William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Zweites Kapitel

Einige Ballgeschichten

Hinter einigen Draperien von Kaliko, in einer schattigen Fensternische, beliebte es Herrn Arthur Pendennis, ein sehr mürrisches und verdrießliches Gesicht zu machen, während er zusah, wie Fräulein Bell ihre erste Quadrille mit Herrn Pynsent als Partner tanzte. Fräulein Lauras Gesicht strahlte vor Vergnügen und guter Laune. Die Lichter, das Gedränge und die Musik erregten sie. Als sie ihre weißen Kleider ausbreitete und ihren Teil des Tanzes ausführte, lächelnd und glücklich, mit ihren braunen Locken, die ihr von ihrem guten rosigen Gesicht über die schönen Schultern flossen, blickte mehr als einer der Herren im Saale bewundernd nach ihr; und Lady Fogey, die ein Haus in London hatte, und sich, wenn sie auf dem Lande war, keine geringe Miene von Vornehmheit gab, fragte Lady Rockminster, wer die junge Person sei, wobei sie eine gefeierte Schönheit Londons erwähnte, der Laura, nach Ihrer Ladyschaft Meinung 29 sehr ähnlich sehen sollte, und meinte, sie würde es schon »machen«.

Lady Rockminster würde über die Maßen erstaunt sein, wenn es sich mit der Protektion von ihr nicht »gemacht« hätte, und wunderte sich über Lady Fogeys Unverschämtheit, über diesen Punkt überhaupt ein Urteil zu fällen. Sie beobachtete Laura mit majestätischen Blicken durch ihr Augenglas. Sie war entzückt über die ungekünstelte Miene des Mädchens und ihre heitere unschuldige Art. Ihr Benehmen ist sehr gut, dachte Ihre Ladyschaft. Ihre Arme sind zwar zu rot, aber das ist ein Fehler ihrer Jugend. Ihr Ton ist bei weitem besser, als der des kleinen naseweisen Fräulein Amory, die ihr gegenüber tanzt.

Fräulein Blanche war in der Tat das Visavis Fräulein Lauras und lächelte höchst bezaubernd ihre teuerste Freundin an, nickte ihr zu und schwatzte mit ihr, wenn sie während der Quadrillenumzüge zusammentrafen, und spielte sehr die Gönnerin gegen sie. Ihre Schultern waren die weißesten im ganzen Saale und blieben nicht an einem einzigen Augenblick ruhig in ihrer Umhüllung; ebensowenig waren dies ihre Augen, die unablässig umherrollten, und ebensowenig ihre kleine Figur; sie schien allen Leuten zu sagen: »Komm und sieh mich an – nicht dieses rote, gesunde, quabbelige Bauernmädel, die Fräulein Bell, die kaum zu tanzen verstand, ehe ich sie's lehrte. Dies ist die echte Pariser Art – dies ist der hübscheste kleine Fuß im ganzen Zimmer und der hübscheste kleine Schuh auch. Sehen Sie her, Herr Pynsent. Sehen Sie auch her, Herr Pendennis, der Sie sauertöpfisch hinter dem Vorhang stecken 30 – ich weiß wohl, daß Sie so gern mit mir tanzen möchten.« Laura tanzte weiter und hatte auch ein aufmerksames Auge auf Herrn Pen in der Fensternische. Er verließ diesen Zufluchtsort nicht eher, als bis die ersten beiden Quadrillen vorüber waren und die gutmütige Lady Clavering ihm winkte, zu dem Ehrenplatze der Damen, der etwas erhöht war, zu kommen, wo die älteren Frauen saßen, und wohin Pen mit tiefem Erröten und großer Unbeholfenheit, wie junge Leute, wenn sie sich zwingen müssen, meist sind, sich begab. Er begrüßte Lady Rockminster mit einem großartigen Bücklinge, den dieselbe kaum bemerkte, und ging dann und brachte der Witwe des seligen Amory, die prächtig angetan war mit Diamanten, Sammet, Spitze, Federn, allerlei Putztand und Juwelen, seine Huldigung dar.

