William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Achtes Kapitel

Spielt in der Nachbarschaft von Ludgate Hill

Unser Gefangener, der Kapitän, kündigte in wohlgesetzter und schwungvoller Rede in seinem Prospekt an, daß endlich die Zeit gekommen wäre, wo es für die Gentlemen von England notwendig wäre, daß sie sich zusammenscharten zur Verteidigung ihrer allgemeinen Rechte und ihres ruhmvollen Standes, der von allen Seiten durch Revolutionen im Auslande, durch Radikalismus im Inlande, durch die verschlagenen Angriffe von Mühlenbesitzern und Baumwollenlords und durch die einfältigen Feindseligkeiten der Massen bedroht würde, die man täuschte und verführte. Die alte Monarchie, sagte der Kapitän, würde beleidigt durch einen tollen republikanischen Pöbelhaufen. Die Kirche würde von neidischen Andersgläubigen verlassen und durch geheimen Unglauben unterwühlt. Die guten Einrichtungen, die unser Land zu einem ruhmvollen und den Namen eines englischen 157 Gentleman zum stolzesten der Welt gemacht hätten, wären ohne Verteidigung gelassen und den Angriffen und Schmähungen von Leuten ausgesetzt worden, denen kein Heiligtum heilig wäre, denn sie glaubten an nichts Heiliges, keine Ueberlieferung der Geschichte wäre ihnen ehrwürdig, denn sie wären zu unwissend, um von der Vergangenheit gehört zu haben, und kein Gesetz wäre bindend für sie, welches sie stark genug wären zu zerbrechen, sobald ihre Führer das Zeichen zur allgemeinen Plünderung gäben. »Weil die Könige von Frankreich kein Vertrauen zu den Vornehmen hatten,« so bemerkte Herr Shandon, »ging die Monarchie des Heiligen Ludwig unter, und weil das Volk von England immer noch an seine Vornehmen glaubte, bot dieses Land dem größten Feinde, mit dem je eine Nation zu tun gehabt hatte, die Spitze und überwältigte ihn; und weil wir von den Vornehmen geführt wurden, wichen die französischen Adler vom Douro bis zur Garonne zurück; es war ein Vornehmer, der bei Trafalgar die Linie durchbrach und das Feld von Waterloo reinfegte.«

Bungay nickte pfiffig mit dem Kopfe und zwinkerte mit den Augen, als der Kapitän zu der Stelle über Waterloo kam, aber Warrington brach in Lachen aus.

»Sie sehen, wie gerührt unser ehrenwerter Freund Bungay ist,« versetzte Shandon, indem er schlau von seinem Blatte aufschaute – »das ist für Sie der rechte Prüfstein. Ich habe den Herzog von Wellington und die Schlacht von Waterloo an die hundertmal angewendet und nie den Herzog als Zugmittel seine Wirkung verfehlen gesehen.« Dann fuhr der Kapitän fort, 158 mit großem Freimute offen zu bekennen, daß bis auf den heutigen Tag die höhere Klasse in England, vertrauend auf ihr gutes Recht und unbekümmert um die, die es in Zweifel zögen, das politische Interesse ihres Standes, ebenso wie die Verwaltung ihrer Güter oder die Besorgung ihrer Rechtsangelegenheiten Personen, die sich zu all und jedem brauchen ließen, übertragen und gestattet hätte, daß die Vertretung ihrer Interessen in der Presse von gewerbsmäßigen Advokaten wahrgenommen worden wäre. Diese Zeit wäre, bekannte Shandon, seiner Ansicht nach nun vorüber; die höhere Klasse in England müßte für sich selbst ins Feld ziehen, die erklärten Feinde ihres Standes wären tapfer, stark, zahlreich und unversöhnlich. Sie müßten ihre Feinde auf offenem Felde treffen, sie dürften sich nicht mehr belügen und schlecht vertreten lassen von gemieteten Advokaten, sie dürften es nicht mehr dulden, daß man in Grub Street Zeitungen herausgäbe, die sich von Whitehall datierten; »das ist ein Hieb auf Bacons Leute, Herr Bungay,« meinte Shandon, zu dem Buchhändler gewendet.

Bungay stieß mit seinem Stocke auf die Diele. »Häng ihn, spieß ihn, Kapitän,« rief er jubelnd, und indem er sich zu Warrington wandte, schüttelte er sein einfältiges Haupt heftiger denn je und sagte: »Wenn es einen scharfen Artikel gilt, Herr, dann macht's niemand so gut wie der Kapitän – nieeemand wie er.

