William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Fünfzehntes Kapitel

Von Herrn Harry Fokers Angelegenheiten

Seit jener verhängnisvollen, aber zugleich wonnevollen Nacht in Grosvenor Place war Herrn Harry Fokers Herz in einem Zustande solcher Aufregung gewesen, wie man es bei einem so großen Philosophen kaum hätte für möglich halten sollen. Wenn wir uns erinnern, welchen guten Rat er Pen in früheren Tagen erteilt, wie eine frühzeitige Lebensweisheit und Kenntnis der Welt sich in dem begabten Jüngling kundgetan, wie eine fortwährende Befriedigung all seiner Wünsche, wie sie sich für einen Gentleman von seinen Mitteln und Aussichten schickt, eigentlich, wenn es nach dem Rechten ging, seinen Zynismus gesteigert und ihn mit jedem Tage seines Lebens mehr und mehr dahin 283 gebracht haben sollte, sich um niemand in der Welt als einzig um Herrn Harry Foker zu kümmern, so muß man sich wundern, daß er in jenen unglückseligen Zustand verfiel, dem die meisten von uns ein paarmal in unserem Leben unterworfen sind, und seinen großen Geist wegen einer Frau beunruhigen konnte. Aber Foker, obwohl frühzeitig ein Weiser, war doch immerhin ein Mann. Er konnte dem allgemeinen Lose nicht mehr entgehen, als Achilles, oder Ajax, oder Lord Nelson, oder Adam, unser Stammvater, und jetzt, wo seine Zeit gekommen war, wurde der junge Harry ein Opfer der Liebe, der Allbesiegerin.

Als er jene Nacht, nachdem er Arthur Pendennis an seiner Treppe in Lamb Court verlassen, nach dem Küchenstübchen zurückging, hatten der Gineverpunsch und die kunstreich gebratene Puterkeule keinen Reiz mehr für ihn, die Scherze seiner Genossen drangen wirkungslos an sein Ohr, und als Herr Hodgen, der Sänger des »Leichenräubers«, ein neues und sogar noch schrecklicheres und humoristischeres Lied als jene berühmte Komposition hatte, hörte Foker, obwohl er sein Freund zu sein schien und ›Bravo, Hodgen!‹ rief, wozu ihn die allgemeine Höflichkeit und seine Stellung als einer der Häuptlinge im Küchenstübchen verpflichtete, doch kaum ein Wort deutlich von dem Gesange, der seitdem unter dem Titel ›Die Katze im Glasschranke‹ Hodgen so berühmt gemacht hat. Spät und sehr ermüdet schlüpfte er zu Hause in sein Zimmer und suchte den Daunenpfühl, aber sein Schlummer wurde durch das Fiber seiner Seele und das Bild von Fräulein Amory gestört. 284

Himmel, wie fade und geschmacklos erschienen ihm seine früheren Bestrebungen und Freundschaften! Er war bis zur gegenwärtigen Zeit in seinem Leben nicht sehr an die Gesellschaft weiblicher Wesen von seinem eigenen Stande gewöhnt gewesen! Wenn er von solchen sprach, so nannte er sie ›bescheidene Frauenzimmer‹. Diese Tugend, die sie, wie wir hoffen wollen, besaßen, hatte Herrn Foker bis jetzt den Mangel an lebhafteren Eigenschaften nicht ersetzt, deren sich die meisten seiner eigenen Verwandten nicht erfreuten, und die er in Mesdemoiselles den Damen vom Theater fand. Seine Mutter war gut und zärtlich, aber sie amüsierte ihren Sohn nicht; seine Kusinen, die Töchter seines Oheims von mütterlicher Seite, des respektablen Earl von Rosherville, langweilten ihn über die Maßen. Die eine war ein Blaustrumpf und beschäftigte sich mit Geologie, die zweite war ein Sportweib und rauchte Zigarren, die dritte hielt es eifrig mit der Unterkirche und hatte die ketzerischsten Ansichten über religiöse Sachen; so sagte wenigstens die vierte, die selbst zur allerstrengsten hochkirchlichen Partei gehörte und das Kredenzschränkchen in ihrem Zimmer in ein Betpult verwandelte und an jedem Freitag im Jahre fastete. Foker konnte sehr selten dazu gebracht werden, ihr väterliches Haus in Drummington zu besuchen. Er schwor, daß er lieber in die Tretmühle gehen, als sich dort aufhalten wollte. Er war auch von den Bewohnern nicht sehr geliebt. Lord Erith, Lord Roshervilles Erbe, sah seinen Cousin als einen tieferstehenden Menschen an, von beklagenswert pöbelhaften Sitten und Gewohnheiten, 285 während Foker, und zwar mit gleichem Rechte, Erith ein Großmaul und einen Dummkopf, die Nachtmütze des Unterhauses, den Aerger des Sprechers, den traurigsten aller philantropischen Schwätzer nannte. Nie konnte auch Georg Robert, Earl von Gravesend und Rosherville, vergessen, daß, als er sich eines Abends herabgelassen, mit seinem Neffen Billard zu spielen, dieser junge Gentleman ihn mit seinem Queue in die Seite gestoßen und gesagt hatte: »Na, alter Hahn, ich habe doch manchen schlechten Stoß in meinem Leben gesehen, aber nie ist mir ein so schlechter vorgekommen, wie der da.« Er spielte die Partie mit engelgleicher Geduld fertig, denn Harry war ebensowohl sein Gast wie sein Neffe; aber er war nahe daran, in der Nacht vom Schlage gerührt zu werden, und er hütete sein Zimmer, bis der junge Harry Drummington verließ, um nach Oxbridge zurückzukehren, wo der interessante Jüngling damals, als der Vorfall stattfand, seine Erziehung vollendete. Es war ein entsetzlicher Schlag für den verehrungswürdigen Grafen, der Umstand wurde nie in der Familie auch nur angedeutet, er wich Foker aus, wenn er seine Familie in London oder auf dem Lande besuchte, und konnte kaum dazu gebracht werden, dem jungen Blasphemisten ein ›Wie geht's?‹ zuzuächzen. Aber er wollte das Herz seiner Schwester Agnes nicht brechen, indem er Harry ganz von der Familie verbannte, noch war er auch wirklich imstande, mit Herrn Foker senior zu brechen, zwischen dem und Se. Lordschaft mancherlei Privatunterhandlungen stattgehabt hatten, deren Ergebnis ein Austausch von Bankschecks von Herrn Foker und 286 Autographen vom Grafen selbst mit den Buchstaben I O U über seiner erlauchten Unterschrift geschrieben, versehen war.