Der junge Herr Fogey, der damals auf der fünften Bank in Eton saß und sehnlichst seinen Bart und seine Leutnantsstelle in einem Dragonerregiment erwartete, war der zweite Tänzer, der mit Fräulein Bells Hand beehrt wurde. Er war ganz hingerissen vor Bewunderung über diese junge Dame. Er dachte, er hätte nie ein so bezauberndes Geschöpf gesehen. »Ich kann Sie viel besser leiden, als das französische Mädchen,« (dieser junge Gentleman hatte nämlich vorher mit Fräulein Amory getanzt) sagte er offenherzig zu ihr. Laura lachte und sah noch heiterer aus als vorher; mitten in ihrem Gelächter sah sie Pens Gesicht und fuhr fort zu lachen, während er seinerseits fortfuhr, abgeschmackt großartig und mürrisch auszusehen. Der nächste Tanz war ein Walzer, und der junge Fogey dachte mit einem Seufzer daran, daß er nicht zu walzen verstände, und 31 gelobte sich in seinem Innern, daß er die nächsten Ferien einen Tanzmeister nehmen würde.

Herr Pynsent machte für diesen Tanz wiederum Anspruch auf Fräulein Bells Hand, und Pen sah ihr wütend zu, wie sie sich im Saale herumdrehte und ihre Taille von dem Arme dieses Gentleman umspannt war. Er pflegte sich vordem nie zu ärgern, wenn man an Sommerabenden zu Clavering Park, nach Wegräumen der Stühle und Tische, die Gouvernante hinunterrief, um Piano zu spielen, und er und Chevalier Strong (der ein glänzender Tänzer war und, wenn es sein mußte, einen britischen Bockspfeifentanz, einen deutschen Walzer oder einen spanischen Fandango zum besten geben konnte) und die beiden jungen Damen, Blanche und Laura, kleine Bälle improvisierten. Laura hatte an diesem Tanzen eine so große Freude und war so lebhaft, daß sie selbst Herrn Pynsent lebhafter machte. Blanche, die sehr schön tanzen konnte, hatte einen unglücklichen Partner, Kapitän Broadfoot von den damals in Chatteris stehenden Dragonern. Denn Kapitän Broadfoot konnte, obwohl er sich mit großer Energie dem augenblicklichen Gegenstande widmete, doch nicht rechtzeitig herumkommen, und da er nicht die Spur von musikalischem Gehör besaß, merkte er nicht einmal, daß seine Bewegungen zu langsam waren.

So sah denn Fräulein Blanche, daß ihre teure Freundin Laura Ehre beim Tanzen einlegte, und war keineswegs über den Erfolg der letzteren erfreut. Nachdem sie mit dem schwerfälligen Dragoner ein paarmal herumgetanzt, schützte sie Ermüdung vor und bat, sie nach ihrem Platze zurückzuführen, zu ihrer Mama, mit 32 der Pen sich unterhielt. Sie fragte ihn, weshalb er sie nicht zum Walzer aufgefordert und sie auf Gnade und Ungnade jenem großen schrecklichen Manne in Sporen und rotem Rocke überlassen hätte.

»Ich dachte, Sporen und Scharlachtuch wären für junge Damen die bezauberndsten Dinge in der Welt,« antwortete Pen. »Ich würde es niemals gewagt haben, meinen schwarzen Frack als Nebenbuhler mit jener prächtigen roten Jacke auftreten zu lassen.«

»Sie sind höchst unfreundlich und grausam und murrköpfig und garstig,« sagte Fräulein Amory, mit einem abermaligen Heraufziehen der Schultern. »Sie sollten lieber fortgehen. Ihre Kusine sieht nach uns über Herrn Pynsents Schultern.«

»Wollen Sie Walzer mit mir tanzen?« sagte Pen.

»Nicht diesen Walzer. Ich kann nicht, da ich gerade eben diesen großen hitzigen Kapitän Broadfoot weggeschickt habe. Sehen Sie mal Herrn Pynsent an, haben Sie je solch ein Geschöpf gesehen? Aber ich will den nächsten Walzer mit Ihnen tanzen, und auch die Quadrille. Ich bin zwar versprochen, aber ich will Herrn Poole sagen, daß ich mein Engagement an Sie vergessen hatte.«

»Frauen vergessen sehr leicht,« sagte Pendennis.

