William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Vierzehntes Kapitel

Oberst Altamont taucht auf und verschwindet wieder

An dem festgesetzten Tage langte Major Pendennis, der keine bessere Einladung erhalten hatte, und Arthur, welcher keine bessere wünschte, zusammen an, um bei Sir Francis Clavering zu speisen. Als Pen und sein Onkel kamen, waren die einzigen Insassen des Gesellschaftszimmers Sir Francis, seine Frau und unser Freund Kapitän Strong, den Arthur sich sehr freute zu sehen, obgleich der Major sehr verdrießlich auf Strong blickte, da es ihm keinesfalls 265 großes Vergnügen machte, sich mit Claverings verd— Haushofmeister zu Tisch zu setzen, wie er Strong unehrerbietig nannte. Aber als Herr Welbore Welbore, Claverings Gutsnachbar und Parlamentskollege, sehr bald darauf anlangte, wurde Pendennis der Aeltere etwas besänftigt, denn obwohl Welbore vollkommen einfältig war und an der Unterhaltung bei Tisch nicht mehr Anteil nahm, als der Bediente hinter seinem Stuhl, war er ein respektabler Landedelmann von alter Familie und siebentausend Pfund jährlichem Einkommen, und der Major fühlte sich stets behaglich in solcher Gesellschaft. Zu diesem kamen andere Persönlichkeiten von Bedeutung: die verwitwete Lady Rockminster, die ihre Gründe hatte, sich mit der Familie Clavering gut zu stehen, und Lady Agnes Foker mit ihrem Sohne, Herrn Harry, unserem alten Bekannten. Herr Pynsent konnte nicht abkommen, seine parlamentarischen Pflichten hielten ihn im Oberhause fest, Pflichten, die die beiden anderen Senatoren sehr leicht nahmen. Fräulein Blanche Amory erschien als letzte in der Gesellschaft. Sie war in ein bezauberndes weißes Atlaskleid gekleidet, das ihre perlweißen Schultern höchst günstig zur Schau stellte. Foker flüsterte Pen, der sie mit Blicken offenkundiger Bewunderung ansah, zu, sie wäre ein Teufelsmädel. Sie geruhte diesen Tag sehr gnädig gegen Arthur zu sein, streckte ihm sehr herzlich ihre Hand entgegen und redete vom lieben Fairoaks; sie fragte nach der lieben Laura und nach Arthurs Mutter und sagte, daß sie sich sehne, aufs Land zurückzugehen, und war wirklich ganz einfach, liebenswürdig und harmlos.

Harry Foker meinte, er hätte nie jemand so 266 Liebenswürdiges und Reizendes gesehen. Da er nicht sehr an Damengesellschaft gewöhnt und gewöhnlich stumm in ihrer Gegenwart war und nun fand, daß er vor Fräulein Amory sprechen konnte, wurde er ungewöhnlich lebhaft und redselig, sogar schon ehe das Essen angemeldet war und die Gesellschaft in die unteren Räume hinabstieg. Er hätte der schönen Blanche sehr gern seinen Arm gegeben und sie die breite teppichbelegte Treppe hinuntergeführt, aber sie fiel hierbei Pen zu, da Herr Foker, wegen seines höheren Ranges als Enkel eines Grafen, dazu bestimmt war, Frau Welbore Welbore zu führen.

Aber obgleich er von dem Gegenstande seines Verlangens während des Hinabgehens getrennt war, fand sich der entzückte Foker doch bei Tisch an Fräulein Amorys Seite und schmeichelte sich, daß er diesen glücklichen Platz seinem geschickten Manövrieren zu danken hätte. Es mag jedoch sein, daß dieses Zusammentreffen nicht durch ihn, sondern durch eine andere Person bewirkt war. Blanche hatte so die beiden jungen Leute, einen auf jeder Seite, und jeder von ihnen bemühte sich, sich galant und angenehm zu machen.

Fokers Mama, die von ihrem Platze aus ihren Herzensjungen beobachtete, war erstaunt über seine Lebhaftigkeit. Harry schwatzte beständig mit seiner schönen Nachbarin von den Tagesneuigkeiten.