Außer den vier Töchtern des Lord Gravesend, deren verschiedene Eigenschaften oben aufgezählt worden sind, war Se. Lordschaft mit einem fünften Töchterlein, der Lady Anna Milton, gesegnet, die von ihrer frühesten Jugend an und schon in der Kinderstube zu einer eigentümlichen Stellung im Leben bestimmt war. Es war nämlich zwischen ihren Eltern und ihrer Tante vereinbart worden, daß Lady Anna, wenn Herr Foker ein passendes Alter erreicht hätte, seine Frau werden solle. Mit dieser Idee war ihr Herzchen schon vertraut gewesen, als sie noch Kinderlätzchen trug, und als Harry, der schmutzigste aller kleinen Jungen, noch dann und wann mit einem blauen Auge aus der Schule nach Drummington oder seines Vaters Haus in Logwood, wo Lady Anna viel bei ihrer Tante lebte, zurückzukommen pflegte. Die beiden jungen Leute ergaben sich in das von ihren Eltern vorgeschriebene Arrangement ohne irgendwelche Widerreden oder Schwierigkeiten. Es fiel der Lady Anna nicht mehr ein, den Befehl ihres Vaters in Zweifel zu ziehen, als es Esther eingefallen wäre, die Befehle Ahasvers zu bestreiten. Der Erbprinz des Hauses Foker war ebenso gehorsam, denn als der alte Herr sagte: »Harry, dein Onkel und ich sind übereingekommen, daß du, wenn du das passende Alter erreicht hast, Lady Anna heiraten sollst; sie wird kein Geld haben, aber sie ist aus gutem Blute und sieht gut aus, und ich werde es euch bequem machen; wenn du dich weigerst, so wirst 287 du das Eingebrachte deiner Mutter und jährlich während meines Lebens zweihundert Pfund haben,« willigte Harry, der wußte, daß sein Herr Vater zwar ein Mann von wenig Worten war, daß man sich aber auf das, was er sagte, verlassen konnte, ohne weiteres in die väterliche Eröffnung und sagte: »Gut, Vater, wenn Anna will, so sage ich dito. Sie sieht nicht übel aus.«

»Und sie ist von dem besten Blute Englands, junger Herr. Deiner Mutter Blut, dein eigenes, junger Herr«, sagte der Brauer, »da geht nichts drüber.«

»Na, Vater, ganz wie du willst,« erwiderte Harry. »Wenn du mich brauchst, so sei so gut und zieh die Klingel. Nur hat es damit keine Eile, und ich hoffe, du wirst uns hübsch Zeit lassen. Ich will mir erst die Hörner ein bißchen ablaufen, ehe ich heirate.«

»Tu das, Harry!« antwortete der wohlwollende Vater. »Keiner hindert dich daran, wahrhaftig nicht.« Und so wurde nur noch sehr wenig über diese Angelegenheit gesprochen, und Herr Harry trieb das im Leben, was ihm am meisten zusagte, und hing in seinem Zimmer unter den französischen Kupfern, den beliebten Schauspielerinnen und Tänzerinnen, den Kunstwerken von Wettrennen und Kutschfahrten, die seinem Geschmack entsprachen und seine Galerie bildeten, ein kleines Bild seiner Kusine auf. Es war ein anspruchsloses kleines Bild, das ein einfaches rundes Gesicht mit Locken darstellte, und es machte, wie man zugestehen mußte, eine sehr ärmliche Figur neben Fräulein Petitot, wie sie über einem Regenbogen tanzt oder 288 Fräulein Redown, wie sie in roten Stiefeln und mit einer Husarenmütze feixte.