»Aber sie kehren stets zurück und sind voll Reue und Bedauern über das, was sie getan haben,« sagte Blanche. »Sehen Sie, da kommt diese Feuerzange, und die liebe Laura schmiegt sich an ihn. Wie hübsch sie aussieht!«

Laura kam heran und reichte Pen die Hand, dem Pynsent eine Art von Verbeugung machte, wobei er 33 aber wirklich nicht viel anmutiger aussah, als das Hausgerät, mit dem Fräulein Amory ihn verglichen.

Aber Lauras Gesicht war voller Freundlichkeit. »Ich bin so froh, daß du gekommen bist, lieber Pen,« sagte sie. »Ich kann nun mit dir reden. Wie geht es Mama? Die drei Tänze sind vorbei, und ich bin für den nächsten von dir engagiert, Pen.«

»Ich habe soeben Fräulein Amory engagiert,« sagte Pen, und Fräulein Amory nickte mit dem Kopfe und machte ihren gewöhnlichen kleinen Knix.

»Ich gedenke nicht, ihn aufzugeben, teuerste Laura,« sagte sie.

»Gut, dann wird er den Walzer mit mir tanzen, teure Blanche,« sagte die andere. »Nicht wahr, Pen?«

»Ich versprach, mit Fräulein Amory zu walzen.«

»Das ist provozierend,« sagte Laura, machte ihrerseits einen Knix, ging fort und setzte sich unter die großen Fittiche der Lady Rockminster.

Pen war entzückt über das Unheil, das er angerichtet. Die beiden hübschesten Mädchen im Saale zankten sich um ihn. Er schmeichelte sich damit, Fräulein Laura bestraft zu haben. Er lehnte in stutzerhafter Manier mit den Ellbogen an der Mauer und unterhielt sich mit Blanche; er hechelte unbarmherzig alle Herren im Saale durch – die schweren Dragoner in ihren engen Jacken – die Landstutzer in ihrem wunderlichen Aufputz – die seltsamen Toiletten der Damen. Eine schien ein Vogelnest auf dem Kopfe zu haben; eine andere hatte sechs Pfund Weintrauben in ihrem Haar, außer ihren falschen Perlen. »Es ist eine Coiffüre von 34 Mandeln und Rosinen,« sagte Pen, »und könnte zum Dessert aufgetragen werden.« Mit einem Wort, er war ungemein satirisch und amüsant.

Während der Quadrille setzte er diese Art von Unterhaltung mit unablässiger Bosheit und Lebhaftigkeit fort und erhielt Blanche in unaufhörlichem Lachen, sowohl über seine Bosheit, als über seine Witze, die wirklich gut waren, und auch, weil Laura wieder ihr Visavis war und sehen und hören konnte, wie lustig und vertraulich sie waren.

»Arthur ist heut abend bezaubernd,« flüsterte sie Laura über Fähnrich Perchs knappe Jacke hinweg zu, als Pen cavalier seul vor ihnen tanzte, und diese Figur mit den Daumen in den Westentaschen ausführte.

»Wer?« fragte Laura.

»Arthur,« antwortete Blanche auf französisch. »Oh, es ist solch hübscher Name!« Und nun gingen die beiden jungen Damen auf Pens Seite hinüber, und Fähnrich Perch führte seinerseits pas seul vor ihnen aus. Er hatte keine Westentasche, um seine Hände hineinzustecken, die groß und aufgeschwollen aussahen, wie sie ihm aus den engen Uniformärmeln herausbaumelten.

Während der Pause zwischen der Quadrille und dem darauf folgenden Walzer, nahm Pen nicht die geringste Notiz von Laura, außer daß er sie fragte, ob ihr Partner, Fähnrich Perch, ein amüsanter junger Mann wäre und ob sie ihn ebenso gut leiden könnte, wie Herrn Pynsent, ihren früheren Tänzer. Nachdem er diese zwei Dolche in Lauras Herz gepflanzt, fuhr Herr Pendennis fort, mit Blanche Amory weiter zu schwatzen und gute 35 oder schlechte, aber stets laute, Witze zu reißen. Laura wußte nicht recht, wie sie sich ihres Cousins üble Laune deuten sollte und womit sie ihn beleidigt hätte; indes war sie ihrerseits nicht ärgerlich über Pens gallige Stimmung, denn sie war das gutherzigste und stets zur Vergebung bereite Wesen, und außerdem ist es einer Dame nicht immer unangenehm, wenn ein Mann sich eifersüchtig zeigt.

