William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Fünftes Kapitel

Die Tempelritter

Kollegiate, Schulen und Gerichtshöfe haben immer noch einigen Respekt vor den Altertum und bewahren eine große Zahl der Gebräuche und Einrichtungen unserer Vorfahren, welche diejenigen, die sich nicht besonders um ihre Vorväter kümmern oder vielleicht nicht besonders mit ihnen bekannt sind, längst schon abgelegt haben. Ein wohleingerichtetes Arbeitshaus ist viel besser mit den Anforderungen der Gesundheit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit versehen, als eine achtbare Stiftsschule, ein ehrwürdiges Kollegiat oder ein gelehrtes Rechtskollegium. An dem letzteren Orte müssen die Leute damit zufrieden sein, in verräucherten Ställen zu schlafen und für das Wohnzimmer und die Speisekammer, in der sie schlafen, den Preis einer guten Villa mit Garten in den Vorstädten oder eines geräumigen Hauses in den minderwertigeren Teilen der Stadt zu zahlen. Der ärmste Handwerker in Spitalfields hat einen Wasserbehälter und Wasser soviel ihm beliebt zu seiner Verfügung; aber die Herren in den Rechtskollegien und die Herren von der Universität müssen sich ihren 93 Bedarf an diesem Verschönerungsmittel in Krügen von Wäscherinnen und Aufwärterinnen holen lassen und leben in Wohnungen, die erbaut wurden, lange bevor die Sitten der Reinlichkeit und des Anstands unter uns Platz griffen. Es gibt noch heutzutage Individuen, die höhnisch über diese Leute lachen und von ihnen mit spöttischen Beinamen sprechen. Meine Herren, es können nur geringe Zweifel darüber sein, daß unsere Vorfahren die großen Ungewaschenen waren, und in bezug auf den Tempel vorzüglich ist's so ziemlich ausgemacht, daß dort nur unter den größten Schwierigkeiten und Beschränkungen diejenige Tugend, die man die nächste nach der Frömmigkeit genannt hat, überhaupt ausgeübt worden sein kann. Der alte Grump vom Norfolker Gerichtsbezirke, der seit mehr als dreißig Jahren die Wohnung unter derjenigen inne gehabt, in der Warrington und Pendennis lebten, und welcher gewöhnlich von dem Klatsche der Douche aufgeweckt wurde, die diese Herren in ihren Gemächern hergerichtet hatten, – von deren Inhalt gelegentlich ein Teil durch die Decke in Herrn Grumps Stube tröpfelte – erklärte, daß dieser Gebrauch eine abgeschmackte, neu ausgeheckte, stutzerhafte Narrheit wäre, und verfluchte täglich die Wäscherin, daß sie die Treppe, die er zu passieren habe, mit ihren Wassertrögen voll Pfützen mache. Grump, der jetzt viel älter als ein halbes Jahrhundert war, hatte sich allerdings dieses fraglichen Luxus nie bedient. Er war ohne Wasser sehr gut ausgekommen, und unsere Väter vor ihm machten's ebenso. War denn unter all diesen Rittern und Baronets, Lords und Gentlemen, die Wappen trugen, und deren Wappenschilde auf die Wände der 94 berühmten Halle des Obern Tempels gemalt sind, niemand menschenfreundlich und gutherzig genug, eine Reihe von Badestuben einzurichten zum Nutzen der Advokaten, die zu ihrer Zeit lebten und ihnen nachfolgten? Der Geschichtsschreiber des Tempels tut keines solchen Planes Erwähnung. Es gibt einen Brunnenhof und einen Quellenhof mit hydraulischem Apparate, aber nie hörte man von einem Richter, der sich in der Quelle belustigt hätte, und doch drängt sich einem der Gedanke auf, wie manchem im Recht vergangener Tage bewanderten Rechtsgelehrten der Brunnen von hohem Nutzen hätte sein können.