Der Prospektverfasser fuhr nun weiter fort, indem er sagte, daß gewisse Männer der höheren Klasse, deren Namen er aus Gründen, die auf der Hand lägen, nicht 159 veröffentlichen könnte (worauf Herr Warrington wieder zu lachen begann), sich entschlossen hätten, eine Zeitschrift herauszugeben, deren Grundsätze die und die wären. »Diese Männer sind stolz auf ihren Stand und eifrig bemüht, ihn aufrecht zu erhalten,« schrie Kapitän Shandon los, indem er sein Papier mit pfiffigem Lächeln schwang. »Sie sind loyal gegen ihren Landesherrn, aus treuer Ueberzeugung und nach der schon von ihren Ahnen geleisteten Huldigung; sie lieben ihre Kirche, in denen sie auch ihre Kinder beten sehen möchten, und für welche ihre Väter geblutet haben; sie lieben ihr Vaterland und möchten es als das erhalten haben, wozu es die höheren Stände Englands – ja, die höheren Stände Englands (wir werden das in langen Kapiteln beweisen, Bungay, mein Junge,) gemacht haben – nämlich als größtes und freiestes Reich der Welt, und da die Namen mehrerer von ihnen an der Tat haften, die unsere Freiheiten zu Runnymede sicherte –«

»Was ist das?« fragte Herr Bungay.

»Einer meiner Ahnen besiegelte es mit dem Griffe seines Schwertes,« sagte Pen mit großer Würde.

»Die Habeas-Corpus-Akte, Herr Bungay,« sagte Warrington, worauf der Buchhändler antwortete: »Ganz recht, sicherlich,« und gähnte, obschon er sagte: »Na, weiter, Kapitän.«

»– zu Runnymede sicherte, so sind sie heute bereit, diese Freiheit mit Schwert und Feder zu verfechten und sich jetzt, wie einst, um die alten Gesetze und Freiheiten Englands zu scharen.«

»Bravo!« schrie Warrington. Das kleine Kind 160 stand verwundert da, die Dame arbeitete schweigend fort und war ganz zärtliche Bewunderung. »Komm hierher, kleine Mary,« sagte Warrington und streichelte die blonden Locken des Kindes mit seiner großen Hand. Aber sie fuhr vor seiner ungeschickten Liebkosung zurück und zog es vor, sich an Pens Knie zu flüchten und mit seiner schönen Uhrkette zu spielen; und Pen freute sich gar sehr, daß sie zu ihm kam, denn er war sehr gutherzigen und einfachen Gemütes, obgleich er seine Sanftheit unter einem zurückhaltenden und großartigen Benehmen verbarg. So kletterte sie denn auf seinen Schoß, während ihr Vater fortfuhr, sein Programm vorzulesen.

»Sie lachten,« sagte der Kapitän zu Warrington, »über die erwähnten Gründe, die auf der Hand liegen. Nun, ich werde Ihnen jetzt zeigen, welcher Art Sie sind, Sie ungläubiger Heide. Wir haben gesagt,« fuhr er fort, »daß wir die Namen der Teilnehmer an diesem Werke nicht nennen können, und daß die Gründe für dieses Verschweigen sehr deutlich sind. Wir zählen einflußreiche Freunde in beiden Häusern unseres Senats und haben uns in jedem diplomatischen Zirkel Europas Verbündete gesichert. Die Quellen, aus denen wir unsere Mitteilungen erhalten, sind derart, daß sie auf keine Weise veröffentlicht werden können, und tatsächlich von solcher Bedeutung, wie sie kein anderes Londoner oder europäisches Journal auf eine nur irgendwie mögliche Weise erlangen kann. Das aber dürfen wir sagen, daß die allerfrühesten Berichte über die Bewegungen der englischen und kontinentalen Politik nur in den Spalten der ›Pall Mall Gazette‹ 161 anzutreffen sein werden. Der Staatsmann und der Kapitalist, der Landedelmann und der Geistliche werden unter unseren Lesern sein, weil unsere Mitarbeiter unter ihnen sind. Wir wenden uns nur an die höheren Klassen der Gesellschaft, wir scheuen uns nicht, es offen zu gestehen, daß die ›Pall Mall Gazette‹ von Gentlemen für Gentlemen geschrieben ist; ihre Leiter sprechen zu den Klassen, in denen sie leben und geboren worden sind. Der Feldprediger hat seine Zeitung, der radikale Freidenker hat seine Zeitung, warum sollten die Gentlemen von England in der Presse unvertreten sein?«

