William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Monseigneur s'amuse

Die Anstrengungen der letzten Nacht in Gaunt House hatten sich beinahe als zu schwer für Major Pendennis erwiesen; und sobald er seinen todmüden alten Körper mit Sicherheit bewegen konnte, begab er sich ächzend nach Buxton und suchte Linderung bei den heilenden Wässern dieses Ortes. Das Parlament brach auf. Sir Francis Clavering und Familie verließen die Stadt, und die Angelegenheiten, die wir soeben dem Leser mitgeteilt haben, waren in dem kurzen Zwischenraum von wenigen Tagen oder Wochen, die zwischen diesem und dem letzten Kapitel liegen, nicht weitergeschritten. Die Stadt hatte sich jedoch seitdem geleert.

Die Saison war jetzt zum Schlusse gekommen. Pens Nachbarn, die Advokaten, machten ihre Rundreise durch das Land und seine feineren Freunde hatten ihre Pässe für den Kontinent genommen oder waren der Gesundheit oder des Vergnügens halber in die schottischen Moore geflohen. Kaum ein Mensch war in den Bogenfenstern des Klubs oder auf dem einsamen Pflaster von Pall Mall zu sehen. Die Rotjacken waren 432 von der Palastpforte verschwunden, die Herren Handwerker von St. James waren zum Vergnügen ins Ausland gereist, die Schneider hatten sich Bärte wachsen lassen und waren den Rhein hinauf gegangen; die Schuhmacher waren in Ems oder Baden, erröteten, wenn sie an diesen Erholungsorten ihre Kunden trafen, oder setzten neben ihren Gläubigern an den Spieltischen; die Geistlichen von St. James predigten bloß zu einer halben Gemeinde, in der sich nicht ein einziger Sünder von Distinktion befand; die Musikbande in Kensington Gardens hatte ihre Messinginstrumente und Silbertrompeten eingeschlossen; nur zwei oder drei alte Fiaker und Chaisen krauchten an den Ufern der Serpentine hin, und Clarence Bulbue, der in der Stadt durch seine dringenden Berufspflichten als Schreiber beim Schatzamte zurückgehalten wurde, verglich, wenn er seinen nachmittäglichen Spazierritt durch Rotten Row machte, die Einsamkeit dieses Ortes mit der ungeheuren Oede der arabischen Wüste und sich selbst mit einem Beduinen, der seines Weges durch diese staubige Leere zieht. Warrington stopfte sich eine Quantität Cavendishtabak in seinen Reisesack und begab sich nach seiner Gewohnheit in den Ferien zu seines Bruders Haus in Norfolk. Pen war eine Weile alleingelassen in seiner Wohnung; denn dieser vornehme Herr konnte die Metropole nicht immer verlassen, wenn es ihm beliebte, und wurde gegenwärtig durch die Angelegenheiten seines Blattes, der ›Pall Mall-Zeitung‹, zurückgehalten, als deren verantwortlicher Redakteur er während der zeitweiligen Abwesenheit seines Chefs, Kapitän Shandon, wirkte, welch letzterer sich mit 433 seiner Familie in dem gesundheitfördernden Seebade von Boulogne-sur-Mer befand.

Obschon Herr Pen, wie wir gesehen haben, sich schon seit Jahren einen vollkommen blasierten und lebenssatten Menschen genannt hatte, so ist doch das Wahre an der Sache, daß er noch immer ein außerordentlich gesunder junger Bursche mit gutem Appetit war, dem er mit dem größten Genuß und Behagen wenigstens einmal des Tages Genüge tat, und von einem steten Wunsche nach Gesellschaft erfüllt, was bewies, daß er eher alles andere als menschenfeindlich gesinnt sei. Wenn er kein gutes Mittagessen bekommen konnte, so setzte er sich zu einem schlechten mit voller Zufriedenheit; wenn er sich die Gesellschaft witziger, vornehmer oder schöner Personen nicht verschaffen konnte, so nahm er mit jeder Gesellschaft vorlieb, die ihm gerade zur Hand war, und war vollkommen zufriedengestellt im Zimmer einer Schenke oder an Bord eines Greenwicher Dampfboots oder auf einem Ausfluge nach Hampstead mit Herrn Finucane, seinem Kollegen bei der ›Pall Mall-Zeitung‹, oder bei einem Besuche der Sommertheater jenseits des Flusses oder der königlichen Gärten zu Vauxhall, wo er auf freundschaftlichem Fuße mit dem großen Simpson stand, und wo er dem ersten komischen Sänger oder der lieblichen Equilibristin der Arena die Hand schüttelte. Und während er die Grimassen oder anmutigen Stellungen dieser Leute mit satirischem Humor, welcher nicht ohne Teilnahme war, beobachten konnte, vermochte er auch mit einem Auge voll Güte auf die Zuschauer zu blicken, auf den lärmenden Jüngling, der seiner Lust 434 nachgeht und sie hier findet, auf die ehrsamen Eltern mit ihren entzückten Kindern, die lachen und über das Schauspiel in die Hände klatschen, auf die armen Ausgestoßenen, deren Lachen weniger unschuldig, aber vielleicht lauter ist, und die ihre Schande und ihre Jugend hierher brachte, um zu tanzen und sich zu belustigen, zum mindesten, bis die Morgendämmerung anbricht, und Brot zu verdienen und ihren Kummer zu ertränken. Dieser Teilnahme für alle Arten von Menschen rühmte sich Arthur oft; er freute sich, sie zu besitzen, und sagte, er hoffe sie sich so bis zuletzt zu bewahren. Wie ein anderer ein eifriges Streben für Kunst oder Musik oder Naturwissenschaften besitzt, so sagte Herr Pen, die Anthropologie wäre seine liebste Beschäftigung, und er hatte seine Augen stets weit offen für ihre unendlichen Mannigfaltigkeiten und Schönheiten, indem er mit nie ausbleibendem Vergnügen alle Beispiele derselben an allen Orten, welche er besuchte, betrachtete, mochte es nun das Kokettieren einer verblühten Witwe in einem Ballsaale oder das Erröten einer vornehmen jungen Schönheit in ihrem Lebensfrühlinge sein, mochte es ein tölpelhafter Leibgardist sein, der mit einem Dienstmädchen im Parke schön tat, oder der unschuldige kleine Tommy, der die Enten fütterte, während seine Amme ihm zusah. Und in der Tat, jemand, dessen Herz ziemlich rein ist, kann sich diesem Streben mit einem Vergnügen hingeben, das nie nachläßt und vielleicht nur deshalb noch pikanter ist, weil es geheim ist und einen Zug von Trauer an sich hat, in dem man nach Laune und Stimmung einsam, und zwar für sich, aber nicht allein ist. 435