Da Pen nicht mit ihr walzen wollte, so freute sie sich, von dem tüchtigen Chevalier Strong aufgefordert zu werden, der noch besser tanzte als Pen; und da sie sehr gern tanzte, wie jedes muntere unschuldige junge Mädchen dies sollte, so hüpfte sie, als die Walzermusik begann, los und amüsierte sich von ganzem Herzen. Kapitän Broadfoot wirbelte bei dieser Gelegenheit mit einer Dame herum, die fast von gleichem Körperumfange als er war, einem Fräulein Roundle, einem dicken, jungen Frauenzimmer in einem stachelbeerfarbenen Kreppkleide, der Tochter der Dame mit den Weintrauben auf dem Kopfe, deren Büschel Pen so bewundert hatte.

Und nun ergriff Herr Arthur Pendennis die Gelegenheit und walzte mit seiner blonden Tänzerin Blanche, die ihm lieblich im Arme hing, mit dem er ihre Taille umspannt hielt, fröhlich drauflos und fühlte, als er sich nach der Musik herumdrehte, daß er und Blanche ihre Sache wirklich ganz vortrefflich machten. Höchstwahrscheinlich sah er sich nach Fräulein Bell um, ob sie ebenso denke; aber sie sah ihn nicht oder wollte ihn nicht sehen, und war stets mit ihrem Partner, Kapitän Strong, beschäftigt. Aber Pens Triumph sollte nicht 36 lange währen; denn es war vom Schicksal bestimmt, daß die arme Blanche in dieser unglückseligen Nacht noch mehr Verdruß haben sollte. Während sie und Pen so leicht und munter wie ein paar Operntänzer sich herumdrehten, kreisten der wackere Kapitän Broadfoot und die Dame, an deren dicke Taille er sich klammerte, ganz gemächlich, wie es ihre Naturen verlangten, herum und waren tatsächlich jedermann im Wege. Aber mehr als irgend jemand waren sie Pen im Wege, denn er und Blanche stießen, als sie sich in schnellsten Wirbel drehten, hart gegen den schweren Dragoner mit seiner Dame, und zwar mit solch einer Kraft, daß all die vier sich umdrehenden Körper ihren Schwerpunkt verloren; Kapitän Broadfoot und Fräulein Roundle wurden richtig umgeworfen, ebenso wie Pen selbst, der weniger glücklich davonkam, als seine Partnerin Fräulein Amory, die bloß auf eine Bank gegen eine Wand geschleudert wurde.

Aber Pendennis fiel derb auf den Boden und kreuzte sich in dem allgemeinen Umsturze mit Broadfoot und Fräulein Roundle. Der Kapitän war zwar ein schwerer Dragoner, aber gutmütig, und so war er der erste, der über sein eigenes Mißgeschick in ein lautes Lachen ausbrach, weswegen sich denn auch niemand über ihn lustig machte. Aber Fräulein Amory war wütend über ihren Unfall; Fräulein Roundle, auf ihr Gesäß placiert und sich erbarmungswürdig umsehend, gab einen Gegenstand ab, den nur sehr wenige Leute ohne zu lachen sehen konnten. Pendennis war rasend, als er die Umstehenden um sich zischeln hörte. Er war einer von jenen spöttischen jungen Burschen, der es nicht ertragen konnte, daß man 37 auf seine Kosten lachte, und fürchtete Lächerlichkeit vor allen Dingen in der Welt am meisten.

Als er sich erhob, lachte Laura und Strong über ihn, jedermann lachte, auch Pynsent und seine Tänzerin lachten, und Pen kochte vor Wut gegen das Paar und hätte sie beide auf der Stelle erstechen können. Er wandte sich wütend von ihnen ab und begann gegen Fräulein Amory Entschuldigungen zu stottern. Es wäre die Schuld des anderen Paares gewesen – das Frauenzimmer in Rot hätte es getan – Pen hoffte, daß Fräulein Amory sich nicht verletzt hätte – ob sie nicht den Mut hätte, noch einmal mit ihm herumzutanzen?