Herr Shandon ging dann weiter mit großer Bescheidenheit auf die literarischen und tonangebenden Departements der ›Pall Mall Gazette‹ über, die von Gentlemens von anerkanntem Rufe geleitet werden würden, von Männern, die sich an der Universität ausgezeichnet hätten (wobei Herr Pendennis kaum umhin konnte, zu lachen und rot zu werden), die im Klub und in der Gesellschaft bekannt wären, die sie beschrieben. Er gab denen, die Ankündigungen zu machen wünschten, mit Feinheit zu verstehen, daß es für das Bekanntwerden ihrer Waren keine andere Vermittlung gäbe, wie die ›Pall Mall Gazette‹, und mit beredten Worten rief er dem hohen Adel von England, den Baronets, der ehrwürdigen Geistlichkeit von England, den Rechtsgelehrten Englands, den Matronen und Töchtern, den Familien und häuslichen Herden Englands zu, sich um die gute alte Sache zu scharen; und Bungay erwachte beim Schlusse der Vorlesung aus einem zweiten Schläfchen, dem er sich hingegeben, und sagte abermals, es sei alles ganz in Ordnung. 162

Nachdem die Vorlesung des Prospektes geschlossen war, gingen die Herren auf verschiedene Einzelheiten bezüglich der politischen und literarischen Leitung des Blattes über, und Herr Bungay saß dabei, horchte und nickte mit dem Kopfe, als ob er verstünde, was der Gegenstand ihrer Unterhaltung wäre, und ihre Meinungen billigte. Bungays Meinungen waren in Wahrheit recht einfacher Natur. Er meinte, daß der Kapitän die besten Kopfwaschartikel in England schreiben könne. Er wollte dem ihm feindlichen Haus Bacon gründlich den Kopf gewaschen haben, und seine Meinung war, daß der Kapitän dies Geschäft besorgen sollte. Wenn der Kapitän einen von Innins Briefen auf ein Stück Papier geschrieben oder ein Stück des Katechismus kopiert hätte, Herr Bungay würde vollkommen zufrieden damit gewesen sein und den Artikel für einen guten Kopfwaschartikel angesehen haben. Und er steckte die Papiere mit größester Genugtuung in die Tasche und bezahlte nicht nur, wie wir gesehen haben, das Manuskript, sondern rief auch die kleine Mary zu sich und gab ihr einen Penny, als er fortging.

Nachdem die Vorlesung des Manuskripts vorüber war, unterhielt sich die Gesellschaft über allgemeine Dinge, wobei Shandon sich, zu Ehren der beiden Gäste, die bei ihm saßen, und die er nach ihrem Aeußeren und ihrer Haltung für Leute der beau monde hielt, eines ungekünstelt vornehmen Benehmens befleißigte. Er wußte in der Tat sehr wenig von der vornehmen Welt, aber er hatte sie gesehen und wußte das, was er gesehen hatte, an den Mann zu bringen. Er sprach von den Helden des Tages und den großen 163 Modepersönlichkeiten leicht vertraulich und mit scherzhaften Anspielungen, als ob er es gewohnt wäre, unter ihnen zu leben. Er erzählte Anekdoten aus ihrem Privatleben und sprach von Unterhaltungen, die er mit ihnen gehabt und von Festlichkeiten, bei denen er zugegen gewesen und bei denen dies oder jenes vorgefallen wäre. Pen war sehr ergötzt, den schäbigen Schuldgefangenen in seinem zerlumpten Schlafrocke so geläufig von den Großen des Landes schwatzen zu hören. Frau Shandon war immer entzückt, wenn ihr Gatte diese Geschichten erzählte, und sie glaubte sie in ihrer zärtlichen Liebe alle samt und sonders. Sie trug kein Verlangen, sich ihrerseits in die vornehme Welt zu mischen – dazu war sie nicht gebildet genug – aber die Gesellschaft der Großen war der rechte Platz für ihren Charles; er glänzte in ihr, er galt in ihr etwas. Shandon war tatsächlich einmal beim Grafen X. zu Tische geladen gewesen, und seine Frau bewahrte die Einladungskarte wie einen teuren Schatz bis diesen Tag in ihrem Arbeitskästchen auf.