Trotzdem haben seine altehrwürdigen Rechtskollegien, die das Lamm mit der Fahne und das geflügelte Roß als Zeichen haben, für die, welche dort wohnen, ihr Anziehendes und eine gewisse rauhe Bequemlichkeit und Freiheit, deren sich die Leute allezeit mit Vergnügen erinnern. Ich weiß nicht, ob sich ein Student der Rechte zur Erholung einmal erlaubt, begeistert zu sein, und sich, wenn er an historischen Zimmern vorübergeht, poetischen Erinnerungen hingibt und sagt: »Dort wohnte Eldon – hier drüben dachte Coke über seinen Lyttleton nach – da arbeitete Chitty – hier vereinigten sich Barnwell und Alderson zu ihren berühmten Arbeiten – hier schuf Byles sein großes Werk über das Wechselrecht – hier stellte Smith seine unsterblichen Beispiele von Rechtsfällen zusammen – hier arbeitet Gustavus noch jetzt und Solomon mit ihm, aber der Schriftsteller fühlt sich gedrungen, den Ort zu lieben, welcher von so vielen seiner Brüder bewohnt oder mit ihren Schöpfungen 95 bevölkert worden ist, die uns heutzutage noch so lebendig sind, wie die Autoren, deren Kinder sie waren – und Sir Royer de Coverley, wie er im Tempelgarten spazieren geht und sich mit Herrn Spectator über die Schönheiten in Reifröcken und mit Schönpflästerchen unterhält, die über den Grasplatz hinschlendern, ist mir eine grade so lebendige Gestalt, als der alte Samuel Johnson, wie er, den schottischen Gentleman auf den Fersen, durch die Nebel nach Dr. Goldsmiths Wohnung in Brick Court eilt, oder Harry Fielding, wie er mit tintebefleckten Manschetten und ein nasses Handtuch um den Kopf gewunden, um Mitternacht Artikel für das Covent Gardenjournal aufs Papier wirft, während der Druckerjunge im Gange eingeschlafen ist.