Fräulein Amory sagte schnippisch, daß sie allerdings verletzt wäre und nicht noch einmal tanzen wollte; dabei nahm sie mit großem Danke ein Glas Wasser an, das ihr ein Kavalier, der einen dreispitzigen Stern an blauem Bande trug, zu holen sich beeilte, als er des beklagenswerten Vorfalles ansichtig geworden. Sie trank das Wasser, lächelte dem Bringer anmutig zu, und indem sie Herrn Pen in der bezeichnendsten und hochmütigsten Weise ihre weiße Schulter zudrehte, ersuchte sie den Gentleman mit dem Sterne, sie zu ihrer Mama zu führen, und hielt ihre Hand hin, um seinen Arm zu nehmen.

Der Mann mit dem Sterne zitterte vor Wonne bei dieser Gunstbezeigung; er beugte sich über ihre Hand, preßte sie feurig an seinen Frack und blickte sich triumphierend um.

Es war kein anderer als der glückliche Mirobolant, den Blanche sich zur Eskorte ersehen. Aber in Wahrheit hatte die junge Dame den Künstler, seit er in ihrer 38 Mutter Familie beschäftigt war, nie genau angesehen, und dachte nicht anders, als daß es ein fremder Edelmann sei, auf dessen Arm sie sich lehnte. Als sie fortging, vergaß Pen aber sein Erstaunen, seine Demütigung und rief aus: »Weiß Gott, es ist der Koch!«

Im Augenblicke, wo er diese Worte geäußert hatte, bedauerte er auch schon, sie gesprochen zu haben; denn es war Blanche selbst, die Mirobolant aufgefordert hatte, sie zu geleiten, und der Künstler konnte nicht anders, als dem Befehle einer Dame Gehorsam leisten. Blanche hörte in ihrer Zerstreutheit nicht, was Arthur sagte, aber Mirobolant hörte ihn und schoß einen wütenden Blick nach ihm über seine Schulter, der Pen sehr amüsierte. Er war in unglücklicher und verdrießlicher Stimmung, hatte vielleicht Lust, einen Streit mit jemand vom Zaune zu brechen; aber die Idee, einen Koch beleidigt zu haben, oder daß solch ein Individuum irgend so etwas wie Ehrgefühl haben könnte, kam diesem stolzen jungen Aristokraten, dem Sohne des Apothekers, nicht eben sehr in den Sinn.

Im Kopfe des armen Künstlers dagegen hatte nie der Gedanke Raum gefunden, daß er als Mann nicht jedem anderen Sterblichen gleich wäre, oder daß in seiner Stellung soviel Erniedrigendes läge, um ihn zu hindern, einer Dame den Arm zu geben, die ihn darum bat. Er hatte bei den Festen in seinem eigenen Vaterlande gesehen, daß seine Damen, nicht gerade Demoisellen (aber die englischen Demoisellen, die er kannte, waren ja viel freier in ihrem Benehmen, als irgendein Mädchen in Frankreich) sich mit Blaise oder Pierre in den Tanz mischten, und er würde Blanche zu Lady 39 Clavering hinaufgeführt und sie möglicherweise auch zum Tanz aufgefordert haben, wenn er nicht Pens Ausruf gehört hätte, der ihn traf, als ob er einen Schuß erhalten hätte und ihn grausam demütigte und ärgerte. Sie wußte nicht, was ihn zusammenfahren und knirschend einen gascognerischen Fluch zwischen den Zähnen murmeln ließ. Aber Strong, dem der Gemütszustand des armen Teufels bekannt war, und der diese interessante Neuigkeit von unserer Freundin, Frau Frisby, hatte, war glücklicherweise bei der Hand, wo er nötig war, und indem er schnell ein paar Worte auf spanisch sagte, die der andere verstand, bat der Chevalier Fräulein Amory, mit ihm zu kommen und ein Glas Eis zu nehmen, ehe sie zu Lady Clavering zurückkehre. Hierauf ließ der unglückliche Mirobolant den Arm, den er vor einer Minute gehalten, fahren und entfernte sich mit einem sehr tiefen und betrübten Bücklinge. »Wissen Sie nicht, wer es ist?« fragte Strong Fräulein Amory, als er sie wegführte. »Es ist der Küchenchef Mirobolant.«