Herr Bungay hatte bald genug von dieser Unterhaltung und stand auf, um sich zu verabschieden, worauf Warrington und Pen ebenfalls aufstanden, um mit dem Buchhändler wegzugehen, obgleich Pen gern noch geblieben wäre, da er die Familie, die ihn interessierte und rührte, näher kennen zu lernen wünschte. Er sagte etwas von seiner Hoffnung, daß es ihm erlaubt sein würde, seinen Besuch zu wiederholen, worauf Shandon mit einem trüben Lächeln erwiderte, er wäre stets zu Hause zu treffen und würde sich freuen, Herrn Pendennis zu sehen. 164

»Ich werde Sie bis an den Torweg meines Parks begleiten, meine Herren,« sagte Kapitän Shandon, der trotz eines flehenden Blickes und eines schwachen Schreies wie ›Charles‹ von Seiten der Frau Shandon seinen Hut nahm. Und der Kapitän schlürfte in schäbigen Pantoffeln seinen Gästen voraus und zeigte ihnen den Weg durch die düsteren Gänge des Gefängnisses. Seine Hand fuhr, als er sich am Pförtchen von den drei Herren verabschiedete, stets in seiner Westentasche herum, in der sich Bungays Fünfpfundnote befand; einer von ihnen, Herr Arthur Pendennis, fühlte sich sehr erleichtert, als er aus dem entsetzlichen Orte heraus war und wieder frei die Trottoirs von Farrington Street entlangschritt.

Frau Shandon arbeitete traurig am Fenster fort, das in den Gefängnishof hinuntersah. Sie sah Shandon, wie er von ein paar Leuten gefolgt, eilig in der Richtung der Gefängnisschenke zulief. Sie hatte gehofft, daß sie ihn diesen Tag bei Tisch behalten würde; auf dem Fenstersimse draußen vor den Zimmern befand sich ein Stück Fleisch und etwas Salat in einer Schüssel, wovon sie erwartet hatte, daß sie und die kleine Mary es mit dem Vater des Kindes teilen würden. Aber darauf war jetzt keine Aussicht mehr. Er würde in jener Schenke bleiben, bis sie geschlossen wurde, dann auf eines anderen Stube gehen und Karten spielen oder trinken und schweigend, mit verglasten Augen, ein wenig schwankend, so daß seine Frau ihn führen mußte, zurückkommen. Oh, welche Qualen lassen wir doch unsere Frauen erdulden!

So ging denn Frau Shandon nach dem 165 Speiseschranke und machte sich, statt eines Mittagessens, etwas Tee zurecht. Und welch eine Rolle als liebe Vertraute in jenen mannigfachen Qualen, von denen wir eben sprechen, hat nicht die arme Teekanne in der ganzen Zeit, seit die edle Pflanze unter uns eingeführt ist, gespielt! Was für Myriaden von Frauen haben wohl sicherlich über ihr geschluchzt! An wieviel Krankenbetten hat sie geraucht! Wieviel fiebrische Lippen haben Erquickung aus ihr empfangen! Die Natur meinte es sehr gut mit den Frauen, als sie die Teepflanze erschuf. Welch lange Reihe von Bildern und Gruppen vermag die Phantasie mit nur geringem Nachdenken um Teekanne und Teetassen heraufzubeschwören und zu versammeln! Melissa und Saccharissa erzählen sich Liebesgeheimnisse über ihr. Die arme Polly hat sie zusammen mit den Briefen ihres Liebhabers auf dem Tische, Briefen von ihm, der gestern noch ihr Geliebter war, und wo sie vor Wonne, nicht vor Verzweiflung über beiden weinte. Mary kommt geräuschlos ins Schlafzimmer ihrer Mutter getrippelt und trägt eine Tasse des Labetrunkes zu der Witwe hinein, die keine andere Nahrung zu sich nehmen will. Ruth ist damit beschäftigt, ihn für ihren Gatten zu kochen, der aus dem Erntefelde heimkommt – man könnte eine Seite mit Andeutungen zu solchen Bildern füllen; – endlich setzen sich Frau Shandon und die kleine Mary nieder und trinken ihren Tee zusammen, während der Kapitän ausgeht und sein Vergnügen sucht. Sie kümmert sich um nichts weiter, wenn ihr Gatte nicht zu Hause ist.

