aus dem Bureau zu den beiden oberen Gemächern, von denen das eine von Oberst Altamont bewohnt wurde, und das andere als Küche des Hauses und Schlafzimmer für Herrn Grady, den Aufwärter, diente. Diese Räumlichkeiten waren in einer Höhe mit den Gemächern unserer Freunde Bows und Costigan in der nächsten Tür Nr. 4, und wenn Grady über das verbindende Bleirohr der Regenrinne reichte, konnte er in den Nelkenkasten greifen, dessen Inhalt vor Bows Fenster blühte.

Von Gradys Küchengewölbe stiegen oft noch duftigere Gerüche auf. Die drei alten Soldaten, welche die Besatzung von Nr. 3 bildeten, waren alle in der kulinarischen Kunst erfahren. Grady war stark im Irish Stew, der Oberst war berühmt für Pillaus und 355 Curries, und was Strong betraf, so konnte er alles kochen. Er machte französische und spanische Gerichte, Stews, Frikassees und Omeletten in höchster Vollendung; es gab auch keinen gastfreundschaftlicheren Mann in ganz England als ihn, wenn seine Börse voll oder sein Kredit gut war. In diesen glücklichen Perioden konnte er einem Freunde, wie er sagte, ein gutes Essen, ein gutes Glas Wein und einen guten Gesang hinterdrein geben, und der arme Cos hörte oft mit Neid das Brüllen von Strongs Chorus und das musikalische Klingen der Gläser, wenn er in seinem eigenen Zimmer saß, so fern diesen Festlichkeiten und doch ihnen so nahe. Es war nicht ratsam, Herrn Costigan immer einzuladen; seine stete Art, sich zu betrinken, war beklagenswert, und er langweilte die Gäste Strongs, wenn er nüchtern war, mit seinen Lügen und, wenn er betrunken war, mit seinen Rührungstränen.

Es war eine wundersame und buntscheckige Gesellschaft, diese Freunde des Chevaliers, und obschon sich Major Pendennis an ihrer Gesellschaft nicht sehr erbaut haben würde, so liebten sie Arthur und Warrington doch nicht wenig. An jeden dieser Gesellschaft knüpfte sich eine Geschichte; sie schienen allesamt ihre Ebbe und Flut von Glück und Mißgeschick gehabt zu haben. Die meisten von ihnen hatten wundervolle Pläne und Spekulationen in den Taschen und Ratschläge die Fülle, wie man sich schnell ein außerordentliches Vermögen erwerben könne. Jack Holt war in der Armee der Königin Christine gewesen, als Ned Strong auf der anderen Seite gefochten hatte; jetzt organisierte er ein Plänchen, um Tabak in London einzuschmuggeln, was 356 jedem dreißigtausend Pfund jährlich einbringen mußte, der fünfzehnhundert vorschießen wollte, um den letzten Steuerbeamten zu bestechen, der Achtung gäbe und Wind von dem Plane bekommen hätte. Tom Diver, der bei der mexikanischen Flotte gedient hatte, wußte von einem Geldschiffe, das im ersten Jahr des Krieges mit dreihundertachtzigtausend Dollars und hundertachtzigtausend Pfund in Barren und Dublonen an Bord versenkt worden war. »Gebt mir achtzehnhundert Pfund,« sagte Tom, »und ich bin morgen fort. Ich nehme vier Mann und eine Taucherglocke mit mir und kehre in zehn Monaten wieder, um meinen Sitz im Parlament zu nehmen und mein Familiengut zurückzukaufen, beim Zeus!«