Da sie verlobt und über sie verfügt war, ging Lady Anna Milton nicht so viel in die Welt als ihre Schwestern und blieb oft daheim in London im väterlichen Hause in Gaunt Square, wenn ihre Mama mit den anderen Schwestern verreiste. Sie schwatzten und tanzten mit einem nach dem anderen, die Herren kamen und gingen, und die Geschichten von ihnen waren mannigfaltig. Aber über Anna gab es nur diese eine Geschichte: sie war mit Harry Foker verlobt, sie konnte nie an jemand anders denken. Es war keine sehr amüsante Geschichte.

Nun, im Augenblicke, wo Foker am Tage nach Lady Claverings Diner erwachte, schaute ihn Blanches Bild mit seinen klaren grauen Augen und seinem gewinnenden Lächeln an. Ihr Lied klang noch in seinen Ohren, und der arme Foker begann es jämmerlich zu summen, während er sich in seinem Bett unter der karmoisinroten seidenen Decke aufsetzte. Ihm gegenüber befand sich ein französisches Kupfer, das eine türkische Dame und ihren griechischen Liebhaber vorstellte, die von einem ehrwürdigen Osmanen, dem Gatten der Dame, überrascht werden; an der anderen Wand hing ein französisches Kupfer von einem Herrn und einer Dame, die sich im Reiten im vollen Galopp küßten; rings herum in dem keuschen Schlafzimmer waren noch mehr französische Kupfer, entweder Bilder von gazebekleideten Nymphen der Oper oder liebliche Illustrationen zu Romanen; oder vielleicht auch ein paar englische Meisterwerke, auf denen Fräulein Pinkney vom Kgl. Theater in 289 enganliegenden Beinkleidern in ihrer Lieblingspagenrolle dargestellt war, oder Fräulein Rougemont als Venus, Bilder, deren Wert durch die eigenhändige Unterschrift dieser Damen, Maria Pinkney oder Frederica Rougemont, in einem ausgezeichneten Faksimile unter die Kupfer geschrieben, erhöht wurde. Der Art waren die Bilder, an denen der wackere Harry seine Freude hatte. Er war nicht schlimmer, als viele seiner Nachbarn, er war ein träger, jovialer, freundlicher Stutzer und wenn seine Zimmer etwas zu verschwenderisch mit den Werken französischer Kunst ausgeschmückt waren, so daß die einfache Lady Agnes, seine Mama, beim Eintritt in die Gemächer, wo ihr Liebling eingehüllt in duftige Wolken von Latakia saß, oft erstaunt war über die Neuigkeiten, die sie dort erblickte, ei nun, so muß man sich erinnern, daß er reicher war, als die meisten jungen Männer und besser seinem Geschmack leben konnte.

Ein Brief von Fräulein Pinkney, in einem sehr degagierten Stile in bezug auf Recht- und Schönschreibung in recht freien Zügen über das Filigranpapier hingekritzelt, und gleich damit beginnend, daß sie Herrn Harry ihren lieben Hokey–Pokey–Fokey nannte, lag auf seinem Nachttischchen, neben ihm unter Schlüsseln, Sovereigns, Zigarrenkisten und einem Stengelchen Verbena, das ihm Fräulein Amory gegeben und das ihn an das Heranrücken des Tages erinnerte, wo er das Diner im Elefanten und Schlosse in Richmond zu geben habe, welches er versprochen; eine Karte für eine Privatloge zu Fräulein Rougemonts bevorstehendem Benefiz, ein Bündel Billets zu ›Ben Budgeous Nacht, des Pippins von North Lancashire, im Zirkus Martin 290 Faunces, im Dreimaster in St. Martins Lane, wo Conkey Sam, Dick der Nagelschmied, der Deadman (der Hanswurst von Worcestershire) die Boxerhandschuhe anziehen würden, wozu die Liebhaber guten altbritischen Sports eingeladen würden‹ – diese und verschiedene andere Erinnerungen an Herrn Fokers Bestrebungen und Vergnügungen lagen auf dem Tische neben ihm, als er erwachte.

Ach! wie schal schienen ihm all diese Vergnügungen jetzt zu sein! Was kümmerte er sich um Conkey Sam oder den Hanswurst von Worcestershire? Was um die französischen Kupfer, die ihn von allen Seiten des Zimmers anäugten? Und die Pinkney, die nicht richtig schreiben konnte und ihn Hokey-Fokey nannte, zum Henker mit ihrer Unverschämtheit! Die Idee, mit diesem alten Weibsbilde (das siebenunddreißig Jahre, wo nicht älter war) zu einem Diner im Elefanten und Schlosse in Richmond verpflichtet zu sein, erfüllte jetzt sein Gemüt mit trostlosem Ekel, anstatt mit jenem Vergnügen, das er noch gestern auf jenem Feste zu finden erwartete.

Als seine zärtliche Mama ihren Jungen an diesem Morgen sah, bemerkte sie an der Blässe seiner Wangen und seinem allgemeinen trüben Aussehen, daß ihm etwas fehlte. »Warum spielst du auch noch immer bei diesem abscheulichen Spratt Billard?« fragte Lady Agnes. »Mein liebstes Kind, dieses Billardspielen wird dich wahrhaftig noch umbringen.«

»Es ist nicht das Billardspiel,« sagte Harry düster.