»Haben Sie die Taglioni in der Sylphide gesehen, Fräulein Amory? Wollen Sie so gut sein, mir dieses souprame of Volile noch mal geben? (dies war zum Bedienten neben ihm gesprochen); sehr gut, möchte wissen, woher die souprames kommen und was aus 267 den Beinen der Vögel wird. Sie ist göttlich in der Sylphide, nicht wahr?« Und er begann sehr gemütlich die niedliche Arie zu summen, die durch dies niedlichste aller Ballets hindurchgeht, das jetzt mit jener schönsten und anmutigsten aller Tänzerinnen in die Vergangenheit verschwunden ist. Werden die jungen Leute je etwas so Reizendes, so Klassisches, je etwas wie die Taglioni sehen?

»Fräulein Amory ist selbst eine Sylphide,« sagte Herr Pen.

»Was für eine wonnige Tenorstimme Sie haben, Herr Foker!« sagte die junge Dame. »Ich bin gewiß, Sie haben einen guten Lehrer gehabt. Ich singe selbst ein bißchen. Ich möchte mit Ihnen singen.«

Pen erinnerte sich, daß sehr ähnliche Worte von der jungen Dame auch einmal an ihn gerichtet worden waren, und daß sie in früheren Tagen gern mit ihm gesungen hatte. Und indem er innerlich spöttisch lachte, hätte er wohl wissen mögen, mit wieviel anderen Gentlemen sie seit jener Zeit hübsche Duette gesungen haben mochte. Aber er hielt es nicht für schicklich, diese garstige Frage laut werden zu lassen, und sagte nur mit der zärtlichsten Miene, die er annehmen konnte: »Ich möchte Sie wohl wieder einmal singen hören, Fräulein Blanche. Ich hörte niemals eine Stimme, die mir so wohlgefiel als die Ihre, glaube ich.«

»Ich dachte, Lauras Stimme gefiele Ihnen,« sagte Fräulein Blanche.

»Lauras Stimme ist Contra-Alt, und diese Stimme schlägt sehr oft über, wie Sie wissen,« sagte Pen bitter. »Ich habe in London viel Musik gehört,« fuhr 268 er fort. »Ich bin dieser Berufsmenschen müde – sie singen zu laut – oder ich bin zu alt oder zu blasiert geworden. Man wird sehr bald in London alt, Fräulein Amory. Und wie alle alten Leute kümmere ich mich nur um die Lieder, die ich in meiner Jugend hörte.«

»Ich liebe die englische Musik am meisten. Ich mache mir nicht viel aus den fremden Liedern. Geben Sie mir ein Stück Schöpsenbraten,« sagte Herr Foker.

»Ich verehre vor allem die englischen Balladen,« sagte Fräulein Amory.

»Singen Sie mir eines dieser alten Lieder nach Tische, wollen Sie?« sagte Pen mit flehender Stimme.

»Soll ich Ihnen nach Tische ein englisches Lied singen?« fragte die Sylphide, sich zu Herrn Foker wendend. »Ich will's tun, wenn Sie mir versprechen, bald hinaufzukommen«; und sie feuerte eine förmliche Salve aus ihren Augen ab.