»Ja,« pflegte Pen in seiner ungestümen Weise vor Warrington zu renommieren, »ich war in meiner Jugend so glühend verliebt, daß mir diese Flamme, glaub' ich, für immer ausgebrannt ist, und wenn ich je heirate, so wird es eine Vernunftheirat sein, die ich mit einer wohlerzogenen, gutmütigen, hübsch aussehenden Person eingehen werde, die ein bißchen Geld hat und so weiter, was unsere Kutsche zur Fahrt durchs Leben hübsch weich auspolstert. Was die Romantik betrifft, so ist das alles vorbei, ich habe das vertan und bin vor der Zeit alt geworden – ich bin stolz darauf.«

»Dummes Zeug!« brummte jener, »du bildetest dir neulich auch mal ein, daß du 'nen kahlen Kopf bekämst, und tatest groß damit wie mit allen anderen Dingen. Aber du fingst auf der Stelle, als der Haarkräusler es dir sagte, an, dich der Burenfettdose zu bedienen, und bist die ganze Zeit seitdem pomadisiert gewesen wie ein Barbier.«

»Du bist ein Diogenes,« antwortete der andere, »und du möchtest, daß jedermann gleich dir in einer Tonne lebte. Veilchen riechen besser als schlechter Tabak, du greulicher alter Zyniker.«

Aber Herr Pen errötete, als er seinem unromantischen Freunde diese Antwort gab; er beschäftigte sich allerdings ein gutes Teil mehr mit seinem Aeußeren, als solch ein Philosoph es vielleicht getan haben sollte. Denn in Anbetracht dessen, daß er sich um die Welt nicht kümmerte, schmückte Herr Pen seine Person wirklich mit nicht geringer Sorgfalt, um sich in ihr angenehm zu machen, und für einen müden Pilger, der 436 er angeblich war, trug er sehr enge Stiefel mit einem sehr glänzenden Lack darauf.

Nun begab es sich in dieser langweiligen Zeit des Jahres, in einer hellen Freitagsnacht im Herbste, daß Herr Pendennis, nachdem er in seinem Zeitungsbureau einen prächtigen Leitartikel vollendet hatte – so brillant, wie ihn Kapitän Shandon selbst geschrieben haben würde, wäre er guter Laune und zum Arbeiten aufgelegt gewesen, was er stets war, außer unter dem Zwange der Umstände – daß also Herr Arthur Pendennis, nachdem er seinen Artikel geschrieben und ihn wohlgefällig durchgelesen, als derselbe in der noch nassen Fahne auf dem Bureau der Zeitung vor ihm lag, sich's vornahm, sich über den Fluß hinüber zu begeben und sich mit den Feuerwerken und übrigen Vergnügungen von Vauxhall zu regalieren. So steckte er denn gemütlich die Karte, welche dem »Redakteur der Pall Mall Gazette und Freund« den Eintritt zu diesem Erholungsort gestattete, in die Tasche und bezahlte in der Münze des Königreichs eine hinreichende Summe für die Erlaubnis, die Waterloobrücke zu überschreiten. Der Weg von dort nach den Gärten war angenehm, die Sterne schienen am Himmel droben und schauten auf das Königliche Besitztum nieder, wo die Raketen und römischen Kerzen noch nicht emporgestiegen waren, um die Sterne mit ihrer Helle zu verdunkeln.

Ehe man den verzauberten Boden betritt, wo jede Nacht zwanzigtausend Lampen als etwas ganz Gewöhnliches brennen, haben die meisten von uns die schwarzen und düsteren Gänge und die Pförtchen 437 passiert, die die glänzende Schönheit Vauxhalls vor dem Uneingeweihten verbergen. In den Mauern dieser Gänge sind zwei hellerleuchtete Löcher, in deren Mitte man zwei Herren an Pulten erblickt, wo sie entweder unser Geld, wenn wir eine Privatperson sind, oder unsere Eintrittskarte entgegennehmen, wenn wir mit diesem Passe zu den Gärten versehen sind. Pen ging zu der zuletzt genannten Maueröffnung, um sein Billet vorzuzeigen, fand jedoch dort schon einen Herrn und zwei Damen im Parlamentieren über den Eintritt begriffen.

Der Herr, dessen Hut sehr auf die eine Seite gerückt war und der einen kurzen und abgeschabten Mantel in einer außerordentlich schmucken Manier trug, rief mit einer Stimme, die Pen auf der Stelle erkannte:

»Bei Gott, mein Herr, wenn Sie an meiner Ehre zweifeln, so werden Sie mich verpflichten, wenn Sie aus dieser Loge herauskommen, und –«

»Herrje, Kapitän!« kreischte die ältere Dame.

»Halten Sie mich nicht zum Narren,« sagte der Mann in der Mauerhöhle.

»Und Herrn Hodgen selbst, der im Garten ist, fragen, ob er diese Damen nicht hereinlassen will. Aengstigen Sie sich nicht, meine liebe Madame, ich werde mich mit diesem Herrn nicht zanken, auf keinen Fall vor Damen. Wollen Sie wohl gehen, mein Herr, und Herrn Hodgen (auf dessen Freibillet ich hereinkam, der mein intimer Freund ist und, wie ich weiß, im Begriff steht, heut Abend hier den ›Leichenräuber‹ zu singen) mit einer Empfehlung vom Kapitän 438 Costigan ersuchen, herauszukommen und diese Damen hineinzuführen; was mich betrifft, mein Herr, so habe ich Vauxhall gesehen und lehne jedes Dazwischentreten zu meinen Gunsten ab – aber von diesen Damen ist die eine noch niemals hiergewesen, und ich sollte denken, daß Sie sich kaum mein Unglück mit dem Verlieren des Billets zunutze machen und sie um ihr Vergnügen bringen werden.«

»Es nutzt nichts, Kapitän. Ich kann nicht Ihren Laufjungen machen,« erwiderte der Billeteinnehmer; worauf der Kapitän einen Fluch von sich gab, und die ältere Dame sagte: »Ach Gott, wie entsetzlich!«

Die jüngere der beiden Damen sah zu dem Kapitän in die Höhe und sagte: »Schadet nichts, Kapitän Costigan, ich wünsche mir wirklich gar nicht, hineinzugehen. Komm, Mama.« Und hierbei überwältigte sie, obwohl sie überhaupt gar nicht hineinzugehen wünschte, ihr Gefühl, und sie begann zu weinen.