»Dann ist es das schreckliche Küchenstübchen,« sagte Lady Agnes. »Ich habe oft daran gedacht, weißt 291 du wohl, Harry, der Wirtin zu schreiben und sie zu bitten, daß sie so gut sein möchte, nur recht wenig Wein in den Negus, den du trinkst, zu gießen, und nachzusehen, ob du deinen Schal umhast, ehe du in deinen Brougham steigst.«

»Tu's, liebe Mutter. Frau Cutts ist eine sehr liebe, mütterlich besorgte Frau,« sagte Harry. »Aber es ist auch nicht das Küchenstübchen,« fügte er mit einem entsetzlichen Seufzer hinzu.

Da Lady Agnes ihrem Sohne nie etwas versagt hatte und auf all seine Sachen mit der zärtlichsten Bereitwilligkeit einging, so wurde sie durch ein vollkommenes Vertrauen von Seiten des jungen Harry belohnt, der niemals daran dachte, die Orte, die er besuchte, vor ihr zu verheimlichen, sondern im Gegenteil auserlesene Anekdoten aus den Klubs und Billardzimmern mitbrachte, an denen sich die einfache Dame ergötzte, wenn sie sie auch nicht verstand. »Mein Sohn geht zu Spratt,« pflegte sie zu ihren vertrauten Freundinnen zu sagen. »Alle jungen Leute gehen nach ihren Bällen zu Spratt. Es ist de rigueur, meine Liebe; und sie spielen Billard, wie sie zu Herrn Fox' Zeit Macao und Hazard zu spielen pflegten. Ja, mein lieber Vater sagte mir oft, daß sie mit Herrn Fox immer bis neun Uhr am nächsten Morgen bei Brookes aufsaßen; ich erinnere mich, als kleines Mädchen Herrn Fox in Drummington gesehen zu haben, in hellgelber Weste und schwarzseidenen Kniehosen. Mein Bruder Erith spielte nie als junger Mann, er blieb auch nie spät auf – er war nicht gesund genug dazu; aber mein Junge muß tun, was alle tun, wissen Sie. 292 Ja, und dann geht er auch oft an einen Ort, den man das Küchenstübchen nennt, der von allen gescheiten Leuten und Schriftstellern besucht wird, wissen Sie, die man gerade nicht in der Gesellschaft trifft, aber mit denen zusammenzukommen ein großes Privileg und Vergnügen für Harry ist, denn da hört er über die Tagesfragen diskutieren, und mein teurer Vater sagte oft, es wäre unsere Pflicht, die Literatur aufzumuntern, und er hätte gehofft, den verstorbenen Dr. Johnson in Drummington zu sehen, nur sei Dr. Johnson zu zeitig gestorben. Ja, und Herr Sheridan kam herüber und trank sehr viel Wein – in jenen Tagen trank jeder sehr viel Wein – und die Rechnung von Papas Weinhändler war zehnmal so groß, wie Eriths, der, wenn er welchen braucht, ihn von Fortnum und Mason bezieht und überhaupt gar keinen Vorrat hält.«

»Es war ein ungewöhnliches gutes Diner, was wir gestern hatten, Mamachen,« brach der pfiffige Harry los. »Ihre klare Brühe ist besser als unsere, Moufflet tut an alles zuviel Taragon. Das suprème de volaille war sehr gut – ungewöhnlich gut, und die Süßigkeiten waren besser als Moufflets. Kostetest du die plombière, Mamachen, und das Maraschinogelee? Unbändig gut dieses Maraschinogelee!«

Lady Agnes drückte ihre Beistimmung zu diesen, wie fast zu allen anderen Aussprüchen ihres Sohnes aus, der in der pfiffigen Unterhaltung weiter fortfuhr und sagte:

»Sehr schönes Haus, das dieser Claverings. Die Möbel, scheint mir, ohne Rücksicht auf die Kosten 293 angeschafft. Prächtiges Silberzeug zur Schau gestellt, Mamachen.« Die Dame stimmte mit all diesen Bemerkungen überein.

»Sehr hübsche Leute, die Claverings.«

»Hm!« sagte Lady Agnes.

»Ich weiß, was du meinst. Lady Clavering ist nicht gerade hochgebildet, aber sie ist sehr gutherzig.«

»O sehr!« sagte Mama, die selbst eins der gutherzigsten Weiber war.

»Und Sir Francis, der spricht allerdings nicht viel vor Damen, aber nach dem Mittagessen macht er sich ungemein großartig, Mama – ein höchst angenehmer wohlunterrichteter Mann. Wann wirst du sie zu Tische bitten? Sieh, daß du es bald tust, Mama«; dabei sah er in Lady Agnes' Taschenbuch und wählte sich einen von jetzt ab nur vierzehn Tage entfernten Tag (diese vierzehn Tage erschienen dem jungen Herrn ein Menschenalter), wo die Claverings nach Grosvenor Street eingeladen werden sollten.

Die gehorsame Lady Agnes schrieb die erforderliche Einladung. Sie war es gewöhnt, dies zu tun, ohne ihren Gatten zu befragen, der seine eigene Gesellschaft und seine besonderen Sitten hatte, und seine Frau bei den Besuchen ihrer Freunde allein ließ. Harry sah auf die Karte, aber da war bei der Einladung eine Weglassung, die ihm nicht gefiel.