»Wie sollte ich das wissen?« fragte Blanche. »Er hat ein Kreuz, er sieht sehr distinguiert aus, er hat schöne Augen.«

»Der arme Kerl ist toll über Ihre schönen Augen, glaube ich,« sagte Strong. »Er ist ein sehr guter Koch, aber er ist nicht ganz richtig im Kopfe.«

»Was sagten Sie in der unbekannten Sprache zu ihm?« fragte Fräulein Blanche.

»Er ist ein Gascogner und kommt von der spanischen Grenze,« entgegnete Strong. »Ich sagte ihm, 40 er werde seine Stelle verlieren, wenn er mit Ihnen ginge.«

»Armer Monsieur Mirobolant!« sagte Blanche.

»Sahen Sie den Blick, den er Pendennis zuwarf?« fragte Strong, den das Mißgeschick amüsierte, »ich glaube, er würde seine Freude haben, wenn er dem kleinen Pen einen seiner Bratspieße in den Leib rennen könnte.«

»Er ist ein abscheuliches, eingebildetes, plumpes Geschöpf, dieser Herr Pen,« sagte Blanche.

»Auch Broadfoot sah aus, als ob er ihn gern umbringen möchte, ebenso Pynsent,« sagte Strong. »Was für Eis wollen Sie haben – Wassereis oder Cremeeis?«

»Wassereis. – Wer ist denn aber nur der seltsame Mann, der mich so anstarrte; er ist gleichfalls dekoriert.«

»Das ist mein Freund, Oberst Altamont, ein sehr wunderlicher Charakter, in den Diensten des Nabobs von Lucknow. – Halloh! Was ist das für ein Lärm? Ich werde im Augenblick zurück sein,« sagte der Chevalier und sprang aus dem Zimmer in den Ballsaal, wo sich ein Gezänke und ein Durcheinanderschreien aufgeregter Stimmen hören ließ.

Der Erfrischungsraum, in dem sich Fräulein Amory jetzt befand, war ein zum Zweck des Abendessens, das Herr Rincer, der Wirt, dort für den Preis von fünf Schilling pro Kopf für den, der daran teilnehmen wollte, bereit hielt, besonders abgeteilter Raum. Auch waren daselbst Erfrischungen besserer Art für die Damen 41 und Herren der vornehmen Familien der Grafschaft, die an dem Balle teilnahmen, zu haben; aber die geringere Sorte von Leuten wurde durch einen Kellner, der am Eingange stand, von diesem Zimmer ferngehalten, indem er sagte, dies wäre ein besonderes Zimmer für Lady Clavering und Lady Rockminsters Gesellschaft und würde dem Publikum erst um die Zeit des Abendessens geöffnet, welches erst nach Mitternacht stattfände. Pynsent, der mit den Töchtern seiner Wähler tanzte, nahm sie und ihre Mamas dort mit sich zu Erfrischungen hinein. Strong, der der Ordner und Meister bei allen Lustbarkeiten war, wohin er ging, hatte natürlich das Recht des Eintritts; und die einzige Person, die jetzt das Zimmer einnahm, war der Gentleman mit der schwarzen Perücke und den Orden in seinem Knopfloche, der Offizier in Diensten Seiner Hoheit, des Nabobs von Lucknow. Dieser Gentleman hatte sich sehr zeitig an dem Abende in diesem Raume niedergelassen, wo er – er sagte, er wäre verdammt durstig – nach einer Flasche Champagner rief. Auf diese Order vermutete der Kellner sofort, daß er mit einem Granden zu tun hätte, und der Oberst setzte sich nieder und begann sein Abendessen zu verzehren, sein Getränk zu vertilgen und redselig mit jedermann, der ins Zimmer trat, ein Gespräch anzuknüpfen.