»Mein armes Kind!« sagte der Kapitän. »Können Sie das sehen, mein Herr, und wollen Sie dies unschuldige Geschöpf nicht hineinlassen?«

»Geht mich nichts an,« schrie der Türhüter dickköpfig aus der erleuchteten Höhle.

In dieser Minute kam Arthur Pendennis heran und sagte, Costigan erkennend: »Na, kennen Sie mich denn nicht, Kapitän Costigan?« Und er nahm seinen Hut ab und verbeugte sich vor den beiden Damen.

»Mein lieber Junge! Mein teurer Freund!« schrie der Kapitän, indem er Pendennis die Freundestatze entgegenstreckte, und sehr eilig setzte er ihm auseinander, was er ›ein höchst unseliges Verhängnis‹ nannte. 439

Er hatte von Herrn Hodgen, der im Garten war und (wie im Küchenstübchen und in den Konzerten der Noblesse) den ›Leichenräuber‹, den ›Tod des Generals Wolfe‹, das ›Blutige Banner‹ und derartige andere beliebte Melodien sang, eine Eintrittskarte für Vauxhall bekommen, die auf zwei Personen lautete und da er sie für zwei Personen bekommen hatte, so dachte er, daß sie für drei gelten würde, und war demzufolge mit seinen Freunden nach den Gärten gekommen. Aber auf seinem Wege hatte Kapitän Costigan die Eintrittskarte verloren; sie wollte sich durchaus nicht wiederfinden, und die Damen mußten heimgehen und das zur großen Enttäuschung der einen von ihnen, wie Pendennis sah.

Arthur war sehr gutmütig in bezug auf jedermann, und wie hätte er in einem solchen Falle wie diesem hier sein Mitgefühl verweigern können? Er hatte das unschuldige Gesicht gesehen, wie es zu dem Kapitän emporblickte, das jämmerliche Zucken des Mundes und den schließlichen Ausbruch der Tränen. Und wäre es seine letzte Guinee in der Welt gewesen, er hätte sie bezahlen müssen, um dem armen kleinen Dinge eine Freude zu machen. Sie wendete die traurigen flehenden Augen sogleich ab, als sie auf einen Fremden leuchteten, und begann, sich dieselben mit ihrem Taschentuche zu wischen. Arthur sah sehr hübsch und freundlich aus, als er mit entblößtem Kopfe vor den beiden Frauen stand, errötend, sich verbeugend, großmütig, – kurz, ein vollendeter Gentleman. »Wer sind sie?« fragte er sich selbst. Er meinte, die ältere Dame schon vordem gesehen zu haben. 440

»Wenn ich Ihnen irgendeinen Dienst leisten kann, Kapitän Costigan,« sagte der junge Mann, »so hoffe ich, Sie werden über mich befehlen; gibt es irgendeine Schwierigkeit, diese Damen mit in den Garten zu nehmen? Wollen Sie gefälligst von meiner Börse Gebrauch machen? Und – und ich habe auch selbst ein Billet, das auf zwei lautet – ich hoffe, Madame, Sie werden es mir erlauben.«

Die erste Regung des Prinzen von Fairoaks war, für die ganze Gesellschaft zu bezahlen und seine Freikarte als Redakteur wegzutun, wie es der arme Costigan mit seinem eigenen Billet gemacht hatte. Aber sein Instinkt und das Aeußere der beiden Frauen sagten ihm, daß es ihnen besser gefallen würde, wenn er sich nicht die Airs eines Grandseigneur gäbe, und so händigte er Costigan seine Börse ein und zog mit der einen Hand lächelnd sein Billet heraus, während er die andere der älteren von den beiden Damen – Damen war nicht das rechte Wort – bot. Sie hatten Hüte und Schals, Kragen und Bänder, und die Jüngere zeigte unter ihrem bescheidenen grauen Kleide einen niedlichen kleinen Fuß und Stiefel, aber Seine Hoheit der Prinz von Fairoaks waren höflich gegen jede Person, die einen Unterrock trug, welcher Art auch ihr Gewebe sein mochte, und je niedriger die Trägerin, nur um so großartig vornehmer und verbindlicher in seinem Benehmen.

»Fanny, nimm den Arm des Herrn,« sagte die ältere, »da Sie so freundlich sein wollen – ich habe Sie oft durch unser Tor kommen sehen, mein Herr, wo Sie zu Kapitän Strong nach Nr. 3 gingen.« 441

Fanny machte einen kleinen Knix und steckte ihre Hand durch Arthurs Arm. Sie trug einen abgeschabten kleinen Handschuh, aber sie war hübsch und niedlich. Sie war kein Kind, aber doch kaum schon ein Weib, ihre Tränen waren getrocknet, ihre Wange von jugendlichem Erröten überzogen, und ihre Augen leuchteten von Wonne und Dankbarkeit, als sie zu Arthurs freundlichem Gesichte aufsah.

Arthur legte mit Gönnermiene seine andere Hand auf das kleine Händchen, das auf seinem Arm ruhte. »Fanny ist ein sehr hübscher kleiner Name,« meinte er, »und nicht wahr, Sie kennen mich auch?«

»Wir wohnen im Hansmeisterstübchen in Shepherds Inn, Herr«, sagte Fanny mit einem Knixe; »und ich war noch niemals in Vauxhall, Herr, und Pa wollt's nicht leiden, daß ich herginge – und – und – o – o – Herrje, wie schön!« Sie fuhr zurück, als sie so sprach, und hüpfte vor Staunen und Entzücken, als sie die Königlichen Gärten vor sich im Scheine von hundert Millionen Lampen flimmern und einen Glanz ausstrahlen sah, wie ihn das schönste Feenmärchen und die herrlichste Pantomime, die sie je auf dem Theater gesehen, nie verwirklicht hatte. Pen war entzückt über ihr Vergnügen und drückte die kleine Hand, die so gern an ihm hing, an sich.

»Was würde ich nicht um ein klein wenig von dieser Freude geben?« sagte der blasierte junge Mann.