Wenn wir nur die Geschichte eines einzigen Tages kannten, wie er in einem dieser vierstöckigen Häuser, in dem verräucherten Hause, wo unsere Freunde Pen und Warrington wohnten, verfloß, so würde uns schon irgendein Asmodeus des Tempels mit einem wunderlichen Buche versehen. Da im Erdgeschoß kann ein großer Parlamentsadvokat sein, der um die Essenszeit nach Belgravis fährt, wo sein Schreiber ebenfalls zum Gentleman wird und fortgeht, um seine Freunde zu bewirten und sich zu amüsieren. Noch ist keine lange Zeit vergangen, wo er hungrig und unbeschäftigt in irgendeinem Dachstübchen des Rechtskollegiums saß, davon lebte, daß er insgeheim schriftstellerte, hoffte, wartete und sich verzehrte, und keine Klienten kamen, seine eigenen Mittel und die Güte seiner Freunde erschöpfte, sich demütig mit Manichäern herumzustreiten und die Geduld armer Gläubiger anzuflehen hatte. Der Untergang schien ihm 96 ins Gesicht zu starren, als sich, siehe da, so plötzlich das Rad des Glücks drehte und den glücklichen Unglücklichen in Besitz eines jener großen Gewinne setzte, die dann und wann in der großen Lotterie der Schranken gezogen werden. Mancher bessere Advokat als er verdient nicht den fünften Teil des Einkommens seines Schreibers, der, ein paar Monate vorher, kaum die Wichse zu seines Herrn unbezahlten Stiefeln geborgt bekommen konnte. Im ersten Stocke wird man vielleicht einen verehrungswürdigen Mann haben, dessen Name berühmt ist, und der ein halbes Jahrhundert im Kollegium gelebt hat, dessen Gehirn voll Bücherweisheit gestopft, und dessen Bücherbretter mit klassischer und juristischer Weisheit vollgepfropft sind. Er hat diese ganzen fünfzig Jahre allein gelebt, allein und für sich selbst, sein Wissen aufstapelnd und ein Vermögen zusammenscharrend. Er kommt jetzt nachts allein vom Klub, wo er gut diniert hat, nach Hause in seine einsame Wohnung, wo er als ein gottloser alter Klausner haust. Wenn er stirbt, so wird sein Kollegium eine Ehrentafel für ihn aufrichten und sein Erbe einen Teil seiner Bibliothek ins Feuer werfen. Möchtest du, lieber Leser, wohl gern eine solche Aussicht für deine alten Tage haben, Gelehrsamkeit und Geld ansammeln und so enden? Aber wir dürfen uns nicht zu lange an Herrn Doomsdays Tür aufhatten. Der würdige Herr Grump wohnt über ihm, der auch ein alter Insasse des Kollegiums ist und der, wenn Doomsday hinkommt, um Catull zu lesen, sich mit drei regelmäßig kommenden alten Herren seines Standes nach einem Mittagessen, wo sie ihre drei regelmäßigen Flaschen Portwein vertilgten, zu einem regelmäßigen 97 Rubber Whist niedersetzt. Man kann die alten Knaben des Sonntags in der Kirche schlafen sehen. Selten belästigt sie ein Anwalt, und sie haben ein kleines eigenes Vermögen. Auf der anderen Seite des dritten Stockes, wo Pen und Warrington wohnen, sitzt lange nach Mitternacht noch Herr Paley, der die beste Zensur bekam und Fellow seines Kollegiats ist. Bis zwei Uhr morgens liest und schreibt er Prozeßfälle nieder; er pflegt um sieben Uhr aufzustehen und, sowie die Advokatenzimmer nur geöffnet sind, hineinzugehen, wo er bis eine Stunde vor dem Mittagessen arbeitet; er kommt dann aus der Halle nach Hause und liest und schreibt wieder Prozeßfälle nieder bis zur Morgendämmerung des nächsten Tages, wo vielleicht Herr Arthur Pendennis und sein Freund, Herr Warrington, von einem ihrer tollen Ausflüge heimkommen. Wie verschieden Herr Paley beschäftigt gewesen ist! Er hat sich nicht etwa weggeworfen, er hat nur einen hochbegabten Geist mit allem Fleiße herabgedrückt und gezwungen, sich mit einem niederen Gegenstande zu beschäftigen, und in seinem gierigen Griffe nach diesem letzteren ohne langes Besinnen aus seinem Gemüte alle höheren Gedanken, alle besseren Dinge, alle Weisheit der Philosophen und Geschichtsschreiber, alle Gedanken der Dichter, allen Witz, alle Phantasie, Reflexion, Kunst, Liebe, Wahrheit, kurz alles miteinander ausgeschlossen, damit er jenes Riesenbuch des Gesetzes und Rechts bemeistern könnte, mit dem er seinen Unterhalt zu gewinnen sich vorgesetzt hat. Warrington und Paley waren in früheren Tagen Nebenbuhler bei der Bewerbung um akademische Ehren gewesen, und jeder von den beiden war scharf vorwärts gelaufen; jetzt sagte 98 Jedermann, daß der erstere seine Zeit und seine geistige Spannkraft verschwende, während alle Welt Paley seines Fleißes wegen pries. Indes läßt sich daran zweifeln, wer von den beiden seine Zeit am besten anwandte. Der eine konnte Zeit zum Nachdenken aufbringen, der andere konnte dies nie. Der eine konnte mit anderen mitfühlen und ihnen Freundlichkeiten erweisen, und der andere mußte notwendigerweise allezeit selbstsüchtig sein. Er konnte keine Freundschaft pflegen, oder ein Werk der Barmherzigkeit tun, oder eine Schöpfung des Genies bewundern, oder sich am Anblicke der Schönheit oder dem Klange einer süßen Stimme begeistern – er hatte keine Zeit und keine Augen für etwas anderes auf der Welt, als für seine juristischen Bücher. Ueber seine Studierlampe hinaus war ihm alles dunkel. Liebe und Natur und Kunst (die der Ausdruck unseres Preises und Empfindens der schönen Welt Gottes sind) waren vor ihm verschlossen. Und wenn er des Nachts seine einsame Lampe niederschraubte, so dachte er nie an etwas anderes, als daß er den Tag nutzreich verbracht hatte, und ging ohne Dank gegen Gott und ebenso auch ohne Gewissensbisse schlafen. Aber er schauderte zusammen, wenn er seinen alten Mitschüler Warrington auf der Treppe traf, und er bekreuzte sich vor ihm, wie vor einem, der zum Verderben verdammt ist.