»Du hast Fräulein – wie heißt sie doch gleich – Fräulein Emery, Lady Claverings Tochter, nicht gebeten.«

»O, das kleine Ding!« rief Lady Agnes. »Nein, ich denke nicht, Harry.« 294

»Wir müssen Fräulein Amory einladen,« sagte Foker. »Ich – ich wollte auch Pendennis bitten, und – und er ist ihr sehr gut. Meinst du nicht, daß sie hübsch singt, Mama?«

»Mir schien, als ob sie sehr mit dem Munde vornweg wäre, und ich gab nicht acht auf ihr Singen. Sie sang auch nur für dich und Herrn Pendennis, schien mir. Aber ich will sie einladen, wenn du es möchtest, Harry«, und so wurde Fräulein Amorys Name mit dem ihrer Mutter auf die Karte geschrieben.

Als dieses diplomatische Kunststück triumphierend durchgeführt war, umarmte Harry seine zärtliche Mutter mit der äußersten Liebe und zog sich in seine eigenen Gemächer zurück, wo er sich auf seiner Ottomane ausstreckte und still vor sich hinbrütend dalag und dabei den Tag herbeiseufzte, der das schöne Fräulein Amory unter sein väterliches Dach bringen sollte, und hundert tolle Pläne entwarf, wie er sie treffen könnte.

Bei seiner Rückkehr von seiner großen Tour hatte Herr Foker junior sich einen Polyglot-Kammerdiener mitgebracht, der Schafskopfs Stelle einnahm und sich herabließ, beim Essen aufzuwarten, angetan mit Vorhemdchen von gesticktem Musseline und vielen goldenen Knöpfchen und Ketten. Dieser Mann, der keinem besonderen Lande angehörte und alle Sprachen ausnahmslos schlecht sprach, machte sich Herrn Harry auf mannigfache Art nützlich, las die ganze Korrespondenz des harmlosen Jünglings, kannte seine Lieblingskneipen und die Adressen seiner Bekannten und wartete bei den Privatdiners auf, die der junge Gentleman gab. Als Harry nach seiner Unterredung mit seiner 295 Mutter, in einen wundervollen Schlafrock gehüllt, in düsterem Stillschweigen seine Pfeife rauchte, mußte auch Anatole gemerkt haben, daß etwas die Seele seines Herrn beunruhigte, obwohl er durchaus keine übelerzogene Sympathie mit Harrys Gemütserregung an den Tag legte. Als Harry sich in sein Morgenkostüm zum Ausgehen zu kleiden begann, war er wirklich sehr schwer zufriedenzustellen und besonders streng und auffahrend bei seiner Toilette; er versuchte und verfluchte Beinkleider in den allerverschiedensten Streifen, Mustern und Farben; alle Stiefel waren niederträchtig schlecht lackiert, die Hemden zu schreiend im Muster. Er parfümierte seine Wäsche und seine Person an diesem Tage ganz besonders reichlich; und wie groß muß das Erstaunen des Kammerdieners gewesen sein, als, nach einigem Erröten und Zaudern auf Harrys Seite, der junge Gentleman fragte: »Hören Sie mal, Anatole, als ich Sie engagierte, sagten Sie – hm – sagten Sie da nicht, daß Sie das – hm – das Haarkräuseln verständen?«

Der Kammerdiener sagte: Ja, er verstünde es.

»Cherchy alors und paire de tongs - et - curly moi un pew,« sagte Herr Foker leichthin; und der Kammerdiener, der gern hätte wissen mögen, ob sein Herr verliebt wäre oder zu einer Maskerade ginge, suchte die fraglichen Artikel, – zuerst bei dem alten Hausmeister, der bei Herrn Foker senior aufwartete, auf dessen kahlem Scheitel das Brenneisen kaum hundert Haare zu fassen gekriegt haben würde, und schließlich bei der Dame, die mit der Pflege der weichen 296 kastanienbraunen Locken der Lady Agnes betraut war. Und als er das Brenneisen erlangt hatte, drehte Monsieur Anatole die Locken seines jungen Herrn, bis er Harrys Kopf so wie einen Negerkopf gelockt hatte, worauf sich der Jüngling mit äußerster Sorgfalt und Pracht ankleidete und sich anschickte auszugehen.

»Um welche Zeit soll ich den Wagen vor Fräulein Pingneys Tür bestellen, Herr?« flüsterte der Diener, als sein Herr fortgehen wollte.

»Zum Teufel mit ihr! – Schieb das Diner auf – ich kann nicht hingehen!« sagte Foker. »Nein, zum Henker, ich muß ja gehen. Poyntz und die Rougemont und noch viele andere wollen kommen. Den Wagen an Pelham Corner um sechs Uhr, Anatole.«

Der Wagen war keine von Herrn Fokers eigenen Equipagen, sondern wurde von einem Wagenverleiher für festliche Zwecke gemietet; Foker setzte indessen diesen Morgen seine eigene Kutsche in Stand, und zu welchem Zwecke, meint wohl der freundliche Leser? Ei nun, um nach Lamb Court im Tempel zu fahren, wobei er auf dem Wege Grosvenor Place (das, wie jedermann weiß, von Grosvenor Street in gerader Richtung zum Tempel liegt) mitnahm, und dort den Genuß hatte, einen Blick nach Fräulein Amorys rosigen Fenstervorhängen hinauf zu tun, und nachdem er dies Vergnügen hinreichend genossen hatte, nach Pens Wohnung fuhr. Warum drängte es ihn so sehr, seinen teuren Freund Pen zu sehen? Warum verlangte er und sehnte er sich nach ihm? Und warum schien es für Fokers bloße Existenz notwendig zu sein, daß er Pen an diesem Morgen sah, nachdem er sich doch die Nacht 297 vorher in vollkommener Gesundheit von ihm getrennt hatte? Pen hatte zwei Jahre in London gelebt, und Foker hatte bis jetzt noch kein halbes Dutzend Besuche in seiner Wohnung gemacht. Was trieb ihn also jetzt mit solcher Hast dahin?