»Ich will schnell genug nach Tische hinaufkommen,« antwortete er einfach. »Ich mache mir nicht viel aus dem Weine hinterher – ich nehme mein Teil bei Tische zu mir, wissen Sie, und wenn ich so viel gehabt habe, wie ich brauche, so bummle ich hinauf zum Tee. Ich bin ein häuslicher Charakter, Fräulein Amory – meine Gewohnheiten sind einfach – und wenn es mir wo gefällt, bin ich gewöhnlich in guter Laune, nicht wahr, Pen? – das Gelee da, bitte – nicht das dort, das andere, mit den Kirschen drin! Wie zum Deixel mögen sie nur diese Kirschen ins Gelee bekommen?« In dieser Weise schwatzte der harmlose, junge Mensch weiter, und Fräulein Amory hörte ihm mit 269 unerschöpflich guter Laune zu. Als die Damen sich nach den oberen Regionen zurückzogen, ließ Blanche die beiden jungen Leute versprechen, sich getreulich bald von der Tafel zurückzuziehen, und ging dann fort mit freundlichen Blicken für einen jeden. Sie ließ auf Fokers Seite des Tisches ihre Handschuhe, auf Pens ihr Taschentuch fallen. Jeder hatte sein bißchen Aufmerksamkeit erwiesen bekommen; ihre Höflichkeit gegen Herrn Foker war vielleicht ein bißchen ermutigender, als ihre Freundlichkeit gegen Arthur, aber das wohlwollende kleine Wesen tat sein Bestes, beide Herren glücklich zu machen. Foker fing ihren letzten Blick auf, als sie zur Tür hinausrauschte; dieser strahlende Blick ging über Herrn Strongs breite weiße Weste weg und schoß geradezu auf Harry Fokers Gesicht. Die Tür schloß sich hinter der Zauberin, er setzte sich mit einem Seufzer nieder und goß einen Humpen Claret hinunter.

Da das Diner, bei dem Pen und sein Onkel anwesend waren, keine von unseren großen Tischgesellschaften war, so war es zu beträchtlich früherer Stunde aufgetragen worden, als jene zeremoniellen Bankette der Londoner Saison, die nach hergebrachter Sitte kaum vor neun Uhr stattfinden sollen, und da die Gesellschaft klein und Fräulein Blanche eifrig darauf bedacht war, sich ans Piano im Gesellschaftszimmer zu setzen, und ihrer Mutter fortwährend winkte, sich zurückzuziehen, so gab Lady Clavering dies Signal sehr zeitig, so daß es noch heller Tag war, als die Damen die oberen Gemächer erreichten, von deren blumengeschmückten Balkonen sie die Aussicht auf die beiden 270 Parks, auf die armen Liebespaare und Kinder hatten, die noch immer in dem einen umherwandelten, und auf die Equipagen der Damen und die Pferde der Stutzer, die den Bogen des anderen passierten. Die Sonne war, mit einem Worte, noch nicht hinter den Ulmen des Kensingtongartens untergegangen und vergoldete noch das von den Damen Englands zu Ehren Sr. Gnaden des Herzogs von Wellington errichtete Standbild, als Lady Clavering und ihre Freundinnen die Herren beim Weine verließen.

Die Fenster des Eßzimmers waren geöffnet, um frische Luft hineinzulassen, und gewährten den auf der Straße Vorübergehenden eine angenehme oder vielleicht auch tantalische Aussicht auf sechs Gentlemen in weißen Westen, mit einer Menge Weinkrügen und einer Auswahl Früchten vor ihnen; kleine Jungen, die vorbeigingen und an dem Geländer vor dem Hause in die Höhe sprangen und hineinguckten, sagten zu einander: »He, Jim, möchtest du nicht gern mal da drin sein und eine Scheibe von der Ananas da haben?« Die Pferde und Wagen des hohen und kleinen Adels jagten vorbei, um diesen nach einer Toilette in Belgravia zu bringen, der Polizeidiener patroullierte mit stampfendem Fuße vor dem Hause auf und ab, die Schatten des Abends begannen zu fallen, der Gasmann kam und zündete die Lampen vor Sir Francis' Tür an, der Kellermeister trat in das Speisezimmer und steckte die Kerzen auf dem antiken gotischen Kandelaber über der altertümlichen geschnitzten eichenen Speisetafel an, so daß man von draußen vor dem Hause nach innen auf eine Nachtszene voll Festlichkeit 271 und Wachskerzen blickte, und von innen die Vision eines milden Sommerabends, der Mauer von St. Jamespark und des Himmels darüber hatte, an dem eben ein paar Sterne zu blinken begannen.