Es mag der Anblick des leichenhaft blassen Ehrgeizes und der selbstgefälligen Niedrigkeit auf Paleys gelbem Gesichte und in seinen kleinen blinzelnden Augen, oder auch ein natürliches Wohlgefallen an Vergnügen und lustiger Gesellschaft gewesen sein, von der zugestanden werden muß, daß Herr Pen sie über die 99 Maßen liebte, was diesen unglücklichen Jüngling abschreckte, seine Absichten auf einen Platz auf der Richterbank oder dem Wollsacke mit dem Eifer oder vielmehr der Beharrlichkeit zu verfolgen, die von den Herren verlangt wird, die zu diesen Ehrensitzen emporsteigen wollen. Er machte sich das Leben im Tempel recht angenehm und lustig; seine würdigen Verwandten dachten, er studiere, wie es einem richtigen Studenten zukomme, und sein Onkel schrieb gratulierende Briefe nach Hause an die gute Witwe zu Fairoaks, in denen er sie benachrichtigte, daß der Junge sich die Hörner abgelaufen hätte und ganz ordentlich geworden wäre. Die Wahrheit aber ist, daß das Leben, in das er jetzt hineingeraten war, für Pen eine neue Art Reiz hatte, und daß ihm, nachdem er mehrere stutzerhafte Ansprüche ans Leben und die hochvornehmen Airs, die er sich unter seinen hochgeborenen, ihm jetzt nur selten zu Gesicht kommenden Universitätsbekanntschaften angewöhnt, aufgegeben hatte, daß also die rauhen Vergnügungen und Ergötzlichkeiten eines Londoner Junggesellenlebens etwas sehr Neues und Angenehmes für ihn waren, und er sie alle genoß. Es gab eine Zeit, wo er die Dandys um ihre schönen Pferde in Rotten Row beneidete, jetzt aber war er zufrieden, im Parke spazieren zu gehen und ihnen zuzusehen. Er war zu jung, um in der Londoner Gesellschaft ohne einen besseren Namen und ein größeres Vermögen, als er besaß, Erfolge zu erringen, und zu träge, um ohne diesen Beistand Fortschritte zu machen. Der alte Pendennis dachte zärtlich, er sei in das Studium der Gesetze versenkt, weil er die ihm gebotenen gesellschaftlichen Vorteile vernachlässigte und sich, 100 nachdem er an einem halben Dutzend von Bällen und Abendgesellschaften teilgenommen, wegen ihrer Langweiligkeit und Eintönigkeit zurückzog; und wenn jemand sich bei dem würdigen Major nach seinem Neffen erkundigte, so sagte der alte Herr, der junge Schlingel wäre wie umgewandelt und nicht von seinen Büchern wegzubekommen. Aber der Major würde fast ebenso erschrocken sein wie Herr Paley, hätte er gewußt, welches Leben Herr Pen in Wirklichkeit führte und wieviel Vergnügen er sich in seine juristischen Studien verflocht.