Ein Gentleman, mit dem wir bereits oberflächlich 166 Bekanntschaft gemacht haben, Herr Jack Finucane, aus derselben Stadt mit Kapitän Shandon, traf dessen Frau und die kleine Mary (für die Jack stets ein Stück Kuchen in der Tasche mitbrachte) bei dieser Mahlzeit. Jack hielt Shandon für das größte Genie der Schöpfung, hatte sich von dem gutmütigen Verschwender, der für einen beliebigen Freund in der Not stets ein freundliches Wort und manchmal sogar eine Guinee hatte, ein paarmal aushelfen lassen und ließ nun keinen Tag vergehen, seinem Gönner einen Besuch zu machen. Er war bereit, für Shandon Gänge zu gehen und seine Geldgeschäfte mit Buchhändlern und Zeitungsredakteuren, Manichäern, Gläubigern, Inhabern von Shandonschen Wechseln und Leuten, die geneigt waren, in diesen Papieren zu spekulieren, kurz, all die tausend kleinen Geschäften eines bedrängten irischen Gentleman zu besorgen. Ich lernte bisher niemals einen bedrängten irischen Gentleman kennen, der nicht einen Adjutanten seiner eignen Nation gehabt hätte, welcher ebenfalls in pekuniär unbehaglichen Umständen war. Dieser Adjutant hat seinerseits wieder Untergebene, die wiederum andere zahlungsunfähige Vasallen hinter sich haben mögen – und so marschierte unser Kapitän sein ganzes Leben hindurch an der Spitze eines zerlumpten Stabes, der das rauhe Schicksal seines Anführers teilte.

»Er wird diese Fünfpfundnote nicht sehr lange haben, darauf wett' ich 'ne Guinee,« sagte Herr Bungay von dem Kapitän, als er und seine beiden Begleiter aus dem Gefängnisse weggingen; und der Buchhändler hatte richtig geurteilt, denn als Frau Shandon die 167 Taschen ihres Gemahls leerte, fand sie nur noch ein paar Schillinge und ein paar Halbpence von der am Morgen erhaltenen Zahlung. Shandon hatte dem einen Begleiter ein Pfund gegeben, hatte einem Bekannten auf der Armenseite des Gefängnisses eine Hammelkeule mit Kartoffeln und Bier geschickt, hatte eine in der Schenke, wo er seine Fünfpfundnote gewechselt hatte, ausstehende Rechnung bezahlt und dort ein Mittagessen mit zwei Freunden gehalten, an welche er nachher beim Kartenspiel viele halbe Kronen verloren hatte, so daß ihn die Nacht so arm zurückließ, wie ihn der Morgen gefunden hatte.

Der Buchhändler und die beiden Herren unterhielten sich, als sie Shandon verlassen hatten, noch ein Weilchen miteinander, und Warrington wiederholte Bungay, was er seinem Nebenbuhler, Bacon, gesagt, nämlich, daß Pen ein vornehmes Herrchen, ein großes Genie und was noch mehr wäre, daß er mit der großen Welt wohlbekannt und mit dem »ganzen« hohen Adel verwandt wäre. Bungay erwiderte, daß er sich glücklich schätzen würde, mit Herrn Pendennis in Verbindung zu treten, und hoffe, er würde in kurzem das Vergnügen haben, die beiden jungen Herrschaften bei sich zu Tische zu sehen; und so schieden sie unter wechselseitigen Höflichkeiten und Beteuerungen von einander.

»Es ist traurig,« sagte Pen nachdenklich, als er diese Nacht von dem Anblick sprach, dessen Zeuge er gewesen, »solch vielseitige Fähigkeiten, solch unzweifelhafte Begabung und Laune, und dabei die Hälfte seiner Lebenszeit Insasse eines Gefängnisses und 168 Schleppenträger eines Buchhändlers, wenn er heraus ist.«

»Auch ich bin der Schleppenträger eines Buchhändlers, und du selbst stehst im Begriffe, deinen Tritt als Mietsgaul zu versuchen,« sagte Warrington mit einem Gelächter. »Wir sind alle Mietsgäule, der eine auf dieser, der andere auf jener Straße. Ich möchte aber doch lieber ich sein, als Paley, unser Stubennachbar, der von seinem Leben soviel Spaß hat, wie ein Maulwurf. Du hast eine höllische Masse unverdientes Mitleid auf das, was du deinen Buchhändlerpackesel nennst, vergeudet.«

»Viel einsam geschmauchte Pfeifen nebst Ale haben einen Zyniker aus dir gemacht,« entgegnete Pen. »Du bist ein Diogenes vor der Biertonne, Warrington. Niemand soll mir weismachen, daß ein Mann von Genie wie Shandon von solch einem ordinären Sklaventreiber getrieben werden muß, wie jener Herr Bungay, den wir eben verließen, und der sich von dem Gewinne mästet, den ihm das Hirn des anderen einbringt, und sich selbst bereichert von der Arbeit seines Handlangers. Es versetzt mich in Entrüstung, wenn ich sehen muß, wie ein anständiger Mann der Sklave solch eines Geschöpfes wie dieses ist, eines Menschen, der nicht einmal seine Muttersprache richtig spricht und der nicht wert ist, Shandons Schuhe zu putzen.«