Was? – Wenn irgendwelche jungen Damen diese Seite lesen, so habe ich sie nur zu belehren, daß, wenn sie dasselbe Mißgeschick beträfe, das jetzt schon seit mehr als zwölf Stunden Harry Foker befallen hatte, Leute für sie interessant werden würden, um die sie sich tagsvorher gar nicht gekümmert haben und daß ihnen andererseits Personen, die sie zu lieben geglaubt haben, sich als fade und unangenehm geworden erweisen werden. Dann wird Ihnen Ihre teuerste Elisa oder Maria, der Sie gestern Briefe schrieben und die Ihnen ellenlange Haarlocken sendet, plötzlich so gleichgültig werden, wie Ihre dümmste Verwandte, während Sie, im Gegenteil, für seine Verwandten solch eine warme Teilnahme, solch eine liebende Sehnsucht, sich bei seiner Mama in Gunst zu setzen, solch eine Liebe für diesen lieben freundlichen alten Mann, seinen Vater, zu fühlen beginnen werden! Wenn er es gewöhnt ist, in irgendeinem Hause Besuche zu machen, wie freundlich werden Sie den Leuten dort entgegenkommen, um dort auch Besuche machen zu können! Wenn er eine verheiratete Schwester hat, so werden Sie gern lange Morgenstunden bei ihr zubringen. Sie werden Ihre Magd damit ermüden, daß Sie ihr Billets senden, wozu den Tag über zwei- oder dreimal die allerdringendste Veranlassung sein wird. Sie werden weinen, wenn Ihre Mama gegen zu häufige Besuche in seiner Familie Einspruch erhebt. 298 Der einzige vielleicht, den Sie nicht lieben werden, ist sein jüngerer Bruder, der in den Ferien zuhause ist und darauf besteht, in der Stube zu bleiben, wenn Sie kommen, um ihre liebe neuentdeckte Freundin, seine geliebte zweite Schwester, zu besuchen. Etwas dergleichen wird Ihnen, meine jungen Damen, passieren, oder hoffen wir wenigstens, daß es Ihnen passieren möchte. Ja, Sie müssen die heißen und die kalten Anfälle dieses schönen Fiebers durchmachen. Ihre Mütter haben es, wenn sie es nur eingestehen wollten, auch durchgemacht, noch ehe Sie geboren worden sind, und Ihr teurer Papa war natürlich der Gegenstand der Leidenschaft, – wer hätte es auch anders sein können, als er? Und wie Sie es erdulden, so werden es auch Ihre Brüder in ihrer Weise und nach ihrer Art, egoistischer als Sie, hastiger und halsstarrischer; sie werden sich auf ihr Schicksal losstürzen, wenn die ihnen beschiedene Zauberin erscheint. Oder wenn sie es nicht tun, und Sie es nicht tun, dann gnade Ihnen Gott! Wie der Spieler von seinen Würfeln sagt: »Lieben und gewinnen ist das allerbeste Ding, lieben und verlieren das nächstbeste.« Nun, also, wenn man fragt, warum Harry Foker, Esquire, es so eilig hatte, Arthur Pendennis zu sehen und diesen plötzlich so wertschätzen und hochachten lernte, so ist es nicht schwer zu sagen: es war, weil er in Herrn Fokers Augen wirklich wertvoll geworden, weil Pen, wenn auch nicht die Rose selbst, so doch dieser duftenden Blume der Liebe nahe gewesen war. War er nicht gewohnt, in ihr Haus in London zu gehen? Lebte er nicht in ihrer Nähe auf dem Lande? – Wußte er nicht alles, was die Zauberin betraf? Was, 299 möchte ich wissen, würde Lady Anna Milton, Herrn Fokers Kusine und Auserwählte, gesagt haben, wenn Ihre Ladyschaft alles gewußt hätte, was im Busen dieses lustigen kleinen Herrchens vorging.