Des Morgens fleißig studiert, dann ein Spaziergang im Park, eine Fahrt auf dem Flusse, ein Stündchen Hinstrecken auf dem Hügel von Hampstead und ein bescheidenes Mittagessen im Gasthause, eine Junggesellennacht hier und dort in Lustigkeit, nicht in Laster verbracht (denn Arthur Pendennis bewunderte die Frauen so tiefsinnig, daß er nie die Gesellschaft einer derselben ertragen konnte, die nicht, wenigstens seiner Einbildung nach, gut und rein war), ein stiller Abend zu Hause allein mit einem Freunde und einer oder zwei Pfeifen, und ein bescheidenes Schlückchen britischer Spirituosen, deren Beschaffenheit Frau Flanagan, die Wäscherin, unabänderlich untersuchte; – dies waren die Studien unseres jungen Herrn, und man muß zugestehen, daß sein Leben nicht freudenlos war. Zu der Zeit der Gerichtssitzungen zeigte Herr Pen eine sehr lobenswerte Regelmäßigkeit in Erfüllung eines Teiles der Pflichten eines Rechtsstudierenden, indem er nämlich sein Mittagbrot in der Halle einnahm. Tatsächlich ist diese Halle des oberen Tempels ein nicht uninteressanter Anblick, und mit Ausnahme einiger geringfügiger 101 Verbesserungen und Anachronismen, die dort in Gebrauch gekommen sind, kann man sich dort zu Tische niedersetzen und sich einbilden, man nehme an einem Gastmahl des siebzehnten Jahrhunderts teil. Die Advokaten haben ihre Speisegenossenschaften, die Studenten ihre Tische für sich, die Gerichtsbeisitzer sitzen an der großen Tafel, die auf der erhöhten Plattform errichtet ist, umgeben von Bildern der Richter und fürstlicher Persönlichkeiten, die ihre Festlichkeiten mit ihrer Gegenwart und Gönnerschaft beehrt haben. Pen sah sich, als er zuerst hier eingeführt wurde, um und war nicht wenig ergötzt von dem Schauspiele, dessen Zeuge er war. Unter seinen Kameraden von der Klasse der Studenten waren Herren jeden Alters, von sechzig bis zu siebzehn herunter; wohlbeleibte, grauköpfige Sachwalter, die im Begriffe standen, einen höheren Grad zu erlangen, – Stutzer und tonangebende feine Herrchen, die aus irgendeinem Grunde für sieben Jahre als Anwalt eingeschrieben sein wollten, – schwarze, dunkeläugige Eingeborene der Kolonien, die hier als Advokaten eintreten wollten, ehe sie in ihrer eigenen Heimat praktizierten, – und viele Herren irischer Nation, die sich eine Weile in Middle Temple Lane aufhalten wollten, ehe sie in das grüne Land ihrer Geburt zurückkehrten. Hier gab's kleine Gruppen von fleißigen Studenten, die die ganze Essenszeit über von Rechtssachen sprachen, dort waren Freunde vom Rudern, deren Gespräch sich um Wettfahrten, das Red House, Vauxhall und die Oper drehte; da saßen andere in der Politik starke und dort große Redner aus den Debattenvereinen der Studenten. Mit all diesen Gruppen, die erste ausgenommen, deren Gespräch ihm eine 102 fast unverständliche und völlig uninteressante Sprache war, machte Herr Pen allmählich Bekanntschaft und fand mancherlei Berührungspunkte.

Das alte und liberale Rechtskollegium des oberen Tempels besorgt in seiner Halle und zu einem höchst mäßigen Preise den Sachwaltern und Studenten, die sich an diese Speiseanstalt wenden, ein ausgezeichnet gesundes Mittagsessen von Suppe, Fleisch, Pasteten und Portwein oder Sherry. Die Teilnehmer sind in Speisegesellschaften von vier Mann eingeteilt, und jedes dieser Quartette hat sein Stück Rinderbraten oder Hammelkeule, seine genügende Portion Apfelpastete und seine Flasche Wein. Aber die wackeren Habitués der Halle unter der geringeren Klasse der Studenten, die Freude am Essen finden, haben mancherlei harmlose Künste, durch die sie ihr Mahl verbessern, und mancherlei unschuldige »Kniffe« (wenn wir eine ausgezeichnete Phrase gebrauchen dürfen, die seit Erscheinen der letzten Diktionäre gang und gäbe geworden ist), durch die sie sich ein delikateres Futter zu verschaffen streben, als der gewöhnliche Alltagsbraten der Studententische ist.