»Ihre Börse, Pendennis, lieber Junge,« sagte des Kapitäns Stimme hinter ihm. »Wollen Sie's durchzählen? Ist alles richtig – nein – Sie vertrauen dem alten Jack Costigan (er vertraut mir, wie Sie sehen, 442 Madame). Sie sind mein Retter gewesen, Pen, (ich kenne ihn von Kind auf, Frau Bolton, er ist der Besitzer von Fairoaks Castle, und viele Gläser Claret hab' ich dort mit dem höchsten Adel der Grafschaft, in der er geboren ist, getrunken) – Herr Pendennis, Sie sind mein Retter gewesen, und ich danke Ihnen; meine Tochter wird Ihnen danken; – Herr Simpton, mein ergebenster Diener.«

Wenn Pen den Damen auf prächtige Weise den Hof machte, was war denn sein Prunk im Vergleich mit Kapitän Costigans Verbeugungen nach hüben und drüben und die Art, wie er den Sängern Bravo zurief.

Ein Mann, der wie Costigan seine Abkunft von einer langen Reihe hibernischer Könige und Häuptlinge und anderer Großwürdenträger und Sheriffs der Grafschaft ableitete, hatte natürlich zu viel Würde und Selbstachtung, um »Arm in Arm« (wie der Kapitän sich ausdrückte) mit einer Dame zu wandeln, die gelegentlich seine Stube ausfegte und seine Hammelkoteletten bereitete. Im Verlaufe ihres Weges von Shepherds Inn zu Vauxhall Gardens war Kapitän Costigan neben den beiden Damen hergegangen, indem er ihnen mit gönnerhafter und leutseliger Miene die beachtenswerten Gebäude zeigte und nach seiner Gewohnheit sich mit ihnen über andere Menschen, über andere Städte und Länder, die er besucht, und die Leute von Rang und Stand unterhielt, die kennen zu lernen er die Ehre gehabt hatte. Auch konnte man nicht erwarten, daß der Kapitän, angelangt in dem Königlichen Besitztum und stark beleuchtet vom Glanze der 443 zwanzigtausend Lampen, in seiner Würde nachlassen und seinen Arm einer Dame geben konnte, die in der Tat wenig besser war als eine Haushälterin oder Aufwärterin.

Aber Pen seinerseits hatte keine solchen Skrupel. Fräulein Fanny Bolton machte sein Bett nicht und fegte auch seine Stube nicht, und er gedachte seine niedliche kleine Begleiterin nicht gehen zu lassen. Was Fanny anlangt, so wurde ihre Farbe lebhafter, und ihre hellen Augen leuchteten noch heller vor Vergnügen, als sie sich schutzsuchend auf den Arm eines so feinen Gentleman wie Herrn Pens lehnte. Und sie blickte auf eine Menge anderer Damen an dem Orte und auf eine große Masse anderer Herren, unter deren Schutz sie hin- und herwandelten, und dachte, daß ihr Herr doch hübscher und vornehmer aussähe, als alle anderen dort. Natürlich waren Freudenjäger aller Stände dort im Garten – liederliche junge Mediziner, flotte junge Schreiber und Handlungsgehilfen, hie und da ein Stutzer von den Garderegimentern usw. Der alte Lord Colchicum war dort, um Mademoiselle Caracoline seine Aufwartung zu machen, die im Zirkus geritten hatte, ihre französische Muttersprache sehr laut schwatzte und sich über die Maßen starker Ausdrücke in dieser Sprache bediente, als sie, am Arme Seiner Lordschaft hängend, umherwandelte.

Colchicum machte den gehorsamen Diener der Mademoiselle Caracoline, der kleine Tom Tufthunt machte wieder den gehorsamen Diener Lord Colchicums und zwar ziemlich vergnügt über seine Stellung. Wenn Don Juan über die Mauer steigt, fehlt nie der Leporello, 444 um ihm die Leiter zu halten. Tom Tufthunt war ganz glücklich, dem ältlichen Viscount Freundesdienste zu erweisen, das Geflügel zu schneiden und den Salat beim Abendessen anzumachen. Als Pen und seine junge Dame der Gesellschaft des Viscount begegneten, warf der edle Peer Arthur nur einen flüchtigen Blick des Wiedererkennens zu, als die Augen Seiner Lordschaft von Pens Gesicht unter den Hut von Pens Begleiterin glitten. Aber Tom Tufthunt nickte Herrn Arthur sehr gutmütig zu und sagte: »Wie geht's, alter Junge?« und sah den Helden dieser Geschichte außerordentlich pfiffig an.

»Das ist die große Kunstreiterin von Astleys Theater, ich habe sie dort gesehen,« sagte Fräulein Bolton, indem sie Mademoiselle Caracoline nachsah, »und wer ist der alte Mann da? Ist es nicht der Herr aus dem Zirkus?«

»Das ist der Lord Viscount Colchicum, Fräulein Fanny,« sagte Pen mit Gönnermiene. Er meinte damit nichts Uebles, es gefiel ihm, das junge Mädchen zu beschützen, und es war ihm nicht unangenehm, daß sie so hübsch war, daß sie an seinem Arme hing und daß jener ältliche Don Juan sie dort gesehen hatte.

Fanny war sehr niedlich; ihre Augen waren dunkel und glänzend, ihre Zähne kleinen Perlen gleich; ihr Mund war fast so rot wie Mademoiselle Caracolines, wenn die letztere ihre Lippenpomade aufgelegt hatte. Und was für ein Unterschied war zwischen der Stimme der einen und der anderen, zwischen dem Lachen des Mädchens und dem des Weibes! Es war allerdings erst vor kurzem geschehen, daß Fanny, die beim 445 Abstäuben in den kleinen Spiegel über dem Kaminsimse von Bows-Costigan geblickt hatte, auf die Vermutung geraten war, sie wäre eine Schönheit. Noch vor einem Jahre war sie ein plumpes, tölpisches Mädchen gewesen, über die ihr Vater spöttisch grinste, und unter den Mädchen in der Tagschule (die Schule des Fräuleins Minifer, Newcastle Street, Strand; Fräulein Minifer, die jüngere Schwester, übernahm im Jahre 182– die Leitung der Norwicher Schauspielertruppe, und sie selbst hatte zwei Saisons hindurch mit leidlichem Beifall gespielt, bis sie in eine Versenkung stürzte und ein Bein brach); unter den Mädchen in Fannys Schule, sagen wir also, wurde sie gar nicht beachtet und galt für ein schlampiges kleines Geschöpf, solange sie unter der Leitung des Fräuleins Minifer blieb. Und es geschah unbemerkt und fast ungesehen, daß in der dunklen Hausmeisterwohnung von Shepherds Inn diese kleine Blume zur Schönheit aufblühte.