Jeames lehnte mit gekreuzten Beinen an dem Türpfeiler der Wohnung seines Herrn und schaute nachdenklich auf das eben erwähnte ruhige Schauspiel hinaus, während ein auf das Geländer gelehnter Zuschauer die vorhergeschilderte Szene beobachtete. Polizeidiener X., der vorbeikam, widmete keiner von beiden Szenen seine Aufmerksamkeit, sondern heftete seine Blicke auf das Individuum, das sich am Geländer festhielt und in Sir Francis Claverings Eßzimmer starrte, wo Strong lachte und lustig drauflos schwatzte, indem er für die ganze Gesellschaft die Unterhaltung führte.

Der Mann an dem Geländer war äußerst prächtig geputzt mit Ketten, Juwelen und Westen, die die Beleuchtung des Hauses in sehr vorteilhaftem Lichte erscheinen ließ; seine Stiefel glänzten, er hatte Messingknöpfe an seinem Rocke und breite weiße Manschetten über seinen Knöcheln; er sah wirklich so großartig aus, daß X. sich einbildete, er sähe ein Parlamentsmitglied oder doch eine Person von Bedeutung vor sich. Was indes auch sein Rang sein mochte, das Parlamentsmitglied oder die Person von Bedeutung war beträchtlich aufgeregt vom Weine, denn er schlurfte und taumelte etwas in seinem Gange, und sein Hut saß über seinen wilden und blutunterlaufenen Augen in einer kecken Weise, wie sie kein nüchterner Hut je annehmen konnte. Sein reiches schwarzes Haar war 272 augenscheinlich von anderer Leute Kopf gestohlen und sein Backenbart hatte die Farbe tyrischen Purpurs.

Da Strongs Gelächter infolge eines seiner gros mots aus dem Fenster geschallt kam, so lachte und kicherte dieser Gentleman draußen ebenfalls und zwar in der pudelnärrischsten Weise, schlug sich auf den Schenkel und winkte dem nachdenklichen Jeames in der Säulenhalle, als ob er sagen wollte: »Plüschhose, mein Junge, ist das nicht eine hübsche Geschichte?«

Jeames' Aufmerksamkeit war allmählich von dem Monde am Himmel auf dies sublunarische Schauspiel gezogen worden und er war erstaunt und entrüstet über die Erscheinung des Mannes in den Glanzstiefeln.

»'ne Keilerei mit einem Kerl auf der Straße ist niemals zu was gut, und er wäre doch auch wirklich für keinen solchen Zweck gemietet.« So guckte denn Jeames, nachdem er den Mann einige Zeitlang beobachtet, der zu lachen, zu taumeln und mit betrunkener Schlauheit mit dem Kopf zu nicken fortfuhr, aus der Säulenhalle, rief leise: »Polizeier«, und winkte diesem Beamten.

X. marschierte resolut vor ihm auf, den einen Berliner Handschuh in seinem Gürtel und Jeames wies ganz einfach mit seinem Zeigefinger auf das Individuum, das am Geländer lachte. Nicht ein einziges Wort mehr als »Polizeier« sagte er, sondern stand da in dem stillen Sommerabend, gelassen auf den Störenfried deutend, ein erhabener Anblick.

X. schritt auf das Individuum zu und sagte: »Nun, mein Herr, wollen Sie so gut sein und weitergehen?«

Das Individuum, das in vollkommen guter Laune 273 war, schien kein Wort von dem zu hören, was der Polizeimann X. geäußert, sondern nickte und wackelte mit seinem grinsenden Gesicht Strong zu, bis ihm sein Hut fast vom Kopfe über das Geländer gefallen wäre.

»Nun, Herr, hören Sie wohl, Sie sollen weiter gehen,« sagte X. in befehlendem Tone und tippte dem Fremden sacht mit einem der in Handschuhe von Berliner Gewebe eingeschlossenen Finger an.

Der mit den vielen Ringen fuhr oder vielmehr stolperte sofort in das, was man eine Stellung zur Selbstverteidigung nennt, zurück, und in dieser Stellung begann er gegen den Polizeimann X. die Operation, die man »auslegen« nennt, wobei er sich tapfer und kriegerisch, wenn auch nicht standhaft bewies. »Holla! weg mit Ihren Händen von einem Gentleman,« sagte er mit einem Fluche, der nicht wiederholt zu werden braucht.