Keightley, der Direktor der Polwheedle und Tredyddlum Kupferminen (die bis jetzt noch unter Wasser waren) hatte, außer der Eigenschaft, daß er so gut wie ein Sänger von Profession beim Singen zu sekundieren verstand, und außer der Tredyddlumexpedition eine Gesellschaft zum Handel mit Smyrnaer Schwämmen und eine kleine Quecksilberoperation im Auge, die ihn mit der Welt ins Reine bringen werde. Filby war alles mögliche gewesen: Dragonerkorporal, Feldprediger, Missionar zur Bekehrung der Irländer, Schauspieler in einer Bude auf dem Greenwicher Jahrmarkt, vor der ihn seines Vaters Sachwalter fand, als der alte Gentleman starb und ihm jenes berühmte Besitztum hinterließ, von dem er jetzt keine Pacht bezog und von dem eigentlich niemand genau wußte, wo es lag. Zu diesen gehörte auch Sir Francis Clavering, Baronet, der ihre Gesellschaft gern hatte, obwohl er durch seine 357 gesellschaftlichen Talente nicht eben viel zu ihrem Vergnügen beitrug. Aber er galt jetzt viel in der Gesellschaft wegen seines Reichtums und seiner Stellung in der Welt. Er erzählte seine Histörchen und sang seine paar Liederchen mit großer Leutseligkeit; er hatte ja auch seine eigenen Erlebnisse gehabt, ehe er in gute Verhältnisse kam, und hatte das Innere von mehr als einem Gefängnis gesehen und seinen Namen auf manchen Bogen gestempeltes Papier geschrieben.

Als Altamont zuerst von Paris zurückkam, und nachdem er sich mit Sir Francis Clavering von dem Hotel aus in Verbindung gesetzt hatte, wo er sein Quartier genommen (und was er in Anbetracht des Diamanten- und Rubinenschatzes, mit dem dieser brave Mann betraut war, in einem recht entblößten Zustande erreichte), wurde Strong von seinem Gönner, dem Baronet, zu ihm geschickt, zahlte seine kleine Rechnung im Gasthofe und lud ihn ein, zu ihm zu kommen und eine oder ein paar Nächte in der Wohnung zu schlafen, wo er in der Folge seine Residenz aufschlug. Mit diesem Manne Geschäfte zu machen, war eine recht hübsche Sache, aber eine derartige Persönlichkeit in seinem eigenen Zimmer sich niederlassen zu sehen und fortwährend mit solcher Gesellschaft belästigt zu sein, war nicht sehr nach des Chevaliers Geschmack, und er murrte gegen seinen Prinzipal nicht wenig.

»Ich wollte, Sie steckten diesen Bur in den Käfig von jemand anderem,« sagte er zu Clavering. »Der Kerl ist kein anständiger Mann. Ich mag nicht mit ihm spazieren gehen. Er zieht sich an wie ein Neger am Sonntag. Ich nahm ihn neulich abends mit ins Theater, und, 358 beim Zeus, er schimpfte den Schauspieler, der die Rolle eines Schurken in dem Stücke spielte, aus und verfluchte ihn so gräßlich, daß die Leute in den Logen ihn hinauswerfen wollten. Das zweite Stück war der ›Brigant‹, wo, wie Sie wissen, Wallack verwundet hereinkommt und stirbt. Als er starb, fing Altamont zu flennen an wie ein Kind und sagte, es wäre 'ne verdammte Schande und schrie und fluchte so, daß wieder Spektakel entstand und alle Leute lachten. Dann mußte ich ihn wegführen, weil er wegen eines Mannes, der über ihn lachte, seinen Rock ausziehen und mit ihm boxen wollte und ihm zubrüllte, ihm wie ein Mann zu stehen. – Wer ist er? Wo zum Teufel kommt er her? Sie täten am besten, mir die ganze Geschichte zu erzählen, Frank; Sie müssen es einmal tun. Sie und er haben zusammen schlechte Streiche gemacht, das glaube ich. Es ist besser, sich den Stein sogleich vom Herzen zu laden, Clavering, und mir zu sagen, wer dieser Altamont ist und was für Gewalt er über Sie hat.«

»Hol' ihn der Henker! Ich wünschte, er wäre tot!« war des Baronets einzige Antwort, und sein Gesicht wurde so düster, daß Strong es nicht für geeignet hielt, seinen Gönner diesmal noch weiter zu befragen; aber er beschloß, wenn es nötig wäre, auf eigene Faust zu versuchen, herauszubekommen, was das geheimnisvolle Band zwischen Altamont und Clavering wäre. 359



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