So hing denn diese junge Person an Herrn Pens Arm, und sie durchschritten zusammen den Garten. So leer London war, lungerten doch immer noch ein bis zwei Millionen Leute darin herum, und unter ihnen einer oder ein paar der Bekannten von Herrn Arthur Pendennis.

Unter diesen, schweigsam und einsam, bleich, mit den Händen in den Taschen und einem wehmütigen Kopfnicken nach Arthur hin, als sie sich begegneten, wandelte Harry Foker, Esquire, vorüber. Der junge Harry versuchte sein Herz dadurch zu erleichtern, daß er von Ort zu Ort, von Vergnügen zu Vergnügen rannte. Aber er dachte an Blanche, als er in den 446 dunklen Laubgängen dahinschritt; er dachte an Blanche, als er die Pracht der Lampen betrachtete. Er fragte die Wahrsagerin nach ihr und war enttäuscht, als die Zigeunerin ihm sagte, er wäre in eine Dame mit dunkelen Augen und Haaren verliebt, die ihn glücklich machen würde; und obgleich im Konzert Herr Momus seine unbändig lustigsten Lieder sang und seine allererstaunlichsten Rätsel aufgab, so kam doch nimmer ein freundliches Lächeln auf Fokers Lippen. Tatsächlich hörte er Herrn Momus überhaupt gar nicht.

Pen und Fräulein Bolton standen dicht dabei und hörten auf dasselbe Konzert, und die letztere bemerkte Herrn Fokers wehmutsbleiches Antlitz, über das Pen lachte.

Fanny fragte, was jenen wunderlich aussehenden kleinen Mann wohl so traurig gemacht hätte? »Ich glaube, es ist ihm etwas in der Liebe quer gegangen!« sagte Pen. »Ist das nicht genug, um jeden Mann betrübt zu machen, Fanny?« Und er sah auf sie mit einer prächtigen Gönnermiene nieder, wie Egmont auf Klärchen in Goethes Schauspiel, oder Leicester auf Amy in Scotts Novelle.

»In der Liebe etwas quer gegangen? Der arme Herr!« sagte Fanny mit einem Seufzer, und ihre Augen drehten sich nach ihm mit nicht geringer Freundlichkeit und voll Mitleids um – aber Harry sah die schönen dunkelen Augen nicht.

»Wie geht's Ihnen, Herr Pendennis?« fiel eine Stimme hier ein. Es war die eines jungen Mannes in gewaltigem weißen Rocke mit einem roten Halstuche, über welches ein schmutziger Hemdkragen so 447 geschlagen war, daß er einen zweifelhaft sauberen Hals zeigte; mit einer dicken Busennadel von Gold oder anderem Metall, einer Phantasieweste mit außerordentlich phantastischen Glasknöpfen, und ferner mit Beinkleidern, die mit lauter Stimme schrien. »Kommt, seht mich an, schaut, wie billig und buntschimmernd ich bin; was ist mein Herr doch für ein dreckiger Stutzer!«, einem Stöckchen sodann in einer Tasche seines Rockes, und mit einer Dame in rosa Atlas gekleidet am anderen Arm – »Wie geht's Ihnen? Haben mich wohl vergessen? Huxter, – Clavering.«

»Wie geht's Ihnen, Herr Huxter?« sagte der Prinz von Fairoaks in seiner allerprinzlichsten Weise. »Ich hoffe, Sie sind hübsch wohl.«

»Ziemlich auf dem Strumpf, danke.« – Und Herr Huxter nickte mit dem Kopfe. »Hör'n Sie mal, Pendennis, Sie haben einen unbändigen Torkel gehabt, seit wir den Spektakel in Wapshots Schule hatten, erinnern Sie sich nicht? Großer Autor, he? Läuft mit feinen Stutzern rum. Sah Ihren Namen in der ›Morning Post‹. Ich glaube, Sie sind ein zu feiner Dandy geworden, um einmal zu einem zu kommen und einen Bissen Abendbrot mit einem alten Freunde zu essen? – Charterhouse Lane morgen Abend, – ein paar verteufelt nette Kerle von den Bartholomäern, und einen famosen Geneverpunsch! Hier ist meine Karte.« Und mit diesen Worten zog Herr Huxter seine Hand aus der Tasche, wo sein Stöckchen war, und brachte, indem er den Deckel seines Kartentäschchens mit den Zähnen wegzerrte, von dort eine Visitenkarte heraus, die er Pen einhändigte. 448

»Sie sind wahrhaftig außerordentlich gütig,« sagte Pen, »aber es tut mir leid, daß ich eine Verabredung habe, die mich morgen Abend aus der Stadt wegruft.« Und der Marquis von Fairoaks, verwundert, daß solch ein Geschöpf die Kühnheit hatte, ihm eine Karte zu geben, steckte Herrn Huxters Karte mit vornehmer Verbeugung in seine Westentasche. Möglicherweise war sich Herr Samuel Huxter nicht bewußt, daß zwischen Herrn Arthur Pendennis und ihm selbst irgendein bedeutender Unterschied in ihrer gesellschaftlichen Stellung war. Herrn Huxters Vater war Wundarzt und Apotheker in Clavering, gerade wie Herrn Pendennis Papa Wundarzt und Apotheker in Bath gewesen war. Aber die Unverschämtheit gewisser Leute übersteigt alle Begriffe.

»Na, schadet nichts, altes Haus,« sagte Herr Huxter, der allezeit frei heraus mit der Sprache und familiär, von der Aufregung des Weines sogar noch zutunlicher als gewöhnlich war. »Wenn Sie mal vorbeibummeln, so gucken Sie doch mal rauf in unsere Bude, – ich bin meistens Sonnabends zu Hause, und es gibt immer einen Käse im Speiseschrank. Ta, ta. – Die Glocke klingt und ruft zum Feuerwerke. Komm, Mary.« Und er rannte mit der übrigen Menge fort in der Richtung nach dem Feuerwerke.

Ebenso begann Pen bald darauf, als dieser angenehme Jüngling ihm aus dem Gesichte war, mit seiner kleinen Begleiterin zu laufen, und Frau Bolton mit dem Kapitän Costigan an ihrer Seite folgte ihnen nach. Aber der Kapitän war zu majestätisch und würdig in seinen Bewegungen, um wegen eines Freundes oder 449 Feindes zu laufen, und er verfolgte seinen Weg mit dem üblichen gezierten Stelzen, das seine Schritte auszeichnete, so daß er und seine Gefährtin bald von Pen und Fräulein Fanny weit zurückgelassen waren.