Ach! als Foker Lamb Court erreichte und seinen Wagen der Bewunderung der kleinen Schreiber überließ, die in dem Bogengange herumschlenderten, der von dort nach Flag Court führt, war Warrington in den Zimmern, Pen aber abwesend. Pen war in die Druckerei gegangen, um seine Korrekturbogen zu lesen. »Ob Foker eine Pfeife haben und ob die Wäscherin in den ›Hahn‹ gehen und ihm etwas Bier holen sollte?« fragte Warrington, der mit vergnügtem Staunen die prächtige Toilette dieses parfümierten und blankbestiefelten jungen Aristokraten bemerkte; aber Foker hatte nicht das leiseste Verlangen nach Bier oder Tabak; er hatte ein sehr wichtiges Geschäft; er stürzte zum Bureau der ›Pall Mall Gazette‹, immer noch darauf erpicht, Pen zu finden. Pen hatte den Ort schon verlassen. Foker brauchte ihn, damit sie zusammen auf Besuch zu Lady Clavering gehen könnten. Foker ging verzweifelt fort und vertrieb sich ein paar Stunden zwecklos in den Klubs; und als es Zeit zum Visitenmachen war, meinte er, daß es nur anständig und höflich wäre, nach Grosvenor Place zu fahren und eine Karte bei Lady Clavering abzugeben. Er hatte nicht den Mut, um die Erlaubnis zu bitten, sie zu sehen, als die Tür geöffnet wurde; er gab nur in sprachloser Angst Jeames zwei Karten ab, auf denen Harry Foker aufgedruckt stand. Jeames nahm die Karten in Empfang und beugte sein gepudertes Haupt. Die lackierten 300 Türen schlossen sich vor ihm. Der geliebte Gegenstand war, obwohl so nahe, doch so fern von ihm, wie je. Er glaubte Töne eines Pianos und eines Sirenengesanges zu hören, die aus dem Gesellschaftszimmer kamen und über die Geraniumgesträuche des Balkons dahinschwebten. Er wäre gern stehen geblieben und hätte gelauscht, aber es wollte nicht gehen. »Fahr zum Tattersall,« sagte er zu dem Diener mit einer vor Aufregung erstickten Stimme, »und bring mir meinen Pony,« fügte er hinzu, als der Mann schnell wegfuhr.

Wie es ein glücklicher Zufall haben wollte, fuhr jene prächtige Kutsche der Lady Clavering, die in einem früheren Kapitel, freilich nicht ganz nach Verdienst, beschrieben worden ist, gerade vor Ihrer Ladyschaft Tür vor, als Foker den Pony bestieg, der auf ihn wartete. Er bestieg also das feurige Tier und trabte um das Bogentor von Green Park, wobei er die Kutsche wohl im Auge behielt, bis er Lady Clavering hineinsteigen sah, und mit ihr – wem konnte jene Engelsgestalt angehören, als der Zauberin, die in eine Art Stoff von Sonnenfäden gekleidet war und einen rosa Hut nebst lichtblauem Sonnenschirme trug – wem anders als Fräulein Amory.

Die Kutsche fuhr ihre schönen Insassen nach Madame Rigodons Putzmacherladen, nach Frau Wolseys Berliner Wollwarenhandlung – und wer weiß, zu welchen anderen Niederlagen weiblicher Handelsgeschäfte noch. Dann ging man und nahm eine Portion Eis bei Hunter, denn Lady Clavering war etwas prunksüchtig in ihrem Geschmacke und ihren Vergnügungen und fuhr nicht nur gern in der auffallendsten 301 Kutsche Londons aus, sondern wünschte auch, daß das Publikum sie darin sehen sollte. Und so saß sie, einen weißen Hut mit einer gelben Feder auf dem Kopfe, und aß im Sonnenscheine vor Hunters Tür eine große Schale rotes Eis, bis Foker auf seinem Pony und die Rotjacke, die ihn begleitete, des Herumtrabens schier überdrüssig waren.

Dann endlich schlug sie den Weg in den Park ein, und der erregte Foker jagte vorwärts. Was wollte er? Nichts als einen Blick des Wiedererkennens von Fräulein Amory und ihrer Mutter, ihnen ein halbes Dutzend Mal über den Fahrweg reiten, sie betrachten und von der anderen Seite des Grabens anäugen, wo sich die Reiter versammeln, wenn die Musikkapelle im Kensington Garden spielt. Was hat man davon, daß man eine Frau in einem rosa Hute über einen Graben weg anblickt? Was in aller Welt hat man für Gewinn, wenn einem mit dem Kopfe zugenickt wird? Wunderlich, daß Menschen mit solchen Vergnügungen zufrieden sind, oder, wenn nicht zufrieden, sie doch mit solchem Eifer aufzusuchen pflegen. Nicht ein einziges Wort wechselte der sonst so gesprächige Harry mit der, die ihn bezaubert hatte. Stumm sah er sie zu ihrer Kutsche zurückkehren und unter den ziemlich ironischen Begrüßungen der jungen Leute im Park wegfahren. Einer sagte, daß die indische Witwe die väterlichen Rupien tüchtig springen lasse, ein anderer meinte, daß sie sich lebendig hätte verbrennen lassen sollen, um ihr Geld ihrer Tochter zu hinterlassen. Der da fragte, wer Clavering sei? – und der alte Tom Eales, der jedermann kannte und nie einen Tag vorbeigehen ließ, wo er 302 nicht auf seinem grauen Rößlein im Parke erschienen wäre, gab die freundliche Auskunft, daß Clavering Hals über Kopf zu einem verpfändeten Rittergut gekommen wäre, daß höllisch garstige Geschichten von ihm als jungem Mann in Umlauf wären, daß es von ihm hieße, er hätte einen Anteil an einer Spielhölle, und daß er ganz gewiß von seinem Regimente desertiert wäre.