»Wart ein bißchen,« sagte Herr Lowton, einer dieser Tempelgourmands. »Wart ein bißchen,« sagte also Herr Lowton, indem er Pen am Rocke zog – »die Tafeln sind sehr voll, und es sind nur drei Beisitzer, um zehn Schüsseln aufzuessen; wenn wir warten, werden wir vielleicht etwas von ihrem Tische kriegen.« Und Pen sah mit einigem Ergötzen, wie Herr Lowton mit Augen voll zärtlicher Sehnsucht nach der erhöhten Tafel der Gerichtsbeisitzer sah, wo die drei alten Herren vor einem Dutzend silberner Schüsseldeckel saßen, 103 während der Schreiber ein Gebet herplapperte.

Lowton war stark in der Wissenschaft, wie man sich bei Tische einrichten muß. Sein Streben war, es so zu wenden, daß er der erste, der Speisemeister bei einer Genossenschaft wurde und sich das dreizehnte Glas der Portweinflasche sicherte. So würde er den Teil des Bratens in seiner Gewalt haben, den er nach seinem Gefallen herausschnitt, und er versah sich eiligst und gewandt mit seinem Bedarf an brauner Butter, was Pen unendlich ergötzte. Armer Jack Lowton! Die Freuden deines Lebens waren sehr harmlos: ein eifriger Epikuräer wagtest du dich mit deinen Wünschen nicht über achtzehn Pence hinaus!

Pen war etwas älter, als viele seiner Mitstudierenden, und es lag in seiner Haltung und seinem Auftreten, wie wir schon bemerkt haben, jenes hochmütige und impertinente Etwas, das ihm den Stempel eines Mannes von gutem Ton aufdrückte, sehr ungleich jenen blassen Studenten, die sich mit einander über Rechtssätze unterhielten, und jenen wilden Dandys in Ruderhemden, mit erstaunlichen Brustnadeln und Westen ausstaffiert, die den müßiggängerischen Teil der kleinen Gemeinde vertraten. Der bescheidene und gutmütige Lowton hatte sich durch Pens Superioriät und Aussehen angezogen gefühlt und am Tische mit ihm durch Eröffnung des Gesprächs Bekanntschaft gemacht.

»Ich glaube, es ist heut der Tag des gekochten Rindfleisches, mein Herr,« sagte Lowton zu Pen.

»Auf mein Wort, ich weiß es nicht, mein Herr,« sagte Pen, der kaum sein Lachen zurückzuhalten vermochte, indes fügte er hinzu: »Ich bin fremd hier, es 104 ist mein erstes Semester,« worauf Lowton ihm die Berühmtheiten der Halle zu zeigen begann.

»Das da ist Boosey, der Gerichtsbeisitzer, der Kahlkopf, der dort unter dem Bilde sitzt und Suppe löffelt, ich möchte wissen, ob das Schildkrötensuppe ist. Sie haben oft Schildkrötensuppe. Der nächste ist Balls, der Advokat des Königs, und Swettenham – Hodge und Swettenham, wie Sie wissen. Das dort ist der alte Grump, der Senior der Advokaten; es heißt, er speiste schon an die vierzig Jahre hier. Die Beisitzer schicken den Senioren oft ihren Fisch von ihrem Tische herunter. Sehen Sie da diese vier Burschen uns gegenüber? Es sind fette Kerle, wahrhaftig – Kerle von erstem Range, kann ich Ihnen sagen – Herr Trail, der Sohn des Bischofs von Erling, der ehrenwerte Fred Ringwood, Bruder des Lord Cinqbar, wissen Sie. Der kriegt gewiß eine gute Stelle, da wette ich auf alles, und Bob Suckling ebenfalls, der immer mit ihm zusammensteckt – auch ein vornehmer Bursche der. He! he!« Hier brach Lowton in ein Gelächter aus.

»Was gibt's?« fragte Pen, immer noch ergötzt.

»Wissen Sie, ich esse gern mit solchen Burschen zusammen,« sagte Lowton, indem er pfiffig mit einem Auge zwinkerte und sich sein Glas Wein einschenkte.