Vielleicht vergaß Arthur, oder vielleicht wollte er sich nicht erinnern, daß das ältere Paar kein Geld in der Tasche hatte, wie sich bei ihrem Abenteuer am Eingang des Gartens erwiesen hatte; wie dem auch sein mag, Pen bezahlte ein paar Schillinge für sich und seine Begleiterin und stieg, indem sie sich, dicht an ihn gedrängt, an seinen Arm hing, die Treppe hinauf, die zu der Feuerwerksgalerie führte. Der Kapitän und Mama hätten ihnen folgen können, wenn sie gewollt hätten, aber Arthur und Fanny waren zu eifrig, um sich umzusehen. Die Leute stießen und drängten sich dort neben und hinter ihnen. Ein eiliges Individuum stürzte an Fanny vorbei und stieß sie derart mit den Ellbogen, daß sie mit einem kleinen Schrei zurücktaumelte, worauf Arthur sie natürlich geschickt in seinen Armen auffing und sie, nur des Schutzes wegen, in dieser zur Verteidigung mehr geeigneten Stellung hielt, bis sie die Treppe erstiegen und ihre Plätze eingenommen hatten.

Der arme Foker saß allein auf einer der höchsten Bänke, sein Antlitz beleuchtet vom Feuerwerke oder in dessen Abwesenheit vom Monde. Arthur sah ihn und lachte, aber er hielt sich nicht viel mit seinem Freunde auf. Er war mit Fanny beschäftigt. Wie sie staunte! Wie glücklich sie war! Wie sie: Oh, oh, oh schrie, als die Raketen in die Luft sausten und in Azur, Smaragd und Karmin heruntergeprasselt kamen! Als diese Wunderdinge vor ihr aufstrahlten und wieder verschwanden, 450 bebte und zitterte das kleine Mädchen an Arthurs Seite vor Wonne – ihre Hand war noch immer unter seinem Arme, er fühlte, wie er von derselben gedrückr wurde, als sie entzückt zu ihm in die Höhe sah.

»Wie schön das alles ist, mein Herr!« rief sie aus.

»Nennen Sie mich nicht mein Herr, Fanny,« sagte Arthur.

Eine plötzliche Röte schoß in das Antlitz des Mädchens. »Wie soll ich Sie denn nennen?« fragte sie mit leiser Stimme hold und zitternd. »Wie möchten Sie denn, daß ich Sie nenne, mein Herr?«

»Schon wieder, Fanny! Na, ich vergaß, es ist am besten so, mein Kind,« erwiderte Pendennis sehr freundlich und sanft. »Ich aber darf Sie doch Fanny nennen?«

»O, gerne!« sagte sie, und die kleine Hand drückte seinen Arm abermals sehr heftig, und das Mädchen schmiegte sich so an ihn, daß er ihr Herz an seiner Schulter schlagen fühlen konnte.

»Ich darf Sie Fanny nennen, weil Sie ein kleines Mädchen und ein gutes Mädchen sind, Fanny, und ich ein alter Herr bin. Aber Sie dürfen mich nicht anders, als mein Herr oder Herr Pendennis nennen, wenn Sie wollen, denn wir nehmen eine sehr verschiedene Stellung im Leben ein, Fanny; und denken Sie nicht, daß ich unfreundlich spreche; – und – und warum ziehen Sie denn Ihre Hand weg, Fanny? Haben Sie Angst vor mir? Meinen Sie etwa, daß ich Ihnen weh tun wollte? Nicht um alles in der Welt, mein liebes kleines Mädchen! Und – und sehen Sie doch, wie 451 schön der Mond und die Sterne sind, und wie ruhig sie scheinen, wenn die Raketen verloschen sind und die prasselnden Feuerräder mit ihrem Zischen und Funkensprühen aufgehört haben. Als ich heute Abend hierherkam, dachte ich nicht, daß ich eine so niedliche kleine Gefährtin an meiner Seite haben und dies schöne Feuerwerk sehen würde. Sie müssen nämlich wissen, daß ich durch meine eigene Kraft lebe und sehr tüchtig arbeite. Ich schreibe Bücher und für Zeitungen, Fanny; und ich war ganz erschöpft und erwartete, die ganze Nacht allein zu sitzen und – ach, weinen Sie doch nicht, mein liebes, liebes, kleines Mädchen.« Hier ließ Pen seinen Gefühlen freien Lauf, indem er die ruhige Rede, die er vorzutragen begonnen, schnell abbrach; denn der Anblick von Weibertränen bewirkte allemal ein Zucken seiner Nerven, und er fing sogleich an, sie durch Schmeicheleien zu beschwichtigen und hunderterlei kleine Ausrufe von Mitleid und Teilnahme auszustoßen, die hier nicht wiederholt zu werden brauchen, weil sie sich im Drucke ebenso abgeschmackt ausnehmen würden, wie das Wortgetändel einer Mutter mit ihrem Kinde und das eines Liebenden mit seiner Geliebten. Diese holde ungekünstelte Poesie erträgt keine Uebersetzung und ist zu zart für die plumpen Definitionen eines Grammatikers. Man hat nur dieselben vier Buchstaben, um den Gruß zu beschreiben, den wir auf die Stirn unserer Großmutter, wie für den, den wir auf die geheiligte Wange unseres Weibes drücken; nur dieselben vier Buchstaben, und kein einziger ist ein Lippenlaut. Wollen wir damit andeuten, daß Herr Arthur Pendennis irgendwelchen Gebrauch von dem in Rede stehenden einsilbigen 452 Worte machte? Nicht doch! Erstens war es nämlich dunkel, das Feuerwerk war vorbei, und niemand konnte ihn sehen; zweitens war er nicht der Mann, der ein solches Geheimnis gehabt und erzählt hätte; drittens und letztens mag doch der wackere Bursche, der ein hübsches Mädchen geküßt hat, uns sagen, was sein eigenes Benehmen in solch einem delikaten Fall gewesen sein würde.