Sir Francis Clavering und Herr Wagg fanden ihn dort, als sie den Ballsaal verließen, was sie ziemlich zeitig taten – Sir Francis, um eine Zigarre zu schmauchen und sich die Leute zu besehen, die sich draußen vor dem Ballsaale zum Zusehen drängten (was er für viel spaßhafter erklärte, als drinnen zu bleiben), Herr Wagg, 42 um sich an den Arm eines Baronets zu hängen, wie er dies stets bei dem vornehmsten Manne der Gesellschaft zu tun pflegte. Oberst Altamont hatte diese Herren in einer so wunderlichen Manier angestarrt, als sie durch das Zimmer der »Auserwählten« schritten, daß Clavering beim Wirte Erkundigungen einzog, wer er wäre, und einen Wink fallen ließ, daß er der festen Ueberzeugung wäre, der Offizier im Dienste des Nabobs wäre betrunken.

Herr Pynsent hatte ebenfalls die Ehre einer Unterhaltung mit dem Diener des indischen Potentaten. Es war Pynsents Pflicht, mit jedermann ein paar Worte zu sprechen, (was er, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, in der alleranmutigsten Weise tat;) und er hielt den Gentleman in der schwarzen Perücke für irgendeinen Wähler, irgendeinen Schiffskapitän oder sonstigen ausländischen Mann des Ortes. Als Herr Pynsent also mit einer Dame, der Frau eines Wählers, am Arme in das Erfrischungszimmer trat, fragte ihn der Oberst, ob er nicht ein Glas Champagner versuchen wollte. Pynsent nahm es mit großer Würde, verbeugte sich, kostete den Wein und nannte ihn ausgezeichnet, worauf er sich von Oberst Altamont mit der äußersten Höflichkeit zurückzog. Diese Würde und dieser Anstand erstaunten und verwunderten den Obersten mehr, als es wahrscheinlich jedes andere Benehmen getan haben würde; er starrte Pynsent mit einem dummen Gesichte nach und meinte zu dem Wirte über den Schenktisch hinweg, daß er ein mürrischer Kerl wäre. Herr Rincer errötete und wußte kaum, was er sagen sollte. Herr Pynsent war der Enkel eines 43 Grafen aus der Gegend und stand im Begriffe, Parlamentsmitglied zu werden. Oberst Altamont andererseits trug Orden und Diamanten, klimperte fortwährend mit Sovereigns in der Tasche und bezahlte, wie sich's gehört; da Herr Rincer nun nicht wußte, was er sagen sollte, meinte er: »Jawohl, Herr Oberst – jawohl, Madame, wünschten Sie nicht Tee? Frau, schenk der Madame Jones mal eine Tasse Tee ein,« und so wurde er die Diskussion in Bezug auf Herrn Pynsents Fähigkeiten los, in die der Offizier des Nizzams einzugehen geneigt schien. In der Tat, wenn die Wahrheit gesagt werden muß, so hatte Herr Altamont, der fast die ganze Nacht am Büfett gesessen und sich während seiner dortigen Anwesenheit höchst tätig beschäftigt hatte, sein Gehirn durch das Trinken beträchtlich erhitzt, und er fuhr noch immer mit dem Trinken fort, als Herr Strong und Fräulein Amory ins Zimmer traten.

Als der Chevalier aus der Stube lief, angelockt von dem Lärm im Tanzsaale, stand der Oberst mit seinen kleinen roten, wie Kohlen glühenden Augen von seinem Stuhle auf und näherte sich mit recht unsicherem Schritt Blanche, die ihr Eis schlürfte. Sie war ganz in die Vertilgung desselben versenkt, denn es war sehr frisch und gut, auch war sie wegen des im anstoßenden Zimmer Vorgehenden nicht neugierig, während dies die Kellner waren, die hinter Chevalier Strong herliefen. So erblickte sie denn, als sie von ihrem Glase aufsah, diesen sonderbaren Mann, der sie aus seinen kleinen roten Augen anstarrte. »Wer war er? Es war geradezu beleidigend.« 44

»Also Sie sind die Betsi Amory?« sagte er, nach einem Blick auf sie. »Betsi Amory, weiß Gott!«

»Wer – wer redet mit mir?« fragte Betsi, alias Blanche.

Aber der Spektakel im Ballsaale wird wirklich so laut, daß wir dorthin zurückeilen müssen, um zu erfahren, was die Ursache der Störung ist.



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