»Und warum?« fragte Pen.

»Ei! die kommen nicht hierher, um zu essen, wissen Sie, die tun bloß so, als ob sie äßen. Die hier essen, wahrhaftigen Gott! Die gehen zu einem von den vornehmen Klubs oder sonst zu irgendeiner großen Dinergesellschaft. Sie sehen ihre Namen in der ›Morning Post‹ bei allen feinen Gesellschaften von London. Ei, 105 ich wette alles in der Welt, daß Ringwood sein Cab und Trail seinen Brougham (Trail ist ein Teufelskerl und wirft wahrhaftig des Bischofs Geld zum Fenster hinaus) eben an der Ecke der Essexstraße auf sich warten läßt. Die hier essen! Ich behaupte, sie werden unter zwei Stunden nicht zu Tische gehen.«

»Aber weshalb möchten Sie dann gerne an einem Tische mit ihnen essen, wenn sie hier gar nicht zu Mittag essen?« fragte Pen immer noch verwundert. »Es ist doch genug da, finden Sie das nicht?«

»Wie grün Sie noch sind,« sage Lowton. »Entschuldigen Sie, aber Sie sind wirklich grün. Die trinken gar keinen Wein, sehen Sie das denn nicht? Und wer mit diesen drei Burschen am Tische sitzt, kriegt die Flasche für sich, wenn er will. Das ist's, warum Corkoran sich zu ihnen setzte.«

»Ach, Herr Lowton, ich sehe, Sie sind ein schlauer Geselle,« sagte Pen, der sich über diese Bekanntschaft freute, worauf jener bescheiden entgegnete, daß er den besseren Teil seines Lebens in London gelebt und natürlich seine Augen offen gehabt hätte; dann ging er weiter mit seinem Namensverzeichnisse.

»Es sind eine Unmenge Irländer hier,« sagte er, »dieser Corkoran ist einer von ihnen, und ich kann nicht sagen, daß ich ihn gern habe. Sie sehen da den hübschen Burschen mit dem blauen Halstuch, dem roten Hemde und der gelben Weste, das ist ein zweiter; das dort ist Molloy Maloney von Ballymaloney, Neffe des Generalmajors Sir Hektor O'Dowd, hi, hi,« sagte Lowton, indem er den irischen Akzent nachzumachen versuchte. »Er brüstete sich immer mit seinem Onkel und kam an 106 dem Tage, wo er vorgestellt worden war, in Hosen mit Silberstreifen in die Hall. Der andere da neben ihm mit den langen schwarzen Haaren ist ein entsetzlicher Rebell. Bei Gott, mein Herr, ihn auf dem Forum sprechen zu hören, macht einem das Blut gefrieren; und der Nächste ist ebenfalls ein Irländer, Jack Finncane, Berichterstatter einer Zeitung. Sie stecken alle beieinander, diese Irländer. Die Reihe ist an Ihnen, Ihr Glas zu füllen. Was? Sie wollen keinen Portwein haben? Können den Portwein bei Tische nicht leiden? Hier, Ihre Gesundheit!« Und dieser würdige Mann fühlte sich nicht weniger zu Pendennis hingezogen, weil der letztere bei Tische keinen Portwein mochte.

Während Pen mit seinem Bekannten Lowton als Speisemeister an seinem Tische seinen Teil von einer dieser Mahlzeiten einnahm, geschah es, daß ein Gentleman im Gewande eines Advokaten sich zu ihnen gesellte, welcher, wie es schien, unter den Personen seines Grades keinen Platz finden konnte, über die Bank wegstieg und seinen Platz an dem Tisch einnahm, wo Pen saß. Er war in alte Sachen und ein fadenscheiniges Gewand gekleidet, welches hinter ihm hing, und trug ein Hemd, welches zwar reinlich, aber ungemein zerlumpt und sehr verschieden von dem prächtigen roten Hemd des Herrn Molloy Maloney war, der am nächsten Tische eine gebietende Stellung einnahm. Um sich das Erscheinen der Herren bei Tische zu merken, ist es unter denen, die in der Halle des oberen Tempels speisen, Sitte, ihre Namen auf Papierstückchen zu schreiben, die nebst einem Bleistifte für jede Tischgenossenschaft zu diesem Zwecke bereitgehalten werden. Lowton schrieb seinen 107 Namen zuerst, dann kam Arthur Pendennis, und der nächste war der des Gentlemans in den alten Kleidern. Er lächelte, als er Pens Namen sah und blickte ihn an. »Wir sollten einander kennen,« sagte er. »Wir sind beide Bonifazer, mein Name ist Warrington.«