Nun denn, wie man ihn auch im Verdacht haben und was man auch selbst unter solchen Umständen getan haben würde oder Herr Pen gern getan hätte, die Wahrheit ist, daß er sich rechtschaffen benahm, wie sich's für einen Mann gebührt. »Ich will nicht mit dem Herzen dieses kleinen Mädchens spielen,« sagte er zu sich selbst, »und meine eigene wie ihre Ehre vergessen. Sie scheint viel gefährliche und ziemlich ansteckende Empfindsamkeit zu besitzen, und ich bin sehr froh, daß das Feuerwerk vorüber ist und ich sie zu ihrer Mutter zurückführen kann. Kommen Sie, Fanny, geben Sie hübsch auf die Stufen acht und lehnen Sie sich auf mich. Stolpern Sie nicht, Sie unvorsichtiges kleines Ding; da ist der Weg, und dort steht Ihre Mama an der Tür.«

Und da stand denn auch wirklich Frau Bolton unruhigen Gemütes und mit krampfhafter Hand ihren Regenschirm umklammernd. Sie bemächtigte sich Fannys mit mütterlichem Ungestüm und voller Hast und stieß gegen das Mädchen in gedämpftem Tone irgendein hastiges Schimpfwort aus. Der Ausdruck in Kapitän Costigans Augen – er stand hinter der Matrone und blinzelte Pendennis unter seinem Hute hervor zu 453 – war, wie ich zu sagen verpflichtet bin, unbeschreiblich spaßhaft.

Er war so spaßhaft, daß Pen sich nicht enthalten konnte, in ein Gelächter auszubrechen. »Sie hätten meinen Arm nehmen sollen, Frau Bolton,« sagte er, indem er ihr denselben anbot. »Ich bin sehr froh, Ihnen Fräulein Fanny ganz wohlbehalten zurückbringen zu können. Wir dachten, Sie würden uns in die Galerie hinauf gefolgt sein. Wir haben viel Vergnügen an dem Feuerwerke gehabt, nicht wahr?«

»O ja!« sagte Fräulein Fanny mit einem höchst ehrbaren Blicke.

»Und das Bukett war prächtig,« sagte Pen. »Aber nun sind es zehn Stunden her, seit ich etwas zu essen hatte, meine Damen, und ich wünschte, Sie erlaubten mir, Sie zum Abendessen einzuladen.«

»Weiß Gott,« sagte Costigan, »würd' auch gern einen Bissen genießen, aber ich hab' meine Börse vergessen, sonst hätt' ich diese Damen schon zu einem Souper eingeladen.«

Frau Bolton sagte ziemlich spitz, sie hätte Kopfschmerzen und möchte viel lieber nach Haus.

»Ein Hummersalat ist das beste Heilmittel der Welt für Kopfweh,« sagte Pen galant, »und ein Glas Wein würde Ihnen wirklich gut tun. Kommen Sie, Frau Bolton, seien Sie freundlich gegen mich und verpflichten Sie mich. Ich werde nicht das Herz haben, ohne Sie zu Abend zu essen, und, auf mein Wort, ich habe kein Mittagessen gehabt. Geben Sie mir Ihren Arm, geben Sie mir den Regenschirm. Costigan, ich bin überzeugt, Sie werden Fräulein Fanny unter 454 Ihre Obhut nehmen, und ich werde glauben, Madame Bolton ist böse auf mich, wenn sie mir nicht die Gunst ihrer Gesellschaft zuteil werden läßt. Wir wollen allesamt gemütlich soupieren und in einem Cab zusammen heimkehren.«

Das Cab, der Hummersalat, die offene und gutgelaunte Miene Pendennis', als er lächelnd die würdige Matrone einlud, beschwichtigten ihren Verdacht und ihren Aerger. Wenn er nun einmal so freundlich sein wollte, dachte sie, so könnte sie schon ein bißchen Hummer essen, und so gingen sie alle in ein Restaurant. Costigan rief mit so lauter und kriegerischer Stimme nach einem Kellner, daß sogleich einer dieser dienstbaren Geister herbeigerannt kam.

Die Speisekarte an der Wand wurde genau geprüft und Fanny wurde ersucht, ihr Leibgericht auszusuchen, worauf das junge Geschöpf sagte, daß sie ebenfalls gern Hummer hätte, zugleich aber auch eine Vorliebe für Himbeertorte eingestand. Diese Delikatesse wurde von Pen besorgt und außerdem eine Flasche des allersprudelndsten Champagners zur Erquickung der Damen bestellt. Die kleine Fanny trank dies; welchen anderen süß berauschenden Trank hatte sie nicht schon im Verlaufe der Nacht eingeschlürft?

Als das Souper, bei dem es sehr heiter und lustig zuging, vorüber war und Kapitän Costigan und Frau Bolton etwas von dem Eierpunsch genossen hatten, der in Vauxhall so duftig ist, wurde die Rechnung verlangt und von Pen mit vieler Großmut bezahlt. »Wie ein feiner junger englischer Gentleman aus der guten alten Zeit, bei Jupiter,« bemerkte Costigan begeistert. 455 Und er ging, als sie aus dem Speisezimmer traten, auf Frau Bolton zu und gab ihr seinen Arm, Fanny fiel Pen zu, und die jungen Leute wandelten in sehr gutgelaunter Stimmung zusammen hinter den älteren Leuten her.

Der Champagner und der Eierpunsch, obschon von allen Personen mäßig genossen, den armen Cos vielleicht ausgenommen, der ein klein bißchen unsicher im Gange war, hatte sie in heitere Stimmung und fröhliche Laune versetzt, so daß Fanny zu hüpfen und ihre munteren kleinen Füße nach dem Takte der Musikkapelle zu bewegen begann, die Walzer und Galopps für die Tänzer aufspielte. Als sie zum Tanzsaale kamen, schienen die Musik und Fannys Füße schneller zusammen zu gehen, sie schien, wie von Natur, vom Boden emporzuschnellen und als ob sie zurückgedrückt werden müßte, um dort zu bleiben.

»Möchten Sie nicht einmal herumtanzen?« sagte der Prinz von Fairoaks. »Was für eine Lust würde es sein! Frau Bolton, Madame, lassen Sie mich sie einmal herumdrehen.« Worauf Herr Costigan sagte: »Fort mit Ihnen!« und da Frau Bolton sich nicht weigerte (war sie doch ein altes Schlachtroß, das beim Ruf der Trompete selbst gern in die Arena getreten wäre), flog Fannys Schal in einer Sekunde von ihrem Rücken, und sie und Arthur wirbelten in einem Walzer inmitten einer sehr wunderlichen, aber außerordentlich lustigen Gesellschaft herum.