»Nun, da hättest du denn schon begonnen, gegen die Buchhändler loszuziehen und deinen Platz in unserer Zunft einzunehmen. Bravo, Pen, mein Junge!« antwortete Warrington, noch immer lachend. »Was kannst du denn gegen Bungays Beziehungen zu 169 Shandon vorbringen? Meinst du, es war vielleicht der Buchhändler, der den Schriftsteller ins Gefängnis schickte? Ist's Bungay, der die Fünfpfundnote versäuft, die wir soeben sahen, oder Shandon?«

»Unglück treibt einen Mann in schlechte Gesellschaft,« sagte Pen. »Es ist leicht, ›Pfui!‹ zu schreien über einen armen Teufel, der keine andere Gesellschaft hat, als die, welche er in einem Gefängnisse findet, und keinen Trost, als die Vergessenheit seiner Lage und die Flasche. Wir müssen über die Ausschreitungen des Genies mild urteilen und uns erinnern, daß gerade die Glut und die Begeisterung eines Gemütes, die den Schriftsteller so herrlich machen, den Mann zugleich auch oft von der rechten Bahn abführen.«

»Einen Quark mit deinen Männern von Genie!« schrie Warrington, der in gewissen Dingen ein sehr strenger Sittenrichter, wenn auch vielleicht ein sehr schlechter Praktikus war. »Ich leugne, daß es soviele Genies gibt, wie die Leute behaupten, die über das Schicksal von Literaten winseln. Es gibt tausende von gescheiten Burschen in der Welt, die, wenn sie nur wollen, Verse schmieden, Artikel schreiben, Bücher kritisieren könnten; das Geschwätz der Kritiker und Schriftsteller von Profession ist nicht um einen Pfifferling glänzender oder tiefer oder ergötzlicher, als das jeder anderen Gesellschaft gebildeter Leute. Wenn ein Advokat oder ein Soldat oder ein Pfarrer sein Einkommen überschreitet und seine Wechsel nicht bezahlt, so muß er ins Gefängnis spazieren, und das muß ein Schriftsteller eben auch. Wenn ein Schriftsteller sich benebelt, so sehe ich nicht ein, warum ihm am nächsten 170 Morgen der Katzenjammer erspart sein, wenn er sich beim Schneider einen Rock bestellt, warum er nicht dafür bezahlen sollte.«

»Ich würde ihm mehr Geld geben, um sich Röcke zu kaufen,« antwortete Pen lächelnd. »Ich glaube, ich hätte es gern, wenn ich einem wohlgekleideten Stand angehörte. Ich protestiere gegen jenen Schuft von einem Unterhändler, den ich zwischen dem Genie und seinem großen Gutsherrn, dem Publikum, stehen sehe, und der mehr als die Hälfte von des Arbeiters Verdienst und Ruhm für sich einstreicht.«

»Ich bin ein Arbeiter auf dem Felde der Prosa,« sagte Warrington, »du, mein guter Junge, bist ein Stück Dichterling und hältst dich somit, wie ich glaube, für autorisiert, zu faseln. Was willst du denn eigentlich haben? Willst du eine Gesellschaft Kapitalisten, die gezwungen sein soll, die Werke aller Autoren anzukaufen, die sich mit dem Manuskript in der Hand präsentieren? Jedermann, der sein Epos schreibt, jeder dumme Bengel, der orthographisch richtig schreiben kann oder auch nicht und seine Novelle oder Tragödie produziert, – sollen sie etwa alle kommen und sich für ihre wertlosen Papierverschmierereien einen Sack voll Goldstücke einwechseln dürfen? Wer soll bestimmen, was gut oder schlecht, was verkäuflich oder Ladenhüter ist? Willst du, um's kurz zu sagen, dem Käufer die Wahl lassen, ob er kaufen soll oder nicht? Ei der Tausend, als Johnson hinter der spanischen Wand in St. Johns Gate saß und sein Essen für sich allein einnahm, weil er zu schäbig und arm war, um sich zu den literarischen Allongeperücken zu setzen, die 171 sich um Herrn Caves bestes Tischtuch herum regalierten, tat ihm der Kaufmann kein Unrecht. Man konnte doch den Buchhändler nicht zwingen, in dem jungen Manne, der sich ihm zerlumpt, hohläugig und hungrig vorstellte, einen Mann von Genie zu erkennen. Lumpen sind kein Beweis von Genie, wogegen das Kapital nach dem Lauf der Zeit der absolute Herrscher ist und notwendigerweise den Ausschlag gibt. Es hat ein Recht, mit dem literarischen Erfinder ebenso zu verfahren, wie mit jedem anderen. Wenn ich im Buchhandel etwas neues schaffe, so muß ich es so gut wie möglich anbringen, aber ich kann ebensowenig Herrn Murray zwingen, mein Reise- oder Predigtwerk zu kaufen, als ich Herrn Tattersall zwingen kann, mir hundert Guineen für mein Pferd zu geben. Ich mag meine eigenen Begriffe vom Werte meines Pegasus haben und ihn für das wundervollste der Tiere halten, aber der Händler hat ein Recht, ebenfalls seine Meinung zu haben, und kann ein Damenpferd wünschen oder ein frommes Rößlein für einen schweren und ängstlichen Reiter oder einen tüchtigen Fuhrmannsgaul, und mein Tier will ihm nicht passen.«