»Machen Sie, daß Sie von hier fortkommen,« antwortete X., »und versperren Sie das Trottoir nicht, indem Sie in vornehmer Leute Eßzimmer stieren.«

»Nicht stieren – ho, ho – nicht stieren – das ist mir ein Guter,« erwiderte der andere mit satirischem Lachen und höhnischer Gebärde. – »Wer kann mich abhalten vom Stieren, vom Hineingucken zu meinen Freunden, wenn ich das mag? Sie gewiß nicht, alter Schafskopf.«

»Freunde! Möchte wissen, was für Freunde! Vorwärts!« antwortete X.

»Wenn Sie mich anfassen, so geb' ich Ihnen eins aufs Maul, wahrhaftig,« brüllte der andere. »Ich sage Ihnen, ich kenne Sie alle – das da ist Sir 274 Francis Clavering, Baronet, Parlamentsmitglied. – Ich kenne ihn und er kennt mich – und das da ist Strong, und das da ist der junge Bursche, der den Lärm auf dem Balle machte. Höre mal, Strong, Strong!«

»Das ist der verd– Altamont,« schrie Sir Francis drinnen, mit einem Blicke des Schuldbewußtseins in die Höhe fahrend, und ebenso stand Strong mit ärgerlicher Miene von der Tafel auf und lief zu dem Störenfried hinaus.

Ein Gentleman in weißer Weste, der barhäuptig aus einem Speisezimmer fortläuft, ein Polizeimann und ein ziemlich vornehm gekleideter Herr, die auf dem Trottoir fast im Faustkampfe begriffen sind, waren hinreichend, um selbst in dieser stillen Nachbarschaft um halb neun Uhr abends einen Auflauf hervorzurufen, und eine kleine Volksmenge begann sich vor Sir Francis Claverings Tür zu sammeln. »Um Gottes Willen, kommen Sie herein,« sagte Strong, indem er seinen Bekannten am Arm nahm. »Bitte schicken Sie nach einem Cab, Jeames,« fügte er leise zu diesem Bedienten hinzu, und indem er den erregten Gentleman von der Straße wegschaffte, wurde die äußere Tür hinter ihm geschlossen, und die kleine Volksmenge begann sich zu verlaufen.

Herr Strong hatte die Absicht, den Fremden in Sir Francis' Privatzimmer zu schaffen, wo die Hüte der männlichen Gäste dieselben erwarteten, und suchte dort seinen Freund durch freundliche Unterhaltung zu besänftigen, um ihn, sobald der Fiaker ankäme, fortschaffen zu lassen; aber der Neuangekommene war im höchsten Zustand der Wut über das unwürdige 275 Verfahren gegen ihn, und als Strong ihn an die zweite Tür führen wollte, sagte er mit der Stimme eines Betrunkenen: »Das ist die Tür nicht – das dort ist die Tür zum Speisezimmer – wo sie trinken – und ich will hineingehen und auch was davon haben. Donnerwetter, ja, ich will hineingehen und auch was davon haben.« Bei dieser Unverschämtheit wurde der Kellermeister leichenblaß, ging aus der Halle und plazierte sich vor die Tür, aber sie öffnete sich hinter ihm, und der Hausherr erschien mit ängstlichen Blicken.

»Ich will was davon haben – zum – – ich will,« brüllte der Eindringling, als Sir Francis auf ihn zukam. »Hollah! Clavering, hören Sie mal, ich komme, um ein Glas Wein mit Ihnen zu trinken, he! alter Junge – he, alter Korkzieher? Bring uns eine Flasche vom Gelbgesiegelten, du alter Spitzbube – vom allerbesten – hundert Rupien das Dutzend, aber irr' dich nicht!«