Pen hatte diesmal mit der kleinen Fanny kein Unglück, wie er es mit Fräulein Blanche in früheren Tagen gehabt, wenigstens war es kein Unglück, woran 456 er Schuld gewesen wäre. Das Paar tanzte mit großer Behendigkeit und mit vielem Behagen, zuerst einen Walzer, dann einen Galopp, dann wieder einen Walzer, bis im zweiten Walzer ein anderes Paar, das sich in Terpsichorens Chor gemischt, an sie anflog. Es waren Herr Huxter und seine rosaatlasne junge Freundin, die wir bereits erblickt haben.

Herr Huxter hatte sehr wahrscheinlich auch ein Abendessen zu sich genommen, denn er war jetzt sogar noch mehr aufgeregt als zu der Zeit, wo er vorher Anspruch auf Pens Bekanntschaft gemacht, und nachdem er gegen Arthur und seine Tänzerin gerannt und sie beinahe niedergeworfen, begann dieser liebenswürdige Gentleman natürlich auf die Leute zu schimpfen, die er beleidigt, und brach in eine Flut gemeiner Reden gegen das schuldlose Paar aus.

»Na, Schafskopf! Treiben Sie sich hier nicht rum, wenn Sie nicht tanzen können, alte Leichenkutsche!« brüllte der junge Wundarzt (der zu gleicher Zeit noch andere weit kräftigere Ausdrücke gebrauchte) und in sein Schimpfen mischten sich die schrille Stimme und das Gelächter seiner Tänzerin, so daß der Ball gestört, die arme kleine Fanny in Schrecken und Pen in unermeßliche Entrüstung versetzt wurde.

Arthur war wütend und zwar nicht so sehr über den Zank wie über die denselben begleitende Schmach. Ein Streit mit einem Menschen wie dieser! Ein Skandal in einem öffentlichen Garten, mit der Tochter eines Hausmeisters an seinem Arme! Was für eine Lage für Arthur Pendennis! Er zog die arme kleine Fanny hastig von den Tanzenden weg zu ihrer Mutter 457 und wünschte, diese Dame, Costigan und die arme Fanny wären lieber, wo der Pfeffer wächst, als hier in seiner Gesellschaft und unter seinem Schutze.

Als Huxter seinen Angriff begann, hatte dieser großmäulige junge Gentleman nicht gesehen, wer sein Gegner war; sobald er es aber merkte, daß es Arthur wäre, den er beleidigt hätte, fing er an, sich zu entschuldigen. »Halt dein einfältiges Maul, Mary,« sagte er zu seiner Tänzerin. »Es ist ein alter Freund und Schulkamerad von zu Hause. Ich bitte um Verzeihung, Pendennis, sah nicht, daß Sie's waren, alter Junge!« Herr Huxter war einer der Knaben der Schule von Clavering gewesen, die bei einem, im früheren Verlaufe dieser Geschichte erwähnten Kampfe zugegen gewesen waren, wo der junge Pen den größten Raufbold der Akademie zu Boden geworfen hatte, und Huxter wußte, daß es gefährlich war, sich mit Arthur zu zanken.

Seine Verteidigungsreden waren dem anderen so zuwider, als es seine Schimpfreden gewesen waren; Pen machte seinem betrunkenen Gerede ein Ende, indem er ihm sagte, er solle das Maul halten, und ihn zugleich ersuchte, seinen (Pendennis') Namen weder hier noch an irgendeinem anderen Orte zu gebrauchen; und er ging aus den Gärten heraus, mit einer Menge Volkes hinter sich, von dem er jeden einzelnen dafür hätte massakrieren mögen, daß er Zeuge des erniedrigenden Skandals gewesen war. Er ging aus den Gärten hinaus und vergaß ganz die kleine Fanny, die zitternd hinter ihm mit ihrer Mutter und dem dahinstolzierenden Costigan herkam. 458

Er wurde durch ein Wort des Kapitäns wieder zu sich gebracht, der ihn auf die Schulter tippte, als sie eben die innere Pforte passierten.

»Sie werden nicht wieder hereingelassen, außer wenn Sie wieder zahlen,« sagte der Kapitän. »Sollt' ich nicht lieber zurückgehen und dem Burschen Ihre Herausforderung überbringen?«

Pen brach in ein Gelächter aus. »Dem eine Herausforderung! Denken Sie denn, ich möchte mich mit so einem Kerl wie diesem schlagen?« fragte er.

»Nein! nein! Ja nicht, ja nicht!« schrie die kleine Fanny. »Wie können Sie nur so abscheulich sein, Kapitän Costigan?« Der Kapitän murmelte etwas von Ehre und blinzelte Pen pfiffig an, aber Arthur sagte galant: »Nein, Fanny, haben Sie keine Angst. Es war meine Schuld, daß ich an solchem Orte tanzte. Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Sie dort zum Tanzen aufforderte.« Damit gab er ihr wieder seinen Arm, rief ein Cab und setzte seine drei Freunde hinein.

Er stand im Begriffe, den Kutscher zu bezahlen und einen anderen Wagen für sich selbst zu nehmen, als die kleine Fanny, immer noch in Aengsten, ihr Händchen herausstreckte, ihn am Rocke faßte und ihn anflehte und bat, doch mit hereinzukommen.

»Sind Sie denn noch nicht darüber beruhigt?« sagte Pen in sehr guter Laune, »daß ich nicht zurückgehen und mich nicht mit ihm schlagen werde? Nun, dann werde ich mit Ihnen nach Hause fahren. Nach Shepherds Inn fahren, Cab!« Das Cab fuhr nach seinem Bestimmungsorte. Arthur war unmäßig vergnügt darüber, wie sich das Mädchen um ihn ängstigte, 459 ihr zärtlicher Schrecken machte ihn seinen vorherigen Verdruß ganz vergessen.

Pen setzte die Damen in ihrer Portierwohnung ab, nachdem er ihnen beiden freundlich die Hände geschüttelt, und der Kapitän wisperte ihm abermals zu, daß er ihn, wenn es ihm gefällig sein sollte, am Morgen sehen und seine Herausforderung zu diesem »Schurken« tragen wollte. Aber der Kapitän war in seinem gewöhnlichen Zustande, als er diesen Vorschlag machte, und Pen war vollkommen sicher, daß weder er noch Herr Huxter, wenn sie erwachten, sich irgendwie des Streites erinnern würden.



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