»Du redest in Metaphern, Warrington,« antwortete Pen; »aber du sagst sehr richtig, daß du sehr prosaisch bist. Der arme Shandon! Es liegt etwas in der gütigen Art dieses Mannes und in der Sanftmut dieses holden Geschöpfes, seiner Frau, was mich tief rührt. Ich fürchte, daß ich ihn besser leiden kann als manchen besseren Mann.«

»Das tue ich auch,« versetzte Warrington. »Wenden wir ihm unsere Teilnahme zu und das Mitleid, das 172 seiner Schwachheit gebührt; obwohl ich fürchte, daß eine derartige Freundlichkeit von höher trachtenden Menschen als Verachtung übel aufgenommen werden könnte. Du siehst, er findet gleich neben seinem Unglück noch seinen Trost, und das eine gebiert oder wiegt das andere auf, wie es nun einmal der Lauf der Welt ist. Er ist ein Gefangener, aber er ist nicht unglücklich.«

»Sein Genius singt innerhalb der Riegel seines Kerkers,« sagte Pen.

»Jawohl,« sagte Warrington bitter, »Shandon bequemt sich seinem Käfig ziemlich gut an. Er sollte niedergedrückt sein, aber er hat Hinz und Kunz, mit denen er trinken kann, und das tröstet ihn; er könnte eine hohe Stellung einnehmen; aber da es einmal nicht geht, ei nun, so kann er doch mit Hinz und Kunz trinken; – er könnte für sein Weib und seine Kinder sorgen, aber Hinz und Kunz haben eine Flasche Branntwein, die sie ihn kosten lassen wollen; – er könnte dem armen Snip, dem Schneider, die zwanzig Pfund bezahlen, die der arme Teufel zu seiner Hausmiete braucht, aber Hinz und Kunz legen Beschlag auf seinen Beutel; und so trinkt er sich voll, während der Handwerker dem Gefängnisse und seine Familie dem Ruin entgegengeht. Nun, beklagen wir also das Unglück des Genies und verschwören wir uns gegen die Buchhändler, die die Schriftsteller unterdrücken.«

»Was! Du willst noch ein Glas Grog trinken?« sagte Pen mit lustiger Miene. Es war nämlich im ›Küchenstübchen‹, wo das obige philosophische Gespräch zwischen den beiden jungen Herren stattfand.

Warrington fing, wie gewöhnlich, an zu lachen. 173 »Video meliora proboque – ich meine, bring mir's heiß und mit Zucker, John,« sagte er zum Kellner.

»Auch ich würde noch etwas trinken, aber ich bedarf dessen nicht,« versetzte Pen. »Es kommt mir, Warrington, vor, als ob wir selbst nicht eben viel besser als unsere Nächsten wären.«

Und nachdem Warringtons letztes Glas abgetan war, kehrte das Paar in seine Wohnung zurück.

Sie fanden bei ihrer Heimkunft ein paar Billets im Briefkasten, die ihnen von ihrem Bekannten vom Morgen, Herrn Bungay, zugesandt worden waren. Dieser gastfreundliche Gentleman machte beiden jungen Herren seine Komplimente und bat sie, an einem der nächsten Tage ihm das Vergnügen ihrer Gesellschaft bei Tische zu gewähren, wo sie einige literarische Freunde antreffen würden.

»Wir werden eine großartige Abfütterung haben,« sagte Warrington. »Wir werden Bungays ganze Clique zu sehen bekommen.«

»Alle, den armen Shandon ausgenommen,« sagte Pen, indem er seinem Freunde Gutenacht zunickte, worauf er in sein eigenes kleines Zimmer ging. Die Ereignisse und Bekanntschaften des Tages hatten ihn sehr aufgeregt, und er lag einige Zeit wachend da und dachte über sie nach, als Warringtons kräftiges und regelmäßiges Schnarchen aus dem benachbarten Zimmer verkündigte, daß dieser Gentleman in tiefen Schlummer versenkt wäre.