Der Wirt dachte einen Augenblick über seine Gesellschaft nach. Da ist nur Welbore, Pendennis und diese zwei Bürschchen, dachte er, und mit gezwungenem Lachen und einer erbärmlichen Miene, sagte er: »Nun, Altamont, kommen Sie doch herein. Ich freue mich wirklich sehr, Sie zu sehen.«

Oberst Altamont – der intelligente Leser hat ohne Zweifel schon längst in dem Fremden Se. Exzellenz den Gesandten des Nabobs von Lucknow entdeckt – taumelte in den Speisesaal, mit einem triumphierenden Blick auf Jeames, den Bedienten, der zu besagen schien: »Da, mein Herr, was denken Sie nun davon? Bin ich nun ein Gentleman oder bin ich es nicht?« und 276 sank in den ersten besten leeren Stuhl. Sir Francis Clavering stammelte ängstlich den Namen des Obersten zu seinem Gaste, Herrn Welbore Welbore, und Se. Exzellenz begann frischweg Wein zu trinken und sich in der Gesellschaft umzuschauen, bald mit der wunderlichsten mürrischen Miene, bald wieder mit dem friedlichsten Lächeln, und stotterte lobende Bemerkungen über das Getränk, das er einschlürfte.

»Sehr eigentümlicher Mann! Hat sich lange am Hofe eines eingeborenen Indiers aufgehalten,« sagte Strong mit großem Ernst, da den Chevalier seine Geistesgegenwart niemals verließ, »an diesen indischen Höfen nimmt man sehr eigentümliche Gewohnheiten an.«

»Wahrhaftig,« sagte Major Pendennis trocken und wunderte sich, welcher Art um Gotteswillen die Gesellschaft wäre, in die er geraten.

Herrn Foker gefiel der neue Ankömmling. »Es ist der Mann, der im Küchenstübchen das Malayenlied zu singen pflegte,« flüsterte er Pen zu. »Versuchen Sie mal diese Ananas, Herr,« sagte er dann zu Oberst Altamont, »sie ist ungewöhnlich schön.«

»Ananas – ich habe die Schweine mit Ananas füttern sehen,« sagte der Oberst.

»Alle Schweine des Nabobs von Lucknow werden mit Ananas gefüttert,« flüsterte Strong Major Pendennis zu.

»O natürlich,« antwortete der Major. Sir Francis Clavering hatte sich inzwischen bemüht, vor seinem anderen Gaste, dem Parlamentskollegen, den Zustand des neuen Ankömmlings zu entschuldigen, und murmelte etwas in bezug auf Altamont, daß er ein sehr 277 außergewöhnlicher Charakter wäre, sehr exzentrisch, sehr – hätte indische Sitten – verstände sich nicht auf die Regeln der englischen Gesellschaft, worauf der alte Welbore, ein verschlagener alter Gentleman, der seinen Wein mit großer Regelmäßigkeit trank, sagte, ›das schiene ziemlich klar‹.

Dann erblickte der Oberst Pens ehrliches Antlitz, betrachtete es eine Weile mit soviel Ausdauer, als es sein Zustand erlaubte, und sagte dann: »Ich kenne Sie auch, junges Bürschchen. Ich erinnere mich Ihrer. Ball in Baymouth, bei Jingo. Wollten sich mit dem Franzmann prügeln. Ich entsinne mich Ihrer«; und er lachte, machte mit seinen Fäusten die Bewegung eines Boxers und schien in den betrunkenen Abgründen seiner Seele unbändig ergötzt, als diese Erinnerungen durch dieselbe gingen oder vielmehr taumelten.

»Herr Pendennis, Sie erinnern sich des Obersten Altamont zu Baymouth?« sagte Strong, worauf Pen, sich etwas steif verbeugend antwortete, er hätte das Vergnügen, sich jenes Umstandes vollkommen zu erinnern.

»Wie ist sein Name?« schrie der Oberst. Strong nannte Herrn Pendennis noch einmal. »Pendennis! – Hol der Henker Pendennis!« brüllte Altamont zum Erstaunen aller heraus und schlug mit seiner Faust auf den Tisch.