»Sind Sie Warrington, der –?« versetzte Pen, erfreut, diesen berühmten Studenten zu sehen.

Warrington lachte – »der Haupthahn Warrington – ja,« antwortete er. »Ich besinne mich, Sie in Ihrem Fuchssemester gesehen zu haben. Aber Sie scheinen mich völlig ausgestochen zu haben.«

»Das Kollegiat spricht noch immer von Ihnen,« sagte Pen, der eine große Verehrung des Talents und tüchtiger Fäuste fühlte. »Der Bootführer, den Sie durchprügelten, Bill Simes, – erinnern Sie sich nicht an ihn? – möchte Sie gern nach Oxbridge zurückhaben. Die Fräulein Rotleys, des Schnittwarenhändlers –«

»St!« sagte Warrington – »erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Pendennis. Hörte viel von Ihnen reden.«

Die jungen Leute waren auf der Stelle Freunde und sofort tief in Universitätserinnerungen versunken. Und Pen, der an einem vorhergehenden Tage, wo er gegen Lowton getan, als könnte er bei Tische keinen Portwein trinken, bloß den feinen Herrn gespielt hatte, machte sich, als er Warrington seinen Anteil mit vielem Behagen zu sich nehmen sah, auch kein Gewissen mehr daraus, sich hinfort selbst zu bedienen, allerdings sehr zum Verdrusse des wackeren Lowton. Als das Essen vorüber war, fragte Warrington Arthur, wo er hingehen wollte. 108

»Ich dachte, ich wollte nach Hause, um mich umzukleiden und die Grisini als Norma zu hören,« sagte Pen.

»Wollen Sie jemand dort treffen?« fragte er.

Pen sagte: »Nein – nur die Musik hören, die ich sehr liebe.«

»Sie täten viel besser, mit mir nach Hause zu kommen und bei mir eine Pfeife zu rauchen,« entgegnete Warrington, – »eine ganz kurze. Kommen Sie, ich wohne gleich hier in Lamb Court, und wir wollen über Bonifaz und alte Zeiten reden.«

Sie gingen fort; Lowton seufzte hinter ihnen her. Er wußte, daß Warrington der Sohn eines Baronets wäre, und schaute mit einfältiger Ehrfurcht zu der gesamten Aristokratie empor. Pen und Warrington wurden geschworene Freunde seit jener Nacht. Warringtons heiteres und joviales Wesen, sein Verstand, seine rauhe Bewillkommnung und seine nie fehlende Tabakspfeife bezauberten Pen, der es angenehmer fand, in Schillingskneipen mit ihm unterzutauchen, als in einsamer Pracht unter den schweigenden und vornehmen Mitgliedern des Polyanthus zu dinieren.

Ehe lange Zeit verging, gab Pen seine Wohnung in St. James auf, wohin er von seinem Hotel gewandert war, und fand es sparsamer, mit Warrington in Lamb Court zusammenzuziehen und das leere Zimmer seines Freundes dort zu möblieren und einzunehmen. Denn es muß von Pen gesagt werden, daß niemand leichter als er zu etwas gebracht werden konnte, wenn es etwas Neues war oder wenn es ihm gefiel. Und Pidgeon, der Jüngling, und Flanagan, die Wäscherin, teilten ihre Anhänglichkeit nun zwischen Warrington und Pen. 109



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