Ist es wahr, dachte Pendennis, wie er so auf seinem Bette lag und in das helle Mondlicht draußen schaute, das eine Ecke seines Ankleidetisches erleuchtete 174 und den Rahmen einer kleinen Skizze von Fairoaks, gezeichnet von Laura und aufgehangen über seiner Kommode, bestrahlte – ist es wahr, daß ich im Begriffe stehe, endlich mein Brot zu verdienen, und zwar mit meiner Feder? Daß ich die gute Mutter nicht länger in Armut stürzen werde und daß ich vielleicht einen Namen und einen Ruf in der Welt erlangen soll? Die wären willkommen, wenn sie kämen, dachte der junge Seher, lächelnd und vor sich selbst errötend, obwohl er allein im Dunkeln war, wenn er daran dachte, wie wonnig und teuer ihm Ehre und Ruhm sein würden.

Wenn das Geschick mir günstig ist, werde ich es preisen; wenn es mir zürnt, werde ich zu entsagen wissen. Ich bitte Gott, daß ich rechtschaffen bleiben möge, wie beim Mißlingen so beim Erfolg. Ich bitte Gott, daß ich stets die Wahrheit sagen möge, soweit ich sie kenne, daß ich mich von ihr weder durch Schmeichelei oder Interesse noch persönliche Feindseligkeit oder Parteivorurteil weglocken lassen möge. Teuerste alte Mutter, wie stolz wirst du sein, wenn ich etwas tun kann, was unseres Namens würdig ist! Und du, Laura, du wirst mich nicht länger als nichtsnutzigen Müßiggänger und Tagedieb verspotten, wenn du siehst, daß ich – wenn ich es vollendet habe, ein – pah! was für ein Großmaul bin ich doch gleich, weil ich mit meinem Gedicht fünf Pfund verdient habe und engagiert bin, ein halbes Dutzend Artikel für eine Zeitung zu schreiben. Er fuhr in diesem Sinnen fort und war glücklicher und hoffnungsvoller und dabei demütiger gestimmt, als ihm seit lange zumute gewesen war. 175 Er überdachte bei sich die Irrtümer und träg verlebten Zeiten, die Leidenschaften, Ausschweifungen, Enttäuschungen seiner eigensinnigen Jugend; dann stand er vom Bett auf, riß das Fenster auf und blickte hinaus in die Nacht; dann stieg er, von einem gewissen Impulse getrieben, der, wie wir hoffen, ein guter war, in die Höhe, küßte das Bild von Fairoaks, warf sich vor dem Bette auf die Knie und blieb eine geraume Zeitlang in dieser Stellung voll Hoffnung und Demut. Als er sich erhob, standen seine Augen voll Tränen. Er hatte sich bei der mechanischen Wiederholung verschiedener kleiner Worte betroffen, die er als ein Kind an seiner Mutter Seite zu wiederholen gewohnt gewesen, worauf sie ihn stets sanft in sein Bett getragen, die Vorhänge um ihn zugezogen und ihn mit einem Segensspruche in den Schlaf gesummt hatte.

Am nächsten Tage brachte Herr Pidgeon, der Aufwärter, ein mächtiges Paket herein, gerichtet an Herrn G. Warrington, mit Herrn Trotters Empfehlungen und einem Billete, das Warrington las.

»Pen, du Bummler!« brüllte Warrington Pen zu, der sich noch in seinem eigenen Zimmer befand.

»Halloh!« schrie Pen.

»Komm hierher, es will dich jemand haben,« rief jener, und Pen kam heraus. »Was ist los?« fragte er.

»Fang auf!« schrie Warrington und schleuderte das Paket nach Pens Kopfe, den es zu Boden geschlendert haben würde, wenn er es nicht aufgefangen hätte.

»Es sind Bücher für die Revue der ›Pall Mall Gazette‹; stürze dich auf sie,« sagte Warrington. Pen war noch niemals so entzückt gewesen in seinem 176 Leben; seine Hand zitterte, als er den Bindfaden um das Paket herum durchschnitt und darin eine hübsche Sammlung neuer, schön in Kaliko gebundener Bücher, Reisen, Romane und Gedichte erblickte.

»Mach die Bude zu, Pidgeon,« sagte er. »Ich bin heute für keinen Menschen zu Hause.« Damit warf er sich in seinen Lehnstuhl und nahm sich kaum Zeit, seinen Tee zu trinken, so eifrig brannte er darnach, mit Lesen und Kritisieren zu beginnen.



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