»Mein Name ist ebenfalls Pendennis, mein Herr,« sagte der Major, dessen Würde durch die Ereignisse des Abends, daß er, Major Pendennis, zu solch einer Gesellschaft geladen worden, und daß ein Betrunkener in dieselbe Zutritt gefunden, außerordentlich verletzt 278 war. »Mein Name ist Pendennis, und ich würde Ihnen verbunden sein, wenn sie denselben nicht zu laut verfluchen würden.«

Der Betrunkene drehte sich nach ihm um, um ihn anzusehen, und wie er hinblickte, schien es, als ob Oberst Altamont plötzlich nüchtern wurde. Er fuhr sich mit der Hand über seine Stirn, und dabei verschob er die schwarze Perücke, die er trug, etwas und seine Augen starrten ingrimmig auf den Major, der seinerseits als entschlossener alter Krieger, der er war, seinen Gegner sehr scharf und standhaft anstarrte. Am Ende der gegenseitigen Betrachtung begann Altamont die Messingknöpfe seines Rockes zuzuknöpfen, und, indem er sich plötzlich von seinem Stuhle erhob, taumelte er zum Erstaunen der Gesellschaft auf die Tür zu und ging hinaus, wobei Strong ihm folgte. Alles, was der letztere ihn äußern hörte, war: »Kapitän Beak! Kapitän Beak! bei Jingo!«

Es war nicht mehr als eine Viertelstunde zwischen seinem seltsamen Auftauchen und seinem ebenso plötzlichen Verschwinden verflossen. Die beiden jungen Leute und die anderen Gäste des Baronets wunderten sich über den Auftritt und konnten keine Erklärung dafür finden. Clavering schien ausnehmend blaß und erregt und wandte sich mit schreckhafter Miene zu Major Pendennis. Der Letztere hatte seinen Wirt ein paar Augenblicke scharf angesehen. »Kennen Sie ihn?« fragte Sir Francis den Major.

»Ich bin sicher, daß ich diesen Menschen schon gesehen habe,« erwiderte der Major. »Ja, ich habe ihn gesehen. Er war Deserteur von der reitenden Artillerie, 279 der in die Dienste des Nabobs trat. Ich entsinne mich seines Gesichtes sehr gut.«

»Oh,« sagte Clavering mit einem tiefen Seufzer, der verriet, daß ihm ein ungeheurer Stein vom Herzen gefallen wäre; und der Major blickte ihn mit einem Zwinkern seiner scharfen alten Augen an. Das Cab, das Strong hatte herbeirufen lassen, fuhr mit dem Chevalier und Oberst Altamont ab; den zurückbleibenden Herren wurde Kaffee gebracht, und sie gingen zu den Damen in das Gesellschaftszimmer hinauf, wobei Foker Pen im Vertrauen erklärte, daß »dies der gottvollste Ulk wäre, den er je gesehen,« welches Urteil, wie Pen lachend sagte, »großen Scharfsinn auf Herrn Fokers Seite verriete.«

Dann machte Fräulein Amory, wie sie versprochen, Musik für die jungen Herren. Foker war ganz hingerissen von ihrem Talent und mischte seine Stimme gemütlich in die Melodien, die sie sang, wenn sie ihm zufällig bekannt waren. Pen tat, als spräche er beiseite mit anderen der Gesellschaft, aber Blanche brachte ihn schnell ans Piano, indem sie einige von seinen eigenen Versen sang, die wir auch vordem erwähnt haben, und die die Sylphide selbst in Musik gesetzt haben wollte. Ich weiß nicht, ob die Melodie die ihre war, oder wieviel davon von ihrem Signor Twankidillo, bei dem sie Stunden hatte, herrührte, aber gleichviel, ob gut oder schlecht, Original oder anderswoher, sie entzückte Herrn Pen, der an ihrer Seite blieb und nun sehr eifrig die Blätter für sie umwendete – »Gott! wie gerne möcht' ich Verse machen können, wie du, Pen,« seufzte Foker später zu 280 seinem Gefährten. »Wenn ich welche machen könnte, wie gerne würd' ich's tun! Aber ich war niemals ein großes Licht mit solchen Schreibereien, weißt du, und es tut mir leid, daß ich auf der Schule so faul war.«