»Er spielt immer noch; er ist fast jede Nacht in einer Hölle,« fügte Herr Eales hinzu.

»Das sollte ich meinen, seit seiner Heirat,« sagte ein Witzbold.

»Er gibt höllisch gute Diners,« sagte Foker, der für die Ehre seines gestrigen Wirtes vom Leder zog.

»Glaub's wohl, aber ich vermute, er ladet Eales nicht dazu ein,« meinte der Witzbold. »Hören Sie mal, Eales, speisen Sie bei den Claverings – bei der Begum?«

»Ich dort speisen?« sagte Herr Eales, der mit Beelzebub gespeist haben würde, wäre er sicher gewesen, dort einen guten Koch zu finden, und doch, wenn er weggegangen wäre, seinen Wirt schwärzer geschildert hätte, als das Schicksal ihn gemacht.

»Wissen Sie, Sie möchten das wohl tun, obwohl Sie ihn so schlecht machen,« fuhr der Witzbold fort. »Man sagt, es ist sehr ergötzlich dort. Clavering schläft nach dem Essen ein, die Begum betrinkt sich in Kirschschnaps und die junge Dame singt den jungen Herren etwas vor. Sie singt hübsch, nicht wahr, Fo?«

»Papperlapapp,« sagte Fo. »Ich will dir was sagen, Poyntz, sie singt wie eine – wie nennt man's doch 303 – du weißt schon, was ich meine, – wie eine Seejungfer, du weißt schon – aber so nennt man's ja nicht.«

»Ich habe in meinem Leben keine Seejungfer singen hören,« erwiderte Herr Poyntz, der Witzbold. »Wer hat je 'ne Seejungfer singen hören? Eales, Sie sind ein altes Kerlchen, haben Sie mal eine gehört?«

»Hol's der Henker, Poyntz, treibt keine Narrenspossen mit mir,« sagte Foker rot werdend und indem ihm fast die Tränen in die Augen traten; »du weißt schon, was ich meine, es sind jene, wie heißen sie doch gleich – im Homer, weißt du. Ich habe mich nie für einen großen Gelehrten ausgegeben.«

»Und niemand hat dies auch je von dir gesagt, mein Junge,« bemerkte Herr Poyntz; Foker stieß seinem Pony die Sporen in die Seiten und klepperte Rotten Row hinab, sein Gemüt von mannigfaltigen Empfindungen, von Ehrgeiz und Kränkungen erregt. Er war betrübt, daß er in seiner Jugend nicht viel in die Bücher gesehen hatte, weil er dann all diese Burschen ausgestochen haben würde, die um sie herum waren, Sprachen sprechen konnten, ihr Gedichte machten und ihr Bilder ins Album malten, und – und dergleichen mehr. – »Was bin ich,« dachte der kleine Foker, »im Vergleich mit ihr? Sie ist ganz Seele, wahrhaftig, kann Gedichte machen und Musikstücke komponieren, so leicht, wie ich ein Glas Bier trinken könnte. Bier? – verdammt, Bier ist das einzige, wofür ich tauge. Ich bin ein armer, unwissender kleiner Bettler, zu nichts nütze, als zum Besitze des Fokerschen Vermögens. Ich verbummelte meine Jugend und ließ mir meine Aufgaben 304 gewöhnlich von den anderen Jungen machen. Und was ist jetzt die Folge? O Harry Foker, was für ein verwünschter kleiner Schafskopf bist du gewesen!«

Während er dies trübsinnige Selbstgespräch hielt, war er aus Rotter Row in den Park hinein galoppiert, und dort stand, im Begriffe wegzufahren, eine große alte geräumige Familienkutsche, die er nicht beachtete, bis eine muntere Stimme ausrief: »Harry, Harry!« und er aufblickend seine Tante, Lady Rosherville und zwei ihrer Töchter erblickte, von denen die eine, welche gerufen, Harrys Verlobte, die Lady Anna war.

Er fuhr mit einem bleichen, verstörten Gesicht zurück, weil ihm eine Wahrheit, an die er den ganzen Tag nicht gedacht hatte, durch den Sinn ging. Dort war sein Schicksal, dort, auf dem Rücksitz jener Kutsche!

»Was fehlt dir, Harry? Warum bist du so blaß? Du hast dich zuviel herumgetrieben und geraucht, du gottloser Junge,« sagte Lady Anna.

Foker fragte: »Wie geht's, Tante?« »Wie geht's Anna?« in verlegener Weise – murmelte etwas von einem dringenden Versprochensein, – und allerdings sah er an der Uhr des Parks, daß er seine Gesellschaft im Wagen fast eine Stunde hatte warten lassen – und winkte ihnen Lebewohl zu. Der kleine Mann und der kleine Pony waren in einem Augenblick aus ihrem Gesichtskreise entschwunden – die große Kutsche rollte fort. Niemand in ihr nahm viel Anteil an seinem Kommen oder Gehen, da die Gräfin mit ihrem Schoßhunde beschäftigt, die Gedanken und Augen der Lady Lucy aber auf einem Band Predigten und die der Lady 305 Anna auf einen neuen Roman gerichtet waren, den sich die Schwestern gerade eben aus der Bibliothek geholt hatten.



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