Vor den Damen wurde nichts von dem wunderlichen kleinen Auftritte erwähnt, der sich unten zugetragen hatte, obwohl Pen gerade auf dem Punkte stand, ihn Fräulein Amory zu beschreiben, als diese junge Dame nach Kapitän Strong fragte, der, wie sie wünschte, ein Duett mit ihr singen sollte. Da aber Arthur, als er zufällig einen Blick auf Sir Francis Clavering warf, einen eigentümlichen Ausdruck der Angst in dem gewöhnlich ausdruckslosen Gesichte des Baronets sah, so schwieg er diskret. Es war ein ziemlich langweiliger Abend. Welbore schlief, wie er es immer tat, bei der Musik nach dem Essen ein, auch unterhielt Major Pendennis, wie es sonst seine Gewohnheit war, die Damen nicht mit einer Fülle von Anekdoten und endlosen kleinen Skandalgeschichten, sondern saß meist schweigsam da und schien auf die Musik zu hören und die schöne junge Künstlerin zu beobachten.

Als die Stunde zum Weggehen gekommen war, erhob sich der Major, bedauerte, daß ein so wundervoller Abend so schnell vergangen wäre. und richtete ein ganz besonders schönes Kompliment an Fräulein Amory wegen ihrer glänzenden Talente als Sängerin. »Ihre Tochter, Lady Clavering,« sagte er zu dieser Dame, »ist eine vollkommene Nachtigall – eine vollkommene Nachtigall, weiß Gott! Ich habe kaum je ihresgleichen gehört, und ihre Aussprache 281 in jeder Sprache – bei Gott, in jeder Sprache – scheint mir vollkommen zu sein; und die besten Häuser in London müssen sich einer jungen Dame öffnen, die solche Talente und, erlauben Sie einem alten Manne es hinzuzufügen, solch ein Gesicht besitzt.«

Blanche war über diese Komplimente ebenso erstaunt wie Pen, zu dem sein Onkel kurze Zeit vorher von der Sylphide in Ausdrücken gesprochen hatte, die durchaus anders lauteten. Der Major und die beiden jungen Leute gingen zusammen nach Hause, nachdem Herr Foker vorher seine Mutter in ihren Wagen gebracht und sich einen Fidibus für eine ungeheure Zigarre besorgt hatte.

Die Gesellschaft des jungen Edelmannes oder sein Tabak schienen dem Major Pendennis nicht zu behagen, denn dieser sah ihn mehrmals von der Seite mit einem Blicke an, der deutlich seinen Wunsch ausdrückte, Herr Foker möchte sich verabschieden; aber Foker hing sich entschlossen an Onkel und Neffen und blieb bei ihnen, bis sie an die Tür des ersteren in Burg Street kamen, wo der Major den jungen Leuten Gutenacht wünschte.

»Und ich sage dir, Pen,« sagte er in vertraulichem Geflüster, nachdem er seinen Neffen zurückgerufen hatte, »vergiß nicht, morgen in Grosvenor Place vorzusprechen. Sie sind ungewöhnlich höflich gewesen, ungeheuer höflich und freundlich.«

Pen versprach es und wunderte sich, und nachdem Morgan die Tür des Majors hinter ihm geschlossen, nahm Foker Pens Arm und ging mit ihm ein Weilchen schweigend dahin, seine Zigarre paffend. Endlich aber, 282 als sie Charing Cross auf Arthurs Nachhauseweg zum Tempel erreicht hatten, erleichterte Harry Foker sein Herz und brach mit jenem Lobspruche auf die Dichtkunst und jenen reuigen Worten über eine übelangewendete Jugend hervor, die wir kurz zuvor erwähnt haben. Und den ganzen Weg, den Strand entlang und sogar bis an die Tür von Pens Treppe in Lamb Court-Tempel hörte der junge Harry Foker nicht auf, vom Singen und von Blanche Amory zu sprechen.



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